Protokoll der Sitzung vom 23.11.2011

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Für die Regierung spricht Herr Mi nisterpräsident Winfried Kretschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute zum letzten Mal vor der Volksabstim mung über Stuttgart 21.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das ist rich tig! – Abg. Karl Zimmermann CDU: Diese Aussage stimmt!)

Es war gut, dass diese Debatte stattgefunden hat und alle Ar gumente noch einmal ausgetauscht werden konnten. Was wir von der Volksabstimmung eigentlich erwarten, ist, dass sie ei nen befriedenden Charakter bei diesem Konflikt hat. In der heutigen Debatte hat man bereits gemerkt, dass der Tonfall et was moderater war als in den vorhergehenden Debatten. In sofern wirft die Volksabstimmung bereits ihren angenehmen Sonnenschein – nicht ihren Schatten – auf diese Debatte.

(Abg. Winfried Mack CDU: Kein Beifall! – Unruhe)

Ja, so ist es. Ich habe es so wahrgenommen; Sie können es anders wahrnehmen.

Wir diskutieren heute natürlich über die Volksabstimmung zu Stuttgart 21, weil diese Volksabstimmung tatsächlich stattfin det. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben zum ersten Mal die Möglichkeit, in einer Sachfrage von zentraler Bedeutung selbst zu entscheiden.

(Abg. Andreas Deuschle CDU: Das ist ja der Wahn sinn!)

Das ist ein Verdienst dieser grün-roten Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir zeigen damit, dass wir es mit den politischen Entschei dungsprozessen, an denen die Menschen beteiligt werden sol len, ernst meinen. Wir zeigen, dass wir es ernst meinen mit ei ner Politik des Gehörtwerdens und dass wir es ernst meinen damit, dass die Möglichkeiten für direktdemokratische Ent scheidungen häufiger als bisher herbeigeführt werden und wahrgenommen werden können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir haben an den Schluss der Präambel des Koalitionsver trags den Satz geschrieben: „Wir verstehen uns als echte Bür gerregierung.“ Dies ist die erste Etappe auf dem Weg dahin.

Darüber hinaus wollen wir mehr und neue Formate für die Be teiligung der Zivilgesellschaft an politischen Prozessen erar beiten; wir sind dabei. Dann können wir darauf hoffen, dass solche Konflikte wie der Konflikt um Stuttgart 21 in Zukunft anders ablaufen. Das ist der Sinn dessen, was wir tun: Wir be ziehen die Bürger von vornherein besser in politische Ent scheidungen über Infrastrukturprojekte ein, als das bisher der Fall war.

Insofern kann man sagen – unabhängig davon, wie die Ab stimmung am kommenden Sonntag ausgeht –: Durch den Konflikt um Stuttgart 21 hat die ganze Republik bereits ge wonnen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Widerspruch bei der CDU – Abg. Dieter Hillebrand CDU: Oje! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Wie viel hat es gekostet? – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Was ha ben Sie gewonnen? – Abg. Thomas Blenke CDU: Das ist ja abenteuerlich! – Weitere Zurufe – Unruhe)

Durch diesen Konflikt hat die ganze Republik schon gewon nen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU – Abg. Andreas Deuschle CDU: Deutschland lacht über uns! – Ge genruf der Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Deutsch land ist stolz auf uns!)

Alle Parteien haben auf diesen Konflikt reagiert; in der gan zen Republik wird in Zukunft anders mit solchen Infrastruk turvorhaben umgegangen. Das ist evident, und niemand kann es bestreiten.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Genau so ist es!)

Bis hin zur Bundeskanzlerin wurde dies allseits gesagt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Tanja Gönner CDU: Warum haben Sie dann die Bundesratsinitiative zurückgenommen? – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP – Abg. Winfried Mack CDU: Das ist traurig!)

Der Papst hat mich bei seinem Besuch in unserem Land in ei ner zehnminütigen Audienz nach Stuttgart 21 gefragt.

(Oh-Rufe von der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Hoffentlich hat er Ih nen auch die Beichte abgenommen!)

Die Frage hat mich natürlich sehr überrascht. Der Papst hat mich wohl nicht deswegen nach Stuttgart 21 gefragt, weil er sich besonders für Bahnhöfe interessiert,

(Unruhe)

sondern weil er sich für den Konflikt interessiert, der dahin tersteht, und dafür, wie er gelöst werden soll. Das ist ein kla rer Hinweis darauf, dass der Umgang mit diesem Konflikt ein deutliches Signal gesetzt hat, wie wir in Zukunft mit solchen Konflikten umgehen. Unsere Antwort lautet, dass wir einen weiteren Schritt in die Bürgergesellschaft wagen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Dieses Versprechen der Landesregierung und der sie tragen den Fraktionen für Offenheit, Transparenz und Mitgestaltung solcher Prozesse war mit ein Grund, warum diese Koalition bei der letzten Wahl eine Mehrheit bekommen hat.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ich glaube, der 27. November ist ein echter Einschnitt in un serem Land, weil er deutlich macht, dass wir diesen Schritt ganz ernsthaft gehen wollen. Ich muss sagen – obwohl ich sol che Worte nicht so oft in den Mund nehme –: Wir sind stolz darauf, dass wir es geschafft haben, in solch einem scharfen Konflikt, der die Stadt Stuttgart und unser Land tief gespalten hat, eine Lösungsstrategie zu erarbeiten. Das haben SPD und Grüne gemeinsam geschafft.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Dietrich Birk CDU)

Wir haben den Versuch gewagt und riskiert, trotz einer schwer wiegenden Differenz in einer sehr wichtigen Frage für dieses Land eine Koalition einzugehen. Dieses Experiment ist ge lungen.

(Zuruf von der CDU: Abwarten!)

Wir haben es geschafft.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl Zimmermann CDU: Sie sollen nicht experimentie ren, sondern regieren! – Gegenruf der Abg. Helen He berer SPD: Das sagt der Richtige!)

Obwohl eine solche Frage natürlich eine Koalition belastet – das ist keine Frage –,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wie geht es wei ter? Sprechen Sie darüber!)

haben wir es geschafft, trotz dieser Belastung kraftvoll die an stehenden Aufgaben in der Landespolitik anzugehen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Volker Schebesta CDU: Da wollen wir nicht wissen, wie es aussieht, wenn die wenige Kraft auch noch nachlässt! – Oh-Rufe von den Grünen)

Diesen Zwischenruf habe ich jetzt leider nicht gehört.

(Heiterkeit)

In der kommenden Plenarsitzung werden wir das deutlich ma chen. Wir werden einen Haushalt vorlegen, mit dem wir kei ne weiteren Schulden machen, mit dem wir sanieren und ge stalten.

(Lebhafter Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Also die 1,5 Milli arden € zahlen Sie aus dem laufenden Haushalt?)

Damit geben wir ein neues Signal in die Gesellschaft: Die Po litik ist trotz schwerwiegender Konflikte in einzelnen Fragen in der Lage, zu gestalten und das Gemeinwesen zusammen zuhalten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir merken schon jetzt an der Anforderung der Briefwahlun terlagen, am Besuch der Veranstaltungen: Das Thema mobi lisiert die Menschen; sie engagieren sich in dieser Frage. Ich bin sicher, wir werden eine hohe Wahlbeteiligung haben. Des wegen ist der 27. November ein guter Tag. Wir sind bisher Entwicklungsland in Sachen direkter Demokratie, und wir ha ben die Chance, am 27. November wenigstens zu einem Schwellenland zu werden.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: Bravo! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wie geht es am 28. weiter?)

Wenn die Union bereit ist, nach dem 27. November endlich ihre Angst vor dem Volk zu verlieren,

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Wir sind direkt gewählte Volksvertreter!)