Protokoll der Sitzung vom 07.12.2011

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Die bittere Erkenntnis der vergangenen Tage ist: In Deutsch land gibt es nicht nur rechtsextremes Gedankengut, sondern es ist auch gut vernetzt, und es hat in den vergangenen Jahren eine Blutspur durch Deutschland gezogen.

Das Schlimmste ist aber nicht die Trauer um die Opfer, son dern dass wir aus dieser Unkenntnis heraus jahrelang in un seren Köpfen die Opfer zu vermeintlichen Mittätern gemacht haben, weil wir nicht für möglich gehalten haben, wie stark vernetzt die rechtsextreme Szene ist, welche Möglichkeiten sie hat und welche Gewalttaten von ihr ausgehen. Das Aller schlimmste aber ist, dass Kontakte zu einer Partei bestanden haben und noch heute bestehen, die mit unseren Steuermitteln finanziert wird.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Meine Damen und Herren, das ist der zentrale Grund, warum wir jetzt tätig werden müssen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Die Voraussetzungen für ein NPD-Verbot waren wahrschein lich nie günstiger als heute.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein? Das Bundesver fassungsgericht hat erstens gesagt, dass eine Partei, wenn sie verboten werden soll, darauf aus sein muss, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen, und zwar kämpferisch, aktiv und mit aggressivem Ton.

Vor einigen Jahren haben wir in Schwäbisch Hall eine Wehr machtsausstellung gezeigt. Dazu hat es 16 Nazikundgebun gen gegeben. Wer diese beobachtet hat und gesehen hat, wie martialisch und mit welchen Inhalten diese Gruppierungen dort gemeinsam mit der NPD aufgetreten sind, der weiß, dass diese Voraussetzung erfüllt ist.

Die zweite vom Bundesverfassungsgericht genannte Voraus setzung ist: Die Ziele müssen darauf ausgerichtet sein, aber auch – das ist der zentrale Punkt – das Verhalten der Anhän ger muss darauf ausgerichtet sein, die freiheitliche demokra tische Grundordnung zu beeinträchtigen. Darauf kommt es an.

Im Jahr 2003 ist ein NPD-Verbotsverfahren daran gescheitert, dass es zu viele V-Leute im System gab, bei denen das Ver fassungsgericht nicht mit Sicherheit sagen konnte,

(Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

ob die Aussagen, aufgrund derer die NPD verboten werden sollte, tatsächlich ausschließlich von Menschen getroffen wor den waren, die keine V-Leute waren. Dieses Problem besteht jetzt nicht mehr.

Das Verfassungsgericht hat noch Folgendes gesagt: Wenn es darum geht, dass Straftaten vorbereitet oder geplant werden, dann müssen keine V-Leute aus der NPD abgezogen werden, um ein solches Verbotsverfahren zu rechtfertigen.

Jetzt können wir erstens nachweisen: Ein NPD-Funktionär, Ralf Wohlleben, ist wegen des Verdachts der Beihilfe zum sechsfachen Mord festgenommen worden. Das ist eine Tatsa che, bei der eine Verknüpfung besteht, die uns zu denken ge ben muss.

Das Zweite ist: In den Jahren 2009 und 2010 – in gut einem Jahr – sind 811 Waffen bei Rechtsextremisten gefunden wor den. Ich frage mich, zu welchem Zweck diese Waffen zusam mengetragen worden sind. Sicherlich sind sie nicht nur ge sammelt worden. Sie wurden zusammengetragen, um Verbre chen zu begehen.

Darüber hinaus gibt es gute Gründe, die dafür sprechen, das Verbotsverfahren durchzuführen:

Erstens: Wir würden der Finanzierung der NPD nachhaltig schaden, und zwar doppelt. Die NPD ist schon jetzt in hohem Umfang, nämlich mit 2 Millionen €, verschuldet. Wenn ein NPD-Verbotsverfahren ansteht, dann werden die Gläubiger schon jetzt ihre Schulden zurückfordern – und zwar verstärkt und schneller. Sie wollen noch jetzt ihr Geld haben, bevor die NPD verboten ist. Allein ein Verbotsverfahren könnte der NPD also erheblich schaden.

Zweitens: Die NPD-Anhänger würden nachhaltig verunsichert und die Strukturen würden zerschlagen. Beim Verbot der SRP vor 60 Jahren hat man versucht, eine Nachfolgeorganisation zu gründen. Damals wurde die DRP gegründet, die Deutsche Reichspartei. Dieser Partei ist es nicht gelungen, an die Erfol ge der Sozialistischen Reichspartei anzuknüpfen. Die Sozia listische Reichspartei hatte kurz vor ihrem Verbot in Nieder sachsen bei einer Wahl 11 % der Stimmen und damit 16 Land tagsmandate erhalten. Kurz danach hat sie in Bremen fast 8 % der Stimmen geholt. Aber die Nachfolgeorganisation war durch das vorherige Verbot nicht mehr in der Lage, an die Er folge anzuknüpfen, und zwar weder im Hinblick auf die Mit gliederzahlen noch im Hinblick auf politische Erfolge. Das heißt, ein solches Verbot wirkt. Es zerstört die Strukturen und schreckt die Anhänger ab.

Natürlich brauchen wir keinen Schnellschuss, sondern müs sen erst arbeiten, ehe wir sicher sein können, dass es zu einem solchen Verbot kommen kann. Dann müssen wir entsprechend zuschlagen.

Aber uns muss auch klar sein: Ein Verbot allein reicht nicht.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Wir müssen die Aufklärungs- und Informationsarbeit verstär ken. Heribert Prantl hat am 1. Dezember in einem Kommen tar etwas gesagt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –, was ich nur unterstreichen kann:

Mit Argumenten kann man gut gegen eine braune Ideo logie streiten. Mit Argumenten aber kann man die Men schen nicht schützen, die von Rechtsextremisten geschla gen, gehetzt und getötet werden.

Das bedeutet: Wir dürfen einen Verbotsantrag erst stellen, wenn wir sicher sind, dass der Antrag Erfolg hat. Aber dann müssen wir ihn stellen.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Natürlich! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Denn eine wehrhafte Demokratie muss gegen solche Men schen vorgehen.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Winfried Mack.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Vor zwei Wochen haben wir hier eine De batte zu den unglaublichen, öffentlich gewordenen Vorgängen in Deutschland, zu der Blutspur, die der sogenannte NSU in Deutschland gelegt hat, geführt. Ich finde es gut, dass wir heu te weiter darüber diskutieren und überlegen, welche Maßnah men nötig sind, welche Maßnahmen der Staat ergreifen muss, um dieses rechtsextremistischen Terrors, dieser extremisti schen Gewalt Herr zu werden.

Eine wehrhafte Demokratie – die Bundesrepublik Deutsch land und auch das Land Baden-Württemberg verstehen sich von ihrem Beginn an als wehrhafte Demokratie – muss nicht nur im Bereich der repressiven Staatsgewalt klar Kante zei gen, sondern muss auch präventiv agieren. Sie muss durch po litische Bildung dafür sorgen, dass das Fundament für mögli ches extremistisches Gedankengut von vornherein nicht zum Tragen kommt bzw. ausgetrocknet wird.

In der vergangenen Debatte hier im Hause haben wir von der Regierung gehört, gerade in den Bereich der politischen Bil dung wolle diese Regierung investieren. Sie, Herr Innenmi nister, haben das gesagt. Wir begrüßen das. Am nächsten Tag aber haben wir in der Kuratoriumssitzung der Landeszentra le für politische Bildung gehört,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Hört, hört!)

dass diese Landesregierung beschlossen hat, die Mittel für die Landeszentrale für politische Bildung um 200 000 € zu kür zen.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Wie geht das zu sammen?)

In diesen Zeiten brauchen wir nicht weniger Mittel für die Landeszentrale für politische Bildung, sondern wir brauchen mehr. Ich glaube, darin sollten wir alle uns einig sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir müssen natürlich auch überlegen, Herr Kollege Sakella riou, was wir in Bezug auf die NPD und ein NPD-Verbotsver fahren machen. Die Debatte ist durch die Verhaftung von Herrn Wohlleben, dem früheren stellvertretenden Landesvor sitzenden der NPD in Thüringen, neu belebt worden. Er wur de wegen des Tatverdachts der Beihilfe zum vollendeten Mord in sechs Fällen und zum versuchten Mord in einem weiteren Fall festgenommen. Der Zusammenhang zur NSU liegt rela tiv klar auf der Hand.

Sie haben gesagt, von dieser Debatte solle ein klares Signal an die Innenministerkonferenz in Bezug auf ein NPD-Verbots verfahren ausgehen. Aber ich möchte Ihnen sagen: Die Innen ministerkonferenz muss genau prüfen, ob wir die erforderli chen Belege dafür haben, dass es für ein NPD-Verbotsverfah ren reicht. Das kann nur die Exekutive machen; das kann nicht die Legislative machen. Nichts wäre schlimmer, als wenn jetzt durch die Innenministerkonferenz beschlossen würde: „Ja wohl, wir führen jetzt das Verbotsverfahren durch“, und man damit wieder scheitern würde. Dann wäre dieses Instrument für alle Zeiten unglaubwürdig.

Deswegen lastet auf der Innenministerkonferenz, die in die ser Woche stattfindet, eine schwere Bürde. Die Innenminister müssen genau prüfen, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Diese Voraussetzungen sind relativ hoch. Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei. Aber das reicht für ein NPD-Verbotsverfahren nicht aus.

Wir sehen, dass die NPD Steuermittel bekommt, dass sie Wahlkampfkostenerstattung bekommt. In den Jahren 2009 und 2010 waren dies jeweils 1,2 Millionen €. Das ist auch für uns völlig unerträglich. Aber dennoch muss man sicher sein, ob man das NPD-Verbotsverfahren durchbekommt oder nicht. Da geht es einfach darum, sauber abzuwägen.

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Papier, hat gesagt, man müsse im Augenblick die Befürchtung haben, dass sich die Politik für einen neuen NPD-Verbotsan trag entscheide oder schon entschieden habe, ohne vorher die Erfolgsaussichten genau zu prüfen.

Deshalb bitten wir Sie darum, dies genau zu prüfen. Sie ha ben uns an Ihrer Seite, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Aber wenn die Voraussetzungen nicht gegeben sind, dann lassen Sie, bitte schön, die Finger davon.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜNE spricht Herr Kollege Sckerl.

Herr Präsident, sehr ge ehrte Damen und Herren! Die Debatte heute ist richtig und notwendig, aber es kommt auch auf die richtigen Prioritäten an. Für uns steht an erster Stelle nach wie vor die rasche, öf fentlich geführte und transparente Aufklärung der Morde durch die Terrorzelle und ihres ganzen Umfelds. Da sind noch ganz viele Fragen offen. Die Bürgerinnen und Bürger und auch wir erwarten da überzeugende Antworten.

Für uns ist selbstverständlich klar, dass auch die Rolle der be teiligten Landesämter für Verfassungsschutz – das badenwürttembergische Landesamt für Verfassungsschutz gehört nicht dazu – geklärt wird. Da sind einfach zu viele Fragen of fen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Diese Aufklärung muss dann selbstverständlich Konsequen zen haben.

Wir halten es für notwendig, dass die Aufklärung in allen Pha sen öffentlich stattfindet. Unsere Bitte an die Innenminister konferenz und an alle Beratungen, die in den nächsten Tagen und Wochen stattfinden, ist, dafür zu sorgen, dass statt inter ner Besprechungen und Aufarbeitungen der ganze Vorgang öffentlich und transparent stattfindet. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf.

Ich denke, wir sollten uns auch vornehmen, dass wir, wenn Ergebnisse vorliegen und Vertrauen wiederhergestellt werden muss – Vertrauen in die Institutionen unseres Staates und un seres Landes –, darüber diskutieren, wie wir in Baden-Würt temberg mit der Situation umgehen. Wir könnten uns durch aus die Einrichtung einer parlamentarischen Kontrollkommis sion für die gesamte Tätigkeit des Landesamts für Verfas sungsschutz und für andere Tätigkeiten vorstellen, womit wir in diesem Zusammenhang dem Beispiel anderer Bundeslän der folgen würden.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Alfred Wink ler SPD)