Protokoll der Sitzung vom 09.02.2012

Meine Damen und Herren! Ich eröff ne die 25. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg und darf Sie bitten, Platz zu nehmen.

Krankgemeldet ist Frau Abg. Schneidewind-Hartnagel.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt hat sich ab 17:30 Uhr Herr Minister Stickelberger.

Dienstlich verhindert sind Frau Ministerin Krebs und Herr Mi nister Friedrich.

Wir treten damit in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Polizeireform – Chancen und Gefah ren – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte die Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Da rauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Red ner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu hal ten.

Schließlich darf ich wie immer an dieser Stelle und mit dem ernsten Bemühen, Sie nach und nach daran zu gewöhnen,

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Er wird nicht müde!)

auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Das Wort erhält Herr Professor Dr. Goll für die Fraktion der FDP/DVP.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Wir können an gestern anknüpfen. Gestern bei der Beratung des Haushalts des Innenministeri ums war auch schon von der Polizeireform die Rede, von ei nem wichtigen Vorhaben für das Land, das natürlich in den kommenden Wochen und Monaten die Diskussion gerade im Bereich der Innenpolitik des Landes durchaus beherrschen wird. Wir stehen am Anfang. Ich darf, wie gesagt, an das an knüpfen, was gestern gesagt wurde, und am Anfang bewusst darauf hinweisen: Die Polizei bei uns im Land – das wird nie mand bestreiten – arbeitet hervorragend. Die ausgezeichne ten Erfolge dieses Landes im Bereich der inneren Sicherheit in den vergangenen Jahren sind nur erklärbar, wenn man da

von ausgeht, dass die Polizei im Land erstklassig arbeitet. Das ist so.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU sowie Abge ordneten der Grünen und der SPD)

Auf der anderen Seite kann man Strukturen immer fortentwi ckeln. Davon bin ich überzeugt; davon sind wir überzeugt. Das muss auch so sein. Man kann nicht einfach sagen: Wir ru hen uns auf den Lorbeeren aus. Man kann immer versuchen, besser zu werden. Deshalb habe ich zunächst einmal Respekt davor, wenn jemand sagt: Wir reformieren die Polizei; wir wollen es besser machen.

In dieser Reform liegen natürlich auch Chancen. Da gibt es wirklich Überschriften, die gut sind, die jeder unterschreibt, etwa wenn es heißt: „von den Schreibtischen auf die Straße“. Es ist gut, wenn wir es hinbekommen, dass Polizeibeamte stär ker vor Ort präsent sind, dass sie weniger von Verwaltungs arbeit in Anspruch genommen werden, bei der sie dort sitzen, wo sie niemand sieht.

Es gibt andere Punkte, die mich, ehrlich gesagt, noch nie über zeugt haben, so etwa die unübersichtliche Führungsstruktur an der Spitze der Polizei. Ich bin schon ein paar Jahre dabei und war sozusagen in einem verwandten Handwerk, der Jus tiz, unterwegs. Um es aber einmal ehrlich zu sagen: Ich habe nie ganz durchgeblickt, wer an der Spitze der Polizei wofür zuständig ist.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Das ist aber nicht schwierig! – Abg. Thomas Blenke CDU: Hauptsache, die Polizisten selbst wissen es!)

Genau. Herr Kollege Blenke weist richtigerweise darauf hin: Hauptsache, sie selbst wissen es.

(Heiterkeit)

Davon gehen wir zuversichtlich aus.

Es gibt weitere Punkte, die mir an der Reform gefallen – das muss man so deutlich sagen –, z. B. die Honorierung des Spe zialistentums. Sie haben vor, dass Spezialisten in die höheren Entgeltklassen aufsteigen. Dahinter steht übrigens ein Pro blem, das man nicht nur bei der Polizei hat: Man muss näm lich achtgeben, dass man nicht aus erstklassigen Spezialisten schlechte Führungskräfte macht, weil sie nur dadurch mehr Geld verdienen, dass sie in die Führungshierarchie aufsteigen. Dieses Problem gibt es auch in anderen Organisationen. Auch das ist also durchaus wichtig.

Ein zentrales Element der Reform ist der Wegfall einer Hier archieebene. Das begrüßen wir. Es ist gut, wenn eine Hierar

chieebene wegfällt. Wenn man sich das traut, ist es in Ord nung. Aber da nähern wir uns schon dem Wendepunkt vom Lob zur Kritik. Denn wenn ich eine Hierarchieebene wegneh me, dann führt das allein noch nicht zu einer flachen Hierar chie, wie Sie es in Ihrem Papier nennen.

(Abg. Thomas Blenke CDU: So ist es!)

Denn zu einer flachen Hierarchie gehört, dass man unterhalb der Spitze breit genug bleibt, dass man unterhalb der Spitze nah genug am operativen Geschäft bleibt, und dass man un terhalb der Spitze auch nah genug an der Fläche, am örtlichen Geschehen bleibt.

Ich glaube, das kann man nicht, wenn man eine Reform mit zwölf Präsidien macht, eine Reform, die an dieser Stelle von einer starken Konzentration gekennzeichnet ist.

Meine Damen und Herren, ich glaube, auf diese Art erreichen wir weder eine wirklich flache Hierarchie noch eine Struktur für die Fläche.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Mit dieser Reform ist die Gefahr verbunden, dass sich zwi schen der Spitze im Innenministerium und dem operativen Geschäft in der Fläche zwölf Kolosse – ich nenne es einmal so – breitmachen, Kolosse, die ein Eigenleben entwickeln werden, die ihre Eigengesetzlichkeiten entwickeln werden, die ein Stück weit um sich selbst kreisen, die ein Stück weit auch Personal ansaugen werden.

Meine Damen und Herren, viel von dem Personal, von des sen Verlagerung die Rede war, wird wahrscheinlich leider dort landen und nicht im ländlichen Raum, nicht auf der Straße.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es! – Abg. Tho mas Blenke CDU: Diese Befürchtung haben wir auch!)

Ich nenne Ihnen auch ein Beispiel für ungewollte Effekte, wo man wirklich höllisch achtgeben muss, ein Beispiel aus Bay ern. Es wird zwar immer wieder zurückgewiesen, dass diese Reform der bayerischen Reform ähnelt. Sie gleicht der baye rischen Reform nicht, aber sie erinnert schon stark an die bay erische Reform.

Jetzt nenne ich Ihnen nur ein Detail aus der bayerischen Re form. Dort sind, in Kilometern gemessen, die Entfernungen zwischen den Revieren und den jetzigen Leitungen – ich weiß nicht, ob sie dort Präsidien oder Direktionen heißen –

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Präsidien!)

sehr groß. Es sind so viele Reviere, dass sich in den Revieren schon wieder neue Stabsfunktionen ausgebildet haben. Das ist übrigens logisch, wenn im Hinblick auf die Kommunika tions- und Steuerungsprozesse die Spitze zu weit weg ist. Dann bilden sich eigene Strukturen in den Revieren, und die fressen unter Umständen den Gewinn wieder auf, den Sie sich von dieser Reform versprechen.

Ich will es einmal deutlicher sagen – das knüpft an das an, was Sie gestern gesagt haben –: Das zusätzliche Dienstauto, das wir versprochen haben, bleibt in Wirklichkeit vor der Tür ste hen, weil die Beamten wieder etwas anderes zu tun haben und am Schreibtisch sitzen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Deswegen ist ganz klar: Die Zahl ist zu gering, was die Prä sidien anbelangt. Die Verteilung muss stärker und basisnäher erfolgen.

Meine Damen und Herren, hinter dem Strukturvorschlag steckt auch eine Vorstellung, die ich für einen falschen Ansatz hal te. Dahinter steckt nämlich die Vorstellung von zwölf in etwa gleich großen Polizeipräsidien. Das ist ein sehr schematischer Ansatz. Der Ansatz ist in gewisser Weise auch gewaltsam. Er ist in einem Flächenland auch unrealistisch. Denn wenn Sie diesen Ansatz verfolgen, werden außerhalb der Ballungsräu me die Polizei und die Führung immer zu weit weg sein. Das ist dann zwangsläufig der Fall.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Genau!)

Es wird ja gesagt: „Es ist nicht so schlimm, wenn wir das kon zentrieren. Denn es geht nur die Führung; es gehen nicht die Beamten, es gehen nicht die Reviere.“

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das stimmt leider nicht!)

Aber auch wenn es nur um die Führung ginge, wäre es be denklich genug. Denn das löst im ländlichen Raum schon den Eindruck aus: „Die Polizei verlässt uns.“ Sie wissen, dass vie les eben auch Psychologie ist. Vieles hat nicht nur mit der ob jektiven Gefahrenlage zu tun, sondern die Lebensqualität im Land verschlechtert sich, die Leute fühlen sich nicht mehr si cher, wenn sie merken: Die Polizeiführung räumt den ländli chen Raum.

Aber, meine Damen und Herren, es geht nicht nur die Führung, es geht auch die Kriminalpolizei. Das ist schon etwas ganz an deres. Wenn wir kritisieren, dass die Kriminalpolizei geht, mei ne Damen und Herren, dann fordern wir keine Politik für die Landräte. Das war eigentlich, wenn ich das an dieser Stelle sa gen darf, die dümmste Formel des gestrigen Tages.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es! – Abg. Tho mas Blenke CDU: Olle Kamelle! Jahrzehnte alt!)

Das war eine polemische Formel.

(Zurufe der Abg. Thomas Blenke CDU und Claus Schmiedel SPD)

Na ja, Herr Schmiedel. Getroffene Hunde bellen.

Lieber Herr Schmiedel, ich sage Ihnen an dieser Stelle ganz klar: Die Landräte sind für mich noch immer viel vertrauens würdigere Garanten für den ländlichen Raum, als es eine Re gierung ist, die von zwei Parteien getragen wird, die sich tra ditionell eher an den Großstädten orientieren.