Protokoll der Sitzung vom 10.02.2012

(Abg. Peter Hauk CDU: Keine Sorge!)

Dies werden wir auch in den kommenden Haushaltsjahren Schritt für Schritt umsetzen und somit unserem Ziel immer näher kommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Bayer.

Herr Präsident, meine sehr ver ehrten Damen und Herren! Um den Haushalt des Kultusmi nisteriums, die bildungspolitischen Gesamtperspektiven, die damit verbunden sind, und auch die Einzelanträge politisch zu gewichten, möchte ich einige grundsätzliche Bemerkun gen vorausschicken. Hierzu verweise ich auf zwei, wie ich glaube, parteipolitisch unverdächtige Kronzeugen:

Exbundespräsident Horst Köhler hat in seiner Berliner Rede aus dem Jahr 2006 darauf aufmerksam gemacht, dass die Chance eines Kindes aus einer Arbeiterfamilie, aufs Gymna sium zu kommen, nur ein Viertel der Chance beträgt, die ein Kind eines Akademikerpaares besitzt. Diesen Befund nannte Köhler beschämend. Bildungsforscher wie Andreas Schlei cher von der OECD sagen es kurz und knapp: Man kann mit einem Bildungssystem aus dem 19. Jahrhundert im 21. Jahr hundert keinen Blumentopf mehr gewinnen. Er meint damit, dass eine Schule mit einem ständischen Grundmuster nicht in der Lage sei, genug kreative Bürger für eine technologieori entierte Exportnation zu mobilisieren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Auch ein Blick in die Geschichte zeigt: Wir hatten in Deutsch land keine demokratische Schulstunde null. Wir hatten also keinen Kristallisationspunkt, von dem die Botschaft ausging, man könne eine Gesellschaft im Alter von zehn Jahren in ein Oben und ein Unten einteilen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Wir haben aber einen Verfassungsauftrag, meine Damen und Herren, denn in der baden-württembergischen Landesverfas sung heißt es:

Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung.

Das öffentliche Schulwesen ist nach diesem Grundsatz zu gestalten.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Genau so ist es!)

Die wissenschaftliche Diagnose aber zeigt, dass sich soziale Benachteiligungen im Laufe von Bildungsbiografien eher noch verschärfen. Wir müssen deswegen in Bezug auf Verän derungen sowohl von Schulkultur als auch Schulstruktur neue Wege gehen. Wir wollen dabei die Bildungslandschaft nicht umpflügen. Wir wollen aber neue Akzente setzen. Wir wollen Veränderungen, die aus Betroffenen Beteiligte machen. Wir wollen Veränderungen, die allesamt zum Ziel haben, Leis tungsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit miteinander zu ver binden.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Meine Damen und Herren, Veränderungen sind immer mit Unsicherheiten verbunden. Dem einen geht es zu schnell, dem anderen geht es zu langsam. Manchen passt vielleicht die gan ze Richtung nicht. Dem einen ist der Mitteleinsatz zu hoch, dem anderen zu niedrig.

Die Ausgangsposition ist durchaus schwierig, nämlich das er klärte Ziel, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln, mit der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidie rung zu verbinden. Aus diesem Grund war z. B. eine weitere Senkung des Klassenteilers – wiewohl sicherlich wünschens wert – finanziell derzeit nicht darstellbar. Dies würde nämlich andere bildungspolitische Vorhaben beenden. Im Übrigen ist dieses Instrument durchaus umstritten, und zwar auch in Ih rer Fraktion.

Ich möchte nun einige zentrale Elemente nennen. Sie werden nachher von meinem Kollegen Fulst-Blei um die Aspekte der Finanzierungsfragen und des Privatschulwesens ergänzt.

Die zentralen Eckdaten im Stenogramm: Alle durch Rückgang der Schülerzahl theoretisch wegfallenden 3 300 Stellen wer den im System bleiben. Die Unterrichtsversorgung – ein wich tiges, wenn nicht überhaupt das wichtigste bildungspolitische Anliegen –, wird verbessert, indem die feste Krankheitsreser ve um 200 Stellen aufgestockt wird. Das ist ein Plus von 15 %.

Das Konzept der Werkrealschule wird an entscheidenden Stel len verändert, sodass mehr Jugendliche unter Beibehaltung der Berufsorientierung einen mittleren Abschluss machen kön nen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das bringt nicht für alle Schulen etwas!)

Zur Realisierung des zehnten Schuljahrs werden die notwen digen Deputate zur Verfügung gestellt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: 85 % haben wir schon!)

Die Arbeitsverhältnisse der Pädagogischen Assistenten wer den entfristet, und die Entlohnung wird angehoben.

Es gibt zusätzliche Poolstunden an Gymnasien und Realschu len, 30 zusätzliche Eingangsklassen an beruflichen Gymnasi en und einen Abbau des Unterrichtsdefizits.

Durch den Pakt mit den Kommunen wird die Betreuung von Kindern unter drei Jahren gewährleistet. Der seit Langem ge forderte Wiedereinstieg des Landes in die Mitfinanzierung der Schulsozialarbeit wird mit 15 Millionen € gesichert. Damit wird deutlich, dass Schulsozialarbeit eben auch in einer Teil verantwortung des Landes liegt.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Die Sprachförderung – Kollegin Boser hat es erwähnt – wird mit 11 Millionen € deutlich akzentuiert. Sie erfolgt durch ei ne Zusammenführung der Sprachförderprogramme im Kin dergarten früher, mehr in der Fläche, noch stärker alltagsori entiert, auch im Projekt „Singen – Bewegen – Sprechen“, wenn auch nicht im ursprünglichen Umfang. Sie hatten leider vergessen, das in die mittelfristige Finanzplanung hineinzu nehmen.

Der Solidarpakt Sport wird weitergeführt. Die Weiterbildung wird deutlich gestärkt. 2,2 Millionen € werden für die institu tionelle Förderung zusätzlich ausgebracht, 1,2 Millionen € zur Erleichterung nachzuholender Schulabschlüsse.

Meine Damen und Herren, dieses Gesamtpaket kann sich se hen lassen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Schließlich komme ich auf die Einführung der Gemeinschafts schule als gebundene Ganztagsschule mit einem modernen Konzept und der Chance einer Schulentwicklung von unten zu sprechen. Das Gesetzgebungsverfahren ist gerade erst an gelaufen. Wir werden genügend Möglichkeiten haben, uns da rüber auszutauschen.

Heute nur so viel: Wenn Sie versuchen, die Gemeinschafts schule semantisch zu verunglimpfen, indem Sie sie mit dem Kampfbegriff „Einheitsschule“ belegen oder als „sogenannte Gemeinschaftsschule“ bezeichnen, in der sowieso nicht viel gelernt werde,

(Zuruf des Abg. Georg Wacker CDU)

nimmt Ihnen das niemand mehr ab. Hören Sie sich doch ein mal an, was der Präsident des Baden-Württembergischen Hand werkstags in einem Zeitungsinterview gesagt hat:

(Abg. Georg Wacker CDU: Ich würde einmal den Städtetag befragen!)

Herr Möhrle, freuen Sie sich jetzt, dass die neue, grünrote Landesregierung den Schulen längeres gemeinsames Lernen möglich machen will? Oder ärgern Sie sich?

Joachim Möhrle: Ich finde es gut, weil wir das Prinzip der neuen Gemeinschaftsschule schon seit Langem pro pagieren. Wir wollen, dass die Schüler länger zusammen bleiben und so Restschulen vermieden werden. In erster Linie aber müssen wir unsere Lernkultur ändern! Das Lernkonzept der „Belehrung“ darf nicht länger im Mit telpunkt stehen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Warum soll sich eine gute Schulgemeinschaft nicht Gemein schaftsschule nennen, wo doch das Schulwesen im Sinne des Grundgesetzes aus staatspolitischen Gründen gemeinschafts bildend und eben nicht „gettoisierend“ wirken soll? Muss man sie deswegen verunglimpfen?

(Abg. Georg Wacker CDU: Sag einmal!)

Eine Schule, die alle Schüler – –

(Abg. Georg Wacker CDU meldet sich. – Glocke des Präsidenten)

Ich trage meine Überlegungen im Zusammenhang vor. Sie haben nachher die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen.

(Zuruf der Abg. Tanja Gönner CDU)

Eine Schule, die von allen Schülern gemeinsam bis zur ach ten, bis zur neunten oder bis zur zehnten Klasse besucht wird,

ist in anderen Ländern schon lange eine demokratische Selbst verständlichkeit.

(Unruhe bei der CDU – Abg. Claus Schmiedel SPD: Die CDU-Politiker sind jetzt einmal ruhig! – Gegen ruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Die sind genauso diszipliniert wie Sie immer!)

Die beste Antwort auf die Frage „Können denn ein Gymnasi ast und ein Hauptschüler wirklich gleichzeitig unterrichtet werden?“ hat mir kürzlich eine Lehrerin gegeben. Sie hat ge sagt: „Herr Bayer, wir unterrichten Kinder und nicht Fächer.“

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Georg Wacker: Das ist eine ur alte pädagogische Weisheit! Die ist uralt!)