Protokoll der Sitzung vom 28.03.2012

oder nicht kennen wollen.

Jetzt noch ein kleiner Hinweis: Das Wort „spekulieren“ kommt aus dem Lateinischen. Das lateinische Wort „speculari“ heißt erspähen, belauern. Die allgemeine Begriffsbestimmung lau tet: darüber nachdenken, überlegen, sprechen – ich ergänze: oder handeln –, wie sich etwas, von dem man nicht viel weiß, entwickeln wird. Welcher Kämmerer oder Bürgermeister – ernsthaft – hat schon große Ahnung bei solchen Geschäften? Ich stelle mir gerade vor: Da sitzt man zusammen und unter hält sich: Na, was hältst du von – ich spreche jetzt wahrschein lich die Hälfte falsch aus, weil das alles englisch ist – Forward Rate Agreements, oder was meinst du, lieber Kämmerer, zu Zinsswaps, Swap Options, Zinsfutures – auch nicht schlecht –, Zinscaps oder Zinsfloors?

(Zuruf des Abg. Alfred Winkler SPD)

Das ist, wie ich denke, absurd. Deshalb, bitte schön, wie schon gesagt wurde: Hände weg von Dingen, bei denen man sich nicht genügend auskennt und bei denen die Banken einen rie sigen Wissensvorsprung haben, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Deshalb – zurück zum gelben Zettel – soll der gesunde Men schenverstand nicht durch ein Gesetz ersetzt werden. Wir ver trauen darauf, dass unsere Kommunalen die geltenden Geset ze kennen und gesunden Menschenverstand mitbringen, zu mindest in den allermeisten Fällen. Man braucht aber kein Ge setz, das diesen gesunden Menschenverstand und die gelten de Rechtslage ersetzen soll. Gesetze verwirren übrigens auch. Mich würde interessieren, wie Ihres Erachtens der Gesetzes text aussehen soll, der dann alles umfasst. Ich behaupte: Wenn Sie ein Gesetz einbringen, sind die Banken schon einen Schritt weiter und betreiben Geschäfte, die von Ihrem Textvorschlag gar nicht erfasst sind.

Aktuell wäre mein Redebeitrag damit beendet.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Ich wäre damit am Ende. Aber ich bin nicht am Ende mit mei nem Latein. Deshalb zum Schluss ein Zitat, das zum Ausdruck bringt, dass wir nicht in Aktionismus verfallen und die Geset zesbücher unnötig füllen müssen. Denn dies wäre nur ut ali quid fieri videatur – zu Deutsch: um es so aussehen zu lassen, als wäre etwas getan. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen keine Aktuellen Debatten, um gerade so zu tun, als wäre etwas getan.

Deshalb – ganz aktuell – bedanke ich mich für Ihre Aufmerk samkeit.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie des Abg. Günther-Martin Pauli CDU – Zurufe von der SPD: Bravo!)

Für die Landesregierung spricht Herr Innenminister Gall.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen, werte Kollegen! Ich muss schon sagen, die Debatte verläuft ein bisschen dynamischer und lebhafter, als ich ursprünglich dachte. Ich habe gemerkt: Mit rein sach lichen Anmerkungen kann man in der heutigen Debatte nicht unbedingt glänzen.

(Heiterkeit bei den Grünen und der SPD – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Aktuell ist das unmög lich!)

Das ist auch okay. Gleichwohl möchte ich die Gelegenheit nutzen, um tatsächlich ein paar ganz wenige Anmerkungen inhaltlicher Art zu machen.

Natürlich, Herr Kollege Rülke, gibt es schon Anlass, über die Geschehnisse der Vergangenheit zu sprechen. Ich vermute, ganz aktuell haben Sie auf das Bezug genommen, was sich in Sachsen abspielt. Denn dort wird eine entsprechende Ände rung der Gemeindehaushaltsordnung vorgenommen, auch aus leidvoller Erfahrung. Ich meine, es war die Stadt Riesa, die sich da zumindest ähnlich verhalten hat, wie es die Stadt Pforzheim und noch eine andere Stadt in Baden-Württemberg getan haben. Schon dies macht deutlich: Wir sprechen von wenigen Einzelfällen, um die es sich hierbei handelt und die eventuell Handlungsbedarf mit sich bringen.

Die Gemeinden haben im Rahmen ihrer Selbstverwaltung und der damit verbundenen Angelegenheiten zur Erledigung der Aufgaben natürlich auch Finanzgeschäfte zu tätigen – das ist überhaupt keine Frage –, z. B., ganz banal, wenn es um die Kreditaufnahme für Investitionen im Gemeindegebiet geht. Dies ist im Übrigen der einzige Fall, in dem sogenannte De rivatgeschäfte gemacht werden dürfen.

Aber dies ist glasklar geregelt; es besteht nämlich in der Tat im Zusammenhang mit Krediten für eine Investition die Mög lichkeit, Herr Kollege Heiler, sogenannte Cap-Geschäfte zu machen. Das heißt, im Vorfeld wird bei einem variablen Zins festgelegt, wo die Höchstgrenze ist. Die Gemeinde zahlt da für einen Einmalbetrag, oder dies schlägt sich bereits in die sem variablen Zins nieder. Nur unter diesen Voraussetzungen ist dies möglich. Das heißt im Umkehrschluss: In allen ande ren Fällen ist es verboten.

Die Vorredner haben darauf hingewiesen: Das Spekulations verbot ist in der Rechtsprechung unstrittig, ist auf der kom

munalen Ebene unstrittig und bei all denen, die eine entspre chende Verantwortung tragen. Deshalb finde ich schon, dass in vielen Fällen, in den meisten Fällen, aber insbesondere in diesen Fällen eigentlich der gesunde Menschenverstand ge nügt. Professor Kirchberg hat einmal sinngemäß gesagt: Der Gang ins Casino verbietet sich für die Gemeinden, denn die Bank gewinnt immer. Damit ist, glaube ich, zu diesem The ma letztendlich alles gesagt.

Ich verspreche mir in der Tat von einer eventuellen Verände rung unserer Gemeindehaushaltsordnung oder der gesetzli chen Verankerung eines Verbots, wie man es in Sachsen ge macht hat, auch nicht, dass sich diejenigen, die sich bisher nicht an die Rechtslage gehalten haben, zukünftig an eine neue Rechtslage halten, nur weil es dann gesetzlich verankert ist. Die Sachsen wollen nämlich ausschließlich in die Gemeinde haushaltsordnung schreiben: „Spekulative Finanzgeschäfte sind verboten.“ Das müssen wir nicht erneuern; sie sind ver boten. Diese Regelung ist völlig klar.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Was die Sachsen machen, verstehe ich sowieso nicht, denn in Sachsen sind die Ausführungen zu diesen Derivatgeschäften weit, weit umfangreicher in der Verwaltungsvorschrift gere gelt, viel detaillierter geregelt, als es diese pauschale Formu lierung im Gesetz je regeln könnte. Ich halte eine solche pau schale Regelung dann eher für immer wieder interpretations- und auslegungsfähig. Deshalb können wir darauf meines Er achtens verzichten.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht Kollege Dr. Rülke.

Herr Präsident, mei ne Damen und Herren! Herr Innenminister, ist bin dankbar für die Bestätigung, dass doch eine gewisse Aktualität vorliegt.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Abg. Ingo Rust SPD: In Sachsen!)

Sehen wir nur nach Sachsen, oder sehen wir auf den derzeit in Frankfurt laufenden Prozess, oder sehen wir das, was noch unter der Oberfläche schlummert; da wird noch einiges em porkommen. Wenn Kollege Heiler jetzt so tut, als wäre alles Friede, Freude, Eierkuchen,

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Das hat er nicht ge sagt! – Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

als gäbe es überhaupt keinen Handlungsbedarf, dann ist er völ lig auf dem falschen Dampfer.

Ich habe jetzt viel von gesundem Menschenverstand gehört: Der gesunde Menschenverstand sage einem doch: „Das macht man nicht“, und damit gebe es auch kein Problem. Meine Da men und Herren, mit dieser Logik brauchten wir in ganz Deutschland keine Ampelschaltung mehr, weil jeder weiß, dass man an einer Kreuzung mit gleichberechtigten Straßen halten muss. Es ist doch wohl offensichtlich, dass es Proble me gibt.

(Zuruf des Abg. Thomas Marwein GRÜNE)

Herr Kollege Heiler, wenn Sie erklären, diese Aktuelle Debat te hätte man vor sieben oder acht Jahren führen müssen

(Abg. Walter Heiler SPD: Bezogen auf Pforzheim!)

bezogen auf Pforzheim –, dann hätte man dort vor sieben oder acht Jahren erst einmal über diese Geschäfte Bescheid wissen müssen. Es ist inzwischen aktenkundig: Der Gemein derat wurde über diese Angelegenheit erst im Jahr 2007 infor miert.

Herr Kollege Klein, da gilt auch das, was Sie angesprochen haben: Die Gemeinderäte, Abgeordneten, Kreisräte hätten ei ne Verpflichtung, aufzupassen. Aber wenn sie nicht mitbekom men, was die Verwaltung macht, ist es relativ schwierig, das Ganze zu überwachen. Diesen Hinweis kann ich auch Ihnen, Herr Kollege Heiler, nicht ersparen, wenn Sie erklären, man hätte aufpassen müssen und bestimmte politische Parteien würden da die Alleinschuld tragen. Das war auch die Lesart des Kollegen Schwarz.

Ich würde Ihnen schon einmal empfehlen, die Protokolle, die Herr Kollege Schwarz ausgegraben hat, nachzulesen, bei spielsweise auch die Protokolle über die ersten Diskussionen im Pforzheimer Gemeinderat zum Thema Derivate. Ich neh me an, die haben Sie auch gefunden. Dann werden Sie fest gestellt haben, dass die beiden Fraktionen, die diese Derivat geschichte von Anfang an, nachdem sie davon erfahren ha ben, kritisiert haben, FDP und Grüne gewesen sind und dass es einen Sprecher der SPD im Pforzheimer Gemeinderat na mens Dr. Rösch gibt, der noch im Jahr 2008 erklärt hat: „Wir unterstützen diese Geschäfte; sie sind zum Wohle der Stadt Pforzheim.“

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Hört, hört! – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Dann hat er noch im mer nicht recht!)

So sind die Realitäten. Stimmt’s, Herr Schwarz? Haben Sie das auch ausgegraben?

(Abg. Alfred Winkler SPD: Haben Sie jetzt zuge stimmt oder nicht?)

Ich habe nicht zugestimmt, niemals.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Aber Sie wollten die Abwasserbehandlung nach Amerika weggeben!)

Ich habe dem niemals zugestimmt. Und Cross-Border-Lea sing ist noch einmal etwas anderes.

(Lachen bei der SPD)

Die Stadt Stuttgart – –

(Unruhe)

Zwischen Derivatgeschäften und Cross-Border-Leasing be steht schon ein Unterschied.

(Abg. Walter Heiler SPD: Das eine ist so ungeschickt wie das andere! – Weitere Zurufe von der SPD)

Das, was beispielsweise in Stuttgart zum Thema Cross-Bor der-Leasing gemacht worden ist, führt nicht dazu, dass der

Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart vor Gericht gestellt wird. Da müssen Sie also durchaus unterscheiden. Im Übri gen hat es in der Stadt Pforzheim nie Cross-Border-Leasing gegeben – wohl aber diese Derivatgeschäfte, und dies unter dem Beifall der SPD. Das sind die Realitäten.

(Zurufe der Abg. Walter Heiler und Wolfgang Drex ler SPD)