Protokoll der Sitzung vom 28.03.2012

Baden-Württemberg liegt an der Spitze, was die Wissensver mittlung betrifft. Dabei soll es natürlich auch bleiben. Was Ba den-Württemberg aber bis heute nicht geschafft hat, ist die Entkopplung des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft. Dies muss sich ändern.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Ein wirtschaftsstarkes Land wie Baden-Württemberg kann es sich auf Dauer nicht leisten, auf dieses ungenutzte Potenzial an jungen Menschen zu verzichten. Wir wollen allen jungen Menschen die gleichen Möglichkeiten bieten, um den best möglichen Bildungsabschluss zu erreichen. Dies ist einem se lektiven Bildungssystem wie dem gegliederten Schulsystem nicht im gleichen Maß möglich wie an einer Schule, in der al le Kinder und Jugendlichen gemeinsam lernen und ihren Fä higkeiten gemäß gefördert und gefordert werden.

Trotz des hohen Engagements der Lehrerinnen und Lehrer sind dem individuellen Lernen an den bisherigen Schularten Grenzen gesetzt. Die Trennung der Kinder nach der vierten Klasse in Hauptschüler, Realschüler und Gymnasiasten lief zudem oftmals auch auf eine Trennung von Freundschaften hinaus. Die Wahl der weiterführenden Schule erfolgt und er folgte daher oftmals nicht aufgrund der schulischen Leistung der Kinder. Vielmehr bestimmen andere Argumente die Wahl der weiterführenden Schule, beispielsweise Freundschaften, Wohnortnähe der Schule oder der ermöglichte Abschluss.

Deshalb wurde in der Vergangenheit immer wieder der Wunsch formuliert, dass die Kinder länger gemeinsam lernen können, damit den Entwicklungen der Kinder und Jugendlichen ge folgt werden kann, und keine Trennung nach der vierten Klas se erfolgt. Diesem Wunsch wird die grün-rote Landesregie rung mit der Einführung der Gemeinschaftsschule nun end lich entsprechen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Mit dem Angebot der Gemeinschaftsschule wird es nun für alle Schulen in Baden-Württemberg eine Möglichkeit geben, den gestiegenen Anforderungen der Heterogenität gerecht zu werden. Bereits in den vergangenen Jahren – vor dem Weg fall der verbindlichen Grundschulempfehlung – haben sich die Schülerzahlen an den einzelnen Schularten stark verän dert. Vor allem die Übergänge an die Haupt- und Werkreal schulen und an die Realschulen zeigen dies. Doch damit konn te nicht erreicht werden, dass alle Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer sozialen Herkunft ihren Abschluss ma chen konnten. Mit der Einführung der Gemeinschaftsschule bietet die grün-rote Landesregierung eine Möglichkeit, auf die veränderte Nachfrage zu reagieren.

Hinzu kommen insgesamt sinkende Schülerzahlen, was für viele Kommunen eine Herausforderung darstellt, ihren Schul standort zu erhalten. Auch hier bietet die Gemeinschaftsschu le die Möglichkeit, durch Schulzusammenschlüsse auf diese Entwicklung zu reagieren und trotzdem ein breites Spektrum an Bildungsinhalten anzubieten. Die regionale Schulentwick lung wird daher bei allen weiteren Planungen eine wichtige Basis sein, um gezielte Angebote zu schaffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Gemeinschafts schule wird allen Schülerinnen und Schülern ihren Leistungs möglichkeiten gemäß gerecht werden. Wer das bisher noch nicht erleben konnte, dem werde ich jetzt gern einmal erklä ren, wie das Ganze funktionieren kann.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Darauf warte ich schon ein Jahr!)

Grundsätzlich werden Bildungsinhalte der Hauptschule, der Werkrealschule, der Realschule und des Gymnasiums an den Gemeinschaftsschulen angeboten. Durch Binnendifferenzie rung – ein für Sie vielleicht neues Wort – ist es möglich,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Binnen markt! – Abg. Karl Zimmermann CDU: Erklären Sie es jetzt einmal etwas näher!)

dass Schülerinnen und Schüler auf das Lernangebot zurück greifen können, das ihrem individuellen Leistungsvermögen entspricht. Die Schülerinnen und Schüler können nach die sem Angebot ihren eigenen Lernplan unter Begleitung der Lehrer zusammenstellen und haben somit alle Möglichkeiten, die das baden-württembergische Bildungssystem bietet. Da bei kann der Bildungsplan innerhalb der Fächer – genau dies ist der Kern und die Chance, allen Schülerinnen und Schülern besser gerecht zu werden – unterschiedlich sein. Dabei spie len die Leistungen selbstverständlich eine Rolle; denn am En de der Gemeinschaftsschule steht der Hauptschulabschluss, der Realschulabschluss oder das Abitur. Deshalb ist es selbst verständlich auch die Aufgabe des Lehrers, die Schülerinnen und Schüler auf diese Abschlüsse vorzubereiten.

Es gibt aber Unterschiede, wie man zu Leistung kommt. Es gibt einen Satz, der mir hier enorm wichtig erscheint: Jedes Kind will lernen, und jedes Kind kann lernen. Die Aufgabe eines Lehrers besteht darin, herauszufinden, wie die Leistung eines Schülers am besten abgerufen werden kann. Da Leis tung nicht einzig und allein in Noten aufgezeigt werden kann, geben zusätzliche Beurteilungssysteme an der Gemeinschafts schule weitere Möglichkeiten. Somit kann den Schülerinnen und Schülern über die Leistungsabfrage hinweg rückgemel

det werden, wo sie stehen und welche Möglichkeiten sie ha ben.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil an den Schulen sind die Lern- und Raumangebote, die den Anforderungen der Schü lerinnen und Schüler, der Lehrerinnen und Lehrer entgegen kommen. Selbstverantwortliches Lernen, Lerngruppen, in de nen Schüler zu Mentoren werden, gezielte Unterstützung durch die Lehrer, die das Ganze begleiten, sind nur einige Fak toren, die dies möglich machen werden.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl Zimmermann CDU: Sagen Sie einmal ein Beispiel!)

Die Lernmethoden werden in Zukunft an allen Schulen eine größere Rolle spielen. Denn es ist heutzutage immer wichti ger, den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, wie erfolg reich gelernt werden kann.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Gemeinschaftsschu le ist ein rhythmisiertes Unterrichtsangebot, das durch ein ge bundenes Ganztagsangebot möglich gemacht wird.

Mit diesem Schulangebot bieten wir endlich auch der inklu siven Beschulung eine neue Möglichkeit, auf die Schülerin nen und Schüler einzugehen. Hier kann es gelingen, allen Schülerinnen und Schülern ein individuelles Angebot zu ma chen. Damit gehen wir einen weiteren Schritt weg vom selek tiven Bildungssystem.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Damit dies qualitativ umgesetzt werden kann, werden wir den Lehrerinnen und Lehrern ein passendes Fortbildungsangebot zur Verfügung stellen. Des Weiteren werden die Schulen in den ersten Jahren zusätzliche Stunden mit auf den Weg be kommen, um ihre Konzepte in ihren Schulen umzusetzen und weiterzuentwickeln. Dies wäre im Übrigen auch bei anderen schulischen Erneuerungen in den vergangenen Jahren wün schenswert gewesen. Ich denke dabei beispielsweise an G 8, dessen Einführung mittels eines Hauruckverfahrens vorge nommen wurde.

(Widerspruch des Abg. Volker Schebesta CDU – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Neun Jahre sind die Bildungspläne entwickelt worden! Neun Jahre Vor lauf!)

Wenn da bereits Stunden für die Entwicklung der neuen Plä ne vorhanden gewesen wären, wäre die Umsetzung besser ge wesen.

Da die Schulen von der fünften Klasse an aufsteigend auf das neue Gemeinschaftsschulkonzept umstellen, wachsen Schü lerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer und Schulen gemeinsam in dieses neue Konzept hinein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Einführung der Gemeinschaftsschule ist die Konsequenz aus der sichtbaren Veränderung des baden-württembergischen Bildungssystems und dem Wunsch vieler Eltern und Lehrer,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Lesekompetenz Eins!)

dass Kinder und Jugendliche länger gemeinsam miteinander und voneinander lernen können.

Ihre abwertende Haltung gegenüber der Gemeinschaftsschu le, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU, wird am Ende auf Sie zurückfallen. Sie stehen da mit dem Wunsch vieler Schulen, Lehrer und Bürgermeister – – Da möchte ich auch noch ein Zitat – Bürgermeister Schreglmann, CDU, Külsheim – anführen:

Viele äußern sich negativ, weil sie so etwas noch nie in der Praxis gesehen haben.

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Schön! „Stuttgarter Nachrichten“ von heute!)

Das ist nur ein Beispiel für mehrere CDU-Bürgermeister, die einen Antrag auf Einrichtung einer Gemeinschaftsschule ge stellt haben.

(Beifall des Abg. Thomas Marwein GRÜNE)

Dies zeigt, dass es Ihnen nicht um das Bildungssystem in Ba den-Württemberg geht, sondern lediglich um den Erhalt des gegliederten Schulsystems.

(Abg. Andreas Deuschle CDU: Oje! – Weitere Zuru fe, u. a.: Ideologie!)

Ja, Ideologie in reinster Form.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: CDU-Ideologie! – Abg. Georg Wa cker CDU: Na ja! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das ist Ideologie in reinster Form!)

Wenn Sie hier behaupten, es gehe den Schulen einzig und al lein um den Erhalt der Schulstandorte, so ignorieren Sie das hohe Engagement der Lehrerinnen und Lehrer, die diese Kon zepte aus Überzeugung entwickelt haben.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: So ist es! – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Der Schulträger sieht es doch häufig so, dass es um die Schulstandorte geht!)

Die grün-rote Landesregierung geht mit der Gemeinschafts schule endlich neue Wege im baden-württembergischen Bil dungssystem und kommt damit einer lang gestellten Forde rung von Eltern und Lehrern nach, eine Schule für alle mög lich zu machen, eine Schule, die nicht selektiert, sondern al len Kindern die gleichen Möglichkeiten und Chancen bietet. Damit schaffen wir einen Weg weg von der sozialen Selekti on und einen Schritt hin zu mehr Chancengerechtigkeit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Fried linde Gurr-Hirsch CDU: Abitur für alle!)

Für die SPD-Fraktion er teile ich Herrn Abg. Bayer das Wort.

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Südwestrundfunk hat kürzlich eine Sendung zum Thema „Die Schule der Vielfalt“ ausgestrahlt und mit folgenden Worten anmoderiert:

Es gibt immer weniger Kinder hierzulande, und zugleich werden sie immer unterschiedlicher. Es reicht nicht mehr, Kinder nach drei Schultypen zu klassifizieren

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Deshalb macht man einen!)

und vielleicht noch die „schweren Fälle“ als Sonderschü ler auszusortieren, um allen gerecht zu werden. Die Al ternative ist, Kinder mit unterschiedlichen Fähigkeiten gemeinsam zu unterrichten.

Genau diesem Anliegen dient der vorliegende Gesetzentwurf.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Er ist durchaus ambitioniert, er ist umfangreich, er ist an schlussfähig, und er kommt auch zum richtigen Zeitpunkt.