Protokoll der Sitzung vom 27.06.2012

„Unsere konsequente Linie gegen die Rocker-Gruppie rungen wird fortgesetzt“, versichert ein Sprecher...

Er weist auch darauf hin, dass das Bedrohungspotenzial bei uns mit dem anderer Bundesländer vergleichbar ist. Es ist in der Tat eine ständige Herausforderung, die gerade auch in den letzten Jahren stärker ins Bewusstsein gerückt ist. Er weist vor allem darauf hin – das hätte man natürlich schon vorher beto nen können –, dass reagiert wurde.

Allerdings wurde dies vielleicht deswegen nicht betont, weil es in den allerletzten Tagen der Regierungszeit der vorherigen Regierung war, lieber Kollege Heribert Rech – ich glaube, An fang Juni. Bis zum 12. Juni 2011 waren wir im Amt – ich ha be einmal nachgeschaut –, am 6. Juni ist der Antrag gestellt worden, das Chapter in Pforzheim zu verbieten – aus guten Gründen, weil nämlich dort die Strafbarkeit ins Auge fiel und prägend war. Dieses Verbot hat beim VGH gehalten. Das ist interessant. Der VGH hat dies wie folgt bestätigt – hier wird auch noch einmal das Kriterium deutlich, das entscheidend ist und das wir auch im Hinterkopf behalten müssen –:

Das straffällige Verhalten der Mitglieder rechtfertige bei einer Gesamtschau die Annahme, dass es den Charakter des Vereins präge.

Das straffällige Verhalten muss also – das ist das Kriterium – den Charakter des Vereins prägen.

Denn man muss dies schon trennen: Delikte werden bei uns sowieso verfolgt. Wenn jemand einen versuchten Totschlag

begeht, bekommt er den entsprechenden Ärger. Wir reden da rüber, ob man über die Verfolgung der einzelnen Delikte hin aus auch noch die Vereine verbieten kann. Dafür gibt es na türlich bestimmte Kriterien.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das macht die Schwie rigkeit aus!)

Wir haben das Grundgesetz im Hintergrund. Hier ist das ent scheidende Kriterium, ob das straffällige Verhalten eines Ver eins diesen prägt. Dann nämlich kann man ihn verbieten. Das sind aber übrigens, Herr Kollege Blenke, auch die Tücken ei nes bundesweiten Verbots.

(Zuruf des Abg. Thomas Blenke CDU)

Man wird sich schwertun, von Flensburg bis Konstanz zu sa gen, die Straffälligkeit sei prägend für die entsprechende Ver einigung. Aber was wir machen müssen und auch machen können, ist, dass wir dort, wo wir den Eindruck gewinnen, dass das straffällige Verhalten der Mitglieder prägend ist, den Verein verbieten. Das ist in Baden-Württemberg in einem Fall offensichtlich auf einem guten Weg; warten wir einmal das Hauptsacheverfahren ab. So kann man weitermachen. So kön nen wir auch in dieser Hinsicht eben die ordentlichen Verhält nisse in unserem Land bei dauernder Wachsamkeit sichern.

Nun noch ein letztes Wort – ich habe in der Tat ein bisschen darauf gewartet, lieber Herr Kollege Sckerl –: Man muss, glaube ich, schon deutlich machen: Wir wollen Kriminelle be kämpfen und nicht Motorradfahrer. Ich habe in den letzten Ta gen gemerkt, dass die Terminologie teilweise bunt durchein andergeht. Da ist in der Debatte im Grunde genommen mehr oder weniger schon jeder Harley-Club Deutschlands ange sprochen. Wir wollen auch nicht den Zustand bekommen, dass – so sage ich es einmal – jede ältere Dame, wenn ein Motor rad vorbeifährt, denkt: Mensch, der schießt gleich auf mich.

Insofern: Bleiben wir ein bisschen mit den Füßen auf dem Bo den. Wir wollen Banden bekämpfen, kriminelle Banden, und tun es, glaube ich, im Moment ganz erfolgreich. Wir hoffen auf die Fortsetzung dieses Erfolgs.

(Zuruf der Abg. Helen Heberer SPD)

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Für die Regierung spricht Herr In nenminister Gall.

Herr Präsident, werte Kolle ginnen, werte Kollegen! Wir sind uns zweifelsohne einig – das haben die Vorredner gesagt –: Wir haben nicht Motorrad fahrer im Allgemeinen im Fokus. Dort interessieren uns mehr präventive Maßnahmen im Verkehrsbereich.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Langsam fahren!)

Dort gibt es auch einiges zu tun – das will ich schon deutlich sagen –, schlicht und ergreifend aufgrund der Erkenntnis, dass da ziemlich viel passiert.

Aber das Thema der heutigen Aktuellen Debatte heißt: „Kri minelle Motorradbanden im Fokus der Sicherheitsbehörden“. Die Vorredner haben es im Prinzip bestätigt. Die Fachpoliti ker kennen weitestgehend auch die Entwicklungen in den zu rückliegenden Jahren und den heutigen Istzustand.

Wir haben in der Tat nicht unerhebliche Probleme mit krimi nellen Motorradbanden. Da sprechen wir natürlich vorwie gend über Rockergruppierungen, über die vier großen Rocker gruppierungen, die es in Baden-Württemberg gibt. Genannt seien die Hells Angels, die Bandidos, „Gremium“ und die Out laws mit 43 örtlich organisierten Gruppierungen – diese nen nen sich Charter oder Chapter – mit zusätzlichen entsprechen den Unterstützergruppen. Summa summarum umfassen die se Gruppierungen etwa 800 Personen. Herr Kollege Sakella riou hat schon darauf hingewiesen.

Nicht vergessen darf man bei diesen Diskussionen die soge nannten rockerähnlichen Gruppierungen, die uns ebenfalls große Sorge und große Probleme bereiten. Namentlich be kannt sind diese als Black Jackets und United Tribuns. Die Personengruppe, die wir diesen rockerähnlichen Gruppierun gen zuordnen, ist sogar größer als die der vorgenannten Grup pierungen. Ihre Größenordnung beträgt etwa 1 000 Personen. Die Black Jackets sind in Baden-Württemberg in 26 Charter und die United Tribuns in sieben Charter organisiert.

Diese rockerähnlichen Gruppierungen passen sich, was ihre hierarchischen Strukturen anbelangt, den Rockern im Prinzip an. Sie haben sich vor allem die unbedingte Solidarität zu ei gen gemacht – natürlich nur die Solidarität innerhalb der Gruppe – und dies durch entsprechende Formulierungen zum Ausdruck gebracht. Die Hells Angels benutzen die Formulie rung „Forever Angels“ und die Black Jackets die Formulie rung „Forever Friends“ – auch um deutlich zu machen, dass sie sich abseits unseres Rechtsstaats stellen wollen. Das ist der wahre Kern dieser Formulierungen, die dort getroffen wer den.

Die Letztgenannten, die Black Jackets und die United Tribuns, unterscheiden sich von der Begrifflichkeit, die im Titel der Aktuellen Debatte gewählt wurde. Diese beiden Gruppierun gen fahren nämlich so gut wie gar nicht Motorrad. Wenn doch, dann spielen Motorräder bei diesen rockerähnlichen Gruppie rungen keine entsprechende Rolle.

Beide Gruppierungen sind für uns ein großes Problem. Rich tigerweise wurde erwähnt, dass es sich nicht um harmlose Mo torradfahrer handelt, die Wochenendausflüge unternehmen – das machen sie auch –, die das schöne Wetter genießen, die Spaß am Motorradfahren haben – den haben sie wohl auch –, sondern alle Mitglieder eint ein hohes Maß an krimineller Energie, die von diesen Gruppierungen ausgeht.

Es gab bei diesen Gruppierungen 2011 sieben Ermittlungsver fahren im Bereich der organisierten Kriminalität und acht Er mittlungsverfahren im Bereich der Bandenkriminalität. Das bringt im Prinzip schon die kriminelle Energie zum Ausdruck, die ich gerade schon erwähnt habe.

Es gibt natürlich auch – Sie haben es angesprochen, Herr Dr. Goll – weitere Straftaten der Mitglieder dieser Gruppierun gen, die nicht unter organisierte Kriminalität oder Bandenkri minalität subsumiert werden können, die aber ebenfalls in ei ner Vielzahl begangen werden. Das Spektrum reicht von ver

suchten Tötungsdelikten über Sprengstoffanschläge, Körper verletzungen, Verstöße gegen das Waffengesetz oder das Be täubungsmittelgesetz bis zu Vorwürfen des Menschenhandels, der Prostitution und Verstößen im Bereich des Türsteherge werbes.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Alles geboten! Die gan ze Palette!)

Man kann also eine Vielzahl von Taten aufzählen.

Diese einzelnen Taten, die ich gerade aufgezählt habe, führen natürlich auch immer wieder zu entsprechenden Fahndungs- bzw. Ermittlungserfolgen. Erst jüngst hat es im April dieses Jahres erfreulicherweise den Präsidenten von „Gremium Ba den-Baden“ erwischt. Fünf Jahre Haft waren das Ergebnis des Verfahrens. Eigentumsdelikte in Verbindung mit Rauschgift delikten im Mai dieses Jahres haben ebenfalls zu entsprechen den Erfolgen geführt. Es kam noch nicht zu Verurteilungen. Aber allein in Heilbronn sitzen neun dieser Herrschaften der örtlichen Black Jackets in Haft, und gegen rund zwei Dutzend weitere wird noch ermittelt.

Ich denke, daran wird deutlich, dass diese Rockergruppierun gen und rockerähnlichen Gruppierungen wirklich nichts mit den Motorradfreunden zu tun haben, die uns üblicherweise quer über das Land gegenwärtig sind.

Erschwert wird die Arbeit der Sicherheitsbehörden im Zusam menhang mit Rockerkriminalität und organisierter Banden kriminalität vorwiegend durch unkooperatives Aussagever halten. Das haben diese Gruppierungen alle gemein. Dort wird, auch wenn man Opfer in der eigenen Gruppierung ge worden ist, den Sicherheitsbehörden keine Hilfestellung ge ben. Dort gibt es ein eisernes Schweigegelübde. Auch die Op fer gehen, wie gesagt, nicht zur Polizei. Verletzungen, die in diesem Umfeld zugefügt werden, angefangen von Messersti chen bis hin zu Knochenbrüchen, werden immer als selbst ver schuldet dargestellt. Auch Vorkommnisse am zurückliegen den Wochenende hatten dies zum Ergebnis. Da sind wir, die Sicherheitsbehörden – sprich die Polizei –, direkt zu Ausein andersetzungen hinzugekommen. Alle dort festgestellten Ver letzungen waren nach den bisherigen Aussagen selbst ver schuldet.

Das heißt, unser Problem besteht darin – dies wurde angedeu tet –, dass wir es mit rivalisierenden Gruppen zu tun haben und die Polizei natürlich auch dort ihren staatlichen Aufgaben nachkommen muss mit dem Problem, dass wir es immer mit großen Gruppierungen mit einem hohen Maß an Gewaltbe reitschaft sowohl untereinander als auch gegen unsere Polizei zu tun haben.

Wie reagieren wir? Ich habe mich sehr gefreut, dass anerkannt wird, dass wir dort wirklich aktiv unterwegs sind, weil es ein ernst zu nehmendes Problem ist. Wir verfolgen dort – es wur de genannt – eine bundeseinheitliche Handlungskonzeption. Der Bundesinnenminister und die Länderinnenminister sind sich einig, dass wir dort möglichst konzertiert gemeinsam un terwegs sein müssen, jeder im Rahmen seiner Zuständigkeit im jeweiligen Bundesland.

Ich will ausdrücklich sagen: Wir gehen in Baden-Württem berg teilweise über diese gemeinsam vereinbarten Handlungs konzepte hinaus. So befinden wir uns seit Jahren – das ist kei

ne Erfindung von mir – in einer Kontinuität dieser Arbeit. Es gibt z. B. ein Kompetenzteam „Motorrad“, und da geht es „nur“ darum, verkehrsrechtliche Verstöße dieser Rockergrup pierungen entsprechend in den Fokus zu nehmen – wenn man so will, eine Aktion der kleinen Nadelstiche. Denn einem Ro cker tut es schon richtig weh, wenn seine Harley aus dem Ver kehr gezogen wird.

Übrigens dient uns dies dazu, dass wir, wenn wir die Erfah rung machen oder Kenntnis erhalten, dass neue Gruppierun gen gebildet werden sollen, dies schon durch entsprechende Verkehrskontrollen zumindest erschweren können. Im zurück liegenden Jahr ist es uns durch solche Aktionen gelungen, ei ne entsprechende Neugründung zu verhindern.

Ein weiteres Beispiel, woran dies deutlich wird – Herr Kolle ge Blenke, Sie haben es angesprochen –: Die Polizei koope riert mit anderen Behörden bei der Verfolgung dieser Rocker gruppierungen bzw. der Straftaten, die dort verübt werden. Das heißt, dass – die Stichworte wurden schon genannt – waf fenrechtliche Erlaubnisse – die natürlich häufig vorhanden sind; das ist so – entsprechend widerrufen oder präventiv schon erst gar nicht erteilt werden.

Ich glaube, wir sind da richtig erfolgreich unterwegs. Bei rund der Hälfte der bisher beschiedenen Anträge, die diesbezüglich gestellt wurden, war dies auch erfolgreich. Das heißt, Erlaub nisse wurden zurückgezogen oder Erlaubnisse wurden prä ventiv erst gar nicht erteilt. Dort werden wir kontinuierlich und beharrlich am Ball bleiben. Natürlich gehen führerschein rechtliche Maßnahmen mit diesen Maßnahmen einher. Ich glaube, auch dort sind wir gar nicht schlecht unterwegs.

Das Thema Vereinsverbot ist – das wurde angesprochen – ei nes der scharfen Schwerter in diesem Bereich, aber nicht ganz einfach. Auch dort haben wir Übereinstimmung, Herr Kolle ge Blenke. Ich bin wirklich sehr dankbar für die Bemerkung, dass wir es nicht in jedem Einzelfall auf dem Markt austragen sollten. Immer wieder kommen in einem anderen Zusammen hang als mit Rockern, etwa wenn es um den Bereich islamis tische Vereine geht, aus Ihrer Fraktion Anforderungen an mich, an dieser oder jener Stelle aktiv zu werden. Dies dient nicht unbedingt dem Vorhaben. Ich glaube, wir sind uns ei nig, dass wir dort, wo es irgend möglich ist, versuchen, mit diesem Instrumentarium von Vereinsverboten zu arbeiten.

Das, was an Voraussetzungen erforderlich ist, haben die Vor redner genannt. Ich will es nicht wiederholen, freue mich aber ausdrücklich darüber, dass das letztinstanzliche Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig im Prinzip bestätigt hat, dass es durchaus Spielräume in diesem Bereich gibt. Denn dort ist es tatsächlich gelungen, dass bestimmte Straftaten, die eine Führungskraft dieser Rockergruppierung dort ausgeübt hat, in der Tat dem Verein zugerechnet werden konnten. Das bestärkt mich darin und wird uns auch animieren, in BadenWürttemberg nach wie vor aktiv zu bleiben.

Das Vereinsverbot – Sie haben es genannt –, das ich im Juni des zurückliegenden Jahres für die Hells Angels in Pforzheim erlassen habe, ist letztinstanzlich noch nicht entschieden. Wir sind jedoch außerordentlich optimistisch, dass uns dies gelin gen kann.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Wir drücken die Dau men!)

Aber ich will nur sozusagen als Halbsatz erwähnen: Mich er staunt es, wie juristisch hochrangig diese Herrschaften bei die sen Verfahren vertreten werden. Das stellt natürlich auch die entsprechenden Herausforderungen an uns, diese Verfahren und diese Vereinsverbote so rechtssicher wie irgend möglich in Gang zu bringen.

Ich will abschließend sagen – das ist völlig klar –: Der Auf forderung, die an uns gerichtet wurde, kommen wir nach. Wir werden rechtsfreie Räume im Zusammenhang mit Rockerkri minalität und rockerähnlicher Kriminalität in unserem Land nicht dulden. Wir werden die jeweils notwendigen und erfor derlichen Maßnahmen dagegen treffen.

Kollege Blenke – auch das will ich hier sagen –, wir werden unsere Polizei so organisieren und so strukturieren, dass wir diesen Entwicklungen im ganzen Land optimal entgegenwir ken können. Durch die bisherige Zentralisierung allein gelingt dies nicht. Wir haben in nicht wenigen Bereichen unseres Lan des eine starke Konzentration bei der Problematik dieser Ro cker, die die dort zuständigen Organisationseinheiten aber nicht so angehen können, wie sie es eigentlich sollten. Diese sind, um dem entgegenwirken zu können, immer auf entspre chende Unterstützung angewiesen – mit den Problemen, die damit verbunden sein können.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Was ist mit den Kom petenzen?)

Die Kompetenzen werden wir natürlich erhalten – das ist überhaupt keine Frage –, und wir werden diese, sofern mög lich, auch ausbauen. Das heißt, wir werden diese Szene auch zukünftig intensiv im Blick behalten, und wir werden sofort und nachdrücklich reagieren, wenn Reaktionsbedarf besteht.

In diesem Sinn freue ich mich über die große Übereinstim mung, die das Haus bei diesem Themenbereich zeigt.