Protokoll der Sitzung vom 28.06.2012

Meine Damen und Herren! Ich eröff ne die 41. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg und darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen.

Urlaub für heute habe ich Herrn Abg. Schneider erteilt.

Krankgemeldet sind Herr Abg. Marwein und Herr Abg. Ren konen.

Aus dienstlichen Gründen hat sich Frau Ministerin Altpeter entschuldigt.

Dienstlich verhindert ist Frau Ministerin Krebs

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Herr Präsident, Frau Ministerin Krebs sitzt leibhaftig unter uns! – Zu ruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

ab 10:30 Uhr. Wir geben das hier so bekannt, wie die Mit glieder der Regierung es uns mitteilen. Vermutlich hat Frau Ministerin Krebs im Laufe des Tages noch einen Termin. Soll te sie sich aber ganztägig für das Plenum entschieden haben, freuen wir uns von Herzen darüber.

(Heiterkeit – Vereinzelt Beifall – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Von Herzen!)

Meine Damen und Herren, wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich darf Tagesordnungspunkt 1 aufrufen:

Informationen über die Gespräche zwischen der Bundes regierung und den Ländern über die Ratifizierung des Fis kalvertrags durch den Ministerpräsidenten

Bevor der Herr Ministerpräsident das Wort erhält, möchte ich für die Damen und Herren Mitglieder des Landtags von Ba den-Württemberg deutlich machen, dass ich es ausdrücklich begrüße, dass diese Debatte heute und hier stattfindet. Denn dieser Fiskalpakt hat auch Auswirkungen bis hinein in unse re Länderparlamente.

Nicht erst seit der Entscheidung des Bundesverfassungsge richts vor wenigen Tagen ist klar und muss deutlich werden, dass zu diesem Bereich nicht unter Ausblendung dafür zustän diger Parlamente beraten, diskutiert und beschlossen werden darf.

Deswegen, Herr Ministerpräsident, begrüße ich es ausdrück lich, dass heute diese Debatte hierzu stattfindet. Ich habe Ih nen deshalb auch ausdrücklich am 18. Juni im Vorfeld der heu tigen Sitzung einen Brief geschrieben, in dem ich für das Par lament Wert darauf gelegt habe, dass wir die Diskussion hier führen, wo sie auch hingehört.

Ich möchte an dieser Stelle auch mit Blick auf den Fiskalpakt äußern, dass es keine Regelungen geben darf, die die Länder parlamente und -haushalte zusätzlich belasten.

Insoweit sind wir auf Ihre Ausführungen, Herr Ministerpräsi dent, gespannt. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Sie über die Gespräche zum Fiskal pakt zu informieren, die die Regierungschefs der Länder mit dem Bund geführt haben. Damit komme ich auch Ihrem Wunsch, Herr Präsident, nach, den Landtag bei der Umset zung des Fiskalpakts einzubeziehen.

Meine Damen und Herren, die aktuellen finanz- und wirt schaftspolitischen Herausforderungen haben auf europäischer Ebene eine dramatische Dimension erreicht. Das europäische Haus hat noch nie so gebebt wie jetzt, und es ist keine Frage, dass wir es stabilisieren müssen.

Die Stabilisierung des Euro geht uns alle an. Hier geht es um die Verantwortung für Europa als Ganzes, und das ist eine ge meinsame Aufgabe von allen politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern. Nur so können wir sicherstellen, dass Eu ropa in dieser globalisierten Welt auch in Zukunft gehört wird.

Auf europäischer Ebene gibt es diesen Schulterschluss bereits: Der Fiskalvertrag, über den Bundesrat und Bundestag mor gen beschließen, wird als völkerrechtlicher Vertrag von 25 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union getragen.

In dieser außergewöhnlichen Situation haben die Länder mit großer Besonnenheit agiert und Verantwortung übernommen. Die Landesregierung steht zu ihrer Verantwortung für Euro pa, denn Baden-Württemberg ist von allen Ländern am stärks ten auf Europa ausgerichtet. Die beiden großen Entwicklungs achsen Europas, der Rhein als Sinnbild der Westintegration nach der Nazi-Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg und die Donau als Band der Öffnung nach dem Kalten Krieg, ver schränken sich hier bei uns. Denn es waren nicht nur der Fleiß seiner Menschen und ihre hohe Innovationsfähigkeit, sondern es war auch die Integration Europas, die Baden-Württemberg seinen Wohlstand ermöglicht haben.

Offene Märkte, Rechtssicherheit, gemeinsame Währung und geringe Transaktionskosten sparen der Exportwirtschaft des Landes, die bekanntlich die Grundlage unseres wirtschaftli chen Wohlstands ist, jährlich einen zweistelligen Milliarden betrag. Wir haben also neben der politischen Verpflichtung auch ein wohlverstandenes wirtschaftliches Eigeninteresse, das „wackelnde“ europäische Haus zu stabilisieren. Als Mi

(Ministerpräsident Winfried Kretschmann)

nisterpräsident habe ich aber auch die Verantwortung dafür, dass Baden-Württemberg als Land genauso wie unsere Kom munen weiter ihre Aufgaben erfüllen können.

Wir werden die Menschen im Land nur dann von der europä ischen Idee und vom Sinn eines starken Europas immer wie der neu überzeugen können, wenn das nicht allein zulasten ih res direkten Lebensumfelds geht. Die Bürgerinnen und Bür ger im Land werden nicht bereit sein, ihre Steuergelder zu in vestieren und Hoheitsrechte an die Europäische Union abzu geben, wenn es vor Ort in den Städten und Gemeinden am Nötigsten fehlt.

Ein starkes Europa kann nur mit starken Regionen und star ken Ländern funktionieren. Ein völkerrechtlicher Vertrag die ser Größenordnung wie der Fiskalpakt muss schließlich auch erfüllbar sein.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat von An fang an darauf gedrungen, dass die berechtigten Interessen der Länder und Kommunen gewahrt werden und aus dem Fiskal vertrag nicht ein „Vertrag zulasten Dritter“ wird.

Mit dem auf EU-Ebene ausgehandelten Fiskalvertrag soll mehr Haushaltsdisziplin in die Eurozone gebracht, aber auch ein nachhaltiges Wachsen der Wirtschaft erreicht werden. Er sieht vor, dass ausgeglichene Haushalte angestrebt und stren ge Schuldenbremsen in den EU-Staaten eingeführt werden. Parallel dazu wird in Bundestag und Bundesrat der mit 500 Milliarden € an Notkrediten ausgestattete Eurorettungsschirm ESM in abschließender Lesung beraten.

Ich halte den Fiskalvertrag für ein wichtiges Signal an Euro pa und an die Märkte. Er ist ein richtiger Schritt zu einer Sta bilisierung des Euro und ein wichtiger Beitrag für eine nach haltige Haushalts- und Wirtschaftspolitik in den EU-Staaten.

Der Fiskalvertrag verschärft aber auch die deutsche Schulden bremse, auf die sich Bund und Länder im Rahmen der Föde ralismuskommission II nach zähem Ringen geeinigt hatten. Nach den europäischen Vorgaben müssten die Länder den Schuldenabbau schneller bewältigen, als es die innerstaatli chen Vorgaben vorsehen; das war, wie gesagt, die Forderung aus Brüssel. Zudem bezieht der europäische Pakt die Kom munen ein, für deren Haushalte grundsätzlich die Länder ver antwortlich sind.

Die Bundesregierung hatte diese Modalitäten auf europäischer Ebene mit ausgehandelt. Der Fiskalvertrag wurde am 2. März 2012 unterzeichnet. Das Bundesfinanzministerium hat aber erst Ende April einen ersten Entwurf zur innerstaatlichen Um setzung des Fiskalvertrags vorgelegt. In ersten Gesprächen auf Fachministerebene wurden die Forderungen der Länder vom Bund rundweg abgelehnt.

Auch ein erstes Gespräch der Bundeskanzlerin mit den Re gierungschefinnen und Regierungschefs der Länder im Rah men ihres Treffens am 14. Juni 2012 brachte keine Einigung. Zur Klärung der noch offenen Fragen wurde daher eine BundLänder-Arbeitsgruppe auf höchster politischer Ebene einge richtet. An dieser nahmen für den Bund die Bundesminister Pofalla, Schäuble und Rösler und für die Länder die Regie rungschefs von Bayern, Hamburg, Rheinland-Pfalz, SachsenAnhalt und Baden-Württemberg teil. Unsere Forderungen nach Wahrung der Haushaltsautonomie der Länder und finan

zieller Entlastung der Kommunen haben beim Bund zunächst nicht verfangen.

Am 21. Juni 2012 hat sich die Bundesregierung mit den Bun destagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ver ständigt. Koalition und Opposition haben sich auf die Einfüh rung einer Finanztransaktionssteuer geeinigt, die nach Mög lichkeit alle Finanzinstrumente erfasst. Zugleich sollen Klein anleger, Altersvorsorgekosten und die Realwirtschaft geschont werden. Die Erlöse daraus sollen einen Beitrag leisten, um die Kosten der Finanzkrise zu bewältigen. Damit wird endlich auch die Finanzbranche an den Kosten der Krise beteiligt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU – Abg. Claus Schmiedel SPD: Spar samer Applaus bei der CDU!)

Scheitert die Finanztransaktionssteuer auf Ebene der EU und der Eurostaaten, wird sich der Bund für eine verstärkte Zu sammenarbeit von mindestens neun Ländern einsetzen. Ge lingt auch das nicht, will die Bundeskanzlerin dafür werben, dass möglichst viele Staaten die Steuer einführen.

Die Sparvorgaben sollen um zusätzliche nachhaltige Wachs tumsprogramme ergänzt werden. Dafür sollen bislang nicht abgerufene Fördermittel gezielt für wachstums- und beschäf tigungsfördernde Investitionen eingesetzt und soll das Eigen kapital der Europäischen Investitionsbank um 10 Milliarden € erhöht werden. Investitionsvorhaben sollen stärker als bisher vorgesehen über sogenannte Projektanleihen finanziert wer den, und allen Jugendlichen in Europa soll ein Arbeits- oder Ausbildungsplatz garantiert werden. Zudem wird sich die Bundesregierung auf dem Europäischen Rat für weiter gehen de Lösungen in Fragen der Finanzstabilität einsetzen.

Diese Einigung führt zu sinnvollen und unverzichtbaren Er gänzungen des Fiskalpakts. Denn ohne nachhaltige Wachs tumsimpulse und ohne die Beteiligung der Finanzbranche an den Kosten wird die Stabilisierung der europäischen Staaten nicht gelingen.

Daher war es entscheidend wichtig, dass die Oppositionsfrak tionen im Bundestag diese Kurskorrektur der Bundesregie rung erzwungen haben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Die fiskalische Schlagseite des Pakts wurde damit ausgegli chen, und der Pakt atmet nun auch wirtschaftlich.

Diese Einigung war ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer gesamtstaatlichen Verständigung über den Fiskalver trag. Damit dürfte einer Zustimmung im Bundestag nichts mehr im Weg stehen.

In der Bund-Länder-Kommission konnte am vergangenen Sonntag eine Verständigung erzielt werden. Dies war ein wei terer wichtiger Schritt zur Ratifizierung des Fiskalvertrags, zumal der Bund zu Beginn der Verhandlungen nicht sehr zu Kompromissen bereit war.

Dabei ging es bei den Gesprächen mit dem Bund nicht um ei nen „Basar der Begehrlichkeiten“, wie mitunter zu lesen war. Die Länder haben dort auch keine eigenen Forderungen auf gestellt. Da die Länder beim Fiskalpakt nun für die Kommu

(Ministerpräsident Winfried Kretschmann)

nen mithaften, haben wir vielmehr die Forderungen der Kom munen gegen den Bund in diesen Verhandlungen treuhände risch vertreten. Denn es sind die Städte und Gemeinden, die den Großteil der europäischen Regelungen umsetzen und da für sorgen müssen, dass das Leben vor Ort funktioniert. Sie sind der Grundstein der staatlichen Organisation, und es muss ein Anliegen von Bund und Ländern gleichermaßen sein, die kommunale Selbstverwaltung abzusichern.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

In den vergangenen Jahren wurden den Kommunen aber im mer mehr Aufgaben zugewiesen, ohne dass der Bund für ei ne ausreichende Finanzierung gesorgt hätte. So sind beispiels weise die Sozialhilfeausgaben in Baden-Württemberg, von leichten Rückgängen in den Jahren 2006 und 2007 abgesehen, in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen. Die Steigerungsquote bei den gesamten Sozialhilfeausgaben be läuft sich von 2005 bis 2010 auf ca. 11 %.

Verschärfend kommt hinzu, dass die Länder im Rahmen des Fiskalpakts für die Schulden der Kommunen mit einstehen müssen. Das geht aber nur, wenn es in Zukunft auch finanzi elle Entlastungen gibt. In den Verhandlungen mit dem Bund am vergangenen Sonntag wurde deswegen folgender Kom promiss gefunden:

Durch die EU-Regelungen werden keine Anforderungen be gründet, die über die innerstaatlichen Vereinbarungen zur Be grenzung der Neuverschuldung in den Haushalten von Bund und Ländern hinausgehen.

Die Haushaltsautonomie der Länder bleibt bei der innerstaat lichen Umsetzung des Fiskalpakts erhalten, und die länderin dividuellen Anpassungspfade bis 2019 werden voll anerkannt. Es war das Allerwichtigste, dies bei den Verhandlungen hun dertprozentig abzusichern. Das ist gelungen. Das war auch im Interesse des Landtags und der Landtage der anderen Länder wichtig.