Protokoll der Sitzung vom 28.06.2012

Ich hoffe, dass das so bleibt. Sie wollen es doch nicht her unterreden? Wir sind der Auffassung, es soll so bleiben, und daran arbeiten wir ja auch.

Jetzt kommen wir zur Jugendgarantie. Die Jugendarbeitslo sigkeit in Griechenland beträgt 50 %, in Spanien sind es 80 %. Wir müssen den jungen Menschen Hoffnung geben. Natür lich können sie ihre Ausbildung auch in Deutschland machen; manche machen das auch, aber doch nicht alle. Sie können Europa doch nicht ausschließlich mit Arbeitslosigkeit identi fizieren. Was ist denn das für ein europäisches Bild?

Deswegen ist es doch gut, dass wir das machen, was nun in diesem Kompromiss steht. Da können Sie doch auch zustim men. Ihre Bundesregierung hat zugestimmt. Ich hoffe, dass Sie auch zustimmen, damit wir in diesem Landtag eine ein heitliche Linie in dieser Frage vertreten und die Landesregie rung in den Verhandlungen unterstützen, die noch kommen, damit wir in Details noch mehr erreichen.

Zum Schluss noch zum Thema Schulden. Ich wollte mich da zu eigentlich nicht äußern, aber nachdem Sie das dauernd hier wie eine Monstranz vor sich hertragen, muss ich sagen: Dass das Schuldenmachen nicht so gut ist, ist Ihnen ein bisschen spät eingefallen.

(Widerspruch bei der CDU – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Jetzt tun Sie doch nicht so!)

Ja, natürlich. Sie haben hier 58 Jahre lang regiert, und wir haben 43 Milliarden € Schulden plus Neben-/Schattenhaus halte. Man könnte fast sagen: Die 43 Milliarden € Schulden sind CDU-Schulden in diesem Land, wenn man es drastisch ausdrücken will, Herr Hauk.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Nun kann man sich ja ändern und sagen: Ab jetzt wird gespart. Nichts dagegen!

(Unruhe)

Es muss allerdings schon so sein, dass wir unsere Maßnah men wachstumsorientiert umsetzen können.

(Abg. Peter Hauk CDU: Aha! – Zuruf des Abg. Gün ther-Martin Pauli CDU)

Ja. – Gestern Abend hat Herr Schäuble – ich will Ihnen das sagen – Folgendes formuliert – das finde ich ganz toll –: „wachstumsorientierte Schuldenreduzierung“.

(Abg. Peter Hauk CDU: Genau!)

Wachstumsorientierte Schuldenreduzierung ist genau das, was dieser Antrag hier für Europa darstellt. Deshalb können Sie auch zustimmen. Ihr Bundesfinanzminister macht nichts an deres, indem er sagt: Ich muss im nächsten Jahr noch 19 Mil liarden € Schulden machen – 19 Milliarden € –, weil ich die Konjunktur nicht abwürgen will, weil ich manche Program me machen will. Übrigens sind die 19 Milliarden € knapp 1 %, also noch nicht die 0,5 %, die er selbst unterschrieben hat. Denn 1 % von 2,3 Billionen € Bruttoinlandsprodukt sind 23 Milliarden €, und wir machen 19 Milliarden € Schulden. Wir sind also noch nicht bei den 0,5 %, die der Bund unab hängig von den Ländern und den Kommunen einzuhalten hat.

Insofern hat unsere Landesregierung sehr gut verhandelt. Un sere Landesregierung hat unsere Autonomie gewahrt.

Eines sollten wir uns allerdings überlegen – das ist auch eine Bitte an die Landesregierung –: Wir müssen darauf vorberei tet sein, dass weitere Zuständigkeiten des Bundes und mögli cherweise Zuständigkeiten der Länder nach Europa gehen werden. Darauf muss man vorbereitet sein. Man muss für den Fall, dass das kommt, schon selbst Ideen und Modelle entwi ckelt und diskutiert haben, damit wir unsere Autonomie er halten.

Herr Voßkuhle hat hier vor einiger Zeit eine Rede gehalten und hat den Landtag von Baden-Württemberg gelobt. Er hat davon gesprochen, dass die Staatsqualität der Länder aufgrund der Verlagerung von Kompetenzen zum Bund und zur Euro päischen Union immer weiter abnehme. Wir haben das in der letzten Föderalismuskommission rückgängig gemacht und ha ben das jetzt auch durch diese Regelung in Artikel 34 a der Landesverfassung gemacht. Insofern kommt unserem Land tag sicherlich auch eine Vorreiterrolle zu, darüber nachzuden ken, wie wir uns verhalten, wenn weitere Rechte vom Bund nach Europa gehen, und welche Möglichkeiten wir dann nach der Verfassung haben.

(Abg. Winfried Mack CDU: Sehr richtig!)

Nochmals der Appell: Machen Sie es so, wie wir es früher in der Opposition gemacht haben: Machen Sie mit der Regie rung gute Sachen. Das ist eine gute Sache. Stimmen Sie zu.

Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht Kollege Dr. Rülke.

Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Die FDP/DVP-Fraktion, Herr Ministerpräsident, teilt wesentliche Aspekte dessen, was Sie in der Analyse heute vorgetragen haben. Wir teilen auch Ihre Schlussfolgerung und begrüßen Ihre Ankündigung und unter stützen Sie darin, in dieser Woche dem ausgehandelten Kom promiss im Namen des Landes Baden-Württemberg im Bun desrat zuzustimmen.

Wir teilen aber nicht alle Aspekte dessen, was da ausverhan delt wurde. Wir haben Verständnis dafür, dass es, wenn so vie le Partner am Tisch sitzen – im Grunde waren es vier Partei en, also das gesamte Spektrum des Bundestags bis auf die Kommunisten, die wir da nicht vermisst haben, sowie alle 16 Bundesländer –, in einer so schwierigen Situation notwendig ist, zu einem Kompromiss zu kommen, der von allen getra gen wird und der letztlich dazu führt, dass der Euro und das gemeinsame Haus Europa erhalten bleiben.

Gleichzeitig ist es notwendig, die Interessen des Landes Ba den-Württemberg und der Kommunen des Landes BadenWürttemberg – darum geht es auch – zu wahren. Ich denke, das ist unter dem Strich gelungen, und deshalb unterstützen wir Sie darin, im Bundesrat zuzustimmen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Dennoch können wir Ihrem Entschließungsantrag nicht zu stimmen, meine Damen und Herren, weil eben dieser Kom promiss auch einiges von dem beinhaltet, was wir außeror dentlich kritisch sehen. Darauf werde ich noch eingehen.

Europa heißt für Deutschland und heißt auch für Baden-Würt temberg – vielleicht im Besonderen für Baden-Württemberg – vor allem Frieden und auch Wohlstand. Deshalb ist es not wendig und richtig, wie Sie es geschildert haben, Herr Minis terpräsident, jetzt die Maßnahmen zu ergreifen, derer es be darf, um das Haus Europa wetterfest zu machen. Herr Minis terpräsident, Sie haben ja durchaus mit pathetischen Worten darauf hingewiesen, wie wichtig Europa für Frieden, Freiheit und Wohlstand ist.

Aber gleichzeitig ist deutlich geworden, woher die Schwie rigkeiten kommen, mit denen wir jetzt zu kämpfen haben. Wa rum haben wir diese Staatsschuldenkrise? Warum ist es jetzt notwendig, dass sich in dieser krisenhaften Situation alle zu sammentun?

(Zuruf des Abg. Manfred Lucha GRÜNE)

Doch deshalb, weil in Europa zu viele Schulden gemacht wor den sind. Das muss man einsehen. Daher hätte ich mir, Herr Ministerpräsident und auch liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, ein deutlicheres Bekenntnis

zum Schuldenabbau und zur Vermeidung von weiteren Schul den gewünscht, als Sie es heute abgegeben haben. Die Ant wort auf die Schuldenkrise kann doch nicht heißen: Wir ver schulden uns in Baden-Württemberg mindestens bis zum Jahr 2020 weiter. Das ist die falsche Antwort, Herr Ministerpräsi dent.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Aus diesem Grund stimmen wir Ihrem Entschließungsantrag auch nicht zu.

Es war notwendig, dass sich alle bewegen; das ist richtig. Es war auch richtig, dass sich alle bewegen: der Bund an be stimmten Stellen, die Länder an bestimmten Stellen und auch die unterschiedlichen Parteien.

In der Tat, die FDP hat sich auch bewegt, und zwar in der Fra ge der Transaktionssteuer. Aber, Herr Kollege Drexler, freu en Sie sich nicht zu früh. Denn das, was da verhandelt wurde, ist: erstens Schonung von Kleinanlegern, zweitens Schonung der Altersversorgung, drittens Schonung der Realwirtschaft. Gleichzeitig sollen sich neun Länder finden, die mitmachen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Die machen mit!)

Es muss dann am Ende einen gemeinsamen Gesetzentwurf geben, der im Sinne einer Finanztransaktionssteuer dann auch tatsächlich wirksam ist, und das im gesamten Gebiet. Herr Kollege Drexler, es tut mir leid: Ich vermute, Sie fangen eher einen Wolpertinger im Rosensteinpark, als dass das gelingt.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Es sollen dort schon welche gesichtet worden sein!)

Sie müssen sie dann nur noch fangen.

Die Länder müssen im Grunde noch mehr Disziplin bei der Einhaltung der Schuldenbremse aufbringen. Auch das ist Be standteil dieses Verhandlungsergebnisses. Die Festlegung der Obergrenze von 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts für das ge samtstaatliche strukturelle Defizit ist durchaus im Interesse des Landes Baden-Württemberg. Aber wir müssen eben auch mit gutem Beispiel vorangehen.

Der Bund muss im Gegenzug – da lobe ich durchaus die Ver handlungsergebnisse der Länder – dafür sorgen, dass die Kommunen entlastet werden. Wie schon gesagt, haften die Länder mit für ihre Kommunen.

Was ich – ich sage es einmal so – etwas ambivalent finde, ist die Bundeshaftung im Außenverhältnis. Natürlich ist das ei nerseits im Interesse des Landes Baden-Württemberg und auch seiner Kommunen, aber auf der anderen Seite muss schon sichergestellt werden, dass diese Bundeshaftung im Au ßenverhältnis nicht dazu führt, dass man sich darauf verlässt und im Grunde erklärt: „Jetzt können wir uns weiter verschul den. Wenn es zu Strafzahlungen oder zu einem Defizitverfah ren bei der EU kommt, ist ja der Bund derjenige, der dann da für geradestehen muss.“

Erfreulich ist, dass mittlerweile im politischen Spektrum der Bundesrepublik Deutschland kaum mehr jemand diese Euro bonds verlangt, dass auch Sie bei den Verhandlungen in Ber

lin von diesem Ross abgestiegen sind. Das ist zumindest der zeit wirklich keine vernünftige Lösung. Wir freuen uns darü ber, dass die Bundeskanzlerin erklärt hat, zu ihren Lebzeiten werde es keine Eurobonds geben.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Da sind wir ge spannt! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Sie hat schon viel erklärt!)

Ich hoffe sehr, dass die Bundeskanzlerin eine ähnliche Le benserwartung hat wie ihre Amtsvorgänger Konrad Adenau er und Helmut Schmidt, ohne dass ich damit gesagt haben möchte, sie solle auch so lange im Amt bleiben.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Aha!)

Ja, noch viele Jahre, aber nicht bis über 90, meine Damen und Herren.

(Zuruf des Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE)

Es ist durchaus richtig: Die Eurobonds hätten kurzfristig si cher eine beruhigende Wirkung auf die Finanzmärkte. Aber mittelfristig sind die Auswirkungen katastrophal, weil sich je der darauf verlassen könnte, dass seine Schuldenpolitik letzt lich vom deutschen Steuerzahler aufgefangen wird. Das Er gebnis wäre am Ende eine Überlastung, das Ergebnis wäre am Ende auch eine antieuropäische Stimmung und Wasser auf die Mühlen antieuropäischer Parteien in Deutschland.