Der dritte Punkt ist: Bei uns wird ein Bevölkerungsrückgang prognostiziert, der längst nicht das gleiche Ausmaß hat – das kann sich in Ihrer Regierungszeit ändern – wie in anderen Ländern. Deshalb ist es wohl wahr: Natürlich brauchen wir neue Schnittstellen. Aber wir brauchen ebenso einen Ausbau der vorhandenen Verkehrsträger. Ich weiß nicht – ich wieder hole mich –, wie Sie das ohne den Bau von Ortsumfahrungen – nicht nur im Einzelfall – schaffen wollen. Denn planfestge stellte Maßnahmen im Umfang von über 1 Milliarde € liegen bereits auf dem Tisch. Es handelt sich dabei nicht nur um zwei oder drei, sondern um zig solcher Maßnahmen.
Der entscheidende Punkt ist, dass auch die vorhandenen Ver kehrsträger ausgebaut werden müssen. Das trifft für alle zu:
Es betrifft den Schienenverkehr, es betrifft die Schifffahrt – auch das gehört zur Entflechtung der Verkehre dazu –, und es betrifft den Luftverkehr, wenn auch vielleicht nicht in dem selben Umfang. Aber man sieht an den bisherigen Regional flughäfen Karlsruhe und Friedrichshafen, dass die damaligen Entscheidungen richtig waren. Die dort zu verzeichnenden „Steigflüge“ haben nicht zu einem „Strömungsabriss“ geführt, sondern halten nach wie vor an.
Deshalb, Herr Ministerpräsident, fehlt uns noch immer die konkrete Antwort darauf, wie Sie das neu gestalten wollen. Es fehlt auch die Antwort auf die Frage nach dem Ordnungsrah men, den Sie für Ihre Wirtschaftspolitik – Sie sprachen von einem „grünen“ Wirtschaftsmodell – reklamieren.
Was Ihre Aussage zum Stichwort Klimaschutz betrifft, so sind wir bei Ihnen, keine Frage. Aber Sie haben das Thema Klima schutz, wenn es um die Stromproduktion ging, im letzten hal ben Jahr oder Dreivierteljahr total ausgeblendet. Es ging Ih nen zunächst nur um das Problem mit der Kernkraft.
Wir sind bei Ihnen, wenn es um die Vermeidungskosten geht. Klar ist doch im Augenblick, dass neue Produktlinien, die den weiteren Ausstoß von CO2 vermeiden, Erfolg auf dem Welt markt haben können. Aber andererseits ist auch klar, dass zu nächst einmal Vermeidungskosten anfallen, wenn man den Ordnungsrahmen so gestaltet. Diese Vermeidungskosten wer den, wenn man den Ordnungsrahmen lediglich in BadenWürttemberg oder in Deutschland entsprechend gestaltet, auf die Betriebe heruntergebrochen und tauchen dort – was bis her nicht der Fall war – in der Bilanz auf, weil sie betriebs wirtschaftliche Effekte auf der Kostenseite hervorrufen.
Wenn Sie wirklich da heranwollen, müssen Sie genau diese Kosten irgendwie decken; sonst schwächen Sie die Wettbewerbs fähigkeit der Unternehmen, oder die Unternehmen schichten in tern um, was auf Kosten der Innovationsfähigkeit und der be trieblichen Forschung – all dies ist ja möglich – erfolgt. Dann müssten Sie aber doch am Ende für mehr Wachstum eintre ten, damit zusätzliche Kosten, betriebswirtschaftliche Kosten, die nur in Baden-Württemberg oder in Deutschland anfallen, auch tatsächlich finanziert werden können.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Jetzt klatschen sie, wissen aber nicht, was er wollte!)
Sie dürfen nicht einfach sagen, das sei eine richtungslose Be zeichnung. Das ist der entscheidende Punkt. Ihr Wirtschafts modell bedeutet nichts anderes, als dass man Unternehmen zusätzlich belastet in der Hoffnung, dass sich in diesem Be reich schon in kurzer Zeit Produktlinien entwickeln, mit de nen sie Weltmarktführer oder zumindest wettbewerbsfähig werden können.
Wenn man einen solchen Ordnungsrahmen setzt, Herr Minis terpräsident, muss man schon sehr vorsichtig sein. Die Glo balisierung findet statt. Die Verlagerung von Produktionsstät ten und Arbeitsplätzen ist heute,
Ich sage Ihnen ganz offen: Wir haben als Union schon den An spruch, dass wir in Baden-Württemberg und in Deutschland insgesamt nicht nur auf Dauer ein Dienstleistungsstandort werden wollen, sondern wir wollen auch Industrieprodukti on.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Kein Wider spruch!)
Dann muss man aber auch die Rahmenbedingungen entspre chend setzen. Die Frage ist natürlich, ob die sozialökologi sche Marktwirtschaft einen Rahmen setzt, der ein echtes Spie len auf einem Spielfeld ermöglicht, das von einer Bande um geben ist, oder ob der Ordnungsrahmen nach grüner Ideolo gie – vielleicht auch nach roter Ideologie – in eine Einbahn straße mündet. Das ist die entscheidende Frage.
Dazu haben Sie keine Ausführungen gemacht. Sie haben nur gesagt: „Da machen wir halt einen Ordnungsrahmen.“ Wie der Ordnungsrahmen in diesem Fall aussehen soll, haben Sie nicht gesagt. Wir sind uns in diesem Haus doch einig – viel leicht mit der FDP/DVP nicht ganz –, dass wir einem unge zügelten Liberalismus nicht das Wort reden.
(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Das sieht Herr Rülke aber anders! – Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Also doch Ordnungspolitik!)
Das Gegenteil ist doch der Fall. Die Frage, die Sie aufgewor fen haben, hat sich nie gestellt und stellt sich auch nicht – je denfalls nicht für die Union. Vielmehr treten wir für die sozi ale Marktwirtschaft und auch für die Rahmenbedingungen ei ner sozialen Marktwirtschaft ein. Aber es ist doch auch klar, dass der Wettbewerb das stimulierende Element einer sozia len Marktwirtschaft ist, auch das stimulierende Element für die Suche nach den besten Lösungen, aber nicht der politische Ordnungsrahmen. Das ist der entscheidende Punkt.
Dies gilt für Mobilitätskonzepte, es gilt für Innovationen im Bereich der Mobilität genauso wie für andere wirtschafts- und umweltpolitische Fragen. Ihr falscher Ansatz ist, dass Sie der Wirtschaft diese Stimulation, Innovation durch Wettbewerb zu erreichen, nicht zutrauen und dies durch ideologische grü ne Ordnungsrahmen ersetzen wollen. Das ist das Problem.
Das geschieht bei der Energiepolitik in einem ähnlichen Sinn. Wir sind uns einig über die kürzere Brücke bei der Atomkraft. Wir sind uns einig über den Zubau regenerativer Energien. Wir sind uns auch darüber einig, die fossilen Energieträger zumindest nicht weiter auszubauen, sondern eher rückzubau en.
Wenn man sich aber anspruchsvolle Ziele setzt, muss daraus auch folgen, dass diese anspruchsvollen Ziele nicht erst für das Jahr 2050 gesetzt werden, sondern auch anspruchsvolle Zwischenziele gesteckt werden. Sie haben sich ein einziges
Zwischenziel gesetzt, nämlich bis zum Jahr 2020 einen An teil der Windenergie von 10 % zu erreichen. Ansonsten gibt es gar keine Zwischenziele. Allerdings müssen Sie schon ein mal erklären – solche Milchmädchenrechnungen wie die des Herrn Kollegen Schmiedel, die wohl auf der Gesamtschule entstanden ist,
(Oh-Rufe von der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: Ich war auf einem Gymnasium, Herr Kollege! In Ma thematik gut! – Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)
nach dem Motto „Jetzt rechnen wir die 25 %, die schon vom Netz sind, einmal heraus und ersetzen noch die restlichen 25 % Kernenergie“ teile ich nicht –, wie wir neben der Stei gerung des Windkraftanteils auf 10 % auf weiteren Gebieten entsprechend vorankommen wollen. Da kann ich Ihnen nur empfehlen, Herr Ministerpräsident: Setzen wir dort an, wo wir nicht nur symbolische Erträge haben, sondern ökonomisch und ökologisch die sinnvollsten Zubaumöglichkeiten haben.
Das ist in einem Binnenland im Süden der Republik im Un terschied zum küstennahen Norden der Republik vielleicht nicht in allererster Linie die Windenergie. Was wir haben, was aber der Norden nicht hat, ist eine bewegte Topografie. Das heißt, dass man sich hier einen Zubau leisten kann, der in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder Niedersachsen nicht möglich ist, nämlich Speicherkraftwerke.
In Atdorf sieht es in Wahrheit folgendermaßen aus: Die CDU, Herr Schmiedel, war dort vor Ort. Das stimmt. Da haben Sie recht. Aber die Unionsabgeordneten haben sich im Gespräch mit der Bürgerinitiative – so viel zum Thema Zuhören – klar dazu bekannt.
(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist doch nicht wahr! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Wozu? – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Herr Schmiedel war doch gar nicht dort! – Gegenruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)
Bei der SPD sieht es doch so aus wie immer: Sie wissen nicht, wofür Sie stehen. Der Landtagsabgeordnete vor Ort ist eher für dieses Projekt, die Bundestagsabgeordnete ist gegen die ses Projekt.
Die Grünen vor Ort sind alle dagegen. Abgesehen davon traut man sich schon gar nicht mehr dahin, damit man erst gar kei ne Stellungnahme abgeben muss.
Herr Ministerpräsident Kretschmann, die Wahrheit wird mit dem Regieren konkreter. Irgendwann kommen Sie so nicht mehr durch.
Es geht jetzt nicht ausschließlich um das Projekt Atdorf, son dern es geht um die generelle Frage: Ist dies eine Möglich keit, in gewaltigem Umfang Ersatz bei Grund- und Spitzen last zu erzeugen und nicht nur bei Zufallslast? Das ist doch der ganz entscheidende Punkt. Bei solchen Parametern geht es nicht um die Nettoerträge am Ende eines Jahres.
Deswegen lässt sich anhand des Zubaus solcher Energieträ ger auch ermessen, ob ein vernünftiger, schnellerer Ausstieg aus der Kernkraft möglich ist. Dazu muss man allerdings auch Ja sagen. Man kann nicht sagen: „Das wissen wir nicht so ge nau; wir wollen schauen, was die Bevölkerung vor Ort sagt.“ So, wie Sie in Ihrem Koalitionsvertrag einen Windenergiean teil von 10 % als Ziel festgelegt haben, müssten Sie auch sa gen: Jetzt nehmen wir noch einmal 5 % zusätzlich durch Spei cherkraftwerke und 25 % Bioenergie und dergleichen mehr. Dann wäre das Gesamtkonzept seriös.