Protokoll der Sitzung vom 29.06.2011

Noch ein paar Worte zur Kaltreserve: Sie ist mittlerweile sehr umstritten. Ich möchte dazu einfach sagen: Es geht nicht da

rum, kurzfristig eine Stromlücke zu füllen, sondern darum, re agieren zu können, wenn im Winter richtig viel Strom fehlt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wohne oben auf der Alb; da ist es kalt. Ich weiß, wovon ich rede. Da heizen viele Menschen auch noch zu.

(Abg. Daniel Renkonen GRÜNE: Da gibt es auch viele Windkraftanlagen! – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Heizen mit Strom auf der Alb? – Zurufe von den Grünen: Pellets!)

Ich möchte zum Schluss kommen. Meine sehr geehrten Da men und Herren von der neuen Landesregierung, die Bundes regierung hat nun sehr, sehr stark vorgelegt, was den Energie wechsel angeht. Jetzt sind Sie im Zugzwang, diese große Chance, die wir vor Ort haben, umzusetzen. Allerdings stimmt mich etwas sorgenvoll, dass Sie den ehrlichen Umgang mit der Materie offensichtlich erst noch lernen müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich dem Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Unterstel ler.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige energiepolitische Debatte findet schon in einem politisch neuen Umfeld statt. Das spürt man auch an der Art, wie heute hier geredet wird. Es wurden sehr konstruktive Reden gehalten; dafür erst einmal ganz herzli chen Dank.

Trotzdem ist es sinnvoll, noch einmal daran zu erinnern, wo her wir kamen. Wir haben vor neun Monaten erlebt, dass ei ne Bundesregierung die Laufzeiten der Atomkraftwerke in Deutschland verlängern wollte – aus meiner Sicht ohne Not. Man muss sich einmal überlegen, dass das für ein Kernkraft werk wie Neckarwestheim II bedeutet hätte, dass diese Anla ge bis weit in das Jahr 2040 hinein gelaufen wäre.

Wir haben vor neun Monaten erlebt, dass diese Strategie mit angeblichen Versorgungslücken, mit angeblich drohenden ne gativen Effekten für den Klimaschutz und angeblich drohen den Strompreisexplosionen begründet worden ist. Das wurde als Begründung für die Laufzeitverlängerung ins Feld geführt und ist gerade einmal neun Monate her.

Es ist gut zwölf Monate her, dass wir im Zusammenhang mit der Laufzeitverlängerung erlebt haben, dass der damalige Mi nisterpräsident dieses Landes die Bundeskanzlerin sinngemäß aufgefordert hat, die Eskapaden ihres Bundesumweltminis ters doch bitte schön einzufangen und ihn vom Spielfeld zu nehmen. Meine Damen und Herren, ich denke, Sie werden verstehen, dass ich als grüner Umwelt- und Energieminister in dieser Situation mehr als zufrieden bin, wenn die gleiche Bundesregierung neun Monate nach dem, was ich gerade er wähnte, die beschlossene Laufzeitverlängerung mit einer er neuten Atomgesetznovelle zurücknimmt. Acht Altreaktoren wurden stillgelegt, darunter auch Neckarwestheim I und Phi lippsburg 1.

Auf Druck des Bundesrats, übrigens ganz maßgeblich durch den Ministerpräsidenten dieses Landes, wird von dem Vorha ben der jetzigen Bundesregierung Abstand genommen, nach der Stilllegung der acht Anlagen erst einmal plus/minus zehn Jahre lang gar nichts zu machen und dann, 2021/2022, wie der neun Anlagen vom Netz zu nehmen. Das wäre meines Er achtens ein Riesenfehler gewesen. Dann hätten wir nämlich mit Sicherheit eine erneute Debatte über die Laufzeitverlän gerung gehabt. Die Bundesregierung hat durch die Interven tion der Ministerpräsidenten – angeführt, wie gesagt, durch Ministerpräsident Kretschmann – hiervon Abstand genom men. Das begrüße ich ausdrücklich.

Außerdem begrüße ich es ausdrücklich, dass die jetzige Bun desregierung in der Grundausrichtung dessen, was man jetzt mit der 14. Novelle des Atomgesetzes vorhat, im Wesentli chen wieder zu dem zurückkehrt, was Rot-Grün 2000/2002 angedacht hat. Zum Teil geht man sogar darüber hinaus. Das will ich durchaus zugestehen. Daher ist es, wie gesagt, gut nachvollziehbar, dass wir damit sehr zufrieden sind.

Meine Damen und Herren, zur Wahrheit gehört aber auch, dass der breite Konsens, den die CDU/CSU-FDP-Bundesre gierung in der Atomfrage neuerdings von der Opposition wünscht, uns in den Zeiten, in denen Rot-Grün in Berlin re gierte, und auch in den Jahren danach von Ihnen immer ver wehrt geblieben ist. Ich finde, dass das, was jetzt auf den Weg gebracht wurde und wird, diesen Konsens wirklich wert ist. Ich denke, meine Partei hat mit den Beschlüssen, die wir auf dem Berliner Parteitag gefasst haben, gezeigt, dass wir ver antwortlich mit dem umgehen, was die Bundesregierung vor gelegt hat, und dass wir zu diesem Konsens bereit sind. Ich finde, wir haben da eine Riesenchance, einen gesellschaftli chen Großkonflikt, den wir über 30 Jahre lang gehabt haben, zu beenden.

Vorhin ist in der Rede des Kollegen Stober schon angeklun gen: Tragisch ist, dass dafür die Katastrophe in Fukushima nötig war. In Japan ist genau das eingetreten, wovor Kritiker der Atomenergie in all den Jahren immer gewarnt haben. So ist gerade einmal 25 Jahre nach der Katastrophe in Tscherno byl innerhalb weniger Stunden eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes eingetreten, von der viele gemeint haben, so etwas sei überhaupt nicht möglich. In dieser Situation ist es meiner Meinung nach richtig, den Konsens, der jetzt auf dem Tisch liegt, mitzutragen, um damit einen Endpunkt bei diesem The ma zu setzen.

Das heißt aber nicht, dass wir die Gesetze, die im Zusammen hang mit dem Ausstiegsgesetz auf den Tisch gelegt wurden – EEG, Netzausbaugesetz, Energiewirtschaftsgesetz –, auch oh ne Weiteres abzuwinken bereit wären. Aus unserer Sicht gibt es gerade in Bezug auf die Ausgestaltung des EEG doch noch erheblichen Nachbesserungsbedarf.

Ich will ein paar Punkte nennen: Ich kann mich – das sage ich einmal so deutlich, Herr Kollege Lusche – über den Kurs, den insbesondere die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in den letz ten Tagen und Wochen fährt, in Teilen, ehrlich gesagt, nur noch wundern. Wer aus der Atomenergie aussteigt, der muss doch in irgendetwas anderes einsteigen. Ich denke, darin sind wir uns einig, und das ist auch in Ihrer Rede angeklungen. Einsteigen heißt – darin sind wir uns im Grundsatz auch ei nig – in erster Linie: einsteigen in die erneuerbaren Energien.

Wenn man sich aber anschaut, welche Beschlüsse dazu in den letzten Tagen, gerade am Montag in der CDU/CSU-Bundes tagsfraktion, im Zusammenhang mit dem EEG gefasst wur den, dann muss ich schon fragen: Ist man da auf dem richti gen Weg? Da habe ich doch erhebliche Zweifel. Ich nenne Ih nen einmal ein paar Beispiele.

Wieso beschließt man am Montag, die Degression bei der Windenergie, obwohl man sich eigentlich einig war, dass man sie bei 1 % belässt, auf 1,5 % zu erhöhen? Das schadet uns in Baden-Württemberg und schadet auch Bayern.

Übrigens ist vorhin in dem Beitrag des Kollegen Glück ange klungen, ein Anteil der Windenergie von 10 % sei ambitio niert. Das stimmt. Ich darf aber einmal daran erinnern, dass sich die Staatsregierung in Bayern mit meinem Kollegen Mar kus Söder und dem Ministerpräsidenten Seehofer

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

neuerdings ebenfalls das Ziel setzt, den Anteil der Windener gie von heute 1 % bis zum Jahr 2020 auf 10 % auszubauen.

(Abg. Johannes Stober SPD: Die Zusammenarbeit klappt wunderbar!)

Meines Wissens ist Ihre Partei, Herr Glück, in Bayern noch immer an der Regierung beteiligt. Sie dürfen davon ausgehen, dass die Südschiene gerade in dieser Frage

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

beispielsweise bei der letzten Umweltministerkonferenz, aber auch jetzt im Vorfeld der Beratungen im Bundesrat, ganz her vorragend funktioniert hat. Dafür bin ich auch sehr, sehr dank bar.

Zweitens: Ich komme zurück zu dem, was am Montag in der Bundestagsfraktion der CDU und der CSU beschlossen wur de. Nehmen Sie die Fotovoltaik. Man sagt jetzt: „Für Anla gen, die eine geringere Leistung als 30 KW haben,“ – das sind alle Anlagen, die sich unsereiner aufs Dach setzt, also meist Kleinanlagen – „werden nur noch 70 % vergütet.“ Mit sol chen Maßnahmen macht man diese Anlagen einfach weniger attraktiv. Es tut mir leid: Ich kann das nicht nachvollziehen. Ich will nachher auch noch sagen, warum.

Drittens: Man beschließt am letzten Montag ohne Not, auch bei der Wasserkraft eine Degression von 1 % einzuführen. Auch diese Maßnahme richtet sich explizit gegen die Interes sen Baden-Württembergs, weil gerade in Baden-Württemberg die Wasserkraft, wie Sie wissen, eine ganz besondere Rolle spielt.

Ganz abenteuerlich wird es an einem anderen Punkt. Herr Kollege Nemeth wird nachher, glaube ich, auch noch zur Fra ge der Speichertechnologie sprechen.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Bullinger?

Ich würde die Frage gern im Anschluss beant worten.

Nach dem Gesetzentwurf muss für Teile des Speicherstroms zukünftig EEG-Umlage gezahlt werden, sprich für die Verlus te – das sind bei Speicherstrom etwa 20 % – muss EEG-Um lage gezahlt werden. Auch für den Strom, den z. B. die Schluchseewerke von einem anderen Unternehmen beziehen, um hochzupumpen, soll jetzt EEG-Umlage gezahlt werden. Das bedeutet für die Schluchseewerke, um bei diesem Bei spiel zu bleiben, bei den bestehenden Anlagen eine finanziel le Belastung in zweistelliger Millionenhöhe.

Das kann man doch nicht wollen. Wenn man den Anteil der erneuerbaren Energien ausbauen will und die Speicherung in Zukunft eine größere Rolle spielen soll, kann man diese Spei cherung jetzt doch nicht zusätzlich solchen aus meiner Sicht überhaupt nicht nachvollziehbaren Belastungen unterwerfen. Ich kann Sie nur ganz herzlich bitten, hier auch auf Ihre Kol leginnen und Kollegen in der Bundestagsfraktion einzuwir ken, um auf der Zielgeraden des Gesetzgebungsprozesses noch einmal dafür zu sorgen, dass ein solcher Nonsens unter bleibt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Umsetzung der Energiewende stehen für die neue Landesregierung drei gleich wichtige Ziele im Mittelpunkt: erstens Versorgungssi cherheit, zweitens Klima- und Umweltverträglichkeit und drit tens Bezahlbarkeit bzw. Wirtschaftlichkeit.

Versorgungssicherheit bedeutet für uns, dass wir dafür Sorge tragen müssen, dass die Abschaltung der ersten acht Kern kraftwerke – darunter dann auch Neckarwestheim I und Phi lippsburg 1 – in den nächsten Wintern auch unter ungünstigs ten Bedingungen nicht zu Engpässen führt. Die Versorgungs sicherheit muss auf jeden Fall gewährleistet sein.

Es mag vielleicht ungewohnt klingen, aber bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit einer atomaren Kaltreserve weiß ich mich mit den Energieversorgern und allen Fachleuten nun wirklich einig. Wenn Sie sich da einmal umhören, werden Sie feststel len, dass es ein großes Kopfschütteln darüber gibt, dass man ein Kernkraftwerk in Kaltreserve halten will.

Worum geht es denn? Es geht darum, dass dann, wenn eine Situation eintritt, in der die Witterung ungünstig ist, gleich zeitig null Windenergie eingespeist wird und konventionelle Kraftwerke vom Netz genommen werden müssen, wenn also mehreres zusammenkommt, Kapazitäten schnell zur Verfü gung stehen. Das ist die Situation.

Hören Sie sich einmal unter Fachleuten um. Ich habe auch mit mehreren Leuten von der EnBW geredet. Dort stoßen Sie nur auf großes Kopfschütteln. Warum? Um ein Kernkraftwerk aus einer Kaltreserve hochzufahren, brauchen Sie vier Wochen. Dann sind Sie aber schon wieder fast im Frühjahr.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Daher ist das schlicht und ergreifend eine unsinnige Idee. Ich habe den Eindruck, dass das mittlerweile auch von der Bun desregierung erkannt wurde. Man hat jedenfalls jetzt sowohl in der Runde der Ministerpräsidenten als auch im Bundesrat zugesichert, dass das, wie Kollege Lusche auch gesagt hat, wirklich nur die Ultima Ratio sein kann, die man noch aufs Papier schreibt. Aber ansonsten ist die Bundesnetzagentur an

gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass dieser Unsinn nicht re alisiert wird.

Noch einmal, Herr Kollege Lusche: Wenn man zu dem Ergeb nis kommt: „Wir nehmen jetzt acht Anlagen vom Netz, weil sie unsicher sind“ – das ist die Auffassung der Bundesregie rung; Gott sei Dank ist sie das; Philippsburg 1, Neckarwest heim I –, dann kann es nicht sein, dass man sagt: „Ja, aber im Zuge der Kaltreserve nehmen wir eine doch noch einmal in Betrieb.“ Ich meine, davon sollte man die Finger lassen. Es ist auch inhaltlich Unsinn. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass wir die Versorgungssicherheit anders gewährleisten.

Sie dürfen davon ausgehen, dass wir in dieser Frage mit den Netzbetreibern in Baden-Württemberg intensiv im Gespräch sind – jedenfalls mein Haus ist es –, um uns diesem Thema zu widmen, weil ich es sehr ernst nehme, und dass wir alles dafür tun werden, dass ein solcher Fall im Winter nicht ein treten wird.

Das zweite Ziel ist die Umweltverträglichkeit. Ich meine, es erklärt sich von selbst: Angesichts der klimapolitischen Her ausforderungen, vor denen wir stehen, nämlich bis zum Jahr 2050 die CO2-Emissionen in den großen Industrieländern um 90 % reduzieren zu müssen – global gesehen sind es 50 % –, heißt dies in erster Linie, dass wir auf die erneuerbaren Ener gien setzen müssen und dass wir die Energieeffizienz voran bringen müssen.

Es heißt aber auch noch etwas anderes: Wir werden die abge henden Kapazitäten allein durch die erneuerbaren Energien in Baden-Württemberg nicht ersetzen können. Wir werden auch durch die erneuerbaren Energien plus Offshore die abgehen den Kapazitäten in Baden-Württemberg nicht ersetzen kön nen, sondern wir werden – zumindest in der Übergangsphase – schauen müssen, dass wir CO2-arme, flexible Kraftwerks technologien zusätzlich ans Netz bekommen. Das sind heut zutage in erster Linie Gaskraftwerke.

Nun haben wir in Baden-Württemberg schon genehmigte Standorte. Ich nenne nur einmal Karlsruhe, wo es ein von der EnBW angedachtes Projekt gibt. Dafür gibt es einen geneh migten Standort. Es gibt ein von den Stadtwerken Böblingen angedachtes Projekt, und es gibt auch Überlegungen von an deren Stadtwerken. Aber diese kommen im Moment nicht zum Tragen. Warum? Weil sie sich hinsetzen, rechnen und zu dem Ergebnis kommen: Unter den bestehenden Rahmenbedingun gen, die wir heute an der Strombörse in Leipzig haben, rech net es sich nicht. Bei den Grenzkostenkraftwerken liegen sie bei etwa 6 Cent pro Kilowattstunde. Dafür bauen sie kein neu es Kraftwerk; es rechnet sich schlichtweg nicht.

Das war der Grund dafür, dass wir von der neuen Landesre gierung in den Gesetzgebungsprozess hineingegangen sind und gesagt haben: Lasst uns einmal überlegen, ob wir ein neu es Instrument einführen, Stichwort Kapazitätsmarkt, durch dass wir dann für eine Übergangsphase Sorge dafür tragen, dass Gaskraftwerke überhaupt zum Laufen kommen. Man kann es sich so vorstellen, dass man eine Ermächtigung ins Energiewirtschaftsgesetz schreibt: Für die verschiedenen Re gionen in Deutschland kann man bestimmte Mengen aus schreiben. Nehmen wir einmal theoretisch an, dass wir für Süddeutschland 2 000 oder 3 000 MW ausschreiben, auf die sich dann große Unternehmen wie die EnBW, aber auch Stadt

werke und andere Investoren bewerben können. Das wird auk tioniert.

Ich denke, das wäre der richtige Ansatz. In der ersten Runde im Bundesrat hatten wir dafür sogar eine Mehrheit. Leider ist das dann auch wieder durch Intervention des CDU/CSU-Frak tionsvorsitzenden in Berlin relativiert worden. Aber wir ha ben sowohl aus dem Bundeswirtschaftsministerium als auch aus dem Bundesumweltministerium das Signal, dass man be reit ist, sich bei dieser Frage zu öffnen und in diese Richtung weiter zu denken, weil man auch selbst sieht: Anders werden wir in diesem Bereich nicht zu neuen Kapazitäten kommen.