Frau Ministerin, Sie haben ge rade in gewohntem Wahlkampfgetöse gesagt, dass es einen Kahlschlag gegeben habe. Ich möchte Sie fragen, ob Sie be stätigen können, dass es sich bei der Wiedereingliederungs hilfe tatsächlich nicht um eine Kürzung handelt, weil die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten so stark gesunken ist, dass in den kommenden Jahren mehr Mittel pro erwerbs fähigem Leistungsberechtigten zur Verfügung stehen, als dies z. B. 2006 und 2007 der Fall war. Können Sie das bestätigen?
Herr Abgeordneter, ich möchte zunächst feststellen, dass ich mich nicht im Wahl kampf befinde, sondern als Arbeitsministerin des Landes Ba den-Württemberg eine besondere Verpflichtung habe,
insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass BadenWürttemberg zwar über insgesamt gute Arbeitsmarktzahlen verfügt, die Zahl der Langzeitarbeitslosen in unserem Land aber angesichts der Arbeitsmarktentwicklung insgesamt trotz dem noch relativ hoch ist.
Was ich Ihnen nicht bestätigen kann und nicht bestätigen will, ist die Behauptung, dass der Rückgang der Eingliederungszu
schüsse keine Auswirkungen habe; denn ein Rückgang um 40,5 % allein bei den Eingliederungszuschüssen hat natürlich deutliche Auswirkungen, insbesondere auf die Menschen, die zwei Jahre lang und länger Leistungen nach dem SGB II be ziehen und deren Teilhabechancen bei längerer Arbeitslosig keit zwangsweise geringer werden. Wenn wir diese Menschen nicht fördern, dann wird sich an dem hohen Anteil von Lang zeitarbeitslosen in Baden-Württemberg auch nichts ändern können.
Frau Präsidentin! Frau Mi nisterin, wir hatten im Landesarbeitsmarktprogramm den Pas siv-Aktiv-Transfer beschlossen. Könnten Sie uns eine erste Zwischenbilanz geben, wie dieses Programm jetzt anläuft?
Zudem hatten wir uns einvernehmlich der Bundesratsinitiati ve Hamburgs angeschlossen. Auf welchem Stand sind wir da? Welche bundespolitischen Signale gibt es? Es ist doch ein heh res Ziel, das alle mittragen, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu för dern. Können Sie uns sagen, wie wir politisch und auch ver fahrenstechnisch weitergekommen sind?
Vielen Dank, Herr Abge ordneter. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Passiv-Ak tiv-Transfer – diesen hat Baden-Württemberg als erstes Land in der Bundesrepublik eingeführt – ist es uns ein großes An liegen, Geld in die Förderung von Beschäftigung zu investie ren, statt Geld für Nichtbeschäftigung ausgeben zu müssen. Denn wir wissen: Trotz mehrfacher Teilnahme an arbeits marktpolitischen Maßnahmen sind Langzeitarbeitslose mit so genannten multiplen Vermittlungshemmnissen oft ohne ech te Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Defizite in Sozial- und Fachkompetenz, aber oft auch gesundheitliche und soziale Probleme stehen einer Integration entgegen. Wir wissen auch, dass Langzeitarbeitslosigkeit diese Defizite verstärkt.
Uns ist es ein wichtiges Anliegen, dass diesen Menschen durch die Wahrnehmung einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit wieder gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht wird. Deshalb haben wir zusammen mit den Wohlfahrtsverbänden im Land ein Fördermodell entwickelt, mit dem wir den Pas siv-Aktiv-Transfer simulieren. Das heißt, passive Leistungen wie z. B. die von der kommunalen Seite zu tragenden Kosten für Unterkunft und Heizung werden zugunsten von bestimm ten Förderungen aktiviert. Dies hat zum Ziel, Arbeit statt Ar beitslosigkeit zu finanzieren, aber es hat natürlich auch zum Ziel, dem Bund zu zeigen, wie das SGB II geändert werden muss, damit Teilhabe gewährleistet werden kann.
Ich kann heute als erste Zwischenbilanz sagen, dass wir einen hohen Rücklauf haben. Anfang Oktober 2012 wurden Zuwen dungsverträge mit 40 von 44 Stadt- und Landkreisen im Land geschlossen. Bereits heute sind über 250 Plätze besetzt, 150 davon in der Privatwirtschaft. Wir werden diesen Passiv-Ak tiv-Transfer auch wissenschaftlich evaluieren lassen, damit wir nachher wirklich wissen, wie es uns gelungen ist, nicht Arbeitslosigkeit zu finanzieren, sondern Arbeit.
Die zweite Frage bezog sich auf die Bundesratsinitiativen zum Thema „Gute und sichere Arbeit“. Wesentliche Teile spielen
sich ja im SGB II und im SGB III ab. Wir haben deshalb von seiten der A-Länder beschlossen, am 3. Mai 2013 einen ge meinsamen Dachantrag mit dem Thema „Gute und sichere Ar beit“ in den Bundesrat einzubringen. Dazu gehört das Thema „Passiv-Aktiv-Transfer“ ebenso wie die Themen „Equal Pay“ und „Zurückdrängung von Leiharbeit und Werkverträgen“. Bestimmte Aspekte der Gesundheitsförderung sind in dieser Initiative der A-Länder ebenfalls berücksichtigt.
Wie gesagt: Wir werden das am 3. Mai in den Bundesrat ein bringen mit dem Ziel, dass der Bundestag noch vor der Som merpause hierüber berät.
Sehr geehrte Frau Mi nisterin, wir haben im letzten Jahr einen Rekordwert bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Höhe von 41,6 Millionen in Deutschland gehabt. Das waren über 420 000 mehr als im Jahr zuvor. Allein in der Industrie sind Tag für Tag 500 Arbeitsplätze entstanden. Das ist sicherlich ein Er folg und ein Grund dafür, warum man die Mittel in absoluten Zahlen gekürzt hat.
Der neue Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammer tags, Eric Schweitzer, hat aufgrund einer Ermittlung erklärt, es bestehe die Befürchtung, dass aufgrund der rot-grünen Steuerpläne – Einkommensteuer, Spitzensteuersatz, Vermö gensteuer – bis zu 1,4 Millionen Arbeitsplätze gefährdet sei en.
Wie sehen Sie dies als Arbeitsministerin im Hinblick auf die Arbeitsmarktpolitik, sollten diese Pläne verwirklicht werden?
Sehr geehrter Herr Abg. Haußmann, im Hinblick auf die Arbeitsmarktpolitik und auf die wachsende Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäf tigungsverhältnisse gehe ich davon aus, dass wir aufgrund der momentanen konjunkturellen Entwicklung – nicht zuletzt auf grund bestimmter arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, die vor zehn Jahren eingeleitet wurden – nicht befürchten müs sen, dass die Zahl der Arbeitsplätze rückläufig sein wird.
Unser Problem ist vielmehr, trotz guter Arbeitsmarktzahlen in Baden-Württemberg, der nach wie vor relativ hohe Anteil an Langzeitarbeitslosen. Denn angesichts dessen, dass im Land nahezu Vollbeschäftigung herrscht, muss es bei über 130 000 Arbeitslosen im Sinne des SGB II unsere Aufgabe sein, an ge nau diesem Punkt anzusetzen, um diese Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen.
Unser Problem hier im Land ist ja nicht, dass wir zu wenig Arbeitsplätze haben. Das Problem, das wir in manchen Berei chen haben und das zunehmend größer werden wird, ist viel mehr der Fachkräftemangel und damit verbunden die Heraus forderung, die vorhandenen Stellen entsprechend zu besetzen. Dabei geht es darum, dass wir all die Fachkräfte, die wir als Potenzial zur Verfügung haben, so qualifizieren, dass die of fenen Stellen im Fachkräftebereich entsprechend besetzt wer den können.
Frau Ministerin, angesichts der Zahlen, die genannt wurden, und angesichts der Kürzungen des Bundes mit einem Gesamtvolumen in Milliardenhöhe wird, glaube ich, allen deutlich, dass wir die Ausfälle nicht mit Landesmitteln kompensieren können.
Nichtsdestotrotz setzen wir mit dem Landesprogramm Impul se für besondere Zielgruppen. Sie haben gerade etwas zum Thema Langzeitarbeitslose und zum Thema Passiv-AktivTransfer gesagt. Bei welchen Personengruppen sehen Sie wei teren Handlungsbedarf, und wo gibt es weitere Initiativen des Landes – Stichworte „junge Menschen“, „Übergang von der Schule in den Beruf“, Frauen, Behinderte, Migranten?
Lieber Herr Abg. Hinde rer, mit unserem Landesprogramm „Gute und sichere Arbeit“, das insgesamt 10 Millionen € umfasst,
versuchen wir, genau die von Ihnen erwähnten Zielgruppen und Potenziale zu erreichen. Gleichwohl muss ich heute an dieser Stelle sagen: Die Kürzungen bei den Eingliederungs zuschüssen können wir damit nicht kompensieren. Es ist nicht möglich, einen Kürzungsbetrag von über 6 Milliarden € ins gesamt mit einem Landesprogramm in Höhe von 10 Millio nen € zu kompensieren.
Aber wir erreichen mit unserem Landesprogramm insbeson dere benachteiligte Jugendliche, und zwar durch die begleite te Ausbildung, die wir ausgebaut haben, sodass wir jetzt an 14 Standorten im Land Ausbildungsplätze im Rahmen der be gleiteten Ausbildung zur Verfügung stellen können. Wir bie ten Frauen und vor allem jungen Müttern, die noch keine Aus bildung abschließen konnten, die Möglichkeit der Teilzeitaus bildung an. Wir erreichen damit insbesondere auch junge Mi grantinnen und Migranten, gerade mit der begleiteten Ausbil dung, und wir haben mit dem Passiv-Aktiv-Transfer ein Ins trument zur aktiven Teilhabe am Arbeitsmarkt geschaffen.
Ich denke, wenn es uns gelingt, mit diesen Mitteln Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauszubringen und in sozi alversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse überzu leiten und damit gleichzeitig Potenziale in dem Sinn zu akti vieren, wie ich es gerade auf die Frage von Herrn Abg. Hauß mann hin geschildert habe, dann haben wir arbeitsmarktpoli tisch einiges erreichen können.
Ich habe eine weitere Frage. Wie bewerten Sie die Initiativen der Bundesregierung, z. B. das Programm „Perspektive 50plus – Beschäftigungspakete für Ältere in den Regionen“, das Modellprojekt „Bürgerarbeit“ oder das Programm „Netzwerk wirksamer Hilfen für Allein erziehende“? Ich gehe davon aus, dass Ihnen diese Initiativen der Bundesregierung bekannt sind.
Würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass die Politik der Bundesregierung unter Führung von Angela Merkel ein Beitrag dazu ist
(Vereinzelt Heiterkeit – Zurufe: Trotz der CDU! – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Wer hat die Reform gemacht?)
Offensichtlich, Herr Abg. Schreiner, sind Sie schon früher im Bundestagswahlkampf modus als ich. Natürlich sind mir die genannten Programme zur Bürgerarbeit oder „Perspektive 50plus“ bekannt.
Aber ich möchte an dieser Stelle der Vollständigkeit halber am Rande noch erwähnen, dass diese Programme aus dem Hause von der Leyen stammen. Bislang hat das Programm „Perspektive 50plus“ noch nicht den erwarteten Erfolg. Das hängt nicht unbedingt nur mit dem Programm zusammen, son dern es hängt natürlich auch mit der Einstellung der Arbeit geber zu älteren Arbeitnehmern zusammen. Ich finde, hier gibt es noch etlichen Handlungsbedarf, den Bedarf, zu erkennen, dass auch ein Arbeitnehmer, eine Arbeitnehmerin, der bzw. die zur Altersgruppe „50 Jahre plus“ gehört, noch große Po tenziale in ein Unternehmen, in eine Firma einbringen kann. Ich würde mir wünschen, dass wir neben den Programmen auch aufseiten der Arbeitgeber mehr Bewegung hätten.
Sehr geehrte Frau Mi nisterin, Sie haben das Landesarbeitsmarktprogramm BadenWürttemberg angesprochen. Erklärtes Ziel im Landtagswahl kampf – es steht auch im Koalitionsvertrag – war, mit dem Landesarbeitsmarktprogramm 500 Stellen im sogenannten so zialen Arbeitsmarkt zu schaffen; das haben wir im Übrigen immer kritisiert. Jetzt stellt sich heraus, dass diese 500 Stel len – das begrüßen wir durchaus – im ersten Arbeitsmarkt ab gebildet werden. Uns würde interessieren: Woher kam dieser Erkenntniswandel, 500 Stellen nicht in einem sozialen Ar beitsmarkt, sondern im ersten Arbeitsmarkt zu schaffen?
Herr Abg. Haußmann, mir ist nach wie vor nicht klar, was man dagegen haben kann, Menschen wieder in Arbeit bringen zu wollen.
Angelegt war das Landesarbeitsmarktprogramm auf den Pas siv-Aktiv-Transfer; 500 Stellen sollten in erster Linie in der freien Wirtschaft besetzt werden. Wir wollen eine Beschäfti gung der Betreffenden möglichst nah am ersten Arbeitsmarkt bzw. im ersten Arbeitsmarkt; entsprechend wurde ausgeschrie ben.
Mittlerweile können wir feststellen, dass ganz unterschiedli che Zwischenergebnisse vorliegen. Beispielsweise sind in
Mannheim alle Stellen in der Privatwirtschaft besetzt. Ande re Stadt- und Landkreise, die sich bislang vielleicht nicht so stark engagiert haben, sind noch nicht so weit. Deswegen haben wir eine Frist bis zum 31. März eingeführt. Ab dem 31. März können diese Plätze auch von Sozialunternehmen in Anspruch genommen werden, wenn es in der Privatwirtschaft keine entsprechende Möglichkeit gibt. Wichtig ist, dass die Menschen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Wichtig ist, dass sie dabei begleitet und nicht al leingelassen werden, um Drehtüreffekte zu vermeiden.