Der Bund der Steuerzahler ist vielleicht nicht unverdächtig, aber vielleicht ist Ihr Parteivorsitzender Sigmar Gabriel un verdächtig. Dieser hat nämlich festgestellt: Die Kombination aus Steuertarif und Abschaffung des Ehegattensplittings, was die Grünen beschlossen haben, wäre falsch, das wäre eine Be lastung von Mittelstand und Mittelschicht. Also auch Herr Ga briel, Ihr Wunschkoalitionspartner, kritisiert diese Beschlüs se, meine Damen und Herren.
(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Wo er recht hat, hat er recht! – Zurufe von der SPD, u. a.: Stimmt doch gar nicht!)
Auch aus der eigenen Partei gibt es solche Stimmen – Inter view mit dem Deutschlandradio: Die Finanzexpertin der Grü nen, Christine Scheel, „warnt vor Substanzbesteuerung im Wahlprogramm der Grünen“.
Ich will das wiederholen. Frau Scheel stellt fest: „Es gibt im Wahlprogramm der Grünen diese Substanzbesteuerung.“ Da kann Herr Kretschmann so viel Lyrik in die Präambel schrei ben, wie er will.
Und der Oberbürgermeister von Tübingen – in diesem Haus auch nicht unbekannt – braucht mittlerweile auf dem eigenen Parteitag Polizeischutz, so, wie mit ihm umgegangen worden ist.
Ich kann Ihnen nur sagen: Ich will den Oberbürgermeister von Tübingen gern einmal zu einem unserer Parteitage einladen. Ich garantiere ihm, er wird dort besser behandelt als bei sei ner eigenen Partei, den Grünen.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)
Meine Damen und Herren, nicht die FDP/DVP, sondern ein Steuerrechtsexperte hat festgestellt, dass nach Ihren Beschlüs sen in Westdeutschland lebende Ehepaare mit zwei Kindern bereits ab einem monatlichen Bruttolohn von 5 151 € mehr Steuern zahlen müssen. Das trifft die Mitte der Gesellschaft. Die und nicht die Superreichen treffen Sie.
Ein Ehepaar, das ein Einkommen von 10 600 € im Monat hat, hat einen Steuernachteil von 7 200 € im Jahr. Das trifft die
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Zurufe von den Grünen – Glocke der Präsi dentin)
Die Farbe der Leistungsfeindlichkeit ist grün. Denn wenn SPD und Grüne mit diesen Parteitagsbeschlüssen die Chance er halten, nach der Bundestagswahl einen Koalitionsvertrag aus zuhandeln, dann ist der Mittelstand in Baden-Württemberg am Ende, und die Mittelschicht stellt ihre Arbeit ein, weil es sich nicht mehr lohnt, meine Damen und Herren.
Herr Ministerpräsident, ich hoffe sehr, dass Sie nach all die sen Irrfahrten à la Odysseus in den letzten vier Wochen jetzt die Gelegenheit nutzen, von diesem Pult aus zu erklären, was jetzt gilt,
was Ihre Position ist, was Sie vertreten, was Sie mitmachen und wo Sie die Interessen der baden-württembergischen Be völkerung und des deutschen Mittelstands sehen. Ich hoffe sehr, dass Sie nicht wieder wie im Fall Cohn-Bendit der De batte ausweichen, weil sie Ihnen unangenehm ist. Hier ist der Ort, Ihre persönliche Position und die Ihrer Landesregierung zu erklären.
Frau Präsidentin, meine sehr verehr ten Damen und Herren! Der Ministerpräsident des Landes Ba den-Württemberg schreibt. Er schreibt zunächst einen Brief – daran wäre gar nichts auszusetzen; auch inhaltlich nicht –
am 13. April, und alle in Baden-Württemberg freuen sich. Er erhält Lob vonseiten des Mittelstands, weil er für den Mittel stand eintritt. Das war vor dem Parteitag der Grünen.
Dann spricht der Ministerpräsident des Landes Baden-Würt temberg. Er spricht aber nicht etwa mit den Linken innerhalb der Grünen oder mit anderen Gruppierungen, um für eine Mehrheit für seine Auffassung zu werben, sondern er spricht mit der Redaktion der „Süddeutschen Zeitung“.
Dort stellt er fest – erneut – und warnt davor, dass durch die Anhebung des Spitzensteuersatzes der Mittelstand geschröpft werden könnte.
Interessanterweise erfolgt noch am selben Tag – oder sogar schon wenige Tage zuvor, nämlich nach dem Brief – die Ant wort des Parteivorsitzenden der Grünen, Jürgen Trittin:
Diese Warnungen erübrigen sich schon deshalb, weil im Programm nur Dinge stehen, die wir gemeinsam be schlossen haben.
(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Hört, hört! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das versteht niemand mehr!)
Dann kommt eine weitere Phase: Der Ministerpräsident schweigt. Er fährt auf den Parteitag, er wirbt nicht, er bringt keine Anträge ein; er schweigt. Er schweigt bis zum Ende des Parteitags, und dann – oh Wunder –: Der Ministerpräsident lobt.
Er lobt den Parteitagsbeschluss, er lobt, dass die Partei die richtige Balance gefunden habe, und er lobt diese Beschlüs se, die der Kollege Rülke schon erläutert hat.
Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, und wir schenken den Leuten reinen Wein ein und beschließen eben auch unangenehme Dinge, wie etwa Steuern zu er höhen.
Eine Woche später – vor Wirtschaftsvertretern – hört sich die Sache schon wieder anders an. Zwar komme man um Steuer erhöhungen nicht herum, doch müsse man das jetzt irgendwie in die richtige Balance bringen. „Jetzt lassen wir mal dahin gestellt, ob uns das vollkommen gelungen ist.“ So das Zitat des Ministerpräsidenten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bewertung ist doch Ihnen zu überlassen. Sieht so aufrichtige Politik aus? Wollen Sie so das Vertrauen der Menschen gewinnen? Wo wa ren Ihre Bedenken auf dem Grünen-Parteitag? Wo war auf dem Parteitag Ihre starke Stimme gegen die drohenden Mehr belastungen für die Menschen? Wo waren Ihre Änderungsan träge? Wo war all das, als es darauf angekommen ist, als Sie noch etwas hätten verändern können?
Leider muss man sagen, dass Ihnen in der entscheidenden Si tuation wieder einmal die Durchsetzungsfähigkeit und der Wille gefehlt haben.
Dann wird so getan, als ob es nur um Spitzensteuersätze gin ge und als ob die Beschlüsse nur wenige betreffen würden. Schauen wir uns doch einmal die Wahrheit an.