Sehr geehrter Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Ist heute Ihr großer Tag, Herr Minister Stoch? Zum ersten Mal hatten Sie heute die Gele genheit, in Ihrem Premierenstück konkrete Aussagen zur Bil dungspolitik zu formulieren. Sie hatten die Gelegenheit, sich nicht nur zu technischen Fragen der regionalen Schulentwick lung zu äußern, nein, auch Leitlinien aufzuzeigen, wie die Qualitätsentwicklung an allen Schularten funktionieren könn te. Da kann ich nur sagen: Fehlanzeige!
Sie versuchen mit Ihrer Regierungserklärung und auch mit Ih rem Konzept zur regionalen Schulentwicklung das zu repa rieren, was Sie selbst angerichtet haben.
Deswegen darf ich einen kurzen Blick zurückwerfen. Kolle ge Kern hat es bereits angesprochen: Durch die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung – ich sage das aus drücklich – haben Sie das Schulsterben im ländlichen Raum rasant beschleunigt. Ich darf das einmal belegen, weil immer wieder auch Gegenteiliges behauptet wird.
Anschauungsunterricht nennt man das in der Schule. Sie se hen hier auf diesem Schaubild die Schülerzahlentwicklung seit dem Schuljahr 2003/2004. Übergangszahlen von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen: Gymnasium aufsteigend, Realschule leicht aufsteigend.
Bei der Werkrealschule sind die Zahlen absteigend. Aber es wird sehr deutlich, dass es seit dem Regierungswechsel zu ei nem rasanten Einbruch bei den Übergangszahlen auf die Werkrealschulen gekommen ist. Die Übergangszahlen auf die Werkrealschulen sind um 50 % eingebrochen. Das hat doch mit demografischer Entwicklung überhaupt nichts zu tun, son dern das ist eindeutig gewollte Politik, die sich hier abzeich net.
Ich möchte eine zweite These endlich widerlegen. Herr Kern hat dies ebenfalls zu Recht angesprochen. § 30 des Schulge setzes, den Sie zitieren, zeigt doch genau die Wege auf, die jetzt Ihr vermeintliches Konzept darlegt. Auch hier möchte ich einfach einmal den Blick auf das lenken, was sich in den letzten Jahren abgezeichnet hat. Im Schuljahr 2004/2005 gab es 1 205 Hauptschulen bzw. Werkrealschulen alten Typs. Zum Schuljahresbeginn 2011/2012, wenige Jahre später, gab es be reits 311 Hauptschulen weniger.
Diese Schulstandorte sind nicht geschlossen worden, weil das Kultusministerium durch das Land gezogen wäre und gesagt hätte: Ihr müsst Schulen schließen, weil sie zu klein sind. Nein, das geschah, weil es damals eine Vereinbarung mit den
kommunalen Landesverbänden gab, in der man sich darauf verständigt hat, die vernünftige Mindestgröße einer Haupt schule betrage 85 Schülerinnen und Schüler. Das war damals mit dem Gemeindetag und dem Städtetag vereinbart worden. Alle Schulen, die hinsichtlich der Schülerzahl kleiner sind, machen irgendwann einmal im Hinblick auf die pädagogische Zweckmäßigkeit keinen Sinn mehr.
Natürlich hat die Schulverwaltung auch damals moderiert. Das ist doch nichts Neues. Aber die Freiwilligkeit war ent scheidend, meine Damen und Herren.
Keiner der Schulträger dieser 311 Schulen musste gezwungen werden, den Schulstandort zu schließen. Deswegen hat eine vernünftige, an der Basis orientierte Schulentwicklung bereits in den letzten Jahren stattgefunden. Wenn Sie etwas anderes behaupten, dann entspricht das schlicht und einfach nicht der Wahrheit.
Dann haben Sie die Gemeinschaftsschule eingeführt. Mit die ser Einführung suggerierten Sie von Anfang an, dass dadurch im ländlichen Raum Schulstandorte gesichert werden könnten.
Dabei haben Sie rasch bemerkt, dass das pädagogische Kon zept offensichtlich nicht überall verfängt.
Zur Gemeinschaftsschule gibt es nach wie vor noch viele of fene Fragen. Sie haben mit ihr falsche Erwartungen geweckt. Mittlerweile haben von den 87 Gemeinschaftsschulen, die Sie in der zweiten Tranche genehmigt haben, 50 Schulen weniger als 40 Schüler pro Jahrgang.
Jetzt frage ich Sie, Herr Minister – Sie sprechen in Ihren Eck punkten von Ausnahmen –: Sind das alles Ausnahmen, die Sie auch in Zukunft genehmigen wollen,
Damit tritt eine Kannibalisierung im ländlichen Raum ein, weil der Überlebenskampf der Gemeinschaftsschulen bereits von Anfang an stattgefunden hat. Hat das etwas mit fairem Wettbewerb zu tun?
Um zu meiner Anfangsfrage zurückzukehren: Nein, Herr Mi nister, heute ist nicht Ihr großer Tag. Von einer ausgewogenen
Nun zum Konzept selbst: Sie sprechen immer nur von den po litischen Ebenen, die man einbinden muss. Wo sind denn die eigentlich Betroffenen in Ihrem Dialogprozess? Wo sind denn die Schulen selbst, beispielsweise die beruflichen Schulen, die Sonderschulen, die Privatschulen, wo sind die Eltern, die Ver treter der Wirtschaft? Diese führen Sie lediglich unter „Sons tiges“ auf. Systematisch sind sie jedoch in Ihrem Prozess von Anfang an gar nicht vorgesehen.
Als Zweites möchte ich anführen – das möchte ich auch in Ih re Richtung sagen, Herr Kollege Lehmann –: Ihnen müsste ei gentlich das Herz bluten,
dass sich überhaupt nichts von den Handlungsempfehlungen der Enquetekommission, die Sie in der letzten Legislaturpe riode mitgestaltet haben, in diesem Konzept wiederfindet, überhaupt nichts.
In dieser Enquetekommission, in der es um die Weiterentwick lung der beruflichen Schulen ging, hat man gesagt, dass sich die bisherige Schulentwicklung außerordentlich bewährt ha be, dass man eine Weiterentwicklung sehr sorgsam vorneh men müsse, dass man die beruflichen Schulen sehr unter schiedlich behandeln müsse und man einen besonderen Blick auf die kleinen Schulstandorte werfen müsse, weil es auch da rum geht, Ausbildungsplätze in der dualen Ausbildung bereit zustellen. Das heißt, man hat empfohlen, eine dynamische Standortentwicklung für die beruflichen Schulen vorzuneh men. Das Einzige, was Sie mit diesem wichtigen Bereich ei nes differenzierten Bildungssystems tun, ist, dass Sie die be ruflichen Schulen einfach in eine ominöse zweite Säule hin einpacken. Ansonsten gehen Sie auf die beruflichen Schulen in Ihrer Rede überhaupt nicht ein. Das ist im besonderen Maß ein Armutszeugnis, meine Damen und Herren.
Dabei müssten Sie ja wachgerüttelt werden. Denn die beruf lichen Schulen leisten gerade im ländlichen Raum einen maß geblichen Beitrag zur Sicherstellung der Arbeitsplätze. Von der IG Metall – das lief damals über alle Presseorgane – wur de am 18. März dieses Jahres berichtet – ich zitiere –:
Vor allem besteht dort die große Sorge darüber, dass GrünRot nur daran denkt, in Richtung Abiturientenquote etwas zu
tun, aber die Fachkräfte überhaupt nicht im Blick hat. So hat die IG Metall Sie kritisiert. Recht hat die IG Metall. Denn in Ihrer regionalen Schulentwicklungsplanung machen Sie ge nau das Gegenteil von dem, was Sie verkünden, meine Da men und Herren.
Nun zum Gedanken der Inklusion; Sie sprechen etwas lyrisch vom „Gedanken der Inklusion“. Sie sprechen auch davon, dass Sie die Inklusion in einem „gesonderten Verfahren“ behan deln wollen. Meine Damen und Herren, um das auch in aller Deutlichkeit zu sagen: Wir alle sind rechtlich dazu verpflich tet, den Prozess der Inklusion voranzubringen.
Aber man kann doch nicht auf der einen Seite bei allen Re gelschulen dafür werben, dass sie sich dafür öffnen, auch Kin der mit unterschiedlichen Behinderungen aufzunehmen, und auf der anderen Seite gleichzeitig sagen, das spiele zunächst einmal in der regionalen Schulentwicklung überhaupt keine Rolle. Denn hier haben wir es natürlich massiv damit zu tun, dass sich Schülerströme verändern. Gerade die Inklusion wird zu veränderten Schülerzahlen in den Grundschulen, in den Werkrealschulen und anderen Schularten führen. Das blenden Sie einfach aus. Das ist ein zentraler Punkt, den wir von An fang an mitberücksichtigen müssen. Das verschieben Sie ein fach auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, und das ist auch nicht verantwortlich, gerade im Hinblick auf diesen wichtigen Auf gabenbereich, den Sie sich selbst auf die Fahnen geschrieben haben.