Antrag der Fraktion der CDU und Stellungnahme des Mi nisteriums für Kultus, Jugend und Sport – Nutzen starre Vorgaben einer landesweiten Neuordnung der Schulstand orte? – Drucksache 15/2188 (geänderte Fassung)
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat folgende Rede zeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, mei ne sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ministerpräsident ist nicht der Tausendsassa der Regierung. Das hat er selbst in einer Pressekonferenz am 9. Juli gesagt. Das hat aber auch niemand von ihm erwartet. Es wäre auch ein bisschen viel verlangt, ein Tausendsassa zu sein.
Dass er aber ein bisschen Bescheid darüber weiß, was sich in seiner Regierung abspielt, das könnte man schon erwarten. Er wäscht jedoch seine Hände in Unschuld. In der „Südwest Presse“ vom 10. Juli heißt es, er würde sich im Nachhinein und mit „nacheilendem Entsetzen“ von Peter Fratton distan zieren, von dem Mann, der dem Kultusministerium bei der Einführung der Gemeinschaftsschule beratend zur Seite stand. Ich finde, es mutet schon seltsam an, dass der Ministerpräsi dent Herrn Fratton angeblich überhaupt nicht gekannt habe und dass sich ihm angesichts dessen antipädagogischer The sen angeblich die Haare sträubten.
Meine Damen und Herren, ich spreche das aus folgendem Grund an: Zwei Jahre lang hat die Regierung versucht, dem ganzen Land weiszumachen, es gäbe einen pädagogischen Grund für die Einführung der Gemeinschaftsschule. Herr Frat ton hat dazu den theoretischen Überbau geliefert. Die ehernen Ziele lauteten: „Chancengerechtigkeit“, „Kein Kind soll ver loren gehen“, „Jeder soll sein Potenzial ausschöpfen können“ usw.
Meine Damen und Herren, davon ist nicht mehr viel übrig ge blieben. Diese Seifenblase ist geplatzt. Peter Fratton ist weg, und mit ihm die vorgeschobenen ideellen Gründe für eine Ge meinschaftsschule.
Jetzt geht es anscheinend nur noch um Schulstandorte, um nackte Zahlen und um das Einsparen von Lehrerstellen. Das Wettrennen der Schulträger zur Rettung ihres jeweiligen Schulstandorts wird munter angeheizt. Offene Konkurrenz soll ausbrechen. Der Stärkere setzt sich halt durch. Pädago gik spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Nur noch die individuelle Förderung – ein Vorwand – wird immer wieder hervorgehoben.
Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion ist davon über zeugt, dass die individuelle Förderung eine Unterrichtsmetho dik ist, die bei jeder Schulart notwendig und bei jeder Schul art möglich ist. Dazu muss man das differenzierte Schulsys tem aber nicht zerschlagen.
Dass Sie aber genau das vorhaben, schreiben jetzt schon die Lokalzeitungen. Jedenfalls konnte ich das in der „Leonberger Kreiszeitung“ vom 13. Juli lesen. Herr Wahl und Frau Wölf le sind offenbar in Weil der Stadt bei einer Veranstaltung zur Gemeinschaftsschule gewesen und haben gefordert, dass die Schulen jetzt in einen Wettbewerb und in einen offenen Kon kurrenzkampf eintreten sollen.
Sie setzen also ganz bewusst – das erzählen Sie auch in den Kommunen – auf die Kannibalisierung der Standorte.
Sie schaffen erst die verbindliche Grundschulempfehlung ab. Dann verteilen Sie 129 sehr gut ausgestattete Gemeinschafts schulen im ganzen Land und überlassen die übrigen Schulen einfach ihrem Schicksal. So stellt sich das dar, meine Damen und Herren.
Unser Antrag, der heute auf der Tagesordnung steht und mit dem wir einmal nachgefragt haben, wie Sie sich eine regio nale Schulentwicklungsplanung vorstellen, ist jetzt exakt ein Jahr alt. Auf unsere zehn Fragen haben wir in vier Zeilen die Antwort bekommen, dass man nichts sagen kann,
obwohl der Ministerpräsident damals schon sagte, demnächst müsse ein Konzept vorgelegt werden, wie eine regionale Schulentwicklungsplanung aussehen könnte. Erst im Mai die
ses Jahres – also ein Dreivierteljahr später – hat der Minister hier in einer Regierungserklärung ein paar Eckdaten genannt. Wir wissen jetzt: 40 Schülerinnen und Schüler in Klasse 5 braucht man für die Bildung einer Gemeinschaftsschule. Für die allgemeinbildenden Gymnasien haben Sie die Latte höher gehängt; da sind es dann 60 Schülerinnen und Schüler.
Diese Eckpunkte – das muss ich wirklich sagen – können we der uns noch die Kommunen im ländlichen Raum zufrieden stellen. Denn sie sind starr und bürokratisch. Sie blockieren regelrecht eine ernsthafte regionale Schulentwicklung, jeden falls, wie wir uns diese vorstellen. Mit solchen starren Vorga ben
Herr Minister, Sie haben es in Ihrer Regierungserklärung im Mai selbst gesagt: 34 % der Baden-Württemberger leben im ländlichen Raum. Von den 1 101 Gemeinden kann man 655 dem ländlichen Raum zuordnen. Sie müssten es doch selbst wissen: Die ländlichen Räume sind alle sehr, sehr unterschied lich. Darüber kann man nicht einfach eine einheitliche Scha blone legen; man kann sie nicht alle gleich behandeln. So ma chen Sie den ländlichen Raum jedenfalls völlig platt.
Man kann meinen, Sie seien derselben Auffassung wie der SPD-Chef: Da kann ruhig einmal – auch im schulischen Sinn – ein Tal zuwachsen.
Wenn Sie sich an Ihre eigenen Vorgaben halten wollten, dann müssten Sie eigentlich von den 129 Gemeinschaftsschulen, die Sie genehmigt haben, 56 wieder schließen.
(Lachen des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm und Abg. Ulrich Müller CDU: So ist es! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das muss man sich einmal vorstellen! Das sind über 40 %!)
Denn bei 56 bleiben die Anmeldezahlen unter der Zahl von 40 Schülerinnen und Schülern in Klasse 5; diese Zahl haben Sie im Nachhinein vorgegeben. Es macht doch keinen Sinn, erst einmal schnell zu genehmigen und dann wieder zu schlie ßen.
Da fühlen sich doch Schulleiter und Lehrer, Bürgerinnen und Bürger, Gemeinderäte, Eltern und Schüler völlig an der Nase herumgeführt. Sie zäumen das Pferd von hinten auf.
Was hat es denn mit diesen 60 Schülerinnen und Schülern für neu zu genehmigende allgemeinbildende Gymnasien auf sich? Sie wollen uns doch nicht weismachen, dass Sie bei rückläu
Bereiten Sie damit die Schließung der kleinen Gymnasien im ländlichen Raum vor? Oder wollen Sie das Netz der berufli chen Gymnasien gefährden,
indem Sie dann den Gemeinschaftsschulen eine gymnasiale Oberstufe obendrauf setzen? Professor Bohl aus Tübingen hat Ihnen ja deutlich ins Stammbuch geschrieben: Die Gemein schaftsschule funktioniert nur, wenn auch Kinder mit Gym nasialniveau dabei sind.