Die Umsetzung des längeren gemeinsamen Lernens in der Ge meinschaftsschule ist somit keine Kostengefahr, sondern ei ne Zukunftsinvestition, meine Damen und Herren.
Aber wenn Sie über Kostengefahren reden wollen, dann kön nen wir gern beispielsweise über die Senkung der Steuern für das Hotelgewerbe – mittlerweile über 1 Milliarde € – reden oder vielleicht besser noch über das Betreuungsgeld; das macht deutschlandweit einen Gegenwert von 70 000 bis 80 000 Lehrerstellen aus. In Baden-Württemberg brauchten wir dann die Diskussion über den Abbau von Lehrerstellen nicht mehr zu führen.
Aber, meine Damen und Herren, ich will nicht ganz ungerecht oder unfair sein. Mit der zuständigen Bundesministerin ist mir zumindest eine Person bekannt, mit der ich mich in puncto Betreuungsgeld anfreunden könnte.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Jetzt hat er so langsam geschwätzt!)
(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das nächste Mal Herr Dr. Fulst-Blei! – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Er wiederholt sich immer! Dann kann man es lernen!)
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Herr Kollege Kleinböck, Sie haben behauptet, Baden-Württemberg hätte einen erheblichen An teil daran, dass es bundesweit viele Schulabbrecher gebe. So ein Blödsinn!
(Abg. Gerhard Kleinböck SPD: Prozentmäßig, Herr Kollege! Nicht die absolute Zahl! – Gegenruf des Abg. Volker Schebesta CDU: Prozentmäßig natür lich! Wir haben im Land die besten Werte! – Zuruf des Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP)
Denn wir sind überaus skeptisch, ob sich die zahlreichen Heilsversprechen, die die grün-rote Landesregierung an ihr ideologisches Lieblingsprojekt im Bildungsbereich knüpft, in der Realität auch tatsächlich bewahrheiten.
Wir kritisieren in diesem Bereich, dass Sie wieder einmal viel zu schnell und schlecht vorbereitet vorgegangen sind. Die Ge meinschaftsschule wurde von Grün-Rot auf die Gleise gesetzt, ohne dass es einen Bildungsplan gegeben hätte, ohne dass es auch nur annähernd ausreichende Lehrerfortbildungsangebo te gegeben hätte, ohne dass es ein Konzept für eine regionale Schulentwicklung gegeben hätte, ohne dass es ein Konzept für die vorgesehene Inklusion an den Gemeinschaftsschulen gegeben hätte, ohne dass man dieses anspruchsvolle, hoch in dividualisierte pädagogische Konzept einmal an einigen Mo dellschulen einem Praxistest unterzogen hätte.
Ich bin im Übrigen auch nicht der Auffassung, dass wir die Folgen dieses überhasteten Vorgehens erst in ein paar Jahren zu spüren bekommen, sondern ich bin mir sicher, dass wir in Baden-Württemberg noch deutlich vor der kommenden Land tagswahl werden konstatieren müssen, dass die Gemein schaftsschule so, wie Sie sie auf die Gleise gesetzt haben, eben nicht zu den Ergebnissen führen wird, die Sie sich erhoffen.
Wie im wirklichen Leben sollte man auch in der Bildungspo litik keine Lieblings- und keine Stiefkinder haben. Grün-Rot handelt im Bildungsbereich aber genau so: Sie privilegieren einseitig Ihr ideologisches Lieblingskind gegenüber allen an deren Schularten.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! – Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)
Das kann ich Ihnen beweisen, Herr Kollege Lede Abal. Pas sen Sie gut auf. – Eine Klasse der Gemeinschaftsschule erhält aus dem Teilungsstundenpool 3,3 Lehrerwochenstunden, aus dem Förderungs- und Differenzierungspool zwei Lehrerwo chenstunden, aus dem Pool für besondere pädagogische Auf gaben zwei Lehrerwochenstunden, als Anschub einmalig drei Lehrerwochenstunden in Stufe 5 sowie fünf oder zwei Leh rerwochenstunden als Ganztagsschule in gebundener Form, abhängig davon, ob drei oder vier Tage Ganztagsbetrieb ist. In der Summe sind das also 15,3 Lehrerwochenstunden zu sätzlich in Stufe 5
mit vier Tagen ganztags bzw. 12,3 Lehrerwochenstunden zu sätzlich in Stufe 5 mit drei Tagen ganztags.
Jetzt der Vergleich zur Werkrealschule oder zur Hauptschule: eine zusätzliche Zuweisung aus dem Teilungsstundenpool von 3,6 Lehrerwochenstunden, aus dem Pool zur Differenzierung und Förderung zwei Lehrerwochenstunden sowie fünf Leh rerwochenstunden je Klasse als Ganztagsschule in gebunde
Darüber hinaus beträgt der Klassenteiler bei Hauptschulen, Werkrealschulen, Realschulen und Gymnasien 30 Schülerin nen und Schüler. Einzig bei der Gemeinschaftsschule sind das 28 Schülerinnen und Schüler.
Es ist also eine glasklare Privilegierung der Gemeinschafts schule gegenüber allen anderen Schularten,
das steht außer Frage, sowohl bezüglich des Klassenteilers als auch bezüglich der zusätzlich zur Verfügung stehenden Leh rerwochenstunden. Dass die zusätzlichen Aufwendungen für den Schulhausbau in erster Linie die Kommunen treffen, ist klar, aber über die Schulbauförderung trifft es auch das Land.
Vieles von dem, was für die Gemeinschaftsschule zusätzlich gebaut und eingerichtet wird, wie Gruppenräume, Ateliers, Anpassen an die Bedingungen mit inklusivem Unterricht und anderes, ist von der Sache her nicht zu kritisieren. Denn die se Investitionen wären auch sonst notwendig, z. B. für an Ganztagsangebote angepasste Maßnahmen oder für die Schaf fung geeigneter Bedingungen für inklusiven Unterricht.
Wir, die FDP/DVP, kritisieren aber deutlich, dass dies jetzt vorgezogen wird und schnell bei den Gemeinschaftsschulen erfolgt, während der angekündigte Ausbau der anderen Schul arten zu Ganztagsschulen und Schulen mit inklusivem Unter richt eben nicht in die Gänge kommt. Das ist die Ungleichbe handlung bei diesen unterschiedlichen Schularten.
Herr Kollege Kern, Sie ha ben die Zahlen eindrucksvoll dargelegt. Jetzt habe ich die Fra ge: Wo, glauben Sie, ist die Heterogenität größer, in Jahr gangsstufe 5 einer einzügigen Gemeinschaftsschule oder in Jahrgangsstufe 5 einer drei- bis vierzügigen Realschule? Wel che Maßnahmen würden Sie vorschlagen, damit diese Chan cenungleichheit ausgeglichen werden kann?
Lieber Kollege Röhm, ich gehe felsenfest davon aus, dass an den Realschulen die Hete rogenität deutlich größer ist. Denn wenn man sich anschaut, welche Schulen bisher tatsächlich Gemeinschaftsschule ge worden sind, dann zeigt sich, dass dies im überwiegenden Fall – bis auf die vier Realschulen – ausschließlich kleine Haupt- und Werkrealschulen sind. Deshalb ist die Heterogenität bei den Realschulen größer. Gerade deshalb wäre es wichtig, dass wir mehr Ressourcen in die Realschulen geben.
Die FDP/DVP fordert vom Kultusminister, die einseitige Be vorzugung einer Schulart gegenüber allen anderen einzustel len. Die Gemeinschaftsschule könnte eine Ergänzung des be stehenden gegliederten Schulwesens in Baden-Württemberg sein. Auch die Pädagogik der Gemeinschaftsschule kann ei ne Ergänzung der bisherigen zahlreichen und vielfältigen Pä dagogikkonzepte sein. Die FDP/DVP fordert deshalb ein Fest halten an der bisherigen Bildungspolitik, die der pädagogi schen Freiheit der Lehrer eine überragende Bedeutung zuge messen hat. Wir lehnen es strikt ab, dass die Landesregierung einer Schulart und deren Lehrern vorschreiben will, wie dort unterrichtet werden soll.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer sichergehen will, dass die Gemeinschaftsschule scheitert, der muss in der Bildungs politik genauso überhastet und konzeptionslos vorgehen, wie Grün-Rot dies bisher getan hat.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, mei ne sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es würde den Debatten hier im Hause, gerade wenn es um Bildungspolitik geht, guttun, wenn wir nicht in Schwarz-Weiß-Malerei ver fallen würden und wenn wir nicht immer von Gefahren, Be drohungen oder Ähnlichem reden würden. Herr Kollege Wa cker, zum Titel Ihres Antrags „Kostengefahr Gemeinschafts schule“:
Man kann darüber diskutieren, ob die Schulen gleich oder un gleich behandelt werden, aber immer gleich von Gefahren zu reden verschärft die Tonlage unnötig. Das wird dem Bildungs system in Baden-Württemberg nicht gerecht.