Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn na türlich auch den Namen von Uli Noll hier nennen, den wir al le als einen überzeugten Liberalen gekannt haben, der seine Positionen nicht taktischen Überlegungen geopfert hat. Ge nauso halten wir es bei diesem Gesetzentwurf. Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen, auch wenn er von den Regie rungsfraktionen kommt und wir jetzt in der Opposition sind.
So selbstverständlich ist das nicht. Deswegen darf auch ich, lieber Herr Sckerl, daran erinnern, dass wir in diesem Jahr ei nen Vorschlag zur Senkung des Quorums auf 25 % auf den Tisch gelegt hatten,
den Sie abgelehnt haben. Vielleicht war das in der Tat die zweitschlaueste Strategie, denn sonst wären Sie heute schon einen erheblichen Schritt weiter. Wir machen es also nicht so; wir machen es anders.
Lieber Herr Ministerpräsident, mir sei bei „so oder anders“ eine kleine Anmerkung gestattet. Sie und diese Regierung ha ben an jeder Stelle, in jedem Grußwort gesagt: „Wir machen es anders. Jetzt kommt die Wende, jetzt kommt der Neuan fang.“ Man kann es manchmal fast schon nicht mehr hören. Jetzt war ich völlig überrascht, als ich heute Morgen in der Zeitung gelesen habe, dass Sie die Zumutungen, die der Rech nungshof kritisiert hat, von denen auch vorhin schon die Re de war, mit den Worten zu rechtfertigen versucht haben: „Das macht jede Regierung dieser Welt so.“
Ich will hierzu nichts weiter ausführen, weil dieses Thema schon heute Morgen hier Gegenstand einer Debatte gewesen ist. Aber wenn ich das einmal kurz übersetze, dann heißt das – jetzt aus Ihrer Sicht –: „Wir orientieren uns bestenfalls an schlechten Gewohnheiten.“ Oder ich könnte auch sagen: Im merhin räumen Sie selbst schon einmal ein, dass Ihre Regie rung jedenfalls nicht besser ist als irgendeine andere Regie rung auf dieser Welt. Vielen Dank für diesen Hinweis.
Damit bin ich wieder beim Gesetzentwurf. Wir werden ihm zustimmen, obwohl die Umstände, unter denen Sie diesen Vorschlag einbringen, natürlich mehr als irritierend sind. Der Zusammenhang mit Stuttgart 21 liegt auf der Hand.
Es ist ein bisschen witzig, zu behaupten, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie einräumen: Es ist offenkundig, dass auf der rot-grünen Seite noch immer eine Mehrzahl von Abgeordneten schlicht und einfach hofft, mit diesem Gesetz Stuttgart 21 zu Fall zu brin gen. Das ist doch eine Tatsache.
Der beste Beweis – das hat Kollege Mack auch angesprochen – ist, dass Sie nicht an das Eingangsquorum, an das Volksbe gehren herangehen. Das ist von Ihnen in den vergangenen Jah ren immer als größtes Hindernis bezeichnet worden. Sie ha ben immer gesagt – dazu gibt es genügend Äußerungen –, es sei zu schwierig, eine Änderung in Bezug auf das Sechstel nach Artikel 59 der Landesverfassung auf die Bahn zu brin gen. Jetzt ist davon gar nicht mehr die Rede. Das ist also ein ganz klarer Hinweis. Sie verfahren deshalb so, weil Sie dies mal eine solche Änderung nicht brauchen, weil Sie das Gan ze im Moment auf eine sehr fragwürdige Art durch ein Gesetz vorbereiten.
Deswegen – weil es da einen Zusammenhang gibt – glaube ich schon, dass man hier ganz klar sagen muss: Wir stimmen diesem Gesetz zu, aber sollte es etwas mit Stuttgart 21 zu tun
haben, dann – das sage ich ganz klar – sind damit natürlich die Argumente nicht weg, dass diese Abstimmung zu Stutt gart 21 rechtswidrig ist.
Die Argumente von Kirchhof und Dolde sind damit nicht ein fach vom Tisch. Deshalb muss ich sagen, wenn ich diese gan zen Umstände – die geplante Volksabstimmung zum Gegen stand Stuttgart 21 und die Art, wie Sie sie ohne Volk auf den Weg bringen –, wenn ich all diese Vorgänge anschaue: Sie bet teln geradezu um eine verfassungsrechtliche Überprüfung vor dem Staatsgerichtshof. Deswegen werden wir weitere Schrit te genau verfolgen, auch wenn es darum heute noch nicht geht. Heute geht es um dieses Gesetz, und dem stimmen wir aus grundsätzlichen Erwägungen zu. Das darf ich schon jetzt an kündigen.
Meine Damen und Her ren, das Wort erteile ich der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung Erler.
Ich bin neu in dieser Rolle. Das Plenum ist für mich neu. Ich habe schon viel und oft gesprochen, aber noch nie vor Ihnen. Ich hoffe, dass mir keine weiteren Lapsus passieren.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger oben auf den Rängen, liebe Schülerinnen und Schüler, qua meines Amtes spreche ich auch Sie an.
Qua meines Amtes spreche ich auch sie an. – Die neue Lan desregierung hat sich das Ziel gesetzt, Baden-Württemberg zu einem Musterland und wieder zu einem Vorreiter bei der demokratischen Beteiligung zu machen. Es ist schon öfter an gesprochen worden und ich werde noch darauf eingehen, in welcher Weise wir an diesem Punkt zurückgefallen sind.
Unser Ansatz – da möchte ich auf den Beitrag des Kollegen Mack zurückkommen – ist dabei vielfältig. Mein Amt, das der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, ist ja eingerichtet worden, um genau diese vielfältigen Ebenen der demokratischen Beteiligung im Land zu unterstützen, zu sys tematisieren und zu bündeln. Dabei geht es uns nicht zentral darum, das Land in eine Art permanenter Kulturrevolution, ewig zugespitzter Volksentscheide und Bürgerbegehren hin einzujagen, sondern darum, erst einmal in den Kommunen und den Regionen die Grundlagen für mehr Bürgerbeteiligung
vor allem in den Planungsverfahren zu verfestigen. Wir wer den gemeinsam mit den betroffenen Verwaltungen einen Leit faden erstellen, um gewissermaßen die Verfahren zu beschleu nigen und gleichzeitig die Bürger viel besser und viel früher einzubinden.
Ich teile die Meinung von Herrn Geißler, dass es in Zukunft so sein wird: Wenn frühzeitig eingebunden, diskutiert und ge hört wird, wird die Meinungsbildung leichter vorangehen. Dann können wir viele Konflikte einfangen, bevor sie über haupt in Bürgerbegehren und Volksentscheide münden müs sen. Da sind wir uns völlig einig.
Die Änderung der Landesverfassung, die heute hier einge bracht wird, ist also tatsächlich nur ein Baustein – ein wich tiger Baustein –, um mehr Bürgerbeteiligung in einer moder nen Demokratie zu ermöglichen.
Ich möchte an den Artikel anknüpfen, den Kollege Sckerl schon zitiert hat. Dieser Artikel über die Krise der Demokra tie, der gestern in der „Frankfurter Allgemeinen“ erschien, hat eigentlich nur drei Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Die ei ne ist – wir haben das Problem in ganz Europa –: Man macht eine Expertendemokratie kluger Menschen, die immer mehr die Bodenhaftung verlieren und die einen positiven Kontakt zum Volk nur halten können, indem sie einen guten und teu ren Sozialstaat unterhalten. Wenn das nicht funktioniert, fal len sie in Ungnade.
Es gibt auch – das ist das größte Problem – die Alternative der „Berlusconisierung“, der „Putinisierung“, der „Ungarisie rung“, wenn Sie an Ungarn denken. Das ist, glaube ich, nicht das, was wir hier wollen.
Alle Menschen, die über Demokratie nachdenken, sind sich, glaube ich, einig, dass die einzige funktionierende und sinn volle Perspektive darin liegt, die repräsentative Demokratie um partizipatorische Elemente zu ergänzen. Davon reden wir heute bei dieser Verfassungsänderung.
Für mich, die ich neu in diesem Parlament bin, taucht hier dau ernd der Hinweis auf, dass dieses Land Baden-Württemberg – das stimmt ganz ohne Zweifel; das gilt auch für den Öko landbau usw. – in vielem führend war und noch ist, aber in manchen Bereichen zurückfällt und nicht mehr den Spitzen platz einnimmt.
Genauso ist es in puncto Demokratie. Im Jahr 1974 haben Sie hier mit dem Volksentscheid ein wegweisendes Gesetz einge bracht, allerdings eines mit so vielen Restriktionen, dass hier im Unterschied zu anderen Ländern – auch das wurde schon gesagt – der Volksentscheid seit dieser Gesetzesänderung noch niemals umgesetzt wurde. Das ist gewissermaßen ein Auto, das zwar Räder hat, für das das Volk aber keinen Zündschlüs sel hat. Wir haben einen Verfassungsmodus, in dem der Volks entscheid theoretisch enthalten ist – aber nicht als reale Opti on.
Machen Sie sich doch bitte noch einmal klar, dass ein Quo rum von 33 % bedeutet, dass über 60 % der Stimmberechtig ten zu einem Volksentscheid gehen müssen. Alle, die mit sol
chen Quoren Erfahrung haben, wissen, dass bei einem norma len Volksentscheid, der nicht an einem großen Wahltag statt findet, die 40- oder 50-%-Grenze praktisch niemals überschrit ten wird.
Das ist nirgendwo so. Wenn man sagt, man möchte diese Grenze überschreiten, dann kann man nur sagen, man möch te das Instrument nicht. Denn das ist die empirische Erfah rung bei allen Volksentscheiden.
Also geht es darum, eine Volksabstimmung zu ermöglichen, die auch real durchführbar ist. Ich möchte Sie darauf hinwei sen, dass nicht nur das Saarland, sondern auch Brandenburg, Thüringen und andere Länder inzwischen weiter an der Ab senkung ihrer Quoren arbeiten – die ohnehin schon niedriger sind als die Quoren hier bei uns –, weil sie die Demokratie weiter ausbauen wollen.
Das Ziel dieses Gesetzentwurfs ist die Absenkung des Quo rums auf ein Fünftel. Das ist ein großer Unterschied – das möchte ich auch noch einmal sagen – zu einem Quorum von 25 %. Um auf ein Quorum von 20 % zu kommen, müssen – sagen wir einmal – 40 % der Stimmberechtigten zu einem Volksentscheid gehen, und das ist schon ein sportliches Ziel. Um auf 25 % zu kommen, brauchen Sie eine Beteiligung von 50 %, und das ist nicht sehr realistisch. Es geht um einen re alistischen, im Gefüge von Gesamtdeutschland plausiblen Entwurf und nicht um ein Tagesgeschäft. Ein nur kurzfristig angelegtes Quorum, von dem man in drei oder fünf Jahren schon wieder sagt – –
(Abg. Volker Schebesta CDU: Deshalb muss es auch im Verfahren so schnell gehen! – Abg. Winfried Mack CDU: 50 % sind die Mehrheit!)
Noch einmal: Ich argumentiere jetzt von dem Plateau aus, wie in Deutschland und in anderen Ländern mit diesem Inst rument umgegangen wird.
Es ist einfach so: Baden-Württemberg ist kein Zauberland, kein Ausnahmeland, sondern ein ganz normales Land mit ganz normalen Bürgern. Die Bürger stimmen in allen Bundeslän dern in bestimmter Weise ab. Wenn Sie alle Verfassungsent scheide auf einen Wahltag legen, erreichen Sie vielleicht 70 %. Sonst erreicht man – so war es in Bayern, wo das sehr gut funktioniert; so ist es in der Schweiz, wo das Ganze auch sehr gut als Veränderung und Ergänzung der repräsentativen Demokratie funktioniert – vielleicht 40, maximal 50 %. Ein Quorum von 20 % ist heutzutage im Hinblick auf die Entwick lung der normalen parlamentarischen und direkten Demokra tie ein eher hoher Wert.