Protokoll der Sitzung vom 13.07.2011

Es ist einfach so: Baden-Württemberg ist kein Zauberland, kein Ausnahmeland, sondern ein ganz normales Land mit ganz normalen Bürgern. Die Bürger stimmen in allen Bundeslän dern in bestimmter Weise ab. Wenn Sie alle Verfassungsent scheide auf einen Wahltag legen, erreichen Sie vielleicht 70 %. Sonst erreicht man – so war es in Bayern, wo das sehr gut funktioniert; so ist es in der Schweiz, wo das Ganze auch sehr gut als Veränderung und Ergänzung der repräsentativen Demokratie funktioniert – vielleicht 40, maximal 50 %. Ein Quorum von 20 % ist heutzutage im Hinblick auf die Entwick lung der normalen parlamentarischen und direkten Demokra tie ein eher hoher Wert.

Wir sehen unsere Forderung als ein Entgegenkommen an Sie.

(Oh-Rufe von der CDU)

Normalerweise hätten wir – wie es in Bundesländern wie Bay ern der Fall ist – kein Quorum beantragt, weil dies in der de mokratischen Praxis gar nicht nötig ist.

In den Ländern, in denen diese Mittel angewendet werden, herrscht in keiner Weise Chaos.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Der Aspekt der Demagogie bewegt mich persönlich sehr. Als unsere Verfassung von 1948 bis 1951 entwickelt wurde, war das Land zutiefst geprägt, gebeutelt und zerstört durch die vo rangegangenen Zeiten: die gescheiterte Weimarer Demokra tie und den Nationalsozialismus. Man und frau hatten damals tatsächlich Angst, dass das deutsche Volk im Rahmen von Volksabstimmungen verführbar für populistische und gefähr liche Argumente und Entscheidungen sei.

Die heutige Demokratie hat ein anderes Problem: Sie droht von innen zu vertrocknen. Die Menschen verabschieden sich, haben kein Vertrauen mehr. Wenn wir wieder eine Demokra tie wollen, die funktioniert, müssen wir – auch das wurde ge sagt – das Vertrauen wiederherstellen.

Ganz wichtig ist doch: Wir haben hier kein Quorum für dem agogische, verfassungsfeindliche Entscheidungen. Jeder Volks entscheid, jede Volksabstimmung muss erst einmal auf die Verfassungsmäßigkeit hin geprüft werden. Wir können, wol len und würden den Bau von Minaretten nicht verbieten las sen und verfassungsfeindliche Elemente – unabhängig davon, aus welcher Richtung – in Volksabstimmungen nicht zulas sen.

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Es ist sehr wichtig, dass Sie dies im Land kundtun. Sie alle wissen das. Das heutige Argument ist falsch.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Volksentscheide heutzutage grundsätzlich mit Demagogie gleichzusetzen oder in ihre Nähe zu bringen, ist eigentlich – pardon – wirklich populistisch und billig.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

In Deutschland ist seit der Wiedervereinigung viel passiert. Von Baden-Württemberg wurde vieles abgeschaut. In den neu en Bundesländern wurden Elemente unserer Demokratie in vielen Kommunalverfassungen übernommen. Viele neue Bun desländer sind in ihrer Verfassung gleich einen Schritt weiter gegangen. Es waren immer CDU-geführte Regierungen, die diese Aspekte am weitesten vorangetrieben haben. Das möch te ich an dieser Stelle auch festhalten.

(Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Deswegen bin ich verwundert. Es stimmt, dass die jetzige Dis kussion auch Bezüge zu Stuttgart 21 aufweist.

(Zuruf von der CDU: Jetzt kommt es heraus!)

Wer das nicht sieht, wäre blind. Aber es stimmt auch, dass die se Diskussion in diesem Land – wenn ich es richtig verfolgt habe – 15 Jahre alt ist. Es kam immer wieder auf den Punkt, dass Enquetekommissionen und das Ausloten nicht mehr not wendig sind. Es ist ganz klar, worum es geht.

Ich bin der festen Ansicht, dass das Thema Volksinitiative und das Gesamtpaket Volksbegehren auch in diesem Haus wieder

auf den Tisch kommen werden. Aber im Moment geht es um die Absenkung des Zustimmungsquorums für eine Volksab stimmung. Wie die FDP/DVP mitgeteilt hat, wird sie diesem Gesetzentwurf aus grundsätzlichen Erwägungen zustimmen.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Meine Damen und Herren von der CDU, ich bitte Sie – auch wenn ich glaube, dass Sie es nicht tun; aber ich fände es sehr gut –, dieses Thema heute mitzutragen.

(Abg. Tanja Gönner CDU: Keine Volksabstimmung zu Stuttgart 21!)

Sie wissen genauso gut wie wir, dass diese Verfassungsände rung in Baden-Württemberg kommen wird. Im Rahmen einer demokratischen Perspektive gibt es keine sinnvolle Begrün dung, dies auf Dauer zu verweigern. Heute können Sie zei gen, dass Sie nicht dem folgen, was alle – auch unsere Partei en – immer wieder tun und was die Politikverdrossenheit stärkt, nämlich plausible Aspekte, die offensichtlich nötig sind, zu verweigern, weil sie einem Kalkül folgen. Dafür ha ben Sie keinen Grund.

Der Wettbewerb, um den es hier geht, den Sie Stuttgart 21 zu ordnen, ist völlig offen. Was die Frage betrifft, ob dieser Volksentscheid zugunsten meiner Partei, der Grünen, ausgeht, so wissen Sie, dass es sehr wenige Menschen gibt, die das glauben.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Ich stehe grundsätzlich dafür, dass unabhängig davon, wie ich mit meiner Meinung vertreten werden will, ein niedrigeres Quorum für einen Volksentscheid in unsere Landesverfassung aufgenommen werden muss. Darum möchte ich Sie herzlich bitten.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Sckerl von der Fraktion GRÜNE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nur noch wenige Anmerkungen. Herr Mack, jetzt diskutieren wir im elften Jahr über eine Reform der Regelungen für eine Volksabstimmung und ein Volksbe gehren. Der vorliegende Gesetzentwurf ist der vierte Anlauf, den wir hierzu unternehmen. Ich bin gern bereit, einzuräumen, dass wir – dann sage ich aber: gemeinsam – in der 14. Wahl periode vielleicht nicht alles richtig gemacht haben, dass wir nicht die Kraft hatten, uns aufeinander zuzubewegen. Unser Gesetzentwurf ging Ihnen zu weit, und Ihr Gesetzentwurf ging uns nicht weit genug. Um einen Kompromiss haben wir nicht ernsthaft gerungen; das war vielleicht auch dem beginnenden Wahlkampf geschuldet. So selbstkritisch will ich heute sein und das sagen. Ich möchte das aber gern auch von Ihrer Sei te hören und nicht immer nur eine Fortsetzung des Wahl kampfs erleben. Das würde dieser Sache dienen.

Jetzt sagen wir: Weil wir daraus lernen, starten wir einen neu en Anlauf und nehmen den erreichten Minimalkonsens – den

haben wir eigentlich in der Sache –, machen jetzt einen Knopf dran und zeigen den Bürgerinnen und Bürgern: Ein erster Schritt ist getan, und über alles Weitere reden wir in Ruhe. Ohne dieses Zeichen wird man uns nicht glauben, wenn wir immer nur diskutieren und schöne Empfehlungen verabschie den, sich aber in der Praxis nichts ändert. Deshalb ist uns die ses Zeichen so wichtig.

Herr Mack, wir können gern über das Thema Enquetekom mission reden. Ich finde den Vorschlag sogar gut, dass wir in einer Enquetekommission mit entsprechender Ausstattung in aller Ruhe ergänzend zu dem, was die Stabsstelle und die Re gierung machen, auch im parlamentarischen Rahmen über Bürgerbeteiligung, neue Planungsprozesse usw. reden. Die sen Vorschlag hatten Sie einmal gemacht; vielleicht halten Sie daran fest. Darüber erzielen wir sicher eine Verständigung. Aber ohne ein klares politisches Signal „Leute, wir haben ge lernt und verstanden, jetzt ändern wir etwas“ wird dieser Pro zess nicht erfolgreich sein. Deshalb sind wir unbedingt dafür, jetzt diesen Schritt zu machen. Wir bitten Sie nochmals, die sen kleinen Schritt mitzugehen. Politisch sind Sie eigentlich schon dort.

Auch der Wahlkampf um den CDU-Parteivorsitz – für die Wahl am 23. Juli wünsche ich Ihnen persönlich alles Gute, Herr Mack –

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP zu Abg. Win fried Mack CDU: Das kann schaden!)

sollte uns nicht daran hindern, in der sachlichen Auseinander setzung aufeinander zuzugehen.

Nochmals zu Stuttgart 21: Es macht doch niemand einen Hehl daraus, dass es auch um eine Volksabstimmung über Stuttgart 21 geht.

(Abg. Tanja Gönner CDU: Vor allem!)

Aber es muss doch auch Ihr Interesse – sogar Ihr großes Inte resse – sein, dass diese Volksabstimmung von Anfang an in dem Ruf steht, fair und gerecht zu sein und unter Bedingun gen stattzufinden,

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Sie kannten die Bedingungen, als Sie sie ausgerufen haben!)

die Bürgerinnen und Bürger auch in anderen Bundesländern vorfinden. Sie sind nicht deutlich schlechter, weil wir in Ba den-Württemberg sind. Das ist, Frau Gönner, für beide Seiten eine sehr wichtige Begleiterscheinung. Das sind sehr wichti ge Rahmenbedingungen.

Unser Ziel ist es – das müssen Sie ernst nehmen –, mit der Volksabstimmung diesen Konflikt ein für alle Mal zu been den, Frieden zu stiften, die Spaltung in der baden-württem bergischen Gesellschaft zu überwinden und das Ergebnis – dafür werden wir stehen, da können Sie uns beim Wort neh men – anzuerkennen und für die Anerkennung in der Gesell schaft zu werben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wie beim Stresstest! – Abg. Volker Schebesta CDU: Aber Minister Her mann gibt die Zuständigkeit ab!)

Vor diesem Hintergrund macht eine Änderung der Verfassung zum jetzigen Zeitpunkt Sinn. Wir beraten den Gesetzentwurf morgen im Ständigen Ausschuss und in der nächsten Woche in zweiter Lesung im Plenum. Lassen Sie uns die Zeit bis da hin dazu nutzen, noch einmal produktiv miteinander zu reden und eine Einigungsformel zu finden. Dann sind wir auf einem guten Weg.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Mack für die Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Wir haben Herrn Sckerl an diesem Pult auch schon anders erlebt. Er hat über dieses Thema schon an ders gesprochen.

(Abg. Heribert Rech CDU: So ist es!)