dürfte einem am Wohl der betroffenen jungen Menschen ori entierten gemeinsamen Vorgehen eigentlich nichts mehr im Weg stehen.
Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Politik ist die Kunst des Möglichen. Das sollte aber mehr sein als Stillstand. Das gilt auch für die In klusion an den Schulen, also die gemeinsame Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderung. Sie, die Landesregierung, sind mit vollmundigen Ankündigungen gestartet, aber erreicht ist bisher nichts. Es gibt in vielen Be reichen eine große Kluft zwischen Ihren Ankündigungen und Ihren Taten, aber nirgends ist die Kluft so groß wie im Bereich der Inklusion.
Sie haben angekündigt, den Anspruch auf Inklusion an einer Regelschule gesetzlich zu verankern. Sie haben ein Eltern wahlrecht versprochen – sogar ein uneingeschränktes, wie es im Wahlprogramm der Grünen steht. Sie haben die notwen digen personellen, räumlichen und sachlichen Ressourcen zu gesagt. Sie wollten sogar einmal die Sonderschulen und das eigenständige Lehramt Sonderpädagogik abschaffen. Es konn te Ihnen nicht schnell genug gehen.
Landesregierung, die bis zum Jahr 2013 an der Sonder schulpflicht festhalten will, wollen wir die Sonderschul pflicht sofort abschaffen.
Vor wenigen Tagen musste der Kultusminister nun eingeste hen: Die Inklusion kam nicht vor 2013, sie kommt auch nicht 2013, sie kommt frühestens zum Schuljahr 2015/2016.
2013, wie von der Vorgängerregierung geplant, war Ihnen nicht schnell genug, und jetzt vertrösten Sie Schüler und El tern, Schulen und Schulträger auf das Ende der Legislatur. Da bei haben Sie eine gute Ausgangsbasis vorgefunden. 2010 war Baden-Württemberg Vorreiter unter den Bundesländern. Uns ging es nicht darum, blind den Inklusionsanteil zu erhöhen, wie es andere Bundesländer getan haben. Das wäre einfach und unverantwortlich. Manche dieser Länder müssen ja auch schon wieder zurückrudern. Uns ging es um verantwortungs volle Lösungen, damit Kinder und Jugendliche mit Behinde rungen auch an einer Regelschule optimal gefördert werden können.
Wir wussten, dass diese Probleme komplex sind. Deshalb hat ten wir fünf Erprobungsregionen auf den Weg gebracht. Es gab einen klaren Fahrplan für die Umsetzung der Inklusion.
Wo stehen wir heute, zweieinhalb Jahre später? Auf jeden Fall gilt: Diese gute Ausgangsposition ist verspielt. Auf vollmun dige Ankündigungen folgte Stillstand.
Noch nicht einmal eine Optimierung der Verfahrensabläufe ist gelungen. Ihr Zeitplan ist aus dem Ruder gelaufen. Es herrscht Stillstand – Stillstand auf dem Rücken der Kommu nen und Landkreise, aber vor allem auf dem Rücken der Schü ler, der Eltern und der Lehrerinnen und Lehrer. Dafür trägt al lein die Landesregierung die Verantwortung. Baden-Württem berg war in der Poleposition, jetzt steht das Land in der letz ten Reihe. Sie haben bis heute kein Konzept vorgelegt und sind zentralen Entscheidungen ausgewichen.
Wie geht es weiter mit den Sonderschulen? Wie sieht die Wei terentwicklung zu sonderpädagogischen Bildungs- und Bera tungszentren konkret aus? Wie werden diese Sonderschulen in die regionale Schulentwicklungsplanung einbezogen? In klusion soll sich hoffentlich nicht nur an Gemeinschaftsschu len abspielen. Wie geht es mit den anderen Schularten weiter?
Sie haben sich zum Zwei-Pädagogen-Prinzip bekannt. Aber die Realität sieht anders aus. Die Ressourcen reichen nicht aus. Sie schieben die Verantwortung auf die Schulbegleiter und damit über die Eingliederungshilfe auf die Landkreise ab. Erforderlich sind zusätzliche Lehrerressourcen, um eine Über forderung der Lehrer in den Regelschulen zu vermeiden.
Eine optimale Förderung braucht auch die besondere Kompe tenz der Sonderpädagogen. Da haben Sie wenigstens Einsicht gezeigt. Das eigenständige Lehramt Sonderpädagogik wurde infrage gestellt, bevor Sie nach massiven Protesten aus der Fachwelt glücklicherweise zur Vernunft gekommen sind.
Wie sieht sonderpädagogische Förderung für Kinder aus? Welche Kinder werden erfasst? Wir wissen doch, dass Schü lerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf – etwa bei Autismus oder auch psychischen Störungen – bisher durch den Rost fallen. Hier sind keine sonderpädagogischen Res sourcen vorgesehen. Das ist doch ein Problem, das gelöst wer den muss und nicht einfach abgeschoben werden darf.
Ganz ärgerlich ist die Lastenverteilung zwischen Land und Kommunen. Das ist ein gänzlich ungeklärtes Feld.
Sie haben nach dem Endbericht zum Schulversuch vernich tende Rückmeldungen bekommen. Die Schulträger finden sich dort mit ihren ungelösten Fragen gar nicht wahrgenommen. Wie geht es weiter mit den baulichen Maßnahmen, mit der Barrierefreiheit, mit den Richtlinien? Wie geht es weiter mit der Verteilung und Zuweisung der Sachmittel an die Schul träger, auch wenn mehr Lehrer an die Regelschulen gehen? Wie steht es mit der Ganztagsbetreuung von inkludierten Kin dern? Auch das wünschen sich Eltern, wenn sie ihre Kinder in der Regelschule haben.
Wie geht es weiter mit der Schülerbeförderung, der Schulweg begleitung? Kann man es hinnehmen, dass die Kosten bei den Schulwegbegleitern explodieren, die über die Eingliederungs hilfe finanziert werden müssen? Da müssen Gespräche geführt werden. Die werden aber nicht geführt, weil das Land keinen Vorschlag auf den Tisch legt. Sie drücken sich vor Entschei dungen.
Sie lassen die Kommunen und – was noch viel schlimmer ist – die Eltern allein und lassen offensichtlich lieber die Gerich te entscheiden.
Die CDU-Fraktion unterstützt nachdrücklich das Ziel der In klusion. Wir wollen eine Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Wir wollen, dass mehr Kinder mit Behinderungen eine Regelschule besu chen können. Wir wollen, dass der Weg über eine Sonderschu le für all diejenigen offen bleibt, die dort besser gefördert wer den können, und wir wollen damit eine faire Lastenverteilung zwischen Land und Kommunen.
Im Herbst 2012 hat meine Fraktion ein Konzept zur Umset zung vorgelegt. Wir haben zugleich der Landesregierung Ge spräche angeboten, um das wichtige Vorhaben der Inklusion gemeinsam voranzutreiben. Dieses Gesprächsangebot erneu ern wir heute, weil es um die Kinder und Jugendlichen in un serem Land geht.
Aber aus Ihrer Verantwortung können und werden wir Sie nicht entlassen. Sie müssen in Ihrer Bildungspolitik Prioritä ten setzen und die entsprechenden Ressourcen bereitstellen. Inklusion ist nicht zum Nulltarif zu haben. Das wussten alle Beteiligten schon von Beginn an.
Sie, die Regierung, sind in der Pflicht zu handeln. Das sind Sie den Kindern, Jugendlichen, Eltern und Lehrern schuldig. Politik ist die Kunst des Möglichen; das ist mehr als Stillstand.
Herr Präsident, meine Da men und Herren! Die Opposition hat versucht, eine doppelte Pirouette zu drehen, und beklagt wortreich, fast schon tränen reich, dass etwas, das sie im Grunde nie gewollt hat, später kommt.
Wenn wir uns einig sind, dass Inklusion nicht verordnet wer den kann, wenn wir uns einig sind, dass Inklusion ein dialo gischer Prozess ist, der wachsen muss, müssen Sie sich schon einen kurzen Blick in die Vergangenheit gefallen lassen.
Es hat gar nicht so schlecht angefangen. Es gab zwischen 1992 und 1996 Modellversuche in Baden-Württemberg zur Inklusi on an Grundschulen. Diese Modellversuche sind evaluiert worden, und zwar mit sehr gutem Ergebnis.
Es gab die Vereinbarung, in der darauffolgenden Wahlperiode mit der Sekundarstufe I weiterzumachen. Die Grundschulver suche wurden aber gestoppt, die Weiterführung in der Sekun darstufe I wurde nicht eingeführt.
Was heißt das? Sie haben 2009 mit Erschrecken festgestellt: „Jetzt kommt die UN-Konvention über die Rechte von Men schen mit Behinderungen. Wir müssen etwas in Richtung in klusives Schulsystem tun.“ Sie haben – Kollegin Dr. Stolz hat es angeführt – fünf sogenannte Modellregionen eingeführt. Diese sind jetzt ausgewertet worden.
Die Ergebnisse hat der Städtetag – aus meiner Sicht völlig zu Recht – als substanzlos kritisiert. Das liegt aber nicht an den Beteiligten, sondern an den Rahmenbedingungen. Wann stel len Sie Modellprojekte auf? Unter welchen Voraussetzungen machen Sie Modellprojekte? Modellprojekte machen Sinn, wenn sie eine neue Wirklichkeit vorwegnehmen und mit rea listischen Bedingungen gekoppelt sind. Genau das war nicht der Fall.