Protokoll der Sitzung vom 11.12.2013

Ich habe das akustisch nicht verstanden.

(Zuruf der Abg. Muhterem Aras GRÜNE)

Ja, klar. Es ist logisch, wer verantwortlich ist.

Die Schüler mit Behinderungen, die an Regelschulen unter richtet werden, zählen bei der Ermittlung des Klassenteilers nicht. Das heißt, es wird ihnen klar signalisiert: Ihr gehört nicht dazu. Wenn dann vor Ort bei vollen Klassen zusätzlich Kinder mit Behinderungen dazukommen, gibt es Widerstän de. Wen wundert es?

Die Sonderpädagogen, die voll und ganz inklusiv an Regel schulen unterrichten, zählen nicht zu deren Kollegium, son dern zählen weiterhin zu einer Sonderschule. Sie machen Dienst an einem anderen Ort.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Was wollen Sie uns damit sagen?)

Wo sind da die realistischen Bedingungen? Es gibt keine Re gelung, es gab keine Vereinbarungen; es gab nicht einmal ei nen Auftrag, zu bestimmen, wie viele sonderpädagogische Ressourcen mit den Kindern, die inklusiv unterrichtet werden, mitwandern. Das lag immer allein im Ermessen der Sonder schulen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das sind ja auch Spezialisten!)

Es gab keine Regelung für die viel beklagte Unklarheit bei der Schnittstelle zur Jugendhilfe und zur Eingliederungshilfe. Und dann wundern wir uns über die Ergebnisse. In dem Auswer tungsbericht steht, dass sich etwa 25 % der betroffenen Eltern

von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf bei der Einschulung für Inklusion entscheiden. Da könnte man sagen: „Dabei wird es vielleicht bleiben“, wenn man sich auf diese Erfahrung bezieht. Umfragen zeigen aber, dass 60 bis 70 % Interesse an Inklusion haben. Das heißt, hier wurde nicht In klusion organisiert, sondern Exklusion gefördert.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das eine Poleposition zu nennen, würde ich schon als doppel ten oder dreifachen Rittberger bezeichnen. Zum Glück gibt es noch – das wissen wir – das Leben außerhalb der schwarzgelben Rahmenbedingungen. Es gab und gibt zivilgesell schaftliches und bürgerschaftliches Engagement. Es gibt eine engagierte Wissenschaft.

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Es gibt viele Regel- und Sonderpädagogen, die zeigen: Ba den-Württemberg kann auch Inklusion.

(Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Viele Schulamtsbezirke sind aus Eigeninitiative, außerhalb der Modellregionen, wesentlich weiter gekommen.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Sie beklagen im mer nur das Erbe!)

In meinem Schulamtsbezirk – es ist auch der Ihrige – werden über 50 % der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbe darf, die jetzt neu eingeschult werden, inklusiv beschult. Die se Erfahrung außerhalb der Modellregionen, aber auch die Wi derstände und die Ängste nehmen wir sehr ernst.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das muss trotzdem finanzierbar sein!)

Deshalb stellen wir fest: Sonderpädagogische Kompetenz wird nicht weniger wichtig, sondern ist wichtiger denn je. Aber auch die Lehrerausbildung muss sich verändern. Minis terin Bauer hat entsprechende Rahmenbedingungen gesetzt. Wir müssen das Wunsch- und Wahlrecht ernst nehmen, und zwar in beide Richtungen. Das heißt, wir können nichts ver ordnen, aber wir müssen etwas ermöglichen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Auch das stimmt!)

Wir müssen im Rahmen einer regionalen Schulentwicklungs planung dafür sorgen, dass sich alle Schulen inklusiv entwi ckeln können. Auch das haben wir auf den Weg gebracht. Im Februar werden Eckpunkte für die inklusive Beschulung im Kabinett behandelt. Dann werden wir erste Handlungsemp fehlungen und Handreichungen für die Schulämter, für die Schulen bekommen. Einiges, was an Unsicherheit durch die Modellregionen geschaffen worden ist, wird beseitigt werden. Auf dieser Basis bekommen wir eine organische Entwicklung, eine Entwicklung, die auf gegenseitigem Vertrauen beruht.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wer zahlt?)

Auf diese Weise werden wir die hohe Qualität, die notwendig ist, sichern.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Wir werden sehen: „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ heißt auch: Wir können auch Inklusion.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die SPD-Fraktion spricht Kolle ge Käppeler.

Herr Präsident, meine sehr ge ehrten Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Titel der Aktu ellen Debatte gelesen habe, bin ich erst einmal erschrocken:

(Zurufe von der CDU: Och!)

Wir verschieben angeblich das Inklusionskonzept. Aber dann fiel mir ein, was Sie vermutlich meinen: Wir verschieben die Schulgesetzänderung – ja, da haben Sie richtig gehört –, nicht aber – das ist ganz entscheidend – die Konzeptionierung, die Verabschiedung von Eckpunkten.

Schauen wir uns einmal an, warum wir das Schulgesetz nicht wie geplant zum kommenden Schuljahr ändern können. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, rühmen sich am laufenden Band, uns ein bestelltes Haus hinterlassen zu haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Sehr richtig!)

Erst vergangene Woche ließ sich Frau Dr. Stolz mit den Wor ten zitieren, die Vorgängerregierung habe die Inklusion bes tens vorbereitet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wil helm Röhm CDU: Jawohl! – Zuruf des Abg. Dr. Ste fan Fulst-Blei SPD)

Ich nehme an, Frau Dr. Stolz, Sie meinen hiermit die fünf Mo dellregionen, in denen Sie den Schulversuch zur Inklusion ein gesetzt hatten.

(Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Kollege Poreski hat dazu bereits einige Takte gesagt.

Der Abschlussbericht dieses Schulversuchs liegt uns jetzt vor. Leider ist er nicht mit Zahlen unterfüttert. Das heißt im Klar text, dass uns Ihr Schulversuch nicht die notwendigen Rah mendaten für anfallende Kosten geliefert hat. Inklusion – das sagen Sie selbst – kann es aber nicht zum Nulltarif geben.

(Zurufe von der SPD: Aha!)

Aus eigener Erfahrung und aus Gesprächen mit zahlreichen Schulleiterkollegen weiß ich, dass gerade in Modellregionen die zugewiesenen Lehrerstunden bei Weitem nicht ausrei chend waren. Leider – das ist das Versäumnis Ihrerseits – ist all das bisher jedoch nicht quantifizierbar.

Der Generalsekretär schließlich, liebe Kollegen von der FDP/ DVP, fordert von uns, zügig einen Finanzierungsplan vorzu legen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass hier eine Einigung erzielt werden muss, die behutsam und im Schulterschluss mit den kommunalen Landesverbänden erfolgt. Dies ist nicht un möglich; das hat unser Kultusminister bei der regionalen Schulentwicklung gezeigt. Aber das funktioniert ganz sicher

nicht im Hauruckverfahren und über die Köpfe der Beteilig ten hinweg. Ein Verhandlungsergebnis wird nicht besser, in dem ich meine Position durch Zeitdruck schwäche.

Dass einmal mehr Sie es sind, die unsere Reformen kritisie ren, Sie, die jahrzehntelang nach der Vogel-Strauß-Mentalität gelebt und sich weggeduckt haben vor der regionalen Schul entwicklung, vor der Einführung der Ganztagsschule und vor der Umsetzung der Inklusion, dass ausgerechnet Sie, die nichts getan haben, uns die bloße Verschiebung eines Gesetzes vor werfen, ist beinahe schon schamlos.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Dr. Diet rich Birk CDU: Wieso lesen Sie eigentlich so einen Schmarren ab?)

Durch die UN-Konvention hat sich der Druck auf die Kom munen erhöht. Wir haben vor zweieinhalb Jahren in unserem Koalitionsvertrag entsprechende Passagen verankert. Der Ko alitionsvertrag ist entscheidend und nicht das Programm der Grünen. Allein die Existenz dieses Vertrags hat übrigens sei nerzeit die Beteiligten in eine Aufbruchstimmung versetzt und schon im Vorfeld der Gesetzgebung für ein mutiges Mehr an Inklusion gesorgt.

Wir nehmen den Auftrag, den der Bund von den UN bekom men hat, sehr ernst. In den für das kommende Frühjahr zuge sagten Eckpunkten wird daher eine Vielzahl von bislang of fenen Fragen geklärt werden. Es wird ein auf Beratung fu ßendes qualifiziertes Elternwahlrecht zwischen Sonder- und Regelschule geben. Inklusive Bildungsangebote werden dann aus pädagogischen, aber auch aus organisatorischen Gründen in der Regel gruppenbezogen angeboten. Dies schließt im Ein zelfall jedoch auch Einzel- und Kleinstgruppeninklusion nicht aus. Der zieldifferente Unterricht für die Primarstufe und die Sekundarstufe I wird eingeführt werden. Wir werden die Son derschulen nicht abschaffen, und wir schaffen auch das Lehr amt für Sonderpädagogik nicht ab.

(Beifall des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo!)

Wir wissen, wie wichtig die Diagnostik ist, und legen daher großen Wert auf die Fachlichkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Vor allem aber werden wir die Pflicht zum Besuch der Son derschule ablösen. Dieser letzte Satz, liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigt, was in diesem Land eigentlich notwendig ist: Die Inklusion muss in den Köpfen der Menschen ankommen. Es muss der Normalfall sein, dass Kinder ein sonderpädago gisches Bildungsangebot an der Regelschule bekommen, und die Ausnahme muss sein, dass sie eine Sonderschule besu chen. Ein Gesetz ist hierfür ein notwendiges Vehikel, das den rechtlichen Rahmen schafft, durch den Inklusion möglich wird. Das Gesetz allein ist aber nicht Inklusion. Genau dies wollen Sie den Menschen jedoch weismachen.

Vielen Dank.