Protokoll der Sitzung vom 22.01.2014

Herr Kollege Dr. Fulst-Blei, gestat ten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich möchte schlicht weg an dieser Stelle meine Ausführungen beenden. Zuvor aber müssen wir noch auf zwei oder drei Punkte eingehen, näm lich im Zusammenhang mit dem Thema Onlinepetition. Das ist etwas, was mich zutiefst berührt und wirklich auch ein Stück weit erschüttert hat. Da geht es überhaupt nicht um die Fragestellung, ob ich eine Petition stellen darf oder nicht. Da bin ich ein sehr guter Demokrat. Das sind wir alle hier in die sem Haus; das stellen wir überhaupt nicht infrage. Aber wenn man sich die Kommentierungen anschaut, dann finden sich schlimme Inhalte, die ich hier gar nicht wiedergeben möchte.

Den Petitionstext selbst halte ich bereits für sehr kritisch, denn er arbeitet mit Unterstellungen und spricht von einer „ideolo gischen Umerziehung an den allgemeinbildenden Schulen“. Dabei enthält er Forderungen, die wirklich völlig danebenge hen. Er unterstellt, dass das Kultusministerium angeblich – ich zitiere – „eine neue Sexualmoral propagiert“, eine Infra gestellung von Heterobeziehungen vornimmt; weiter ist die Rede von der Förderung des sexuellen Coming-outs in der Schule, und – was ich absolut schlimm und übel finde – es wird eine Gleichstellung von Schwulen und Lesben mit dem Missbrauch von Alkohol und Drogen vorgenommen. Hier werden Stigmatisierungsbilder bedient, die mit dem Ziel von Toleranz und Akzeptanz überhaupt nichts zu tun haben. Das lehnen wir, die SPD, entschieden ab.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Auch ich habe in den letzten Wochen viele Gespräche zu die sem Thema geführt, übrigens gerade auch mit Geistlichen. Ich bin Herrn Pfarrer Johannes Höflinger aus Mannheim-Schö

nau sehr dankbar, der am letzten Wochenende sehr zutreffend gesagt hat, es gehe bei vielen um abwehrende Gefühle, die vielleicht nicht immer mit dem Kopf übereinstimmen. Wört lich sagte er:

Der Kopf weiß vielleicht: Es ist richtig. Emotional spüre ich aber, dass es noch keine Selbstverständlichkeit ist.

Und er hat weiter gesagt:

Aber das ist auch eine gute Grundlage für ein ehrliches Gespräch.

Ein ehrliches Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Kir chen, mit Organisationen, mit Fachleuten, an dessen Ende tat sächlich die Diskussion über die Frage steht: Wie können wir ein Mehr an Toleranz und Akzeptanz erreichen, welche ge meinsamen Wege können wir dabei gehen? Das ist ein Traum von Menschenwürde, die der Fußballer Arjen Robben – be merkenswert, wie ich finde – auf den Punkt gebracht hat, als er gegenüber der „Bild“-Zeitung sagte: „Hitzlsperger ist schwul? Na und?“

Das ist genau das, was wir erreichen wollten. Meine Bitte ist: Lassen Sie uns diesen Weg zu einem weltoffenen BadenWürttemberg weiter gemeinsam gehen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht Kollege Dr. Kern.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Zwei Dinge erscheinen mir in der ge genwärtigen Diskussion und in der gegenwärtigen Situation wichtig. Seit den 1990er-Jahren gehört Deutschland interna tional zu den am besten aufgeklärten Ländern. Zitat:

„Allenfalls Schweden und Finnland haben eine derart flä chendeckende Versorgung mit Sexualkundeunterricht“, sagt Eckhard Schroll, Abteilungsleiter Sexualaufklärung bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Dies stand in einem Bericht in einer dieser Tage erschienenen Ausgabe der „Welt“.

Auf der anderen Seite weiß aber jeder, der schon einmal eine Pausenaufsicht an einer weiterführenden Schule geführt hat, welch völlig inakzeptable Schimpfwörter und Beleidigungen dort leider zu hören sind. Das heißt: Trotz einer weit über durchschnittlichen Aufklärungsquote an deutschen Schulen ist das Thema „Respekt und Akzeptanz von Homosexualität“ dort leider noch nicht zur Selbstverständlichkeit geworden.

Dies ist nach meiner Meinung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich jeder und jede in unserem Land zu stellen hat, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Wie verhält sich nun die grün-rote Landesregierung bei die sem wichtigen Thema? Grün-Rot – das ist bereits gesagt wor den – arbeitet derzeit an neuen Bildungsplänen. Auch das ist nichts Ungewöhnliches. Alle zehn Jahre werden neue Bil dungspläne herausgegeben. Die aktuell gültigen Bildungsplä

ne stammen aus dem Jahr 2004. Die Bildungspläne von GrünRot werden – plus zehn Jahre – 2015 erscheinen. Aber das ist ein anderer Aspekt.

Wir erinnern uns: Schon einmal war die grün-rote Koalition dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie mit Bildungsplänen Politik machen will. Denn während es bislang für jede Schulart ei nen eigenen Bildungsplan gab, sollte es nach dem grün-roten Willen zukünftig nur noch einen einzigen, einen Einheitsbil dungsplan für alle Schularten geben. Erst auf massiven öffent lichen Druck hin kündigte Ministerpräsident Kretschmann dann an, dass für die Gymnasien eine Art Auszug aus dem Einheitsbildungsplan, das heißt ein eigenständiger Bildungs plan, herausgegeben werden sollte.

Umstritten ist auch eine weitere Neuerung von Grün-Rot: Dem Bildungsplan sollen sogenannte Leitprinzipien vorange stellt werden. Diese sollen an passender Stelle im Bildungs plan verankert werden. Es handelt sich hier offensichtlich eher um Querschnittsthemen als um Leitprinzipien, um pädagogi sche Aufträge also, die einen jungen Menschen fit für das Le ben in der Jetztzeit machen sollen. Das ist zweifellos richtig und wichtig, aber irgendwie auch selbstverständlich.

Mit „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ wird darüber hi naus noch eine grüne Duftmarke untergemischt.

(Lachen der Abg. Beate Böhlen GRÜNE)

Auch Nachhaltigkeit ist wichtig, aber irgendwie auch selbst verständlich.

(Abg. Thomas Poreski GRÜNE: Ach! – Zuruf der Abg. Beate Böhlen GRÜNE)

Statt, wie ursprünglich angedacht, ein eigenes Leitprinzip „Se xuelle Vielfalt“ zu verankern, wurden nun die Einzelteile auf die übrigen Leitprinzipien verteilt und am Ende jedes Leit prinzipienkompetenzkatalogs ein eigener kleiner Katalog des sen angeführt, was alles beim jeweiligen Leitprinzip unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz sexueller Vielfalt berück sichtigt werden muss. So kommt 27-mal das Wort „Sex“ in ir gendeiner Kombination im 32 Seiten umfassenden Arbeitspa pier zu den Leitprinzipien vor.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Sie fokus sieren sich auf das Wesentliche!)

Hinzu kommt – das ist nach meinem Dafürhalten das entschei dende Problem –: An keiner einzigen Stelle wird klar definiert bzw. abgegrenzt, was die Landesregierung eigentlich unter diesem schillernden Begriff „Sexuelle Vielfalt“ versteht. Ge rade hierdurch kann der Eindruck entstehen, dass das Thema „Sexuelle Vielfalt“ der eigentliche rote Faden ist, der sich durch die Leitprinzipien und somit durch den gesamten Bil dungsplan zieht, sozusagen als Leitprinzip der Leitprinzipien.

An diesem Beispiel wird die gesamte Problematik der grünroten Bildungsplanarbeit offenbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie brauchen sich nicht zu wundern, wenn in der Öffentlichkeit der Verdacht geäußert wird, Sie wollten die Bil dungspläne als Ihr politisches Instrument benutzen.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Jetzt wird es abwegig!)

Das ist auch der eigentliche Grund, warum ein Thema, das bislang in den Bildungsplänen eigentlich eine Selbstverständ lichkeit war, nun zum Aufreger avanciert.

Ich darf aus einer dpa-Meldung von heute Nacht zitieren, die, wie ich finde, genau den Punkt trifft.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Wie oft steht da „Sex“ drin?)

Zitat:

Grün-Rot droht aus Sicht von Homosexuellen bei der Gleichstellung von Schwulen und Lesben über das Ziel hinauszuschießen. „Die Richtung ist richtig, aber man muss die Gesellschaft mitnehmen“, sagte der Organisa tor des schwul-lesbischen Christopher Street Days... in Stuttgart, Christoph Michl, der Nachrichtenagentur dpa. Die Petition gegen den umstrittenen grün-roten Bildungs plan – über den das Thema Sexuelle Vielfalt im Unter richt verankert werden soll – zeige, dass es in der Gesell schaft Ängste gebe. „Die muss man ernst nehmen“, sag te Michl. Dies sei bisher leider zu wenig geschehen.

Kontraproduktiv sei auch die gut gemeinte Aktion von Grün-Rot gewesen, die Regenbogenflagge der Homose xuellen auf dem Neuen Schloss zu hissen. „Nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut gemacht“, sagte Michl.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Schließlich wolle man keine Sonderrechte, sondern Nor malität.

Wenn 150 000 Menschen eine Petition gegen den Bil dungsplan unterzeichneten, müsse man darauf eingehen, sagte Michl. Die hohe Zahl zeige, dass es bisher nicht ge lungen sei, zu verdeutlichen, dass es letztlich nur darum gehe, Toleranz im Bildungsplan zu verankern. „Diese Diskussion muss man führen.“

Für diese verkorkste Situation, einen unnötigen Grabenkampf in dieser Gesellschaft bei diesem wichtigen Thema, tragen Sie die Verantwortung, meine Damen und Herren von Grün-Rot.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Zuruf: Sehr richtig!)

Hätte die grün-rote Landesregierung, wie es im aktuell gel tenden Bildungsplan von 2004 gemacht wurde, einen auf dem Grundgesetz beruhenden Toleranzbegriff zugrunde gelegt, der konsequent jede Form der Diskriminierung ablehnt, wäre den Menschen in Baden-Württemberg diese problematische De batte erspart geblieben.

(Zuruf des Abg. Thomas Poreski GRÜNE)

Insbesondere – das möchte ich auch in Richtung der Kollegin Lösch sagen – spielen die Grünen ein sehr problematisches Spiel. Sie benutzen dieses wichtige Thema, um ihrer mit Kretschmann allzu bodenständig daherkommenden Partei ein scheinbar modernes gesellschaftspolitisches Image zu verpas sen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Lachen bei den Grünen – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Jetzt wird es aber ganz schräg!)

Hierzu teilen die Grünen die Welt wieder einmal in Schwarz und Weiß ein. Frau Lösch hat das gerade eben noch einmal eindrücklich bewiesen.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Haben Sie gehört, was die Julis gesagt haben?)

Ein Beschluss der Grünen vom 14. Januar lautet:

Die Reaktionen von CDU und FDP zeigen eindrücklich, wie wichtig der Regierungswechsel 2011 für die Entwick lung eines weltoffenen und toleranten Baden-Württem berg war und ist.