Sie hatten mich unterbrochen, als ich über die Offenheit des Prozesses der Bildungsplanarbeit gesprochen habe. Bereits am 30. Januar 2013 hat sich der Beirat zur Bildungsplanarbeit konstituiert. Wenn Sie fragen, ob es aus unserer Sicht ein Ver abschieden von der Politik des Gehörtwerdens gebe, dann sa ge ich Ihnen deutlich: natürlich nicht. Denn das ist der Preis, den wir für mehr Transparenz und Offenheit zahlen müssen. Da besteht immer auch das Risiko, dass Dinge aus einem lau fenden Diskussionsprozess nach außen gestochen werden.
Da kommt jetzt die Schwierigkeit an der ganzen Geschichte: Wenn ich den Initiator dieser Petition – Herr Kollege Hauk, ich bitte auch Sie, genau hinzuhören – kritisiert habe, dann nicht dafür, dass er eine Petition eingereicht hat bzw. das In strument der Petition im Internet nutzt – das tue ich in keiner Weise; das steht mir nicht zu; ich glaube, Sie wissen sehr gut, dass diese Regierung, auch was die Beteiligung angeht, allen Bürgerinnen und Bürgern das Recht gibt, ihre Meinung zu sa gen, und allen Bürgerinnen und Bürgern auch das Recht gibt, die demokratischen Instrumente zu nutzen –, aber ich glaube, es ist zulässig, dann ein Urteil über diesen Petenten zu fällen, wenn man sieht, mit welchen Mitteln dort gearbeitet wird. Wenn dort mit dem Mittel gearbeitet wird, falsche Behaup tungen aufzustellen, tendenziöse Behauptungen aufzustellen und vor allem Vorwürfe zu erheben, die unter Demokraten nichts zu suchen haben, dann kann man diesen Petenten da für kritisieren, dass er die Wahrheit verzerrt und entstellt.
An dieser Stelle möchte ich eines deutlich machen: Wer den Begriff „Umerziehung“ verwendet, weckt Assoziationen zu Zeiten, in denen auch in diesem Land, aber auch in vielen an deren Ländern auf diesem Erdball Demokratie keine Chance hatte, stellt eine Nähe zu totalitären Systemen her. Herr Kol lege Hauk, das ist eigentlich das, was mich an Ihren ersten Stellungnahmen zu diesem Thema erschüttert hat. Wenn je mand den Vorwurf der Umerziehung erhebt und man, obwohl sehr wohl klar ist, dass sich dies – das ergibt sich aus allen Äußerungen, die mir vorliegen, von allen Verbänden – aus diesem Arbeitspapier, das im Rahmen der Bildungsplanarbeit erstellt wurde, in keiner Weise ablesen lässt, auch nur eine Nä he zu einem solchen Petenten signalisiert, bestärkt man Kräf te in diesem Land, die sich von der demokratischen Kontro verse verabschiedet haben. Der Vorwurf der Umerziehung darf in der Debatte hier keine Rolle spielen. Für die Verwendung dieses Begriffs gibt es keinen Grund. Er ist eine Verabschie dung von dem, was in demokratischer Ehrlichkeit und Wahr heit zwischen uns gelten sollte.
Deswegen bin ich Ihnen umgekehrt wieder dankbar, dass Sie vorhin betont haben: Wir sprechen nicht über Petitionen, son dern wir sprechen über diesen Prozess. Ich möchte das ganz deutlich betonen. Aber, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, dies enthebt uns trotzdem nicht, mit dem umzugehen, was in zwischen an Diskussionen in unserem Land entstanden ist. Wir müssen mit diesen Sorgen natürlich sehr verantwortlich umgehen. Ich möchte bewusst nicht über diejenigen sprechen, die uns seit Tagen und Wochen mit E-Mails eindecken, deren Inhalte jenseits all dessen sind, was wir alle hier im Haus als demokratisch ertragbar betrachten. Darin sind Inhalte zu le sen, die wir nicht ertragen können. Darin stehen Inhalte, die weit im rechtsradikalen Milieu anzusiedeln sind, in dem Mi lieu verhaftet sind, in dem Menschen das Lebensrecht in die sem Land abgesprochen wird. Ich glaube, es sollte ein guter Konsens sein – daran habe ich keinen Zweifel –, dass wir dies nicht wollen.
Viele Menschen, die diese Onlinepetition unterstützt haben, haben sich, so behaupte ich, mit diesen Fragen nicht im De tail beschäftigt. Ich habe entsprechende E-Mails gesehen – auch von christlichen Gruppierungen –, in denen behauptet
wurde, dass es wichtig sei, durch Unterzeichnung der Petiti on die Institution der Ehe und die Familie zu schützen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist ein weiterer Punkt hinsichtlich dieser Onlinepetition, den ich als sehr in fam kritisiere. Hier kommen wir zur feinen Unterscheidung zwischen Normalität und Norm.
Ich glaube, wir alle sollten den Mut haben, zu bekennen, dass es zur Normalität in unserer Gesellschaft gehört, dass es Men schen gibt, die nicht nach einer heterosexuellen Orientierung leben, sondern die andere geschlechtliche Orientierungen ha ben. Das ist, glaube ich, wissenschaftlich keine neue Erkennt nis. Das ist auch gesellschaftlich keine neue Erkenntnis. Es ist Teil der Normalität.
Das Infame an der angesprochenen Petition ist, dass darin be hauptet wird, dass diese Normalität zur Norm werden solle. Darin ist von einer „propagierenden“ Sexualerziehung zu le sen, dass bestimmte Dinge beworben werden sollen, dass den Kindern und Jugendlichen ein verzerrtes Bild und damit eine Abwertung von Ehe und Familie vermittelt werden soll. Das ist eine weitere Unterstellung, die in dem, was der Beirat zur Bildungsplanarbeit geleistet hat, durch nichts zu belegen ist. Ehe und Familie sind für diese Gesellschaft, gerade in BadenWürttemberg, eine tragende Säule. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass andere Lebensformen abgewertet werden müssten, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, rufe ich Sie alle auf, in dieser aufgeregten Diskussion immer auch das Ziel im Auge zu haben, diese Aufregung wieder herunterzubringen und den Menschen zu erklären, was hier gerade passiert.
Ich bitte in der gesellschaftlichen Debatte auch um mehr Ehr lichkeit. Denn bei allen Diskussionen, die aufkommen, müs sen wir immer auch fragen: Was ist der positive Kern dieser Debatten? Der positive Kern war für mich sehr deutlich. Er besteht nämlich in dem Erkenntnisgewinn, dass es offensicht lich noch ganz erheblich der Aufklärung für ein Klima der To leranz und des gegenseitigen Respekts bedarf. Manche Wie dersprüche sind für mich nicht einfach erklärbar. Schauen Sie sich die öffentlich geführte Diskussion um das Outing von Thomas Hitzlsperger an. Diese Diskussion wurde in der Öf fentlichkeit in einer Weise geführt, bei der man denken müss te, dies sei überhaupt kein Thema.
Zudem besteht bei uns als Demokraten zu Recht Aufregung darüber, was der russische Staatspräsident Putin hinsichtlich Gesetzen tut, die auf Homosexuelle zielen. Es herrscht inter national Aufregung, weil es nicht sein darf, dass Homosexu elle wegen ihrer geschlechtlichen Orientierung dort in den Be reich des Strafrechts gerückt werden. Ich glaube, in Deutsch land ist diese Phase aus gutem Grund überwunden.
Wir regen uns zu Recht über dieses Klima der Intoleranz auf. Gleichzeitig versuchen Sie jedoch – diesen Vorwurf muss ich Ihnen leider machen –, diese Debatte parteipolitisch zu nut zen und auszuschlachten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Frage, wie wir die Kinder in einem Klima der Toleranz, des Respekts und der
gegenseitigen Achtung erziehen, ist viel zu wichtig, als dass wir diese Frage in einen parteipolitischen Streit ziehen. Ich bitte Sie, dies in Zukunft zu beherzigen.
Von mir als Kultusminister dieses Landes bekommen Sie in der Bildungsplanarbeit alle Offenheit, die wir, die Landesre gierung, geben können. Wir können nur ein Ziel haben: Wir müssen die Menschen in diesem Land in einem Klima der Of fenheit und des Respekts hinsichtlich aller Merkmale, auch hinsichtlich des Merkmals der sexuellen Orientierung, erzie hen.
Ich möchte mit einem Zitat von Papst Franziskus, der sich ge nau zu diesem Thema geäußert hat, enden. Er hat gesagt:
Herr Präsident, meine sehr verehr ten Damen und Herren! Wenn den Worten des Kultusminis ters – zumindest seinen Schlussworten – das Regierungshan deln folgt, dann sind wir bei Ihnen. Denn unser Thema lautet „Toleranz, Respekt und gegenseitige Achtung als Grundwer te“; das haben wir heute Vormittag auch gesagt. Aber das bis herige Regierungshandeln gab offensichtlich Anlass zu Peti tionen, gab offensichtlich Anlass zu öffentlichen Diskussio nen.
Wenn diese Debatte dazu beigetragen hat, dass Sie Ihre Ein stellung ändern und Handeln folgen lassen – –
Alle diese Leitprinzipien sollen unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz sexueller Vielfalt berücksichtigt werden. Im Einzelnen sind das:...
Herr Kollege Dr. Kern hat völlig recht: Die Akzeptanz sexu eller Vielfalt durchzieht alle diese Leitprinzipien wie ein ro ter Faden. Sie ist quasi zum Leitprinzip der Leitprinzipien ge worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist es doch: Sie greifen willkürlich einen Aspekt heraus, überhöhen diesen und tragen damit eben nicht zur Toleranz bei, sondern spalten die se Gesellschaft offensichtlich.
Es gibt Menschen in diesem Land, die andere Einstellungen haben. Diese sind keineswegs menschenverachtend, keines
wegs intolerant. Nehmen Sie diese Menschen doch mit. Die Kirchen sagen – so wurde mir berichtet –, dass in dem Bera terkreis, den Sie eingerichtet haben, noch Beratungsbedarf be steht. Warum greifen Sie das nicht auf?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in grundlegenden gesellschaftspolitischen Fragen reicht es nicht aus, zu sagen: „Wir beteiligen“, sondern da muss es am Ergebnis festge macht werden. Da muss auch ein Ergebnis stehen, das den ge samtgesellschaftlichen Konsens widerspiegelt. Das ist Regie rungskunst – und nicht, einfach nur zu sagen: „Wir beteiligen alle.“
Eine Beteiligung allein reicht nicht aus, sondern das Ergebnis muss auch an grundsätzlichen gesellschaftspolitischen Fragen ausgerichtet sein. Das haben Sie vernachlässigt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, erst Frau Kollegin Lösch hat die Schärfe in die Debatte gebracht.
(Beifall bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! – Zuruf der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE)
Sie ist mit den üblichen grünen ideologischen Vorstellungen an das Thema herangegangen nach dem Motto: Wer dagegen ist, ist von vornherein homophob und muss verurteilt werden.
Wir sind für die Akzeptanz sexueller Vielfalt, auch für die Ver ankerung dieses Themas im Bildungsplan.
Aber es gibt auch andere Möglichkeiten der Gestaltung, z. B. Projektwochen. Und bitte berücksichtigen Sie unter dem The ma „Respekt und gegenseitige Achtung“ auch andere Teile der Lebenswirklichkeit. Dazu gehört nicht nur der Aspekt der sexuellen Vielfalt, sondern gehören auch andere Teile der Le benswirklichkeit, z. B. dass auch heute noch behinderte Kin der gebrandmarkt werden, dass es Mobbing im Bereich der Integration von Ausländern gibt, dass wegen des Tragens des alten Schulranzens des Bruders oder deswegen, weil keine InKlamotten getragen werden, also auf einer ganz anderen Ebe ne, gemobbt wird.
Das ist die zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe. Wenn Sie Toleranz als Grundprinzip anführen, haben Sie unseren vol len Respekt und unsere volle Zustimmung, aber nicht, wenn Sie hier nur einen Aspekt herausgreifen.