Protokoll der Sitzung vom 29.01.2014

Eine inklusiv ausgerichtete Lehrerinnen- und Lehrerausbil dung mit den Inhalten „individuelle Förderung“ und „zieldif ferenter Unterricht“, ein qualifizierter Erfahrungsaustausch sowie gute Fortbildungsangebote für alle Lehrkräfte sind des halb unverzichtbar.

Zweitens: Der Prozesscharakter des Umbaus muss deutlich werden. Wenn die bisherigen Sonderschulen künftig zu son derpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren werden, dann bedeutet dies: Kinder mit sonderpädagogischem Förder bedarf erhalten ein konkretes Angebot auf inklusive Beschu lung. In den bisherigen Sonderschulen wird dabei weiterhin unterrichtet, aber perspektivisch weniger Unterricht stattfin den. Auch sie sollen sich zu inklusiven Schulen weiterentwi ckeln und Kinder ohne Behinderung mit unterrichten können. Das ist z. B. dann sinnvoll, wenn sie über eine aufwendige therapeutische Ausstattung verfügen.

Dritter Punkt: Die Eltern von Kindern mit Behinderung sol len sich für den Unterricht in einem sonderpädagogischen Bil dungs- und Beratungszentrum ebenso wie für eine inklusive

Beschulung entscheiden können. Dieses Wunsch- und Wahl recht und der damit verbundene Wettbewerb sind auch ein Ele ment der Qualitätssicherung.

Viertens: Der Umbauprozess muss im Rahmen der regiona len Schulentwicklungsplanung gesteuert werden können. Nicht jedes Kind kann an jeder Schule unterrichtet werden, aber alle Schulen werden grundsätzlich inklusiv beschulen, und alle Kinder brauchen ein wohnortnahes inklusives Ange bot. Gruppenbezogene Lösungen sind umso aussichtsreicher, je höher die Inklusionsquote ist.

Nicht alle Schulstandorte machen auf Dauer Sinn. Das wis sen wir. Aber auch das muss organisch von den regionalen Akteuren gesteuert werden.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wie kann man das „organisch“ steuern?)

Fünftens: Die Bedarfsermittlung kann in der Regie der Staat lichen Schulämter erfolgen. Hierbei sind Verfahren nach dem international anerkannten ICF-Standard einzubeziehen. Der Gesamtbedarf muss – ohne bürokratische Mehrfachzuständig keiten – über die Schulämter bewilligt werden. Der Städtetag ist dazu bereit. Das begrüßen wir ausdrücklich.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Sechstens: Langfristig – das zeigen internationale Erfahrun gen – ist ein inklusives Schulsystem nicht zwingend teurer. Kurzfristig, in der Umbauphase, muss aber ein Mehrbedarf gedeckt werden. Deshalb ist es gut, dass sich der Bund künf tig an den Kosten der Eingliederungshilfe beteiligt.

Siebtens: Die sonderpädagogische Fachlichkeit muss erhal ten bleiben. Es muss Regeln für die Ausstattung mit sonder pädagogischen Fachkräften geben, um Kollegien interdiszip linär aufzustellen. Wir nehmen die Komplexität der Heraus forderung also ernst. Diesen Eindruck – so muss ich sagen – macht die Opposition nicht immer. Einerseits beweihräuchern Sie sich für die halbherzigen Trippelschritte in der Vergangen heit, andererseits schüren Sie Ängste, Grün-Rot würde an al les Bewährte die Axt anlegen, und dann beschweren Sie sich, dass wir genau das nicht tun, sondern reflektiert und dialo gisch vorgehen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie können das ja toll ausdrücken!)

Sie werden in den nächsten Tagen und nächsten Wochen Eck punkte zur Inklusion, zur inklusiven Schulgesetzgebung von uns erhalten. Darüber können wir dann ganz regulär diskutie ren. Wir brauchen dazu keinen Arbeitskreis im Sinne von „Wenn ich nicht weiterweiß, gründe ich einen Arbeitskreis“. Wir geben Ihnen auch gern kostenlos Nachhilfe. Baden-Würt temberg ist schließlich das Land der Ehrenamtlichkeit. Das nehmen wir auch an dieser Stelle ernst.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Inhaltlich Fehlanzeige!)

Für die SPD-Fraktion spricht Kolle ge Käppeler.

Herr Präsident, sehr geehrte Kol leginnen und Kollegen! Erst im Dezember wurde an dersel ben Stelle und zum selben Thema eine Debatte geführt. Das liegt jetzt gut einen Monat zurück. Dass ausgerechnet Sie, die drängende schulpolitische Fragen teils über Jahrzehnte aus gesessen haben – ich denke nur an den Ausbau der Ganztags schulen oder an die Einführung einer regionalen Schulent wicklungsplanung –, nun von uns erwarten, dass wir binnen Monatsfrist die Inklusion abhandeln, ist beinahe infam.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Es zeigt jedoch auch, wie Sie denken. Sie sehen das Thema Inklusion offenbar als eines an, das eben erledigt werden muss, das Sie möglichst rasch bürokratisch abhaken wollen.

Schon in der Großen Koalition 1992 bis 1996 gab es auf Ini tiative der SPD-Fraktion an einigen Grundschulen einen Schulversuch zur Inklusion. Den haben Sie danach still und heimlich beerdigt und haben erst mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch den Bundestag not gedrungen einen eigenen Schulversuch in fünf Schulamtsbe zirken gestartet.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Aha!)

Nun liegt der Bericht zum Schulversuch vor. Daraus aber zu schließen, dass jetzt daraus einfach einmal ein Gesetz abzu leiten wäre, ist nicht möglich.

Die Aufgabe, vor die wir hier gestellt sind, geht viel weiter. Sie geht uns alle an. Inklusion ist eine Aufgabe, die alle ge sellschaftlichen Bereiche betrifft. Sie muss in den Köpfen der Menschen ankommen.

Anlässlich der Debatte im Dezember haben Sie, Frau Dr. Stolz, uns vorgeworfen, Baden-Württemberg habe zu Ihrer Regierungszeit in der Poleposition gestanden

(Oh-Rufe von Abgeordneten der SPD)

und befinde sich nun in der letzten Reihe.

(Vereinzelt Beifall – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja, das stimmt!)

Sie jedoch sprechen nur über die Rahmenbedingungen Ihres Schulversuchs.

Eine Außenklasse ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber keine Inklusion. Wie kann man nur auf die Idee kommen, Kin der mit Inklusionsbedarf nicht auf den Klassenteiler anzurech nen? Was für ein Verständnis von Inklusion ist das, zu sagen: „Ihr seid geduldet, aber nicht gleichwertig“? Haben Sie ernst haft geglaubt, Inklusion funktioniere ohne zusätzliches Geld? Genau so sahen doch die Bedingungen Ihres Schulversuchs aus, und die – mit Verlaub – sind unzureichend und nicht ak zeptabel. Erst jetzt in der Opposition merken Sie, dass dafür zusätzliche Ressourcen erforderlich sind.

Deshalb, weil wir dieses Thema, die Bedürfnisse der Kinder ernst nehmen, werden wir mit Bedacht vorgehen und uns nicht wie Sie aus der Verantwortung stehlen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Erste Schritte in die richtige Richtung sind wir bereits gegan gen. Inklusion wird Teil der Lehrerbildung für alle Schular ten. Wir werden die sonderpädagogischen Studiengänge er halten, und wir werden die Sonderschulen nicht abschaffen.

Mit jeder neuen Gemeinschaftsschule kommt eine neue inklu sive Schule hinzu, und selbstverständlich werden hier alle Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf den Klas senteiler angerechnet. Allein hier finden Sie Ihre Frage beant wortet: Wie kommt der Ausbau der Inklusion voran?

Ich sage: gut. Gut auch deswegen, weil alle Schulen des Lan des auf der Grundlage der Schulversuchsbestimmungen in klusive Bildungsangebote weiter ausbauen können. Dies wird von vielen Schulen umgesetzt – auch an meiner eigenen –, und Lehrerinnen und Lehrer von der allgemeinen Schule und von der Sonderschule machen erste gemeinsame Erfahrungen. Hier wächst etwas, was Sie allein mit der Verabschiedung ei nes Gesetzes nicht anordnen können: Verständnis und Tole ranz.

In einem nächsten Schritt wird es nun darum gehen, sich ge meinsam mit den kommunalen Landesverbänden hinsichtlich der Ressourcenausstattung auf eine für alle Zeiten tragbare Lösung zu einigen.

Auch wenn Sie das nicht gern hören: Im Gegensatz zu Ihrer Regierungszeit ist es uns, namentlich Herrn Kultusminister Stoch, bereits zweimal gelungen, eine Einigung zu erzielen. Sowohl die regionale Schulentwicklungsplanung als auch zu letzt der Ausbau der Ganztagsbetreuung sind im Schulter schluss mit den Kommunen erfolgt. Darauf sind wir stolz. Ich bin mir sicher: Dies wird auch bei der Inklusion gelingen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Unsere Positionen beim Thema Inklusion sind klar. Sie heben sich von Ihrem Schulversuch in wesentlichen Punkten ab. Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf zählen zum Klassenteiler. Inklusion kann es nicht zum Nulltarif geben. Die Eltern erhalten ein qualifiziertes Wahlrecht. Der Unter richt muss zieldifferent organisiert werden – übrigens wie in der Gemeinschaftsschule –, und gruppenbezogene Lösungen erlauben das Zwei-Pädagogen-Prinzip und helfen, Ressour cen zu schonen.

Es gibt also, Stand heute, keinen ersichtlichen Grund, an der Umsetzung der Inklusion zu zweifeln. Wir werden – das haben wir bereits mehrfach betont – den Schulämtern für das kom mende Schuljahr Eckpunkte an die Hand geben, mit denen sie arbeiten können – nicht nur in den Modellregionen, sondern an allen Schulen im Land. Für das Schuljahr 2015/2016 kommt dann das Schulgesetz.

Sehr geehrte Herren von der FDP/DVP, Sie missbrauchen die Inklusion als parteipolitisch motiviertes Thema.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Lachen des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Sie haben kein durchdachtes Konzept und wie immer keinen Finanzierungsvorschlag. Das wäre die Grundlage für ein ehr liches Angebot, eine interfraktionelle Arbeitsgruppe einzuset zen. Ein zeitliches Ultimatum geht schon gar nicht. Einem sol chen vergifteten Antrag werden wir nicht zustimmen.

Sie allein, werte Kolleginnen und Kollegen der CDU-Frakti on, sind es, die hier ein ums andere Mal Ängste schüren und von unseren bisherigen Erfolgen in der Schulpolitik ablenken wollen. Dies wird Ihnen nicht gelingen. Dieses Thema, bei dem es um Menschen mit Handicaps geht, hätte mehr Subs tanz Ihrerseits und mehr Ernsthaftigkeit in der politischen Auseinandersetzung verdient.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Claus Schmiedel SPD: Sehr gut!)

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht Kollege Dr. Kern.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Die FDP/DVP-Landtagsfraktion fühlt sich dem Thema Inklusion besonders verpflichtet. Denn das Thema Inklusion ist im wahrsten Sinn des Wortes ein Frei heitsthema. Freiheit im luftleeren Raum bringt nämlich gar nichts, sondern muss sich immer auch im Hier und im Jetzt realisieren lassen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Genau deshalb wollen wir den Menschen mit Behinderungen ohne Wenn und Aber mehr Freiheitsräume eröffnen. Leider tritt die grün-rote Landesregierung ausgerechnet bei diesem wichtigen Thema auf der Stelle. Genau aus diesem Grund hat die FDP/DVP-Landtagsfraktion bereits im vergangenen De zember eine Aktuelle Debatte zu diesem Thema beantragt, nämlich die Aktuelle Debatte zum Thema „Warum verschiebt die Landesregierung das Inklusionskonzept?“. Heute nun zieht die CDU nach und weist mit ihrer Aktuellen Debatte in die richtige Richtung.

Die wichtigste Aufgabe der Politik beim Thema Inklusion ist es, die richtigen Rahmenbedingungen sowohl auf finanzieller und pädagogischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene zu schaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)