Protokoll der Sitzung vom 21.05.2014

Allerdings hätte ich mir schon gewünscht, dass man das eine oder andere konkrete Beispiel liefert und durchaus den Mut dazu hat, sich mit Großunternehmen aus Baden-Württemberg kritisch auseinanderzusetzen. Ich darf nur an die Steuergestal tung damals bei Porsche erinnern, die durch die Medien ge gangen ist, als es um die Übernahme durch VW ging. Da wur de etwa eine halbe Milliarde Euro gespart.

Wenn Sie, Herr Finanzminister – ich darf es zitieren; Kollege Paal hat es auch schon zitiert –, von Großkonzernen reden, die sich aus der Verantwortung stehlen, dann würde ich schon erwarten, dass Sie Ross und Reiter nennen. Meinen Sie Por sche? Oder wen meinen Sie? Sie haben gleich die Gelegen heit, dies zu konkretisieren.

Ich komme auf das Dritte, was in diesem Zusammenhang an gesprochen wird. Ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten Herrn Minister Schmid zitieren:

Daneben müssen in Europa die Steuersätze angeglichen werden.

Ich möchte Sie fragen, wie das mit den Vorschlägen, die Sie im Zusammenhang mit der Reform des Länderfinanzaus gleichs eingebracht haben, zusammenpasst, dass Sie es näm lich für möglich, ja, sogar für wünschenswert erklärt haben, dass Hebesätze für die einzelnen Bundesländer eingeführt werden. Sie sind mit dem Vorschlag unterwegs, auf der Län derebene zu einer Steuerdifferenzierung innerhalb des deut schen Staates zu kommen, doch gleichzeitig verlangen Sie, dass die Steuersätze auf europäischer Ebene angeglichen wer den sollen. Herr Minister, diesen Widerspruch sollten Sie uns einmal erklären. Das passt vorn und hinten nicht zusammen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wenn man sich einmal die europäischen Staaten anschaut, wenn Sie sich die Steuergesetzgebung der Slowakei oder Est lands anschauen – Sie wollen diesen Staaten erklären, wir brauchten einheitliche europäische Steuersätze –, dann ist doch schon von vornherein klar, dass es sich bei diesen Vor schlägen um eine rein populistische Schaufensterpolitik han delt. Es kommt doch niemand in Estland oder in der Slowa kei auf die Idee, sich von Baden-Württemberg, vom badenwürttembergischen Finanzminister vorschreiben zu lassen, jetzt auf einheitliche europäische Steuersätze einzuschwen

ken. Sie wären verrückt, wenn sie das tun würden. Denn sie haben auf diese Art und Weise eine Gestaltungsmöglichkeit, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

(Heiterkeit des Abg. Peter Hofelich SPD – Abg. Pe ter Hofelich SPD: Nett ausgedrückt!)

Es ist völlig richtig, wenn man sagt, das dürfe nicht so weit führen, dass sie in eine Schuldenkrise geraten. Man kann nicht auf der einen Seite Steuern senken und auf der anderen Seite bei Europa die Hand aufhalten. Das macht z. B. Estland über haupt nicht. Estland hat niedrige Steuersätze und praktisch keine Staatsverschuldung. Die müssen nicht unter einen Ret tungsschirm, sondern sie zeigen, dass sie eine vernünftige, ei ne gute, eine marktwirtschaftliche Politik machen. Solchen Ländern kann man doch keine einheitlichen europäischen Steuersätze vorschreiben wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Vor allem stellt sich die Frage: Wer ist dann der Maßstab für diese einheitliche europäische Steuergesetzgebung? Sind es vielleicht die französischen Sozialisten? Ist es François Hol lande, der mit einem Steuersatz von 75 % die Großunterneh men aus dem Land treibt, wo der Mittelstand vor die Hunde geht bei dieser Steuergesetzgebung, die die französischen So zialisten vertreten?

(Minister Peter Friedrich: Fast so schlimm wie bei Rainer Brüderle!)

Hollande hat mittlerweile selbst erkannt, was für ein Quatsch das ist, und steuert um.

Man sieht ja, welche Auswirkungen das hat, meine Damen und Herren. Früher sind die Menschen vor den Sozialisten aus Russland geflohen; mittlerweile flieht Gérard Depardieu vor den französischen Sozialisten nach Russland.

(Heiterkeit)

Das sind die Segnungen einer solchen Steuerpolitik auf euro päischer Ebene, die Sie offensichtlich vorschlagen wollen. Lassen Sie diesen Unsinn sein, meine Damen und Herren.

Es passt auch überhaupt nicht zusammen, auf der einen Seite auf nationaler Ebene von Hebesätzen der Bundesländer zu re den und auf der anderen Seite von einem einheitlichen Steu ersatz auf europäischer Ebene zu schwadronieren. Das ist ein Beitrag zum Wahlkampf, sonst nichts. In der Realität wird nichts, aber auch gar nichts dabei herauskommen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Für die Landesregierung spricht der Minister für Finanzen und Wirtschaft Dr. Nils Schmid.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! 1 Billion € entspricht ungefähr dem zusammengerechneten Jahreslohn aller deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist ein Schlag ins Gesicht aller ehrlichen Steuerzahler, dass den EU-Staaten Jahr für Jahr Steuereinnahmen in dieser Höhe durch Steuerflucht und Steuerumgehung verloren gehen. Hier

von Einzelfällen zu reden, Herr Paal, ist eine völlige Vernied lichung der Tatsachen. Das ist ein Schlag ins Gesicht der ehr lichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zurufe der Abg. Dr. Friedrich Bullinger und Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Diese Summe, diese schier unvorstellbare Summe ist zugleich ein Mahnmal für die herrschende Steuerungerechtigkeit. Das Schlimmste ist – da haben Sie völlig recht –: Das geschieht ganz legal. Deshalb habe ich – wie auch in anderen Zusam menhängen – das Sprachbild „aus der Verantwortung stehlen“ gewählt; das hat gar nichts mit Kriminalisierung zu tun, son dern das ist ein wunderschönes Bild der deutschen Sprache. Herr Paal und ich, wir beide sind Freunde der deutschen Spra che. Insofern sollten Sie jetzt nicht an irgendwelchen Formu lierungen herumkritteln.

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Wir halten im Koalitionsvertrag auf Bundesebene gemeinsam mit CDU und CSU daran fest: Wir wollen diese Umgehungs tatbestände, diese Steuerflucht angehen – auch wenn sie legal ist. Denn was sich so harmlos hinter dem Begriff „Base Ero sion and Profit Shifting“, BEPS, verbirgt, ist nichts anderes als eine große Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammen halt.

Vor allem die international tätigen Konzerne wie Amazon und Google schmelzen auf ganz legale Art und Weise ihre Bemes sungsgrundlage ab. Sie nutzen die Unterschiede im Steuer recht zwischen den Staaten für eine grenzüberschreitende ag gressive Steuergestaltung aus. Im Ergebnis werden die Ge winne nicht dort versteuert, wo sie entstehen, nein, sie wer den in steuerlich günstige Länder verschoben.

Zur gleichen Zeit – genau das ist die große Gefahr für das Mit telstandsland Baden-Württemberg – zahlen die Unternehmen, die Mittelständler, die Einzelhändler, die Handwerker und na türlich auch die abhängig Beschäftigten in unserem Land ih re Steuern in voller Höhe.

Diese Ungleichheit wollen wir nicht länger dulden. Es ist des halb gut, dass dieses Thema im Koalitionsvertrag endlich auf gegriffen wird. Denn – wir erleben es in den Haushaltsdebat ten hier im Landtag immer wieder – dieses Geld, diese 1 Bil lion €, fehlt den europäischen Staaten für die Bildung, es fehlt uns in Baden-Württemberg für die Kinderbetreuung, es fehlt uns in Deutschland und in Baden-Württemberg für den Erhalt unserer Verkehrsinfrastruktur, es fehlt uns für die innere Si cherheit.

Deshalb widerspricht diese Praxis der internationalen Steuer gestaltung und Steuerumgehung genau dem, wofür sich die se Landesregierung starkmacht. Wir machen uns stark für Steuergerechtigkeit, damit der Ehrliche nicht weiter der Dum me ist.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Wir haben Ernst gemacht mit dem Kampf für mehr Steuerge rechtigkeit.

(Zuruf des Abg. Claus Paal CDU)

Auch in Deutschland entgehen dem Fiskus Jahr für Jahr Steu ereinnahmen in Milliardenhöhe. Wir haben deutlich gemacht: Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt; sie ist die Auf kündigung der Gemeinschaft und des Zusammenlebens.

Deshalb haben wir den Druck erhöht. Bis 2016 schaffen wir 500 zusätzliche Stellen in der Steuerverwaltung. Wir verzeich nen – ausgelöst durch die Berichterstattung über einzelne Fäl le – eine Flut von Selbstanzeigen bei unseren Finanzämtern. Das zeigt auch an: Es war bitter nötig, den Druck aufrechtzu erhalten.

Deshalb war es richtig – das will ich gerade den Abgeordne ten von CDU und FDP/DVP in diesem Saal in Erinnerung ru fen –, war es goldrichtig, dass wir das Steuerabkommen mit der Schweiz abgelehnt haben.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Denn eines müsste inzwischen auch dem Letzten klar gewor den sein: Mit dem Steuerabkommen wäre Uli Hoeneß noch immer ein freier Mann – und viele andere auch. Es wäre ein Freifahrtschein für kriminelles Verhalten derjenigen gewesen, die sich ganz bewusst gegen die Gesellschaft gestellt haben.

Es ist gut, dass wir gerade bei dieser Frage des Steuerabkom mens auf Druck gesetzt haben, darauf gesetzt haben, dass sich die Schweiz und andere Staaten den europäischen Vereinba rungen zum automatischen Informationsaustausch anschlie ßen. Genau dieser Druck hat gewirkt. Sie hätten die Steuer gerechtigkeit für ein Linsengericht preisgegeben; wir haben für Steuergerechtigkeit gekämpft, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir bleiben auf Kurs, auch dort, wo wir in Deutschland direkt Verantwortung tragen. Beispielsweise haben auf unser Drän gen hin die Finanzministerinnen und Finanzminister der Län der mit Zustimmung des Bundesfinanzministeriums vor zwei Wochen beschlossen, die Voraussetzungen für die Selbstan zeige deutlich zu verschärfen; das ist Ihnen bekannt. Insbe sondere wird die Verjährungsfrist für die Strafverfolgung bei Steuerhinterziehung auf zehn Jahre ausgedehnt. Die Zuschlä ge bei der Nachentrichtung von Steuern im Falle einer Selbst anzeige werden deutlich erhöht; ab einem Betrag von 1 Mil lion € gibt es sogar einen Zuschlag von 20 %. All dies ist ein großer Erfolg und soll schon zu Beginn des nächsten Jahres, zum 1. Januar 2015, in Kraft treten.

So entschieden und entschlossen, wie wir der Steuerhinterzie hung begegnet sind und wie wir sie bekämpfen, wollen wir auch der aggressiven Steuergestaltung und dieser ganzen irr sinnigen Praxis Einhalt gebieten.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Wollen Sie Mindest sätze oder nicht?)

Da sind wir in den Ländern gefordert, meine sehr verehrten Damen und Herren aus dem Landtag von Baden-Württem berg. Denn unsere Steuerverwaltung bearbeitet diese Fälle. Das heißt, unsere Leute haben die Expertise, zu sagen, wo es hakt. Unsere Leute sind in der Arbeitsgruppe des BMF ver treten und erläutern, welche Gestaltungsmöglichkeiten es gibt. Die Praktiker aus unserer Steuerverwaltung weisen darauf hin, dass wir nicht warten müssen, bis sich Europa irgendwann ei nigt.

Nein, wir selbst, wir in Deutschland haben es in der Hand, durch unsere Steuergesetzgebung einen Teil der entsprechen den Gestaltungsmöglichkeiten zu beenden. In Deutschland gibt es beispielsweise Besonderheiten bei Personengesell schaften. Diese Besonderheiten führen dazu, dass – allein auf grund deutschen Rechts – die Möglichkeit eröffnet wird, dass Kapitalgesellschaften Personengesellschaften zwischenschal ten und damit bestimmte Besonderheiten des deutschen Steu errechts für sich ausnutzen.

Das heißt: Wir sind gefordert. Das dauernde Schielen auf die europäische Ebene ist eine Taktik, die die CDU seit Jahren an wendet: viel reden über den Kampf gegen missbräuchliche Steuergestaltungsmöglichkeiten, aber nichts tun. Wir wollen mit der genannten Bundesratsinitiative in Deutschland und in Europa endlich vorankommen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Deshalb enthält diese Bundesratsinitiative ein klares Bekennt nis zu der Notwendigkeit, u. a. die gemeinsame konsolidier te Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage auf europäischer Ebene endlich umzusetzen. Das liegt schon lange auf dem Tisch. Die Vorschläge werden in den EU-Gremien diskutiert. Jetzt wird es Zeit, damit endlich Ernst zu machen.

Dazu gehört auch eine Steuerharmonisierung, um dem Steu erdumping, dem Wettlauf nach unten Einhalt zu gebieten.

Deshalb ist es völlig richtig, dass ich für eine Vereinheitli chung von Steuersätzen, für Mindeststeuersätze auf europäi scher Ebene bin. Darum geht es. Es geht darum, dass es in Eu ropa Mindeststeuersätze gibt, die für alle gelten. Ich bin auch dafür, dass es im deutschen Finanzsystem Mindesthebesätze gibt und sozusagen nach unten hin keinen Wettlauf gibt. In sofern bin ich auf europäischer und auf nationaler Ebene völ lig logisch unterwegs.

Ich bin der Meinung: Jawohl, auch in Europa wird es in Zu kunft einen Vergleich von Steuersätzen geben. Aber wir brau chen Mindestsätze, die für alle gelten müssen.