Protokoll der Sitzung vom 11.03.2020

Hier erleben wir übrigens auch ein Rendezvous mit der Glo balisierung, und wir sehen die Verwundbarkeit einer gemein samen globalen Welt. Jedes zweite deutsche IHK-Unterneh men rechnet mit erheblichen Umsatzrückgängen in diesem Jahr. Im Gastgewerbe spüren 80 % der Betriebe schon kon krete Folgen von Corona, und in der Industrie sind es laut IHK in dieser Woche 56 %. Ich habe übrigens in den letzten Jah ren noch nie so leere Frühstücksräume im Hotel erlebt wie heute Morgen.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Kommt darauf an, wann man zum Frühstück geht!)

Das Export- und Industrieland Baden-Württemberg ist gleich dreifach betroffen: im Export, in der Produktion und auch im Konsum. Die Effekte sind zum Teil bedrohlich. Gerade den Mittelstand in diesem Land, kleine Betriebe, Messebauer, die gesamte Eventbranche, Handwerker, Gastronomen – Kurorte haben mich heute Morgen angeschrieben – bis zum Europa park trifft es genauso empfindlich wie mittlerweile unsere Flaggschiffe, nämlich Maschinenbau und Fahrzeugbau, die sich Sorgen machen.

(Abg. Klaus Dürr AfD: Sehr gut!)

Vor diesem Hintergrund: Selbst die LBBW rechnete schon vor einer Woche mit einem Minuswachstum für Baden-Württem berg unter dem Einfluss des Coronacrashs. Diese Prognosen können sich aktuell, weil wir ja auf Sicht fahren müssen, eher

noch verschlechtern. Solche Zahlen sind alarmierend, und sie zeigen: Wir müssen die Abwehrkräfte unserer Wirtschaft ge gen die Krisensymptome stärken, und zwar Bund und Land Hand in Hand.

Es betrifft aber daneben auch Europa und die Kommunen. Al le sind hier gefordert.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Es ist gut, dass die Kommissionspräsidentin heute Morgen das erste 25-Milliarden-€-Hilfspaket für die Wirtschaft angekün digt hat. Wir müssen jetzt der Wirtschaft beistehen. Dazu ge hören Lockerungen bei der Kurzarbeit, denn wir wollen Ar beitslosigkeit vermeiden und die Entlastung der Arbeitgeber durch die vollständige Erstattung der Sozialversicherungsbei träge in diesem Zusammenhang.

(Ein Abgeordneter niest.)

Bitte in die Armbeuge.

(Heiterkeit – Abg. Andreas Stoch SPD: Ellenbeuge!)

Auch zusätzliche Liquiditätshilfen, Bürgschaften für Betriebs mittelkredite, Exportkreditgarantien, Steuererleichterungen, Steuerstundungen und Überbrückungskredite müssen in die sem Zusammenhang ins Auge gefasst werden.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Andreas Schwarz GRÜNE)

Ich habe mich dieser Tage an 2008 erinnert. Damals war ich Bundesratsminister, und wir hatten große Diskussionen, als man für Schaeffler oder hier in Baden-Württemberg für Hei deldruck Bürgschaften bewilligt hat. Aber diese Bewilligun gen – auch hinsichtlich Kurzarbeit – haben geholfen, dass wir damals gestärkt aus der Krise herausgekommen sind. Das müssen wir immer rechtzeitig im Auge behalten.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Es geht um wichtige und richtige Instrumente einer Akuthil fe. Denn sie können die Brücke bauen, um Arbeitsplätze zu sichern, auch um Unternehmen aus der Talsohle zu helfen. Belegschaften können gehalten werden, und damit kann auch die Liquidität der Unternehmen gesichert bleiben. Wichtig ist, dass in einer solchen Zeit auch der Staat für Investitionen sorgt, dass er für schnellere Genehmigungen, schnellere Pla nungen, aber auch für den Ausbau von Glasfaser- und Mobil funknetzen sorgt.

Gerade jetzt muss der Standort Deutschland gestärkt und ro bust gemacht werden. Deshalb begrüßen wir auch den Drei stufenplan des Bundeswirtschaftsministers. Wir werden auch vom Land aus vieles begleiten müssen. Die Wirtschaftsminis terin war gestern in Berlin und hat mit dem Bundeswirt schaftsminister gesprochen. Das ist wichtig, und das ist gut so.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Natürlich gilt: Die Lage ist sehr dynamisch. Wir müssen auf Sicht fahren und alles tun, um der Wirtschaft auch in einer sol chen Krise zu helfen. Ich werbe deshalb dafür, dass wir die Risikorücklage, die wir ja klugerweise im Landeshaushalt vor

gesehen haben, jetzt auch nutzen und Mittel für eine aktive Krisenreaktion einsetzen.

Wir werden auf Vorschlag der Landesregierung wegen Coro na einen Nachtragshaushalt einbringen. Wir haben schon im regulären Haushalt zusätzliche Schwerpunkte für Innovation und Forschung gesetzt und im Haushalt einen dreistelligen Millionenbetrag dafür verankert. Wir setzen mit dem Haus halt auch stark auf den Breitbandausbau: Bis zu 1 Milliarde € werden in dieser Wahlperiode dafür bereitgestellt. Hierauf ha ben die Landesregierung und der Herr Innenminister oft hin gewiesen.

Auch Zukunftstechnologien, KI, Quantencomputing, das al les kann sich auszahlen. Im Land ist ein Instrumentenkasten für Kriseninterventionen vorhanden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Diesen müssen wir nutzen. Dazu zählen genauso beispiels weise Liquiditätshilfen, Landesbürgschaften – auch über die L-Bank. Diese Instrumente müssen wir jetzt unbürokratisch und mit Tempo an den Mann bringen, wo es nötig ist.

Massiv betroffen sind gerade die Gastronomie und der Tou rismus in unserem Land. Die Tourismusbranche muss schon jetzt bis weit in die Saison einen Stornierungsanteil von bis zu 40 % verkraften. Deshalb unterstützen wir die Forderung, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz einheitlich für das gan ze Gastrogewerbe gelten muss. DEHOGA und Tourismusmi nister haben das vorgeschlagen. Wir können diese Forderung gut nachvollziehen und sie mit Recht begleiten.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wirksam sind auch Steuerstundungen, gegebenenfalls Son derabschreibungen, wie heute u. a. die Tourismusindustrie bis hin zum Europapark vorgeschlagen hat. Wir unterstützen auch den Vorstoß der Wirtschaftsministerin und der Landesregie rung, Herr Ministerpräsident, die Fördernachteile für BadenWürttemberg im EU-Beihilferecht auszugleichen. Es muss möglich sein, dass auch strukturstarke Regionen Innovatio nen, neue Technologien und Weiterbildung gezielt fördern dürfen. Baden-Württemberg ist für ganz Europa der Motor für Innovation und gelingende Transformation. Das wollen wir auch in Zukunft bleiben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Wenn die EU jetzt schon ein Milliardenprogramm für die Wirtschaft auf den Tisch legt, dann sollte sie nicht gleichzei tig unsere Schlüsselindustrien durch EU-Recht und technisch kaum erreichbare CO2-Vorgaben ausbremsen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Carola Wolle AfD: Ach nee! Ganz neu!)

Die Autoverkäufe sind allein in China um 20 % eingebrochen. Die Autoindustrie ist durch Corona genug gestraft. Deshalb sollte sich die EU überlegen, in einer solchen Zeit drohende Strafzahlungen für die Automobilhersteller eher auszusetzen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Karl Zimmermann CDU: Sehr gut!)

Der Staat muss jetzt die Wirtschaft durch diese Flaute beglei ten; denn wenn sich die Krise weiter verschärft, brauchen wir einen wirtschaftspolitischen Aktionsplan aller Ebenen, von Europa über Bund und Land bis hin zu den Kommunen. Wir müssen sicherstellen, dass die Betriebe weitermachen können und dass sie nach dieser Akutsituation wieder gut durchstar ten können.

Die Lage ist ernst. Gefragt sind Entschlossenheit, aber auch Besonnenheit. Hier geht es um unseren Wirtschaftsstandort. Wir müssen ihn krisenimmun machen. Deshalb wollen wir unserer Wirtschaft beistehen; denn es geht auch in Zukunft um ein starkes, widerstandskräftiges und vor allem zukunfts fähiges Baden-Württemberg.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Frau Abg. Lindlohr das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Die Folgen des neuartigen Coronavi rus beschäftigen uns alle. Unsere erste Sorge ist die Fürsorge für jene, für die das Virus gefährlich werden kann. Unsere Botschaft ist klar: Wir setzen als verantwortliche Politikerin nen und Politiker alles in Bewegung, damit möglichst weni ge Menschen in Gefahr geraten.

Bereits in der letzten Woche hat unser Gesundheitsminister Manne Lucha in einer Regierungsinformation über die aktu elle Lage berichtet. Vielen Dank Ihnen, Herr Minister, vielen Dank den beteiligten Ministerien, die hierbei so gut zusam menarbeiten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP) )

Seit letzter Woche sind, wie erwartet, zahlreiche neue Fälle von Covid-19 bei uns aufgetreten. Zugleich sind neue Infra strukturen entstanden, z. B. die Drive-in-Teststationen. Die Gesundheitsbehörden, die Kliniken, die Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, die Ärztinnen und Ärzte leisten hervor ragende Arbeit. Auch bei ihnen möchte ich mich herzlich be danken.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Die Unternehmen in unserem Land sind Teil unserer Gesell schaft. Auch sie gehen umsichtig mit der Lage um. Sie ermög lichen Homeoffice, sie stellen Beschäftigte großzügig frei, wenn diese Bedarf haben, sie wandeln Geschäftsreisen in Vi deokonferenzen um. Damit arbeiten die Unternehmen daran, die Ausbreitungsdynamik des Coronavirus einzudämmen. Auch dafür von unserer Seite herzlichen Dank an die umsich tigen Unternehmen in unserem Land.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Rudi Fischer FDP/DVP)

Die Coronakrise hat absehbar erhebliche wirtschaftliche Fol gen. Der Verlauf ist sehr dynamisch. Denken Sie nur an die Lage in Italien und daran, was es für die Unternehmen hier bedeutet, wenn die Lieferbeziehungen gekappt werden. Die Unternehmen in unserem Land sichern die Versorgung der Menschen mit wichtigen Waren und Dienstleistungen hier bei

uns, aber in unserer vernetzten Welt natürlich auch mittelbar in anderen Teilen der Welt. Darum arbeiten wir daran, dass unsere Wirtschaft weiterläuft.

Unsere Botschaft an die Unternehmerinnen und Unternehmer ist klar: Wir lassen die Unternehmen in der Coronakrise nicht allein. Wir helfen schnell und unbürokratisch. Das ist wichtig für das Gemeinwohl und für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Unsere globale Wirtschaftsweise ist sehr erfolgreich, aber na türlich auch verletzlich. Wir sind es gewohnt, dass Lieferket ten funktionieren und dass Menschen sehr mobil sein können. Momentan kommt es zu viel weniger Beziehungen, und es kann nicht in gleicher Weise gewirtschaftet werden. Die welt weiten Konjunkturprognosen werden nun deutlich nach un ten korrigiert, und wir müssen auf die weitere Entwicklung reagieren.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag – Herr Kol lege Reinhart hat es zitiert – hat alle seine Mitgliedsunterneh men befragt. Die Rückmeldungen aus Baden-Württemberg waren sehr zahlreich. Stand Montag spüren 56 % der Unter nehmen in unserem Land bereits Auswirkungen der Corona krise auf ihre Geschäfte. Damit ist klar: Unser globalisierter Wirtschaftsstandort hier ist stärker betroffen als der Bundes durchschnitt.

Der Automarkt in China ist zusammengebrochen – das haben wir schon gehört –, doch wir sollten uns hier nicht in ein na tionales Häuschen zurückziehen wollen. Wir leben in einer vernetzten Welt. Das soll auch so bleiben. Wir müssen mit den Risiken dieser vernetzten Welt umgehen und umzugehen ler nen. Viren verbreiten sich, und auch die Bekämpfung einer solchen Krise in gesundheitlicher und in wirtschaftlicher Hin sicht erfordert internationale Zusammenarbeit. Dafür stehen wir in Baden-Württemberg.