Protokoll der Sitzung vom 11.03.2020

Die Lieferketten sind bereits jetzt empfindlich gestört. Wir ha ben die Container, die vor sechs Wochen beladen wurden, noch bekommen, aber jetzt wird ein Bruch eintreten, jetzt wer den leere Transportschiffe oder gar keine Transportschiffe mehr ankommen.

Deswegen ist auch ernst zu nehmen, was der Baden-Württem bergische Industrie- und Handelskammertag sagt. Dort geht man davon aus, dass ein Viertel der Unternehmen in BadenWürttemberg in diesem Jahr mit einem Umsatzrückgang von über 10 % rechnen müssen. Ein Umsatzrückgang von über 10 % bedeutet, dass das nicht einfach aus der Portokasse be glichen werden kann, sondern dass die Substanz der Unter nehmen nachhaltig betroffen ist. So weit, so schlecht.

Aber das Coronavirus beeinträchtigt ganz speziell viele klei ne und mittlere Unternehmen. Hinter jeder abgesagten Mes se stehen betroffene Messebauer, Veranstaltungsplaner und

-manager, aber auch der Einzelhandel und vor allem die Gas tronomie.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen jetzt konkrete Hilfen, die schnell und sofort wirken, damit diese Unternehmen erhalten bleiben können. Wir müssen verhin dern, dass in diesem Land Arbeitsplätze und Unternehmen verloren gehen, weil diese Unternehmen durch die Corona krise tatsächlich nicht mehr rentabel geführt werden können. Daran muss sich unsere Politik dieser Tage und dieser Wo chen messen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich brauchen wir jetzt möglichst bald schnell wirkende Instrumente. Die Liquiditätshilfen sind bereits genannt wor den: Bürgschaften, insbesondere Ausfallbürgschaften, Steu erstundungen. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden nicht allein mit diesen Maßnahmen hinkommen. Wir merken, dass wir über die Zins- und Geldpolitik keine großen Anreize mehr setzen können. Wir merken auch, dass wir in Baden-Württemberg und in Deutschland durch niedri gere Steuern keine zielgerichtete Entwicklung mehr in Gang bringen können.

Deswegen halte ich es auch für falsch, wenn im Moment mit dem Vorwand des Coronavirus über Unternehmensteuersen kungen oder Ähnliches nachgedacht wird. Das kann man mit tel- oder langfristig gern tun und die Vor- und Nachteile ab wägen. Aber jetzt unter dem Vorwand der Coronakrise diese Themen anzustoßen bringt uns nicht die Hilfe, die die Unter nehmen im Moment wirklich brauchen.

Deswegen: Sparen Sie sich diese Debatten. Wir brauchen jetzt einen handlungsfähigen Staat, der den Unternehmen mit ganz konkreten Programmen zielgenau zur Seite steht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)

Deswegen sind wir auch sehr froh darüber, dass die Bundes regierung, zuletzt im Koalitionsausschuss am Sonntag, das Richtige getan hat. Wir wissen, dass wir über das Thema Kurzarbeitergeld, vor allem über das Transformationskurzar beitergeld, bereits vor einigen Wochen gesprochen haben. Da mals wussten wir noch gar nichts vom Coronavirus. Wir wa ren aber der Überzeugung, dass wir gerade in den für BadenWürttemberg wichtigen Branchen, nämlich der Automobilin dustrie und dem Maschinenbau, besondere Hilfen brauchen.

Denn wenn dort Auftragsrückgänge vor allem auch bei klei nen und mittleren Unternehmen zu verzeichnen sind, dann müssen wir die Kurzarbeit, die wir dann zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit einrichten wollen, auch und gerade dafür nut zen, dass in dieser Zeit sinnvolle Weiterbildung und Weiter qualifizierung stattfindet. Das ist für die Unternehmen wich tig. Vor allem ist es aber für die Arbeitnehmerinnen und Ar beitnehmer wichtig. An dieser Stelle bin ich Herrn Arbeitsmi nister Hubertus Heil sehr dankbar, dass er dieses Thema seit Monaten auf der Agenda hat

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

und dass wir jetzt endlich die Beschlüsse haben, die wir brau chen, um die Unternehmen, aber auch die Arbeitnehmerinnen

und Arbeitnehmer in unserem Land fit für eine gute Zukunft zu machen.

(Beifall bei der SPD – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich glaube, wenn wir diese Maßnahmen gemeinsam sehr ziel genau einsetzen, werden wir es schaffen, dass die Ausbreitung des Coronavirus eben nicht voll auf den Arbeitsmarkt durch schlägt und dass wir diese schwierige Zeit, die wir in den nächsten Monaten zu bestehen haben, gut überstehen.

Dazu brauchen wir, wie gesagt, aber auch ein Bewusstsein da für, dass der Staat nicht irgendetwas Störendes ist, wenn es um Wirtschaft geht, sondern dass der Staat in dieser Situati on – aber eben nicht nur in der Krisensituation – eine ganz wichtige Rolle hat, um auch entsprechende Investitionsanrei ze zu setzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kollege Reinhart, dafür bin ich sehr dankbar. Öffentliche Investitionen sind ge rade in einer Zeit, in der wir in einzelnen Branchen Schwie rigkeiten haben, ein ganz entscheidendes Instrument. Deswe gen, glaube ich, sollten wir alle, wenn ich dieses Bild zeich nen darf, nicht nur jetzt während der Zeit des Coronavirus handeln und entsprechend denken.

Das Coronavirus wird dafür sorgen, dass es an unserem Wirt schaftsstandort sozusagen durchs Dach zu regnen beginnt und dass wir anfangen, Eimer aufzustellen. Wir brauchen diese Ei mer, um größeren Schaden zu vermeiden. Aber wir dürfen nicht nur Eimer aufstellen, um kurzfristigen Schaden zu ver meiden, sondern wir müssen jetzt und gerade in dieser Situa tion daran denken, das Dach neu zu decken, damit unsere Wirtschaft, unser Land nachhaltig zukunftsfähig sind, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen ist für eine nachhaltige Wirtschafts- und Industrie politik vor allem auch eine nachhaltige Investitionsstrategie jetzt das Richtige, um dieses Dach wetterfest zu machen. Han deln ist angesagt – wie es die Bundesregierung tut. Aber wir brauchen eben noch mehr, weil wir in Baden-Württemberg besonders betroffen sind. Wir können noch mehr, und wir müssen noch mehr können, denn unser Land ist in besonde rem Maß betroffen.

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es gut, wenn die Landesregierung über Notprogramme nachdenkt. Machen wir aus der Not aber eine Tugend, und nutzen wir die Dynamik und die Einsicht dieser Tage, um auch über den Tag hinaus die richtige Politik zu machen.

Sie wollen dem Coronavirus besonnen, aber entschlossen be gegnen. Dabei unterstützen wir Sie nach Kräften, mit Tatkraft und mit außergewöhnlichen Mitteln. Machen Sie das aber über diese Krise hinaus auch zum Maßstab Ihrer Wirtschaftspoli tik für unser Land.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU – Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Das machen wir!)

Für die AfD-Fraktion erteile ich Frau Abg. Wolle das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die von der CDU beantragte Aktuelle Debatte „Wirtschaftsstandort stärken – Krisenabwehrkräfte aktivieren“ thematisiert eine mögliche Krise, ausgelöst durch das Coronavirus, wie wir gehört haben. Aufgrund der Erfahrungen mit dem SARS-Virus sollte eine gute Landes- oder Bundesregierung eigentlich auf Epidemi en vorbereitet sein.

In diesen Tagen zeigen sich die Vor- und Nachteile der Glo balisierung mehr als deutlich. Die deutschen Unternehmen profitieren zwar von dieser weltweiten Arbeitsteilung, jedoch sind im Gegenzug die Lieferketten sehr anfällig, wie zu be merken ist.

Das Beispiel der Pharmaindustrie zeigt das eigentlich schon lange, nicht erst seit Corona. Seit geraumer Zeit sind Medika mente unter Umständen nicht lieferbar; ein Teil ist schlicht weg nicht mehr verfügbar. Infolge des Coronavirus, das nicht nur in Asien grassiert, sind diese Lieferengpässe jetzt auch in der Industrie sowie in der Gastronomie bemerkbar.

Für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg sind aktuell also nicht nur die Lieferschwierigkeiten bei Vorprodukten von Bedeutung, sondern auch die Ausbreitung des Virus selbst und wie wir hier in unserem Land damit umgehen.

Es besteht Anlass zu großer Sorge, wie hier zu hören war. Denn niemand weiß, wie sich die Anzahl der Infektionen in unserem Land weiterentwickeln wird. Die Daten aus den Län dern, in denen das Virus schon länger grassiert, lassen nichts Gutes erwarten, vor allem, weil diese Länder sehr engagiert gegen die Ausbreitung des Virus vorgehen.

Das kann man von Deutschland und Baden-Württemberg lei der nicht behaupten. Man vergleiche nur die Bilder kurz nach dem ersten Auftreten des Virus in China mit den aktuellen Bil dern hier in Deutschland und in Baden-Württemberg. Ver harmlosung und Beschwichtigung sind hier die Mittel, mit de nen man glaubt, die Bürger beruhigen zu müssen. Hamster käufe werden lächerlich gemacht. Doch das hat fatale Folgen. Mangelnde Aufklärung über die tatsächlichen Risiken der Er krankung führt zu laxem Umgang damit. Dadurch wird die Krise nur noch verschärft. Die verantwortlichen Stellen, ganz vorn Herr Minister Spahn, werden schon bald rapide steigen de Kranken- und Verstorbenenzahlen zu verantworten haben.

(Abg. Claus Paal CDU: Ui!)

Doch bis dahin geht der Tanz auf dem Vulkan offensichtlich weiter. Immerhin empfiehlt Herr Spahn jetzt, Großveranstal tungen mit mehr als 1 000 Besuchern abzusagen. Das Land zieht nach.

Aber was davon zu halten ist, konnte man am vergangenen Wochenende in Schriesheim in Nordbaden besichtigen. Nicht weniger als 26 000 – ich wiederhole: 26 000! – Besucher zog es zum dortigen Mathaisemarkt. Das ist wohl die größte „Co rona-Tauschbörse“

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Sehr gut!)

hier in Baden-Württemberg.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Grobe Fahrlässigkeit!)

Wenn Bürgermeister Höfer sich dann auch noch freut – ich zi tiere –:

Die Leute sind glücklich und dankbar, dass sie in Zeiten von Corona feiern und ein Stück Normalität erleben dür fen...

dann weiß man, wo man ist: in Deutschland. Es ist unfassbar, wie hier mit dem Virus umgegangen wird.

(Beifall bei der AfD und des Abg. Dr. Heinrich Fiecht ner [fraktionslos] – Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [frak tionslos]: Jawohl! Unfassbar!)

Dass es ganz anders geht, zeigt Taiwan. Der Inselstaat liegt in unmittelbarer Nähe zu China und gilt laut WHO als Hochri sikogebiet. Es findet ein reger Reiseverkehr von und nach dem chinesischen Festland und auch ein reger Warenaustausch statt. Durch ein professionelles Krisenmanagement hat es die dortige Regierung trotzdem geschafft, die Ausweitung des Co ronavirus im Keim zu ersticken. Gerade einmal 42 bestätigte Coronafälle gibt es in Taiwan. Es geht also – aber eben nicht bei uns.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Genau!)

Die Coronakrise hat neben den Auswirkungen auf Leib und Leben der Bürger auch Auswirkungen auf die Wirtschaft – das war schon zu hören – und auf unseren Wohlstand. Das lässt sich schon seit geraumer Zeit an der Entwicklung des DAX ablesen. Die Verluste an der Deutschen Börse sprechen Bän de. Je länger die Untätigkeit der Verantwortlichen und die Sorglosigkeit der Bürger anhält, umso dicker wird das dicke Ende kommen. Quarantäne, Abriegelung ganzer Regionen und Unterbrechung von Bahn- und Flugverkehr werden die Wirt schaft behindern und geradezu strangulieren.

Die mitregierende CDU stellt die Frage, wie zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg Krisenabwehrkräf te aktiviert werden könnten. Unserer Meinung nach wäre ein erster Schritt die Deaktivierung inkompetenter Politiker à la Jens Spahn.

(Beifall bei der AfD und des Abg. Dr. Heinrich Fiecht ner [fraktionslos] – Heiterkeit der Abg. Dr. Christina Baum AfD – Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los]: Lucha z. B.! – Zuruf: Ach du meine Güte!)

Doch der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg wird nicht erst infolge des Coronavirus gefährdet;

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Das ist aber bil lig!)

schon vor Corona waren dunkle Wolken am Horizont erkenn bar: Ein rein ideologisch motivierter Kampf gegen den Ver brennungsmotor und die irrwitzige Fokussierung auf die bat teriebetriebene Mobilität treffen die Automobilindustrie und deren Zulieferer ins Mark. Statt den Wirtschaftsstandort zu stärken, wird dieser – diesen Eindruck könnte man fast be kommen – vorsätzlich geschwächt.