Protokoll der Sitzung vom 19.03.2020

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 115. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.

Von der Teilnahmepflicht befreit sind: Herr Abg. Behrens, Herr Abg. Binder, Herr Abg. Brauer, Herr Abg. Halder, Herr Abg. Hentschel –

(Zuruf: Er ist doch da!)

ja, bei mir war es so gemeldet; okay; schön, dass Sie da sind –, Herr Abg. Karrais, Herr Abg. Kenner, Herr Abg. Dr. Kern, Herr Abg. Kleinböck, Frau Abg. Lindlohr, Herr Abg. Maier, Herr Abg. Marwein, Herr Abg. Nelius, Herr Abg. Palka, Frau Abg. Rolland, Herr Abg. Schoch, Herr Abg. Voigtmann, Herr Abg. Weber, Frau Abg. Wehinger und Frau Abg. Zimmer.

Sehr geehrte Damen und Herren, das heutige Plenum findet unter außergewöhnlichen Umständen statt. Wir müssen wich tige Entscheidungen treffen, damit unser Land flexibel auf die Coronapandemie antworten kann. Die Coronapandemie for dert uns als Gesellschaft, fordert uns alle. Ich bin aber zuver sichtlich, dass unser starkes Gemeinwesen, dass wir alle die se Herausforderung mit Zusammenhalt und Solidarität meis tern.

Gleichzeitig tragen wir alle hier im Plenarsaal, wie jede Bür gerin, wie jeder Bürger auch, die ganz konkrete Verantwor tung, Ansteckungsrisiken zu vermeiden.

Für die heutige Sitzung hat Ihnen unsere Verwaltung dazu ei nige Hinweise geschickt. An dieser Stelle ganz herzlichen Dank an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landtags verwaltung, die gerade hart arbeiten, um den Parlamentsbe trieb aufrechtzuerhalten.

(Beifall)

Nehmen Sie die Hinweise bitte ernst. Schützen Sie sich, Ihr Umfeld und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Einen weiteren Beitrag dazu leisten wir als Parlament, indem wir alle für einen geordneten Ablauf der heutigen Sitzung sor gen. Nehmen wir unsere Verantwortung wahr, indem wir uns auf die anstehenden Sachfragen konzentrieren und zügig zu Entscheidungen kommen, die unser Land jetzt braucht.

Auf Ihren Tischen finden Sie Vorschläge aller Fraktionen für die Wahl weiterer stellvertretender Mitglieder des Notparla ments (Anlagen 1 bis 5). Das Präsidium hat sich am 17. März 2020 darauf verständigt, dass die Fraktionen – abweichend von § 19 b Absatz 1 der Geschäftsordnung – über die 21 – –

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos] meldet sich.)

Ich habe Sie gesehen, Herr Abg. Dr. Fiechtner. Sie kommen dran.

(Unruhe)

Das Präsidium hat sich am 17. März 2020 darauf verständigt, dass die Fraktionen – abweichend von § 19 b Absatz 1 der Ge schäftsordnung – über die 21 Stellvertreter hinaus beliebig viele Abgeordnete als stellvertretende Mitglieder in dieses Gremium entsenden können. – Ich stelle fest, dass Sie dieser Abweichung von der Geschäftsordnung und den Wahlvor schlägen zustimmen. Das ist der Fall. Dann ist es so beschlos sen. Vielen Dank.

Weiter schlage ich im Zuge der allgemeinen Bemühungen, unsere Sitzungen in der aktuellen Lage möglichst effizient zu halten, vor, dass wir – ebenfalls in Abweichung von der Ge schäftsordnung – die Redezeit für alle Sonderrederechte, al so Bemerkungen zur Geschäftsordnung, persönliche Erklä rungen, sachliche Richtigstellungen, Erklärungen zur Abstim mung, Zwischenfragen und Zwischenbemerkungen, heute – nur heute – auf eine Minute begrenzen. – Ich stelle fest, dass Sie dieser Abweichung von der Geschäftsordnung ebenfalls zustimmen. Vielen Dank. Dann ist es so beschlossen.

Meine Damen und Herren, gestern ging ein Antrag der Lan desregierung mit dem Beschlussvorschlag ein, festzustellen, dass es sich bei der Coronavirus-Pandemie um eine Naturka tastrophe im Sinne von § 18 Absatz 6 Satz 2 der Landeshaus haltsordnung handelt. Der Antrag liegt als Drucksache 16/7899 auf Ihren Tischen.

Ich schlage vor, dass wir diesen Antrag als neuen Punkt 1 auf die Tagesordnung nehmen; die anderen Tagesordnungspunk te verschieben sich entsprechend. – Es erhebt sich kein Wi derspruch. Dann ist es so beschlossen.

Weiter weise ich darauf hin, dass unter dem bisherigen Punkt 1 – jetzt Punkt 2 – unserer Tagesordnung die Zweite und Drit te Beratung des Gesetzentwurfs über die Feststellung eines Nachtrags zum Staatshaushaltsplan von Baden-Württemberg für die Haushaltsjahre 2020/21 vorgesehen ist. Sie sind ge mäß § 50 Satz 2 unserer Geschäftsordnung mit dieser Frist verkürzung zwischen Zweiter und Dritter Beratung dieses Ge setzentwurfs ebenfalls einverstanden. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Vielen Dank.

Meine Damen und Herren, Ihnen ist sicher aufgefallen: Die Plätze der Stenografinnen und Stenografen sind heute leer. Aus Gründen des Gesundheitsschutzes wird das Protokoll der

(Präsidentin Muhterem Aras)

Plenarsitzung heute vom Stenografischen Dienst über Audio datei und nicht im Plenarsaal erstellt.

Bitte beachten Sie: Zurufe aus dem Plenarsaal und von den Abgeordneten auf der Besuchertribüne können deshalb mög licherweise nicht vollständig im Protokoll festgehalten und Beifallsbekundungen nicht konkret zugeordnet werden.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, hat sich Herr Abg. Dr. Fiechtner zur Geschäftsordnung gemeldet. – Bitte, Herr Abg. Dr. Fiechtner.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren! Ich beantrage nach § 84 der Geschäftsordnung wenigstens beim ersten Tagesordnungspunkt die Ausweitung der Rede zeit und für jeden Abgeordneten die Möglichkeit, Fragen zu stellen oder seine Sorge kundzutun.

Ich selbst bin Arzt. Ich habe mich für das Coronateam gemel det, werde dort mitarbeiten. Ich denke, dass die Zeit für Pole mik an dieser Stelle nicht mehr gegeben ist. Ich erlaube mir, das zu sagen, weil ich ja hier bekannt bin für eine besonders scharfe Polemik.

Ich denke, dass man hier und jetzt, da alle Bürger völlig ver unsichert sind – – Ich muss gestehen, ich habe in vielen Punk ten Angst. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß, dass ich kämpfen muss für unser Land. Ich weiß, dass ich für die Bür ger einstehen muss. Ich weiß aber häufig gar nicht, was ich machen soll.

Ich bitte darum, wenigstens einen der Tagesordnungspunkte aufzubohren, allen Abgeordneten Redezeit für Fragen zu ge währen. Ich gehe davon aus, dass keine Polemik stattfindet. Ich habe Herrn Minister Lucha zugesagt, dass ich keinerlei Polemik in dieser Situation mehr äußern werde – keinem Grü nen, keinen Sonstigen gegenüber.

Das müssen wir, das Parlament, den Bürgern hier auch zei gen: Wir machen uns Gedanken, wir sind ebenfalls Menschen, wir wollen gemeinsam um die bestmögliche Lösung ringen. In dieser Situation kann es nicht mehr sein, dass der eine so und der andere so ist. Wir sind alle Menschen, wir sind alle Bürger. Wir sollten alle zusammen kämpfen, zusammenarbei ten, und wir sollten unser Gottvertrauen nicht verlieren.

Ich hoffe, dass der Allmächtige diesem Land und uns allen helfen wird.

Vielen Dank, Herr Abg. Dr. Fiechtner. Sie wissen aber, dass zu Tagesordnungspunkt 1 an gekündigt ist, dass Herr Ministerpräsident Kretschmann das Wort ergreifen wird. Damit haben zum einen die Fraktions vorsitzenden der einzelnen Fraktionen freie Redezeit, zum an deren entscheidet jeder Redner und jede Rednerin, ob er oder sie Fragen zulässt oder nicht.

Deshalb frage ich Sie, ob Sie an Ihrem Antrag festhalten. Sa gen Sie nur Ja oder Nein. Ich will keine weitere Debatte. Es geht heute um die Effizienz unserer Sitzung.

Ja, ich möchte es gern aufgehoben haben für alle.

Dann lasse ich darüber abstim men. Wer dem Antrag von Herrn Abg. Dr. Fiechtner zustimmt,

den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag abgelehnt.

Wir treten nun in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Antrag der Landesregierung – Feststellung einer Natur katastrophe nach § 18 Absatz 6 Satz 2 LHO – Drucksache 16/7899

Meine Damen und Herren, das Wort zur Begründung des An trags erteile ich Herrn Ministerpräsident Kretschmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befin den uns in einer Krise, wie wir sie alle noch nicht erlebt ha ben, wie es unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht erlebt hat. Ich bin dankbar, dass alle demokratischen Kräfte in diesem Hohen Haus zusammenstehen. Ich möchte mich bei allen, auch bei den Oppositionsfraktionen, für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken.

Diese Krise ist global, weil sie alle Länder der Erde betrifft. Sie ist umfassend, weil sie unser Leben auf den Kopf stellt. Und sie ist einschneidend, weil wir die Freiheit der Bürgerin nen und Bürger in unserem Land einschränken müssen und große Teile der Wirtschaft lahmgelegt sind. Wir bewerten die Lage täglich neu und sind dazu in ständigem Austausch mit den Fachleuten aus der Wissenschaft, mit dem Bund und den Gemeinden, mit der Wirtschaft, um uns bestmöglich abzu stimmen. Das tun wir in bewährten Gremien, die wir schon in der Flüchtlingskrise geschaffen haben, sodass wir in der La ge sind, schnell, umfassend, aber auch mit klugem Kopf zu handeln.

Unser föderales Gemeinwesen ist in dieser Krise voll hand lungsfähig. Dabei lautet unser oberstes Ziel: Verlangsamung der Epidemie. Wir müssen die Ausbreitung verlangsamen, da mit nicht zu viele Menschen gleichzeitig ins Krankenhaus kommen. Deshalb hat die Landesregierung in den letzten Ta gen in Abstimmung mit dem Bund und den anderen Ländern drei Maßnahmenpakete in hohem Tempo auf den Weg ge bracht. Wir handeln schnell und entschlossen, aber nicht kopf los.

Ich danke an dieser Stelle meinem gesamten Kabinett, insbe sondere dem Gesundheitsminister Manne Lucha, der die Fe derführung in dieser Situation hat.

(Beifall)

Das erste Paket haben wir am Montag beschlossen und am Dienstag nach der Einigung mit der Kanzlerin und meinen Ministerpräsidentenkollegen nachjustiert. Dabei geht es um Maßnahmen, die das öffentliche Leben umfassend einschrän ken. Als Faustformel kann sich jeder merken: Alles, was nicht unbedingt erforderlich ist, wird heruntergefahren oder ge schlossen, die Kneipen, Diskotheken, Schulen, Hochschulen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Sportbetriebe, Spielplätze und anderes. Nur was unbedingt notwendig ist, bleibt geöff net, z. B. Arztpraxen und Apotheken, Supermärkte oder Dro gerien sowie andere Institutionen und Betriebe der Wirtschaft.

Ich weiß, dass wir den Menschen sehr viel abverlangen. Vie le von ihnen haben Schwierigkeiten mit der Betreuung ihrer

(Ministerpräsident Winfried Kretschmann)

Kinder, andere fürchten um ihren Arbeitsplatz und ihr Unter nehmen. Wir erleben tiefe Eingriffe in unsere Freiheitsrechte und eine Lenkung unseres Sozialverhaltens – Distanz statt Nä he.

Ich weiß auch, dass manchmal nicht jedem jede einzelne Maß nahme sinnvoll erscheint. Es gibt viele Diskussionen etwa da rüber, warum Baumärkte geöffnet bleiben, während Blumen geschäfte geschlossen sind. Das darf man alles diskutieren. Aber entscheidend ist, dass diese Maßnahmen alle in der Sum me wirken. Dafür müssen wir eben unsere sozialen Kontakte auf das Allernotwendigste beschränken und dort, wo das nicht möglich ist, körperliche Distanz wahren.

(Beifall)

Daran gibt es in dieser Lage nichts zu rütteln. Das sage ich in aller Klarheit. Diskutieren ja, aber an die Vorgaben muss sich jeder halten.