Protokoll der Sitzung vom 19.03.2020

Es ist wichtig, dass in einer solchen Stunde nicht krämerisch gerechnet, sondern zupackend geholfen wird. Dafür steht auch das Bundesprogramm, das gemeinsam von Bund und Ländern jetzt – – Der Herr Ministerpräsident hat heute Mittag ein Te lefonat auch mit der Bundeskanzlerin; der Bundeswirtschafts minister hatte in Berlin gemeinsame Gespräche mit der Lan deswirtschaftsministerin.

Jetzt gilt es, auf europäischer, auf Bundes- und auf Landes ebene und, füge ich hinzu, auch auf der Ebene der Kommu nen gemeinsam zusammenzustehen und der Wirtschaft zu hel fen, über diese Talsohle hinwegzukommen.

(Beifall)

Jetzt müssen die richtigen Instrumente breit ausgerollt wer den. Es wurde zu Recht erwähnt: Wir brauchen dringend ei ne großzügige Lockerung beim Kurzarbeitergeld mit voller Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge. Wir brauchen Steuerstundungen, eine Senkung von Vorauszahlungen und den Verzicht auf Vollstreckungen. Wir brauchen auch die Aus weitung von Liquiditätskrediten und Bürgschaften.

Nicht zuletzt – das ist gerade jetzt für viele ein elementarer Vorschlag, den auch der Landesjustizminister und die Bun desjustizministerin schon veröffentlicht haben – müssen wir jetzt die Insolvenzantragsfristen aussetzen, und zwar, wie vor geschlagen, bis Ende September. Denn jedes Unternehmen, das sagt: „Wir sind illiquide“, steht unter Druck. Es gibt nur zwei Insolvenzgründe: Illiquidität oder Überschuldung. Wenn jetzt gesagt wird: „In drei Wochen mache ich mich strafbar“, aber gleichzeitig über Sanierungshilfen verhandelt wird, müs sen wir den Druck rausnehmen und diesen Unternehmen hel fen.

(Beifall)

Deshalb müssen wir auch den massiven Schutzschild flankie ren und verstärken und geben wir auch für schnelle Wirt schaftshilfen die Risikorücklage in Milliardenhöhe frei. Wir verfünffachen auf Vorschlag der Wirtschaftsministerin dieser Landesregierung und des Ministerpräsidenten damit auch den Bürgschaftsrahmen – von bisher 200 Millionen € auf 1 Milli arde €.

Ganz wichtig ist auch, dass man jetzt die Bürgschaftsquote auf 80 % erhöht. Damit brauchen wir jetzt in der Tat den eta blierten und bewährten Instrumentenkasten – Herr Kollege Rülke, Sie haben angeführt, dass er 2008 schon einmal gezo gen werden musste –, um diese Krise aufzufangen.

Ich erinnere daran: 2008 war eine der größten Bürgschaftsdis kussionen, z. B. Heideldruck. Damals hatten Land und Bund zusammen in der Addition sogar 90 %. Davon ist man dann wieder wegkommen und hat gesagt, 50 % reichten bei Bürg schaften normalerweise aus. Damals hat man geholfen. Es hat gewirkt. Deshalb sind Firmen wie Schaeffler, Conti oder Hei deldruck noch am Leben. Die würde es nicht mehr geben, wenn wir damals nicht geholfen hätten.

(Beifall)

Insoweit habe ich auch schon am Montag und in der letzten Woche für meine Fraktion gesagt: Das Land muss mit seinen Mitteln alles tun, um die Folgen der Krise für die Wirtschaft zu dämpfen. Da sind wir uns einig, auch mit unserem Koali tionspartner. Die Aussage „whatever it takes“ trifft genau hier zu. Denn der Tag 1 nach der Coronawelle darf nicht die Stun de null der baden-württembergischen Wirtschaft werden, ver ehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall)

Da bin ich für die Kooperation, auch für die konstruktiven Be ratungen heute Morgen sehr dankbar. Herr Kollege Stoch, Herr Kollege Rülke, ich möchte mich auch für Ihre klaren Aussagen hier bedanken, dass wir in der Not zusammenste hen müssen und rasch helfen müssen. Wir alle kennen das Schutzschildprogramm in Berlin. Aber wir müssen es vom Land aus ergänzen.

Gerade in dieser schweren Stunde, in der Ängste draußen im Land herrschen, ist es wichtig, dass wir nicht erst in der nächs ten oder der übernächsten Woche, sondern dass wir heute, hier und jetzt, handeln. Deshalb ist es heute, meine ich, auch an der Zeit, dass wir nachher – nach der Debatte unter Tagesord nungspunkt 2 – der Regierung diese Hilfe, eine Kreditermäch tigung in Höhe der erwähnten 5 Milliarden €, zur Verfügung stellen. Denn dann kann auch umfassend gehandelt werden.

(Beifall)

Mit diesem Nothilfefonds, der in der Tat – – Das hat nichts mit Überbietungswettbewerb, Wahlkampf oder Ähnlichem zu tun. Vielmehr sind das ernst gemeinte und sinnvolle Überle gungen, die sich bewährt haben. Jetzt müssen direkte Hilfen gerade für die Gastronomen, die kleinen Mittelständler etc. verabschiedet werden. Wir müssen den akut betroffenen Be trieben sofort und ohne großen bürokratischen Aufwand di rekte Hilfen jenseits der bewährten Liquiditäts- und Bürg schaftsprogramme geben. Ihnen droht ansonsten sehr rasch die Kreditunfähigkeit. Wir müssen den Betroffenen deshalb direkt und schnell mit barem Geld unter die Arme greifen.

(Beifall)

Das können wir, auch indem wir – – Übrigens, SchleswigHolstein hat gestern 500 Millionen € für einen solchen Not hilfefonds bewilligt.

Wir sollten und müssen außerdem einen Beteiligungsfonds unter dem Dach der L-Bank entwickeln, um besonders betrof fene Unternehmen auch beim Eigenkapital zu stärken. Wir er leben nämlich gerade auch den Ausnahmefall. Dazu ist ja Ta gesordnungspunkt 1 anberaumt, dass die Schuldenbremse bei dieser Naturkatastrophe aufgehoben wird.

Wir sollten diese Möglichkeiten nutzen. Wann, wenn nicht jetzt? Deshalb unterstützen wir den Ministerpräsidenten und die Landesregierung. Ich bin überzeugt: Das, was wir heute mit Maß und Mut entscheiden, wird sich morgen für unser Land doppelt auszahlen. Es geht um das Überleben Tausen der Unternehmen. Es geht um den Wohlstand von Millionen, und damit geht es um die Zukunft unseres Landes BadenWürttemberg.

(Anhaltender lebhafter Beifall)

Vielen Dank. – Nun erteile ich Herrn Abg. Dr. Fiechtner das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren! Die Situation in unserem Land ist mindestens so schlimm wie seit 1945 nicht mehr. Die Vorgänge sind beispiellos, und sie sind deswegen beispiellos, weil ein derartiger Zusammen bruch und eine derartige Gefährdung nach meiner Erinnerung menschheitsgeschichtlich so noch nie stattgefunden haben.

Wir haben eine Bedrohung medizinischer Art durch ein Virus, dessen Effekte, Ansteckbarkeit,

(Unruhe)

Infektionsrate, Letalität wir noch gar nicht abschätzen kön nen. Wenn ich heute lese, dass im Iran die Befürchtung be steht, dass dreieinhalb Millionen Menschen an den Folgen die ser Viruserkrankung sterben – als Maximalvariante, aber durch aus nicht unwahrscheinlich –, so erfüllt mich dies mit großer Sorge und viele Bürger mit Angst und Schrecken.

Daneben sind die Effekte zu nennen, die durch den Einbruch und den Zusammenbruch wirtschaftlichen Miteinanders er folgen. Es ist nicht der schwarze Schwan, mit dem einige ge rechnet haben, der ein ohnehin marodes System zum Einsturz bringen würde, sondern das sind Effekte, die selbst bei einem gesunden Wirtschaftssystem, glaube ich, kaum aushaltbar sind.

Wir werden uns auf sehr schwere Zeiten gefasst machen müs sen, und wir werden unseren Gürtel sehr, sehr, sehr eng schnal len müssen, wenn diese Krise vorbei ist.

Angesichts dieser Erwartungen, angesichts der großen Not, die hier herrscht, halte ich es für dringend geboten – wie auch vorhin gesagt –, dass die Gegnerschaft an dieser Stelle kom plett beseitigt wird. Es darf nicht sein, dass wir die Mitglie der in unserer Gesellschaft unterschiedlich behandeln. Es ge hören alle dazu: von Blau – AfD – über CDU, FDP/DVP, Grü ne, SPD bis zu den Linken – oder wer auch immer in den Par lamenten sitzt. Alle Bürger sind gehalten, mitzuarbeiten.

(Vereinzelt Beifall)

Ich habe an dieser Stelle keinerlei Verständnis mehr. Und Sie wissen, ich bin einer der schärfsten Kritiker der Regierung und halte auch nicht zurück. Aber an dieser Stelle möchte ich dem Ministerpräsidenten Mut zusprechen und ihm danken, dass er endlich Maßnahmen ergreift.

Eine mögliche Kritik gab es in den vergangenen Wochen be reits – Sie können sie in den Protokollen nachlesen –, aber hier und jetzt ist keine Zeit für Kritik mehr. Hier und jetzt ist nur noch Zeit, dass jeder von uns – – Ich betone: jeder, Herr Rülke, jeder, Herr Stoch. Jeder!

(Vereinzelt Beifall)

Es gibt keine Opposition zweiten Grades. Meines Erachtens sollte es hier überhaupt keine Opposition geben. Ich fände es gut, wenn die Landesregierung eine überparteiliche Zusam menarbeitsstruktur schafft, in der alle Parlamentarier, die wir uns alle dem Volk, das uns gewählt hat, gegenüber verantwort lich fühlen, in der jeder seine Expertise hier einbringen kann.

Ich werde Anfang April eine neue Praxis eröffnen – ich bin dankbar, dass ich das darf –,

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Ist die Werbung erlaubt?)

und ich werde mir überlegen, wie ich hier aktiv an der Be kämpfung dieses Virus teilnehmen kann. – Herr Professor Reinhart, das ist ja keine Werbung; ich begebe mich dadurch

vielmehr in Gefahr; um es einmal ganz klar zu sagen. – Es darf nicht sein, dass eine Kollegin Baum, die Zahnärztin ist, die Ärztin ist, hier ausgeschlossen bleiben sollte, dass ein Kol lege Gedeon, der Arzt ist, seine Expertise anböte, dann aus geschlossen würde.

(Vereinzelt Beifall)

Wir alle brauchen einander.

Ich bitte Sie dringend, an dieser Stelle bis zur Bereinigung dieses gigantischen Problems, dessen Lösung noch alle unse re Kräfte erfordern wird, zusammenzuarbeiten.

Herr Abg. Dr. Fiechtner, kom men Sie bitte zum Schluss.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos] verlässt das Redepult. – Vereinzelt Beifall)

Danke schön.

(Abg. Nicole Razavi CDU: Wie ist es eigentlich mit der Kleiderordnung? – Gegenruf des Abg. Dr. Hein rich Fiechtner [fraktionslos]: Sie haben Sorgen, Frau Razavi!)

Herr Abg. Dr. Gedeon, Moment. Bitte warten Sie, bis das Re depult desinfiziert wurde.

(Das Redepult wird desinfiziert. – Zurufe – Unruhe)

Vielen Dank. – Herr Abg. Dr. Gedeon, Sie haben nun das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Von der Kirche zurück ins Parla ment.

(Vereinzelt Lachen)

Gestern noch den großen Coronakarneval gefeiert, heute den Coronanotstand – von einem Extrem ins andere. Meine Da men und Herren, wir sprechen von einer „Katastrophe“. Es gibt bei uns 20 Tote und 6 000 Infizierte. Die meisten der In fizierten sind putzmunter. Die meisten sind putzmunter! Wie nennen wir denn das, was in Australien passiert, wo der hal be Kontinent brennt? Wie nennen wir das, was ein Tsunami in Indonesien angerichtet hat? Das Wort „Katastrophe“ haben wir schon verbraucht.