Protokoll der Sitzung vom 06.05.2020

Ich glaube, mit den zunehmenden Erkenntnissen, die auf der medizinischen Seite inzwischen vorliegen, auch aufgrund der inzwischen nach und nach eintreffenden Gutachten zu ver schiedenen Fragen, wie das Virus weitergegeben wird, wel che Arten von Kontakten besonders gefährlich sind, können wir mehr tun, als nur auf Sicht zu fahren. Gleichzeitig, sage ich, können wir keinen Plan erstellen, der für die nächsten drei, vier Monate minutiös vorgibt, was wir wann tun können. Aber wir müssen gleichzeitig den Menschen das Gefühl ge ben, dass wir eine Strategie, einen Plan für den Weg zurück in eine neue Normalität haben.

Das bedeutet eben mehr, Herr Ministerpräsident, als dass Ih re Kultusministerin hier erzählt, dass man irgendwann nach den Pfingstferien alle Schüler mal an die Schulen holen möch te. Wir hatten jetzt sieben Wochen Zeit, um gerade in diesem ganz wichtigen Bereich der Bildung klare Perspektiven zu er

arbeiten – Perspektiven vor allem für Kinder, die uns im Mo ment im Rahmen des Bildungsprozesses verloren zu gehen drohen, Perspektiven für die Eltern, die fragen, wie sie denn noch ein paar Wochen oder gar Monate ihren Beruf – Home office ist das Zauberwort – und die Betreuung der Kinder, die möglicherweise im Kita- oder im Grundschulalter sind, in den Griff bekommen sollen. Es reicht nicht, wenn wir denen von dieser Stelle aus sagen: Vielleicht – wir gucken mal – kann je der bis zu den Sommerferien zumindest ein paar Tage in die Schule oder in die Kita gehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Eltern, die Schü lerinnen und Schüler, die Menschen in diesem Land haben ei nen Plan verdient – und keine Ratlosigkeit bei der Regierung.

(Beifall)

Ja, es ist richtig, auch die Grundrechtseinschränkungen für äl tere Menschen zu lockern, und zwar dann, wenn man dies ver antwortlich tun kann, wenn man z. B. auch durch Tests dafür sorgen kann, dass man sehr schnell erkennt, ob es z. B. in ei nem Pflegeheim oder einem Krankenhaus wieder einen neu en Infektionsherd gibt. Aber dann braucht man auch eine kla re Ansage der Landesregierung zu der Frage, ob Tests tatsäch lich durchgeführt werden, und zwar auch bei Bewohnerinnen und Bewohnern, die noch keine Symptome aufweisen. Die Frage nach den Tests bei asymptomatischen Personen ist zen tral, ebenso wie die Kostenübernahme, Herr Kollege Lucha.

Deswegen werden wir, glaube ich, auch in diesen Bereichen wichtige Schritte nach vorn machen müssen. Denn in der Fra ge der Auswirkungen dieser Einschränkungen müssen wir na türlich auch die psychischen Belastungen der Menschen ins gesamt, aber vor allem auch der älteren Menschen in die Ab wägung einbeziehen.

Herr Ministerpräsident, weil Sie darauf in der letzten Woche so intensiv herumgeritten sind: Bei der Diskussion über die Frage der Einschränkung von Grundrechten konnte man den Eindruck gewinnen, dass Sie davon ausgehen, es gäbe eine Hierarchie der Grundrechte. Ich sage das an dieser Stelle nur deshalb, weil ich glaube, dass es hier um eine ganz wichtige Basis unserer Diskussion geht. Die Juristen hier im Haus und die Verfassungsrechtler erst recht werden Ihnen sagen, dass es eine solche Hierarchie der Grundrechte nicht gibt. Vielmehr stehen die Grundrechte in einer Wechselbeziehung zueinan der, nicht in einer von vornherein vorgegebenen Hierarchie. Deswegen müssen wir bei allen Entscheidungen, auch was ih re Auswirkungen auf die Grundrechte der Grundrechtsträger, der Menschen, angeht, ganz genau schauen, ob diese Abwä gung im Sinne des Grundgesetzes verhältnismäßig stattfindet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn diese Aus gangsannahme schon falsch ist, habe ich die große Befürch tung, dass der Ministerpräsident aus der falschen Grundan nahme auch die falschen Schlüsse zieht. Das darf bei so wich tigen Fragen wie der Beschränkung von Grundrechten von Menschen in diesem Land nicht sein.

(Beifall)

Ich möchte dann noch auf einen Bereich zu sprechen kom men, den Sie auch angesprochen haben: Ich glaube, beim The ma Fußball ist die Diskussion nicht so sehr von der Frage be

herrscht, ob eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs unter In fektionsgesichtspunkten verantwortbar ist oder nicht. Ich möch te mich jetzt auch nicht auf die Frage versteifen, wie viele Tests nach dem DFL-Konzept verbraucht werden und ob die se nicht an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden könn ten. Es gibt ja die Aussage, diese Tests wären verfügbar.

Aber, Herr Ministerpräsident, das Hauptproblem an dieser De batte über das Thema Fußball ist: Was ist die Symbolik die ses Bereichs im Vergleich mit anderen Bereichen, in denen wir den Menschen Beschränkungen zumuten, gerade wenn es um Kinder, um Familien, um Bildung geht? Da können Sie noch so oft sagen, das eine habe mit dem anderen gar nichts zu tun. Die Akzeptanz der Beschränkungen, die derzeit gel ten, hängt ganz stark davon ab, dass die Menschen diese Be schränkungen als in sich schlüssig und widerspruchsfrei be trachten. Und in dem Moment, in dem die Menschen beim Fußball eine Ausnahme sehen, die sie rational nicht erklären können, sinkt die Akzeptanz in vielen anderen Bereichen.

Deswegen, Herr Ministerpräsident, würde ich es heute als Fehler betrachten – – Ich möchte mir nicht vorstellen – das Kalou-Video hat jeder von Ihnen gesehen –, was passiert, wenn in einer der Umkleidekabinen demnächst Coronafälle auftreten. Dann können Sie den ganzen Laden zusperren, dann steht das ganze Projekt nämlich auf hölzernen Füßen. Ich glaube, es war ein Fehler, diese Entscheidung, diese Ausnah me für den Fußball zu treffen.

(Beifall)

Ich möchte abschließend noch etwas zum Thema Kommuni kation sagen. Ich habe einleitend beklagt, dass der Landtag am heutigen Tag, wenn es nach der ursprünglichen Planung Ihres Staatsministeriums gegangen wäre, eben doch wieder nicht die erste Institution gewesen wäre, die von den Be schlüssen erfahren hätte. Ich glaube, ein Grundproblem Ihrer Regierung ist tatsächlich genau die Kommunikation, nämlich den Menschen in diesem Land verständlich zu machen, war um verschiedene Maßnahmen notwendig sind.

Ich glaube auch, dass die Menschen in diesem Land klug ge nug sind – das zeigen uns die Erfahrungen der vergangenen Wochen, fast schon zwei Monate –, dass sie in der Lage sind, verständig zu reagieren und diese Einschränkungen hinzuneh men, wenn sie darin einen Sinn sehen. Aber in dem Moment, in dem sie den Sinn dieser Maßnahmen nicht mehr erkennen können, werden sich die Menschen auch nicht mehr mit der notwendigen Intensität an diese Regeln halten.

Deswegen kann ich nur an diese Landesregierung appellie ren: Der Stufenplan, den Sie heute erwähnt haben, muss jetzt ganz konkret auch mit der Bevölkerung und vor allem mit die sem Parlament diskutiert werden. Und wir müssen gemein sam einen Plan für einen Weg in diese neue Normalität mit diesem Virus definieren. Das kann nur geschehen, wenn die Landesregierung mit offenen Karten spielt und auch dieses Parlament – und zwar nicht nur die Regierungsfraktionen, sondern alle Fraktionen – an diesem Diskussionsprozess be teiligt. Machen Sie endlich diesen Anfang.

Herzlichen Dank.

(Beifall)

Jetzt hat die Fraktion der AfD das Wort. Herr Abg. Gögel, Sie sind gleich dran. Und dann hatte ich noch eine Wortmeldung von Herrn Abg. Dr. Gedeon.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, in der letzten Woche habe ich Sie für Ihre Informationspolitik noch gelobt. Heute wollten Sie einen kleinen Ausreißer machen und uns die Informationen vielleicht doch erst über die Medien zuspie len.

Allerdings kann ich mich auch hier wieder korrigieren. Denn bereits um 16:42 Uhr hat uns Ihre Staatsministerin alle Daten und Fakten wieder original übersandt – somit etwas früher, als diese Debatte hier eigentlich geführt wurde. Heute Mittag konnten wir in den Medien online ja die Ergebnisse verneh men – falls man überhaupt von Ergebnissen sprechen kann; ich nenne sie einmal „kleine Verständigungen“. Diese hat man auch schon heute Mittag den Medien entnehmen können – auch im Liveticker bis 14, 15 Uhr.

Wir und ich fragen uns allerdings: Was ist das für ein Gremi um, das aus der Bundeskanzlerin sowie den 16 Ministerprä sidentinnen und Ministerpräsidenten besteht, und welche Be fugnis hat dieses Gremium? Ist es eine 16:1-Konferenz oder eine 1:16-Konferenz? Das ist eine ganz wichtige Frage. Wer bestimmt, wer gibt die Richtung vor?

Bei allen Ergebnissen, die Sie hier erwähnt haben: Was hat die eine Person dazu beigetragen, was hat sie zu Grenzöffnun gen zu den Nachbarländern gesagt? Das war überhaupt kein Thema. Worauf warten wir da? Wie weit sind die Gespräche mit Macron, wie weit sind die Gespräche mit der Schweiz, mit Österreich, mit Holland, mit Belgien? Gibt es überhaupt Gespräche? Welche Daten werden genannt? Wann ist beab sichtigt, Menschen wieder innerhalb der EU –

(Zurufe – Unruhe)

EU-Bürger – frei reisen zu lassen? Das sind Fragen, die heu te und in den letzten Tagen hier nicht diskutiert wurden.

Hat die Heinsberg-Studie bei Ihren Gesprächen heute oder in den vergangenen Tagen eine Rolle gespielt? Denn die Heins berg-Studie gibt eine völlig neue Sicht auf die Datenerhebung der letzten Wochen. Wir wissen inzwischen – wenigstens aus dieser Studie –, dass die Dunkelziffer minimum hundertmal höher liegt als das, was wir bis heute durch Tests erfasst ha ben. Das ist aber keine schlechte Ziffer, diese Dunkelziffer, sondern sicherlich eine positive Zahl.

Hat man über Schweden gesprochen? Dort werden immer noch keine Särge mit Militärtransportern aus den Kranken häusern gefahren. Nein, im Gegenteil, auch Schweden hat die sen R-Faktor unter 1,0 gebracht, ohne diese strikten Maßnah men, ohne diese starken Einschränkungen der Grundrechte.

(Beifall)

Das sind Fragen, von denen ich erwarte, dass sie in einem sol chen Gremium diskutiert werden. Und wenn sie diskutiert werden, dann gibt es eigentlich nur eine Konsequenz, meine Damen und Herren: die sofortige Aufhebung aller Maßnah men, die beschlossen wurden,

(Beifall)

unter Einhaltung der Abstandsregelung und – wenn Sie es so wollen und wenn das als Erinnerung für die Menschen wich tig ist – mit diesem „Mauldäschle“, wie wir Schwaben sagen,

(Vereinzelt Heiterkeit – Zuruf der Abg. Dr. Christina Baum AfD)

das wir uns da um die Nase und über den Mund hängen kön nen. Das ist ja, sage ich einmal, mehr der Hinweis: Wir wol len uns an die Abstandsregel halten.

Wir wollen uns aber keinesfalls an den Abstand gewöhnen. Wenn ich etwas von „neuer Ordnung“ oder „neuer Zukunft“ höre: Ich glaube nicht, dass es erstrebenswert ist, dass wir uns in Zukunft nicht mehr die Hand geben, dass wir uns in Zu kunft nicht mehr umarmen, keine sozialen Kontakte mehr ha ben, sondern nur noch funktionierende Arbeitsroboter sein sol len. Das kann nicht die Zukunft sein, die wir uns hier vorstel len.

(Beifall)

Die AfD hat rechtzeitig Maßnahmen angemahnt. Am 18. März haben Sie dann tatsächlich Maßnahmen ergriffen. Wenn Sie das frühzeitig, spätestens im Januar, getan hätten – darauf muss man jede Woche wieder hinweisen –, wenn Sie wirklich die Schotten dicht gemacht hätten, die Flughäfen und die Grenzen geschlossen hätten,

(Unruhe – Zurufe)

wie sich das in einer sich anbahnenden Pandemie gehört,

(Zurufe – Vereinzelt Beifall)

dann hätten Sie sich einen Überblick über die tatsächlichen Zustände verschaffen können.

(Anhaltende Unruhe)

Sie hätten erst einmal eine Inventur machen können: Welche Bestände an medizinischem Material haben wir überhaupt?

(Zurufe)

Welche Möglichkeiten in Bezug auf medizinisches Personal haben wir? Wie weit gehen unsere Möglichkeiten? Wenn Sie rechtzeitig, wenn Sie vier Wochen früher dran gewesen wä ren, hätte man den Shutdown oder, wie so nett gesagt wird, den Lockdown nicht durchführen müssen. Das ist eine ganz klare Aussage, und wir haben rechtzeitig darauf hingewiesen.

Herr Rülke, dass sich in der Politik, vor allem bei einer so un klaren Gemengelage wie dieser Pandemie, innerhalb von sechs Wochen Positionen verändern können, wissen Sie und weiß Ihre Partei doch ganz genau.

(Lachen des Abg. Anton Baron AfD)

Ihr Parteivorsitzender hat in dieser Zeit doch mindestens vier Mal die Positionen gewechselt. Das gehört dazu.

(Beifall – Zurufe)

Da bin ich in guter Gesellschaft mit Herrn Söder. Auch er hat am 30. April in einer Pressekonferenz ganz klar von sich ge geben, dass selbstverständlich auch die Politik nicht bera