Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Eu ropa und Internationales zu der Mitteilung des Ministeri ums der Justiz und für Europa vom 22. April 2020 – Be richt über aktuelle europapolitische Themen – Drucksa chen 16/8019, 16/8023
Frau Präsidentin, sehr geehrte Kol leginnen und Kollegen! Herzlichen Dank an die Landesregie rung für diesen europapolitischen Bericht.
In den letzten Wochen wurden über hundert Patientinnen und Patienten aus dem Elsass und aus Lothringen auf Intensivsta tionen in deutschen Krankenhäusern, darunter auch Einrich tungen in Baden-Württemberg, aufgenommen. Auch andere europäische Länder haben ihre Hilfe angeboten und Patien ten aus den besonders schwer betroffenen Gebieten aufgenom men. Dadurch konnten effektiv viele Leben gerettet werden.
Leider mussten wir aber auch erleben, wie schnell in der Co ronakrise der Weg zurück in die Kleinstaaterei gegangen wur de, wie schnell das Erreichte aus jahrzehntelanger europäi scher Integration und gute Nachbarschaftsbeziehungen aufs Spiel gesetzt wurden. Statt gemeinsamer regionaler Konzep te zur Eindämmung der Epidemie sehen wir bis heute an den baden-württembergischen Grenzen zu Frankreich und zur Schweiz geschlossene Grenzübergänge und schwer vermittel bare Auflagen für Berufspendler.
Es ist jetzt an der Zeit, mutige, gemeinsame Schritte zu unter nehmen und die Grenzen Schritt für Schritt zu öffnen.
In zwei Monaten übernimmt die Bundesregierung die EURatspräsidentschaft. Ein „Weiter so!“ in der deutschen Euro papolitik, bestehend wahlweise in Nichtstun oder Blockieren, darf es nicht mehr geben. Die Bundesregierung muss die EURatspräsidentschaft nun endlich dazu nutzen, den Mehrjähri gen Finanzrahmen verbindlich aufzustocken, um vor allem den Green Deal umzusetzen. Dabei kommt es aber nicht nur auf das „Wie viel?“, sondern auf das Wie an. Einfach mehr Geld für alte Politik kann nicht die Krisenantwort sein.
Wir haben die einmalige Chance für eine sozial-ökologische Transformation der europäischen Wirtschaft und dafür, den sozialen Zusammenhalt ins Zentrum zu stellen. Die wirt schaftliche Stabilisierung aller Branchen sollte nur in Form von konditionierten Hilfsmaßnahmen erfolgen, die den Erhalt von Arbeitsplätzen mit Klimaschutz verbinden. Alle konjunk turpolitischen Maßnahmen müssen wir jetzt an der Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens ausrichten.
Eine Verschiebung des Klimaschutzes können wir uns nicht leisten, und dies wäre auch wirtschaftlich falsch. Das heißt, jetzt erst recht brauchen wir eine europäische Koordinierung; jetzt erst recht brauchen wir den europäischen Green Deal.
In der Coronakrise dürfen die nationalen Regierungen nicht die gleichen Fehler machen wie in der Eurokrise. Die EU braucht jetzt eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpoli tik. Durch die Versäumnisse der Regierungen wird die Euro päische Zentralbank immer wieder zum Ausputzer. Das Ur teil des Bundesverfassungsgerichts am 5. Mai zum Anleihen kaufprogramm der EZB zeigt hier zweierlei: Unser Rechts
staat funktioniert und mahnt zu Recht an, dass EU-Politik nicht an der deutschen Verfassung vorbei möglich ist. Zum anderen zeigt das Urteil, dass die Regierungen der EZB nicht den Schwarzen Peter zuschieben können, sondern selbst Ver antwortung übernehmen müssen, und dass die Legislative bei solchen Aktionen gefragt werden muss.
Diesen europäischen Zusammenhalt gilt es wiederzubeleben, so, wie es bei der Übernahme von französischen Patientinnen und Patienten in der Coronakrise geschehen ist. Nutzen wir diese Krise für eine stärkere Solidarunion mit dem Green Deal als ökonomisch erfolgreiche Strategie für die Zukunft Euro pas!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns heute mitten in der Europawoche. Am Samstag ist Europatag, und morgen können wir auf 75 Jahre Frieden in Europa zurückblicken.
Erinnern wir uns also in diesen schweren Zeiten auch an die Vergangenheit. So hat Robert Schuman in seiner Erklärung 1950 gesagt – ich zitiere –:
Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Taten entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.
Solidarität ist gerade in dieser Coronakrise mehr denn je ge fragt, und mehr denn je steht Europa, steht Deutschland und – ja – steht Baden-Württemberg für diese Solidarität der Tat.
Etliche Mitgliedsstaaten haben Schutzausrüstungen nach Ita lien geliefert. Herr Frey hat es angesprochen: Baden-Würt temberg hat zahlreiche schwer kranke Coronapatienten aus Frankreich und Italien aufgenommen und behandelt, und das in einer Zeit, in der wir Baden-Württemberger nicht wussten, wie sich die Situation in unseren Krankenhäusern entwickelt. Darauf bin ich stolz. Ich bin stolz, Baden-Württembergerin zu sein – und eben auch Europäerin.
In Europa wird gemeinsam an verschiedenen Maßnahmen in den verschiedensten Bereichen gearbeitet. Erst am vergange nen Montag hat die Geberkonferenz der EU ein sehr wichti ges Ziel erreicht: 7,4 Milliarden € stehen für die Erforschung von Diagnostika, Medikamenten und Impfstoffen gegen Co vid-19 zur Verfügung. Mehr als 40 Länder und Organisatio nen haben sich daran beteiligt, selbstverständlich auch Deutsch land. Denn die Pandemie ist eine Herausforderung für alle; deshalb können wir sie auch nur gemeinsam besiegen. Des wegen ist dies ein wichtiges Signal, ein Signal der Hoffnung in so schweren Zeiten für alle.
Im Bereich der Wirtschaft hat die EU bislang 3,4 Billionen € mobilisiert, um Arbeitsplätze zu retten und von der Krise be troffene Unternehmen zu unterstützen. Denn, wie der Wirt schaftskommissar gestern sagte:
Dem müssen wir gemeinsam entschlossen entgegentreten. Das machen wir auf allen Ebenen. Dafür bin ich auch unseren Mi nistern hier in Baden-Württemberg, allen voran Guido Wolf und Nicole Hoffmeister-Kraut, dankbar.
Minister Wolf hat das heute Morgen bereits angesprochen. Bis zu 100 Milliarden € stehen für die Einführung oder Verlänge rung nationaler Kurzarbeitsregelungen zur Verfügung. Wir versuchen auf allen Ebenen, die Arbeitslosigkeit so gering wie möglich zu halten. Liquiditätsmaßnahmen zur Unterstützung von besonders hart betroffenen kleinen und mittleren Unter nehmen werden zur Verfügung gestellt. 37 Milliarden € wer den den Mitgliedsstaaten aus übrigen Mitteln der Struktur fonds als Investitionsinitiative zur Verfügung gestellt. Euro pa handelt. Europa hilft.
All diese Pakete und Maßnahmen sind essenziell, um die un mittelbaren Folgen der Pandemie zu bekämpfen. Da bin ich allen Ebenen dankbar, die hier an einem Strang ziehen: Euro pa wie Deutschland und auch Baden-Württemberg.
Dabei ist es auch verständlich – Kollege Frey hat es angespro chen –, dass die Entscheidungsfindung nicht immer einfach ist. Aber wir arbeiten zusammen. Wir suchen Lösungen. Wir suchen Kompromisse, und wir finden auch welche.
Gleichzeitig müssen wir dabei auch den Blick nach vorn wa gen. Denn für einen dauerhaften Erfolg wird es auf Investiti onen ankommen, die die wirtschaftlichen Folgen langfristig im Blick haben. So sollte beispielsweise der Mehrjährige Fi nanzrahmen 2021 bis 2027 flexibel an der Krise ausgerichtet werden.
Europa erlebt schwierige Zeiten. Alle Mitgliedsstaaten sind hier betroffen. Im Vordergrund allen Handelns stehen die Ge sundheit der Bürgerinnen und Bürger sowie die Sicherung von Arbeitsplätzen und Unternehmen. Die EU handelt, ganz im Sinne von Robert Schuman, mit Solidarität der Taten.
Sie kann aber nur weitergehen, wenn wir alle mitgehen, wenn wir alle Verantwortung übernehmen. Lassen Sie uns deshalb weiterhin dazu beitragen, diese Solidarität mit konkreten Ta ten zu füllen. Wir alle können hier unseren Beitrag leisten. Wir alle tragen Verantwortung für unser Land, für unser Europa.
Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Die Berichte über aktuelle europapoliti sche Themen sind eigentlich auch immer ein Rückblick und sollen diesem Parlament vor allem als Informationsgrundla ge dienen. Interessant ist dieses Mal aber weniger der Rück blick als die aktuelle Lage innerhalb der EU vor dem Hinter grund der Coronapandemie.
Wir stehen in der Tat vor der Entscheidung, ob diese Europä ische Union sich ihrer Verantwortung als Solidargemeinschaft der Mitgliedsländer sieht und wie wir gemeinsam die Folgen dieser Pandemie wirtschaftlich, gesellschaftspolitisch, aber vor allem auch sozial meistern.
Denn der vorliegende Bericht zeigt sehr deutlich auf, wo die Grenzen und wo auch die Chancen liegen. Die Grenze ziehen wir als Sozialdemokraten und überzeugte Europäer vor allem da, wo ein Rückzug in die Nationalstaatlichkeit beginnt. Vie le Mitgliedsstaaten haben ohne Absprachen zu Beginn der Pandemie einfach ihre Grenzen geschlossen, und auch die Bundesrepublik zog am Ende irgendwann mit. Dies hatte stel lenweise Folgen, die vorhersehbar gewesen wären: Warenver kehr und Lieferketten kamen ins Stocken, Arbeitskräfte aus dem EU-Raum kamen nicht mehr über die Grenzen zu ihren Arbeitsstellen, ja, sogar Familien und Paare wurden zeitwei lig getrennt oder sind es immer noch.
Gleichzeitig aber gab es grenzüberschreitende Hilfeleistun gen. Wir haben gerade vom Kollegen Frey davon gehört. Das war natürlich eine ganz tolle Geschichte, auf die wir auch zu Recht stolz sein können.