Protokoll der Sitzung vom 07.05.2020

(Zurufe)

Ein Satz, Kollege Sänze, hat mich schon betroffen gemacht. Da zeigten Sie im Grunde genommen Ihr wahres Gesicht und sagten, worum es Ihnen eigentlich geht: Es geht Ihnen um Zer störung. Sie haben gesagt – –

(Widerspruch bei der AfD)

Ja, Moment! – Ich zitiere Sie. Sie haben mit Blick auf die Türkei gesagt, das würde die „Implosion“ der Europäischen Union beschleunigen, und haben das geradezu herbeibeschwo ren. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist deren europa politischer Ansatz. Der findet bei uns keine Zustimmung.

(Beifall – Zurufe)

In die Zeit des deutschen Ratsvorsitzes wird auch der Beginn dieser Zukunftskonferenz für Europa fallen. Der Start wurde jetzt auf den Herbst verschoben. Die Pandemie hat einige grundlegende Fragen aufgeworfen, die nun die Themen der Konferenz beeinflussen werden: Hat das Krisenmanagement funktioniert? Brauchen wir eine strategische Autonomie der EU, z. B. bei der Produktion von Pharmaprodukten? Wie kön nen wir die Abhängigkeit von Importen bei Schutzausrüstun gen verringern?

Aber auch die grundsätzliche Frage nach der EU der Zukunft stellt sich in einem ganz neuen Licht. Die Zukunftskonferenz sollte daher auch Lösungen erarbeiten, wie sich die Europäi sche Union zukünftig auf solche Situationen besser vorberei ten kann, und vor allem auch, wie sie den Mehrwert als Eu ropäische Union definieren kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, man kann heu te keine europapolitische Debatte führen, ohne – Kollege Schweickert und andere haben das auch getan – auf die Ent scheidung des Bundesverfassungsgerichts dieser Tage zu ver weisen. Ich will gern einräumen: Im Justizministerium hält man diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für eine Jahrhundertentscheidung. Ich glaube, das ist keine über zogene Einschätzung. Seien wir mal ehrlich: Das Bundesver fassungsgericht hat hier schon das grobe Besteck herausge holt, um auch mit Blick auf den Europäischen Gerichtshof Kriterien zu definieren.

Ich erinnere mich noch an unser letztes Triberger Symposi um, wo es auch darum ging, das Verhältnis des Bundesverfas sungsgerichts zum Europäischen Gerichtshof zu hinterfragen. Da ging es noch, Kollege Hentschel, ziemlich friedlich zu. Ich

bin infolge dieser Entscheidung fast geneigt, das diesjährige Triberger Symposium erneut dieser Thematik zu widmen, um eben auch die Weiterentwicklung nachvollziehen zu können und dort zu diskutieren.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von Diens tag bezieht sich auf das konkrete Staatsanleihenkaufprogramm der EZB. Ich räume ein: Darüber kann man durchaus auch einmal kritisch diskutieren; das haben wir auch schon mehr fach getan. Diese Entscheidung zeigt aber, dass in der Wäh rungsunion bei allen währungspolitischen Maßnahmen beson ders hohe Anforderungen an den Maßstab der Verhältnismä ßigkeit zu stellen sind.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist vor al lem – ich drücke mich mal vorsichtig aus – ein Auftrag an die Bundesregierung und an den EZB-Rat, Versäumtes nachzu holen. Das heißt, eine Folgenabschätzung vorzunehmen und darzulegen. Das Gericht hat betont, dass eine offensichtliche Umgehung des Verbots monetärer Haushaltsfinanzierung nicht feststellbar ist.

Die Bundesregierung ist jetzt angehalten, die Entscheidung genau zu prüfen und umzusetzen. Der Respekt vor unserem höchsten Gericht gebietet es aber auch, diese Entscheidung nicht politisch zu instrumentalisieren. Das will auch ich be wusst nicht tun, aber ich prophezeie: Es wird sich Wesentli ches verändern müssen, um den jetzt vom Bundesverfassungs gericht vorgegebenen Kriterien in Zukunft Rechnung zu tra gen.

(Beifall)

Durch die Coronakrise ist das Dauerthema Brexit etwas aus dem Fokus gerückt. Ich muss übrigens einräumen: Mir fiel bei der Vorbereitung dieser Debatte auf: Nicht nur Boris Johnson war an Corona erkrankt, sondern auch der Verhandlungsfüh rer aufseiten der Europäischen Union, Michel Barnier. Inso fern sind die Verhandlungen ins Stocken geraten und zeitwei se sogar ausgesetzt worden. Nun wurden sie wieder aufge nommen. Der Verhandlungsführer der EU ist aber sehr beun ruhigt, da es bei den strittigen Punkten weiter keine Fortschrit te gibt. Die Uhr läuft.

Jetzt ist mit der Coronakrise natürlich ein weiteres zentrales Thema in den Mittelpunkt gerückt, was die Verhandlungen mit Blick auf den Brexit nicht unbedingt erleichtert. Das war schon schwer genug vor der Coronakrise, und der ohnehin en ge Zeitplan verdichtet sich nun weiter; die Uhr tickt immer lauter.

Es kann nicht das Ziel der EU sein, dass die Beziehungen zu Großbritannien nach der Übergangsphase zukünftig mit Hür den für den Handel und für die Zusammenarbeit in wichtigen Bereichen wie „Innere Sicherheit“ und Forschung behaftet sind.

Für die Wirtschaft und für die Menschen ist diese unklare Si tuation unbefriedigend. Wir können aber im Moment nichts anderes tun, als uns auf verschiedene Szenarien einzustellen. Die Landesregierung wird die weitere Entwicklung in jedem Fall eng begleiten.

Lassen Sie mich abschließend noch einmal auf die Europa woche kommen. Ich finde, es war wichtig, dass wir heute auch

in diesem Haus einen Akzent gesetzt haben, um diese Euro pawoche zu nutzen, um im Dialog zu bleiben – sei dies auch ein Dialog auf Abstand. In der Europawoche nutzen wir eine solche Gelegenheit besonders intensiv – wenn auch nun un ter erschwerten Bedingungen.

Dass die Menschen nicht zu uns und zu unseren Veranstaltun gen kommen können, heißt aber noch lange nicht, dass wir nicht zu ihnen kommen können. Deshalb haben wir mit einem neuen digitalen Konzept in diesen Tagen versucht, Menschen zu erreichen und sie zu motivieren, auf dieser digitalen Platt form über ihre europapolitischen, ihre europäischen Aktivitä ten zu berichten.

Noch bis Sonntag, 10. Mai, läuft die online durchgeführte Eu ropawoche 2020 in Baden-Württemberg, und ich möchte Sie alle ermutigen: Diskutieren Sie mit, und schauen Sie mit ei nem Klick hinein in diese Plattform. Das Angebot finden Sie auf der Homepage unseres Ministeriums der Justiz und für Europa.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Jahr 2020 wird mit Si cherheit in die Geschichte eingehen. Wie das Coronavirus den Lauf der Geschichte bestimmen wird, ist noch offen. Das gilt natürlich auch mit Blick auf die Europäische Union; dieses Thema wird uns auch dort noch lange beschäftigen. Ich hof fe und wünsche mir, dass 2020 als ein Jahr in die Geschichte eingeht, in dem eine große Krise gemeinsam und in großer Solidarität bewältigt wurde, als ein Jahr, in dem der europäi sche Einigungsprozess – gerade weil es besonders schwierig geworden ist – neue Impulse bekommen hat. Bleiben wir al so weiter über Europa im Gespräch!

Herzlichen Dank.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann jetzt aufgrund der längeren Redezeit, die die Regierung beansprucht hat, zusätzliche Redezeit gewäh ren.

(Zuruf der Abg. Sabine Wölfle SPD)

Das müssten Sie vielleicht von hier vorn aus erläutern; ich habe nicht verstanden, worum es ging.

(Abg. Sabine Wölfle SPD: Es ging um eine Zwi schenfrage!)

Das habe ich nicht verstanden; das war jetzt etwas kompli ziert. Sie können das aber gern nachher von hier vorn aus vor tragen.

(Zuruf)

Moment! – Ich habe jetzt die Frage, wer sich außer der Frak tion der AfD noch zu Wort meldet. – Dann gebe ich jetzt das Wort Frau Kollegin Wölfle; die zusätzliche Redezeit beträgt eine Minute.

Ich hatte eigentlich eine Zwischen frage an Herrn Minister Wolf. Ich habe jetzt bis zum Schluss gewartet, ob Sie etwas zu den „Vier Motoren“ sagen. Denn gerade die „Vier Motoren“, speziell die Wirtschaftsräume um Mailand, Lyon und Barcelona – diese drei Länder – sind stark gebeutelt von der Pandemie.

Wie sehen Sie denn die Möglichkeit, diese „Vier Motoren“ wieder gemeinsam nach vorn zu bringen, um da auch Vorbild zu sein? Sie haben jetzt leider zu dem Thema nichts gesagt.

Das war eigentlich Inhalt meiner Zwischenfrage.

(Beifall)

Dann gebe ich das Wort weiter an die AfD. Herr Abg. Sänze, Sie hatten sowieso noch Redezeit; jetzt haben Sie noch mehr.

(Unruhe)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst einmal an Herrn Wolf: Ich meinte natürlich nicht die Türkei, sondern Albanien. Das Land ist übrigens auch überwiegend muslimisch.

Jetzt begebe ich mich einmal in Ihre Gedankenwelt.

(Zuruf: Das schaffen Sie nicht! – Weitere Zurufe)

Doch, das schaffe ich schon.

(Zuruf: Da sind Sie zu weit weg! – Weitere Zurufe)

Ja, wahrscheinlich. – Es wäre erst einmal notwendig gewe sen, dass man die Bevölkerung fragt, ob sie ein vereinigtes Europa will. Das hat nicht stattgefunden.

(Vereinzelt Beifall)

Zweitens hätte man ein Konstrukt in der Zusammenarbeit mit Benelux und Frankreich erst einmal zu gemeinsamen Prämis sen führen

(Zuruf)

und in Gleichklang bringen müssen. Stattdessen haben Sie über das Konstrukt Währung Unvereinbares zusammenge bracht. Dass das jetzt implodieren wird, ist nicht nur Ihr Feh ler, sondern auch der Fehler der Währung. Das ist doch ein ganz klarer Fall.

(Vereinzelt Beifall – Zuruf)

Jetzt sprechen wir einmal über Harmonisierung: Natürlich sind wir keine Gegner von Harmonisierung. Wir sind auch für freie Grenzen, freien Dienstleistungs- und Warenverkehr, für Reisefreiheit und Niederlassungsfreiheit.

(Zuruf)