Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Mi nisteriums für Soziales und Integration – Standards und Schutznormen in Heimen nicht zur Disposition stellen – Drucksache 16/23
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat folgende Rede zeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.
Herr Präsident, werte Kollegin nen und Kollegen, meine Damen und Herren! Unser Antrag hat zwei Ziele, die wir in der Begründung bereits benannt ha ben.
Erstens geht es uns darum, erreichte Schutznormen für pfle gebedürftige Menschen zu erhalten. Das gilt insbesondere für das Wohnen in Einzelzimmern und für die Personalausstat tung.
Zweitens geht es uns darum, Heimträgern die erforderliche Planungssicherheit zu gewähren. Das gilt insbesondere für be reits getätigte und geplante Bauinvestitionen.
Ich füge einen dritten Grund hinzu: Wir wollten auch unse rem Sozialminister zeitnah Gelegenheit geben, Missverständ nisse und Verwirrungen, die sich aus dem grün-schwarzen Ko alitionsvertrag ergeben haben, aus dem Weg zu räumen. Lie ber Herr Minister, aus alter Verbundenheit – wir haben lange gemeinsame Wege in Sachen Wohn-, Teilhabe- und Pflegege setz sowie in der Enquetekommission zur Zukunft der Pflege beschritten – hätte ich es für wichtig befunden, dass wir un sere gemeinsam erarbeiteten Positionen hier im Plenum ins besondere auch noch einmal gegenüber dem Koalitionspart ner, Ihrer neuen Braut, der CDU, klarstellen können. In den Koalitionsverhandlungen ist das offensichtlich nicht so ganz geglückt. Nutzen Sie also die Chance heute. Wir haben Ihnen deshalb mit dem Beschlussteil in unserem Antrag eine pass genaue Flanke geliefert. Es sieht allerdings so aus, dass Sie sich mit dem schwarz-grünen Änderungsantrag ins Abseits stel len und unsere Steilvorlage nicht verwandeln wollen. Scha de!
Wir haben schon mehrfach festgestellt, dass der Koalitions vertrag mit wachsweichen Absichtserklärungen gespickt ist. Unser Fraktionsvorsitzender hat bereits in seiner Erwiderung zur Regierungserklärung völlig zu Recht kritisiert, dass im Koalitionsvertrag 127 Mal „wir prüfen“ oder „wir überprü fen“ und 13 Mal „wir evaluieren“ steht. So auch jetzt im Än derungsantrag von Grünen und CDU. Mit dieser Prüfinflati on wird ein klarer Blick auf konkrete grün-schwarze Vorha ben einfach verschleiert – so auch in Sachen Landesheimbau verordnung und Landesheimpersonalverordnung, zu der im Koalitionsvertrag etwas blumig steht, Sie wollten diese „im Hinblick auf Möglichkeiten zu Erleichterungen und Verein fachungen überprüfen“.
Um es klar zu sagen, Herr Minister: Wir waren mit der Stel lungnahme des Sozialministers zufrieden. Sie sind nämlich der Linie Ihrer Vorgängerin im Amt, Frau Altpeter, treu ge blieben, und Sie, Herr Minister, hätten jetzt gleich in Wort und Tat die Gelegenheit gehabt, mit einer Zustimmung zu unse rem Antrag Fehlinterpretationen auszuräumen. Es war beilei be nicht nur die SPD in der Opposition, die sich über die Aus führungen im Koalitionsvertrag doch sehr gewundert hat. Auch bei Betroffenen und Verbänden wurde die Frage aufge worfen, ob nun in Sachen Einzelzimmerstandard oder Fach kraftquote das Rad zurückgedreht wird und erreichte Stan dards in der Pflege wieder abgebaut werden.
Ich darf an dieser Stelle z. B. die Vertreter des Landessenio renrats und des VdK zitieren. Herr Sing vom VdK sagt:
Es ist bitter, wenn ein alter Mensch am Lebensende den einzigen persönlichen Aufenthalts- und Schlafraum mit einer wildfremden Person teilen muss.
Bei denen, die die Entwicklung hin zum Wohnen in Einzel zimmern schon immer kritisiert haben, haben Sie durch Ihre unklaren Ausführungen im Koalitionsvertrag Erwartungen ge weckt, dass man sich mit der bisherigen zurückhaltenden Po sition vielleicht doch noch durchsetzen könnte. Der bpa – das sind die privaten Anbieter der stationären Altenhilfe – schreibt z. B. auf seiner Homepage:
... sendet die Koalition aber ein vorsichtig-positives Sig nal, wenn sie ankündigt, die Landesheimbauverordnung
auf Erleichterungen und Vereinfachungen hin überprüfen zu wollen. Nur substanzielle Veränderungen beim Einzel zimmergebot werden dafür sorgen, dass zahlreiche Pfle geheime nicht in ihrem Bestand gefährdet sind.
Um es ganz klar zu sagen: Wir wollen nicht, dass nach einer Übergangsfrist von zehn Jahren, die in schwierigen Fällen so gar auf 25 Jahre verlängert werden kann, dieses Fass noch mals neu aufgemacht wird und nun durch den Regierungs wechsel eine Entwicklungsverzögerung im stationären Be reich in der Pflege ausgelöst wird.
Aktuell sind von den ungefähr 100 000 stationären Pflegeplät zen in Baden-Württemberg bereits zwei Drittel in Einzelzim mern und ein Drittel in Zweibettzimmern. Wir wollen, dass dieser Prozess weitergeführt wird und die Landesregierung Kurs hält. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich Ihre Positionie rung in der Stellungnahme zu unserem Antrag, in der Sie nochmals schreiben:
Ein Absenken der Standards, die den Schutz der Würde und der Privatheit der Bewohnerinnen und Bewohner so wie die Umsetzung von Normalität in Einrichtungen be treffen, ist ausgeschlossen.
Herr Minister, mit dieser Haltung haben Sie uns an Ihrer Sei te – mit dem grün-schwarzen Änderungsantrag allerdings nicht.
Herr Präsident, meine Da men und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war schwer zu verstecken, Kollege Hinderer, dass Sie über die Stellungnahme des Ministers enttäuscht waren, weil er natür lich sämtliche Unterstellungen und Verdächtigungen wider legt hat.
Vielleicht ist auch ein bisschen Wehmut dabei. Denn selten war eine Stellungnahme des Sozialministeriums so konkret und so verbindlich.
Deswegen erst einmal: danke für den Antrag. Denn er zeigt: So kann ein Ministerium auch Stellung nehmen. Wir verglei chen das gern mit der letzten Legislaturperiode. Hier gibt es
kein Durchlavieren, keine Hintertüren, sondern es ist völlig klar: Es werden keine Standards aufgegeben, sondern es wer den welche gestärkt.
Das heißt, in Bezug auf das Wie – das ist ja auch schon unse re gemeinsame Linie gewesen, wie Standards umgesetzt wer den, wie wir mit den Trägern dann verhandeln –
sind wir durchaus pragmatisch und lösungsorientiert. Wir wol len einen fairen Interessenausgleich. Aber wir sind beim Ob eindeutig und klar: Schutzstandards, Qualitätsstandards, Fach kraftquote – alles ist hier verbindlich benannt.
Das heißt, alle verdeckten Verdächtigungen oder Unterstel lungen wurden widerlegt. Deswegen brauchen wir das Gan ze auch nicht im Beschlussteil. Der wäre nötig gewesen, wenn die Stellungnahme des Ministeriums lavierend gewesen wä re. Das ist sie aber nicht.
Deswegen ist der Antrag der Koalitionsfraktionen konsequent. Denn er weist nach vorn. Es geht um zusätzliche und neue An forderungen, z. B. den neuen Pflegebegriff, also Dinge, die von der Bundesebene auf uns zukommen, das Pflegestär kungsgesetz, die Umsetzung der Empfehlungen der gemein samen Enquetekommission „Pflege“ im Landtag. Es geht um Teilhabe, und es geht um Selbstbestimmung.
Das ist ein guter Maßstab. Ich würde mir wünschen, dass so etwas auch bei Ministerien, die von der SPD geführt werden, konsequent der Fall wäre. Wenn ich jetzt schaue, was von der Bundesebene flankierend auf uns zukommt – der Entwurf zum Bundesteilhabegesetz aus dem von der SPD geführten Minis terium –, finde ich das sehr, sehr fragwürdig. Die Selbstorga nisation von Menschen mit Behinderung ist entsetzt: statt Selbstbestimmung Fremdbestimmung, keine verbindlichen Teilhaberechte,
(Abg. Reinhold Gall SPD: Kretschmann will das doch auch nicht! Entschuldigung! Fragen Sie mal Ihren Ministerpräsidenten, was für eine Meinung der dazu hat! – Glocke des Präsidenten)
ein Bedarfsbemessungssystem, das der UN-Behindertenrechts konvention nicht gerecht wird. Menschen mit Sinnesbehinde rung werden weitestgehend von Leistungen ausgeschlossen. Ein Dumpingparagraf bevorzugt nur noch Billiganbieter. Und das aus einem sozialdemokratischen Haus ohne Qualitätsstan dards! Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist entsetzt.
Umso wichtiger finde ich den Kontrast, den wir, die Koaliti on, mit unserem Entschließungsantrag schaffen. Wir setzen nicht nur auf die Sicherung des Status quo – das ist ein be rechtigtes Anliegen –, sondern uns geht es um Weiterentwick lung und Verbesserung.
(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP – Abg. Reinhold Gall SPD: Nur schräg! Nur gaga!)
Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die SPD hat das Thema „Standards und Schutznormen in Heimen nicht zur Disposi tion stellen“ auf die heutige Tagesordnung gesetzt. Sie ver sucht damit den Eindruck zu erwecken, dass die neue Landes regierung in der stationären Pflege die Dinge zum Schlechte ren wenden wollte. Dies ist mitnichten der Fall.
Im Gegensatz zur SPD verschließen wir von der CDU-Frak tion nicht die Augen vor den vorhandenen Problemen im Zu sammenhang mit der Landesheimbauverordnung, den dazu gehörigen ermessenslenkenden Richtlinien und der Landes heimpersonalverordnung. Kollege Poreski hat das angespro chen. Der SPD scheint es hier nur um die Bewahrung der noch zu ihrer Regierungszeit von einer SPD-Ministerin gemachten Vorgaben, aber nicht um die Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Trä ger der Einrichtungen zu gehen.
Insofern, lieber Kollege Hinderer, ist das eine Steilvorlage im Hinblick auf die Zementierung von bereits getroffenen Fest legungen, aber auch im Hinblick auf die Nichtbeachtung der sich ändernden Rahmenbedingungen.