Protokoll der Sitzung vom 12.10.2016

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es! Genau!)

Herr Kretschmann in seiner ganzen Prosa springt in Stuttgart als Tiger los und landet dann in Berlin bei seinen Parteifreun den als Bettvorleger. Es hat sich gezeigt, meine Damen und Herren: Bei den Grünen hat der Mittelstand definitiv keine Fürsprecher.

(Beifall bei der FDP/DVP und der AfD – Zuruf: So ist es! – Zuruf von der AfD: Jawohl! Bravo!)

Ich richte den Vorwurf der Untätigkeit einfach deshalb an Sie, weil die Erbschaftsteuer eine Ländersteuer ist. Da kann man doch erwarten, dass die Grünen mal einen Vorschlag bringen. Und Sie haben keine Vorschläge gebracht.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Fehlanzeige!)

Wenn ja, dann zeigen Sie die. Sie waren nicht da. Sie haben natürlich in den Zeitungen alles Mögliche torpediert, was da war, und dann hat jeder auch seine Privatmeinung dazu geäu ßert. Aber was hat Frau Haßelmann – immerhin Erste Parla mentarische Geschäftsführerin der Bundesgrünen – noch am 29. September dieses Jahres gesagt?

Wir können mit den sechs Stimmen aus Baden-Württem berg im Bundesrat ganz gut umgehen.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

(Heiterkeit des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/ DVP)

Denn wir wussten von Anfang an, dass sich Baden-Würt temberg inhaltlich zu der Frage von Familienunterneh men und der Frage der Erbschaftsteuer anders positio niert als zum Beispiel wir oder manche grün mitregierten Länder.

Sie haben also vor zwei Wochen im Bundestag diesen Kom promiss lautstark abgelehnt.

(Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE: Wer ist eigentlich „Sie“? Wo sind wir gerade? Im Bundestag?)

Sie haben ihn deshalb abgelehnt, weil die Unternehmen zu wenig geschröpft werden, und dann hat sich Ihr MP als Brü ckenbauer gerühmt, meine Damen und Herren. Und dann kommt eine Oberfrechheit, nämlich der Vorschlag vonseiten der Länder, sich für eine Flat Tax zu engagieren. Das stößt dann bei Frau Peter auf großen Nährboden. Dann stellt man fest, dass das Ganze im Vermittlungsverfahren gar nicht an gewendet werden darf, weil es noch in keinem Parlament ein gebracht worden ist. Deshalb ist dies eine Untätigkeit von Ih nen. Das, was Sie da veranstalten, ist eine Farce, meine Da men und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie der Abg. Dr. Chris tina Baum und Dr. Rainer Podeswa AfD)

Wir, die FDP, plädieren für eine Lösung ohne bürokratische Fesseln,

(Lachen der Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE)

die berücksichtigt, dass die Unternehmen, die heute zur Ver erbung anstehen,

(Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE: Keine Steuern zah len, oder?)

ganz viele steuerliche Belastungen schon hinter sich haben.

Deswegen sagen wir: Lassen Sie uns über die Abschaffung von Privilegien, die Abschaffung von Verschonungstatbestän den reden, um dann tatsächlich eine Flat Tax

(Abg. Thekla Walker GRÜNE: Super Idee! Ja!)

mit geringerer Steuerkraft ab 1 Million € einzuführen. – Sie sagen jetzt „Super Idee!“, und Sie werden am Freitag im Bun desrat genau das Gegenteil tun, Frau Walker.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig!)

Eine solche Regelung wäre nämlich gerecht, weil sie keine Ausnahmen kennt und darüber Rechtssicherheit schafft. Das entspräche der Umsetzung der Forderung des Bundesverfas sungsgerichts, Gleiches gleich zu besteuern. Darin liegt der Schlüssel zur Lösung.

Wenn ich raten müsste, warum die Grünen gestern Abend die sen 180-Grad-Schwenk bis Freitag gemacht haben, dann wür de ich sagen, dass ihnen wahrscheinlich aufgefallen ist, dass dieser Kompromiss jetzt der erste Einstieg in eine Vermögen steuer ist. Das ist ja sowieso das, was Sie immer fordern. Wir werden im November sehen, was Ihr Parteitag entscheidet.

Meine Damen und Herren, wenn dort steht: „eine Abgrenzung von sonstig typischerweise der privaten Lebensführung die nenden Gegenständen“, dann wissen wir alle, dass der Auf bau dieser Bewertungsstrukturen der erste Schritt hin zu ei ner Vermögensteuer ist. Meine Damen und Herren, wenn ich sehe, dass das der erste Schritt ist, dann graut mir vor dem zweiten. Mir schwant Schlimmes für den Mittelstand hier in Baden-Württemberg.

Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr, und stimmen Sie am Freitag im Bundesrat dagegen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der AfD – Zuruf: Ja wohl! Bravo!)

Für die Fraktion GRÜNE er teile ich das Wort Frau Abg. Walker.

Sehr verehrte Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Gäste! Ich bin ja der Opposition, der FDP/DVP, dankbar, dass sie die Debatte hier auf die Tagesordnung gesetzt hat – nur leider mit dem falschen Titel. Denn eigentlich müsste er lauten: „Reform der Erbschaftsteuer: ein guter Kompromiss für den Mittel stand, gerade auch hier in Baden-Württemberg“.

(Vereinzelt Beifall bei den Grünen – Zurufe der Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD und Dr. Timm Kern FDP/ DVP)

Um diesen Kompromiss bewerten zu können, muss man sich schon noch einmal vergegenwärtigen – das will ich hier jetzt auch tun –, was das Bundesverfassungsgericht von der Poli tik gefordert hat und was im Rahmen der Bund-Länder-Ver handlungen realistisch und real überhaupt möglich war. Poli tik ist nämlich nicht „Wünsch dir was“, liebe FDP/DVP-Frak

tion, sondern muss sich an dem orientieren, was real gefor dert ist und was im Ausgleich verschiedener Interessen mach bar ist.

Genau dafür hat sich die Landesregierung hier eingesetzt. Wir haben den Vermittlungsausschuss angerufen, der Ministerprä sident hat da auch mit verhandelt, und wir sind am Ende zu einem guten Kompromiss für den Mittelstand im Land ge kommen.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD: „Wünsch dir was“! – Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Aber was war die Ausgangslage für die Politik? Ich glaube, da braucht insbesondere die FDP – nach dem, was ich gerade gehört habe – noch einmal ein paar Erinnerungen.

Mit verkündetem Urteil hat der Erste Senat des Bundesver fassungsgerichts am 17. Dezember 2014 die §§ 13 a, b und 19 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes für verfas sungswidrig erklärt. Die Privilegierung des betrieblichen Ver mögens sei unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig. Warum? Weil über den Bereich kleiner und mittlerer Unter nehmen hinausgegangen wurde, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen.

Ebenfalls unverhältnismäßig war die Freistellung von Betrie ben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Einhaltung einer Min destlohnsumme und, noch darüber hinaus – das ist auch ein sehr wichtiger Aspekt bei der Urteilssprechung –, die Verscho nung des betrieblichen Vermögens mit einem Anteil des Ver waltungsvermögens von bis zu 50 %. Für alle, die nicht wis sen, was Anteile des Verwaltungsvermögens sind: Das sind Anteile, die nicht unmittelbar zum betrieblichen Vermögen gehören, sondern Immobilien oder andere Unternehmensan teile sein können.

Das ist also eine klare Ansage des Bundesverfassungsgerichts, was zu tun ist. Das Gericht stellt klar: Es liegt zwar im Ent scheidungsspielraum des Gesetzgebers, kleine und mittlere Unternehmen zur Sicherung ihres Bestands und zur Erhaltung der Arbeitsplätze steuerlich zu begünstigen – das befürwor ten wir ja auch alle –, die alten Regelungen gingen aber in ei nem Maß – so sage ich einmal – darüber hinaus, das zu einer Steuergestaltung eingeladen hat, die eben nicht mehr mit Ar tikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, nämlich dem Gleichheits grundsatz, in Übereinstimmung zu bringen war. Deswegen mussten eben dringend Änderungen vorgenommen werden.

(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD)

Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist darü ber hinaus auch einstimmig ergangen. Die Richter waren sich an dieser Stelle völlig einig.

Wir halten fest: Das Bundesverfassungsgericht hat eine zu starke Verschonung von Betriebsvermögen beanstandet, und es hat festgestellt, dass diese Bevorzugung von Betriebsver mögen gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstößt.

Wie ging es weiter? Die Vorschriften waren natürlich zunächst anwendbar, der Gesetzgeber war aber beauftragt, bis zum 30. Juni 2016 eine Neuregelung zu schaffen. Wie wir alle wis sen, ist diese Frist verstrichen. Über die Gründe kann ich hier

natürlich nur spekulieren. Wir sind hier nicht im Bundestag; da müssen Sie die Große Koalition in Berlin fragen, warum das nicht geklappt hat.

Was ich aber weiß, ist, dass das Verfassungsgericht es ernst meint mit der Frist, und dass es für den Fall, dass der Gesetz geber eben keine Lösung findet, angekündigt hat, selbst tätig zu werden. Was heißt das dann, selbst tätig zu werden? Denk bar wäre beispielsweise gewesen, dass das Verfassungsgericht jetzt eine eigene Regelung zur Erbschaftsteuer auf den Weg bringt. Das würde eben auch passieren, wenn man das jetzt an diesem Freitag ablehnt. Was Sie gerade gefordert haben, wür de unter Umständen dazu führen, dass das Bundesverfas sungsgericht dann selbst tätig wird. Auf diese Möglichkeit wurde ja auch der Berichterstatter des Bundesverfassungsge richts nach dem Urteil direkt angesprochen, und er hat auch gesagt, dass er diese Möglichkeit für realistisch hält.

Jetzt frage ich Sie, meine Damen und Herren von der FDP/ DVP: Hätten Sie das gewollt? Oder wollen Sie, wenn Sie hier die Ablehnung fordern,

(Zuruf des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP)

dass das Bundesverfassungsgericht quasi als Ersatzgesetzge ber fungiert, weil sich die Politik nicht einigen kann? Das kann doch beim besten Willen nicht Ihre Absicht sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Eines ist klar: Wenn schon die Verschonungsregel vom Ver fassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft wurde, wä re bei einer Neuregelung durch das Gericht mit Sicherheit letztlich doch keine unternehmensfreundlichere Position zu erwarten, als es der jetzt vorliegende Kompromiss beinhaltet.

Ich denke, man kann völlig zu Recht beklagen, dass die Re form nicht tiefgreifender ist, nicht konsequent genug war, oder dass die Chance verpasst worden ist – Sie haben es vorhin selbst erwähnt –, ein Flat-Tax-Modell zu entwerfen, das es grundlegend einfacher und gerechter gemacht hätte. Dieses Bedauern teile ich, teilt auch die grüne Partei. Darum ging es zum Zeitpunkt der Verhandlungen aber gar nicht mehr. Im Vermittlungsausschuss konnten nur noch die vorliegenden Modelle beraten werden. So wollen es die Bundesratsstatu ten. Deswegen reden wir nicht über „Wünsch Dir was“,