Lassen Sie es mich kurz zusammenfassen: Die Maßnahmen, die hauptsächlich auf der Bund-Länder-Koordination beru hen, tragen wir, die SPD, im Wesentlichen mit. Angesichts der hohen Zahl von Neuinfektionen müssen wir unsere Kontakte so weit wie möglich beschränken. Wenn man Lockerungen vorsehen möchte, wie es jetzt die grün-schwarze Landesre gierung getan hat, sollte man natürlich aus unserer Sicht auch das Weihnachtsfest dem Silvesterfest vorziehen, auch wenn wir gern mit Familien und Freunden gemeinsam ins neue Jahr gefeiert hätten.
Allerdings ist die Verordnung in wesentlichen Teilen lücken haft, und zwar augenscheinlich in den Punkten, in denen sich Grün-Schwarz nicht einig werden konnte. Wir haben den Ein druck, dass jeder in der Regierung macht, was er will, und – machen wir uns nichts vor – der Ministerpräsident das Heft des Handelns nicht mehr in der Hand hat.
Eines der größten Versäumnisse aus unserer Sicht mit fatalen Folgen für den Kampf gegen das Virus: In Baden-Württem berg gibt es noch immer keine klar kommunizierte und ver bindliche Hotspot-Strategie für Stadt- und Landkreise mit ei nem Inzidenzwert von über 200. Stand 1. Dezember gibt es in Baden-Württemberg insgesamt sieben Stadt- und Landkrei se, auf die diese Kriterien zutreffen.
Weil sich Grüne und CDU nicht einig werden, verzichtet man darauf, diese Hotspot-Strategie in der Verordnung zu regeln, sondern überlässt das – der Minister hat es gerade noch ein mal bestätigt – einer Lenkungsgruppe, die dann berät. Im End effekt wird diese Hotspot-Strategie über ministerielle Erlasse umgesetzt. Bis zum heutigen Tag gibt es diesen Erlass nicht.
Auf diesem Weg umgehen Sie nicht nur eine Konsultation – das muss man sich einmal vorstellen – und gegebenenfalls ei ne Beschlussfassung durch den Landtag. Sie nehmen damit auch billigend in Kauf, dass diese Strategie für die betroffe nen Stadt- und Landkreise zu spät kommt.
Dass man es besser machen kann, zeigt das Vorgehen im Frei staat Bayern. Dort hat man das nämlich in die Verordnung ge schrieben. Ich frage mich, Herr Minister: Warum klappt das immer in Bayern, während Sie in Baden-Württemberg das nicht auf die Reihe bekommen – nach acht Monaten Pande mie? Diese Frage stellt sich nicht nur mir, sondern den Men schen im ganzen Land.
Nächstes Thema – ich weiß gar nicht, ob ich lachen oder wei nen soll –: die Landesregierung auf der Suche nach dem Be ginn der Weihnachtsferien. Frau Eisenmann, ich kann es Ih nen nicht ersparen: Was war da los? Vor einer Woche kündig te der Ministerpräsident groß an: Ferienstart am 18. Dezem ber. Nachdem sich schon alle Betroffenen im Land – Famili en, Lehrer, Schüler – darauf eingestellt hatten, dass der Be ginn der Weihnachtsferien vorgezogen wird, verkündet nun
Frau Ministerin, damit Sie mal wissen, was im Land los ist: Mich hat die E-Mail eines Schulleiters erreicht, der zu diesem Thema am gestrigen Tag gesagt hat – – Er hat an die Schul gemeinschaft geschrieben. In der E-Mail steht:
Da nun alle paar Tage andere Infos hinsichtlich des Be ginns der Weihnachtsferien veröffentlicht werden und noch immer keine amtlichen Bekanntmachungen bei uns im Rektorat eingetroffen sind, bitte ich alle Eltern, sich in der einschlägigen Presse über den Beginn und das Ende der Weihnachtsferien zu informieren.
Diese E-Mail spricht Bände. Ich habe selten ein solches Kom munikationsdesaster erlebt. Immer, wenn man glaubt, es ge he nicht schlimmer, belegt Frau Eisenmann eindrucksvoll das Gegenteil. Auch dieses Chaos zeigt einmal mehr: Dieses Land hat eine bessere Regierung verdient.
Wir, die SPD, stellen heute unseren Entschließungsantrag zur Abstimmung, der folgende Punkte aufgreift:
Wir fordern eine effiziente Hotspot-Strategie für Stadt- und Landkreise mit einem Inzidenzwert größer als 200, und zwar umgehend und nicht erst in einer Woche.
Wir fordern klare Parameter für die Maßnahmen zur Pande miebekämpfung über die Zeit nach dem 1. Januar. Die Men schen müssen sich darauf einstellen, was ihnen im Januar blüht.
Diese Punkte müssen aus unserer Sicht transparent und kurz fristig in einer neuen Corona-Verordnung verankert werden.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Da men und Herren! Nun liegt sie vor, die neue Corona-Verord nung der Landesregierung. Seit dem Ausbruch der Pandemie haben wir uns daran gewöhnt, in regelmäßigen Abständen neue zusätzliche Zumutungen präsentiert zu bekommen. Der anfänglichen Sorglosigkeit in Sachen Corona folgte im Früh jahr angesichts der explodierenden Infektionszahlen panisch die gesellschaftliche, wirtschaftliche Vollbremsung, nämlich der Lockdown.
Der dann folgende Rückgang der Infektionszahlen oder, bes ser gesagt, der positiv Getesteten war ausschließlich der war men Jahreszeit geschuldet. Nach den Erfahrungen mit Influ enza war eigentlich klar, dass mit Beginn der kalten Jahres zeit das Infektionsgeschehen von Covid-19 wieder an Fahrt aufnehmen wird. Die Zeit bis dahin hätte genutzt werden müs sen, um einen Plan zum Umgang mit der Pandemie zu entwi ckeln.
Allerdings fiel Ihnen nicht viel dazu ein, sodass jetzt bis zu ei ner möglichen Impfung die bisherigen Maßnahmen inklusive eines Lockdowns – Sie nennen es „Lockdown light“ – wieder helfen müssen. Doch welche Auswirkungen hat das auf unse re Gesellschaft und auf unsere Wirtschaft? Gastronomen, Ho teliers und viele andere sind die ersten Opfer.
Uns erreichen täglich Briefe, in denen die Betroffenen zum Ausdruck bringen, dass sie ihre Miete und ihre Nebenkosten nicht mehr bezahlen können. Auch Krankenkassen und ande re Gläubiger verlangen, obwohl die Betroffenen keine Ein künfte mehr haben, die Begleichung der Forderungen. Das Kurzarbeitergeld sei trotz Zusagen der Politik, schnell zu hel fen, und obwohl es vor vier Wochen beantragt worden sei, noch immer nicht überwiesen. Hinzu kommt, dass die Betrof fenen aufgrund der im Sommer gültigen Corona-Verordnung immense Investitionen in Desinfektionsmittel, Spender, Trenn wände, neues Mobiliar, Windschutz und vieles mehr getätigt haben, und zwar Tausende von Euro. Sie fragen daher die Lan desregierung aktuell: „Was bringt uns die Novemberhilfe im Januar?“ Die Antwort darauf kommt prompt, nämlich: nichts.
Der stationäre Einzelhandel folgt bereits. Auch hier wurden aufgrund der Corona-Verordnung ebenfalls enorme Investiti onen vorgenommen. Doch trotz des bevorstehenden Weih nachtsgeschäfts bleiben viele Kunden aus. Kurzarbeit muss auch hier oftmals angemeldet werden. Die Kunden wandern in Richtung Onlinehandel ab. Amazon bedankt sich; doch Amazon zahlt in Deutschland wenig Steuern.
Von der Situation der Schausteller, von Volksfesten und Weih nachtsmärkten ganz zu schweigen. Viele Händler bleiben auf den Waren, die sie bestellt haben, und auf ihren Kosten sitzen.
Die Automobilindustrie und deren Zulieferer sind allerdings nicht erst seit Corona in der Krise. Hier hat die EU-Politik mit Blick auf die Grenzwerte mitsamt des ganzen Grenzwertmess desasters – z. B. am Neckartor in Stuttgart – ganze Arbeit ge leistet. Hier tragen Sie die Verantwortung für den Verlust vie ler Arbeitsplätze in Baden-Württemberg.
Die sogenannten November- und Dezemberhilfen werden, falls sie noch rechtzeitig ankommen, den Niedergang nur ein wenig aufhalten. Doch Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat bereits Anfang der Woche unmissverständlich zu verste hen gegeben, dass es keine weiteren Hilfen geben wird. Und dann, meine Damen und Herren?
Durch Ihre Krisenpolitik stehen viele Minijobber ohne Ein kommen da. Daher frage ich die Landesregierung: Was ist Ihr Plan für die nächsten Monate? Wie wollen Sie unser Land durch die Krise führen, bis die Pandemie überstanden ist? Gibt es hier überhaupt Vorstellungen? Wir können uns ein mona telanges „Weiter so!“ auf Kosten unserer Wirtschaft keines falls erlauben.
Der Ansatz, das Infektionsgeschehen kontrollieren zu wollen, ist offensichtlich gescheitert. Das Wegschließen ist geschei tert. Nach jedem Lockdown folgen unweigerlich eine neue In fektionswelle und eine neue Insolvenzwelle. Die Insolvenz der Friseurkette Klier ist ein aktuelles Beispiel. Wir haben kei
ne andere Wahl. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben, weil es uns noch monatelang begleiten wird.
Ich frage Sie: Welcher Tote ist Ihrer Meinung nach mehr wert: der, der mit Corona verstorben ist, oder der, der sich umbringt, weil er aufgrund der Corona-Verordnung keine Existenzgrund lage mehr hat? Wer ist Ihnen wichtiger?
Wir erwarten von der Landesregierung daher, dass das die letzte Corona-Verordnung ist. Wir erwarten von Ihnen,
dass Sie zum Beginn des nächsten Jahres endlich ein Konzept vorlegen, das ein längeres Verfallsdatum hat, das das ganze Jahr gelten sollte. Wir erwarten von Ihnen, dass alle Unter nehmen, die für die nachweislich sinnlosen Maßnahmen in Geiselhaft genommen wurden, von Ihnen umgehend ange messen entschädigt und von den Beschränkungen befreit wer den.
Wir erwarten von Ihnen, dass Sie die Impfung erst dann zulassen, wenn der Impfstoff ausrei chend getestet ist, sodass Impfschäden möglichst ausgeschlos sen werden, und dass die Impfung auch nicht indirekt zum Zwang wird.
(Beifall – Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Es wäre gut, wenn die Präsidentin mehr Neutralität wahren würde! – Gegenruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Man hat die Präsidentin nicht zu kritisieren! – Gegenruf des Abg. Andreas Stoch SPD: So sieht es aus!)
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Die Situation ist nach wie vor ernst. Die Infektionszahlen zeigen, dass die Politik weiterhin ver antwortungsvoll handeln muss. Mit dieser Überzeugung tra gen wir auch weiterhin eine Vielzahl von Maßnahmen mit, so weit sie zielgerichtet auf die Bekämpfung der Pandemie aus gerichtet sind. Allerdings haben wir bei einigen Maßnahmen Zweifel, ob diese tatsächlich zielgerichtet und verhältnismä ßig sind, auch wenn ich die Bemühungen, die einzelnen Maß nahmen vertretbar zu begründen, ausdrücklich anerkennen möchte.
Entschuldigung, Herr Abg. Weinmann. Würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Fiechtner erlauben?