Und wie wollen wir das denn tun? Indem wir uns weiter aus einanderdividieren? Oder indem wir Europa zusammenhal ten, die EU stärken und dann gemeinsam dafür sorgen, dass wir nicht zerrieben werden?
Das ist die einzige Chance, die Deutschland und auch das Land Baden-Württemberg haben, meine Damen und Herren.
Wenn es etwas gibt, was man besser machen kann – wie z. B. bei den CO2-Grenzwerten –, dann lasst uns darüber streiten und die beste Lösung finden. Da gibt es vieles, was es zu kri tisieren gibt –
Die typische europäische Sitzfleischdiplomatie treibt es beim Thema Brexit – ich bin den Kolleginnen und Kollegen der SPD dankbar, dass wir dies heute, kurz vor Weihnachten, dis kutieren; an Silvester steht ja dann die Entscheidung an – mal wieder auf die Spitze. Das wurde von den Vorrednern schon gesagt. In dieser Woche noch sagt die Kommissionspräsiden tin, sie sehe Chancen für ein Abkommen, es könne aber auch sein, dass es keines gebe. Die Folge sind dann aber Zölle, Handels- und Lieferhemmnisse, auslaufende Zertifizierungen, Versorgungsengpässe für die Menschen und die Industrie. Im Prinzip haben wir in Europa mit dem Brexit mitten im Win ter-Lockdown eine Situation, die wir gar nicht brauchen kön nen.
Angesichts dieser Probleme – da kommen die meisten auf das Vereinigte Königreich zu – ist unverständlich, dass im Prin zip seit Anfang des Jahres versucht wird, mit einer harten Hal tung und einer konsequenten Missachtung der klaren Positi on der EU alles aufrechtzuerhalten. Als Europäer sollte man es mittlerweile schon aufgegeben haben, diesen – man hat es gerade auch gesehen – aus Desinformation und Anti-EU-Pro paganda getriebenen Brexit mit Rationalität zu betreiben. Da her bleibt uns nur, dass wir die Errungenschaften gegen die Rosinenpickerei von außen und von innen verteidigen.
Die Verhandlungsführer blicken sicherlich nach London, schielen aber auch nach Sofia und Warschau. Denn die grund sätzliche Verankerung des Rechtsstaatsmechanismus ist si cherlich einer der Erfolge der sonst an Erfolgen recht armen deutschen Ratspräsidentschaft; das muss ich schon mal sagen. Denn nicht die Coronahilfen oder der Einstieg in die Verschul dungsfähigkeit der EU, sondern nur der Rechtsstaatsmecha nismus kann als Erfolg verbucht werden – der Rest nicht. Die Verankerung des Rechtsstaatsmechanismus zeigt doch, dass man angefangen hat, in der EU gemeinsame Grundwerte, die die Gründung der Europäischen Gemeinschaft überhaupt erst ermöglicht haben, bei der ganzen Landwirtschafts-, Kohäsi ons- und Finanzregulierungspolitik wieder zum Vorschein zu bringen. Davon wird auch nicht abgelassen, um des lieben Friedens willen oder um Förderprogramme geschmeidig wei terlaufen zu lassen. Man lässt sich hier nicht mehr von Auto kraten auf der Nase herumtanzen.
Da muss ich auch einmal klar sagen – der Kollege Hofelich hat das so gelobt; beim Lob bin ich dabei –: Das Lob müsste
man aber eigentlich den Liberalen und den Grünen ausspre chen, weil diese es waren, die gesagt haben: „Ohne den Rechtsstaatsmechanismus geht es da nicht weiter.“ Die Gro ße Koalition in Berlin wäre zu deutlich konzilianteren Rege lungen bereit gewesen. Ich glaube, das gehört zur Wahrheit dazu.
Was kommt nach dem Brexit, sei es jetzt mit oder ohne Ab kommen? Für uns gilt die Erkenntnis, dass Europa seinen Blick weiten muss – weiten auf andere Regionen der Welt, so z. B. auf Lateinamerika. Da liegt das ausverhandelte Merco sur-Abkommen auf dem Tisch. Diesem hat die Kanzlerin aber schon Anfang der Ratspräsidentschaft faktisch eine Absage erteilt. CETA dümpelt in der ich weiß nicht wievielten Rati fizierungsschleife. Auch unsere Landesregierung hat es noch immer nicht geschafft, sich klar dazu zu positionieren. Beste Grüße an die CDU und die dortigen Handelspolitiker.
Und wir werden sehen, ob Präsident Biden in den USA genug handelspolitischen Drive entwickeln wird, dass neben der Klä rung, wie es mit China weitergehen soll, auch wieder Verhand lungen über ein Freihandelsabkommen mit der EU aufgenom men werden. Es muss dann nicht TTIP heißen, sondern an ders. Für uns ist das aber wichtig. Wir müssen allerdings, wie gesagt, abwarten, was da kommt.
Deswegen darf es sich nicht darauf konzentrieren, dass die EU mit ihren Regelungen bei uns in Deutschland und in Ba den-Württemberg die industrielle Basis schwächt, dass der Export von Produkten im Prinzip schon in der Produktion ver unmöglicht wird, ohne dass sich deswegen irgendetwas für das Klima verbessert. Denn die Nachfrage bedienen dann an dere, und die werden definitiv nicht unsere Standards einhal ten.
Meine Damen und Herren, wenn Sie jemandem in der Wirt schaft in Baden-Württemberg erklären wollen, wie dieser Bre xit abläuft, dann wird es schwierig. Seecontainer, die jetzt un terwegs sind, werden im neuen Jahr vielleicht anlanden, wenn sie denn anlanden können. Denn die Staus sind auch an den Häfen vorprogrammiert. Beim Verschicken dieser Container ist aber noch nicht bekannt, welche Zollformalitäten dann gel ten, wenn diese Seecontainer ankommen. Das ist alles ande re als Planungssicherheit.
Die Frage wird ja beantwortet. Sie müssen nur einmal schau en: BMW kündigt an, dass der Brexit BMW eine halbe Mil liarde Euro kosten wird. BMW gibt das ja weiter. Bei uns wer den die Minis 10 % teurer, in London die BMWs. Das ist das eine. Das eine ist das Geld.
Das größere Problem ist jedoch die Bürokratie. Die Abläufe in den Lieferketten werden gehemmt. Das ist ein ganz großes Problem. Ich bin sicher, die Menschen in England werden fest stellen, was sie tatsächlich an der EU hatten, wenn sie nicht mehr für ein halbes Jahr nach Spanien zum Überwintern ge
hen können und wenn dann doch das eine oder andere mal knapp wird. Dann, meine Damen und Herren, ist es halt zu spät.
Ich bin sicher, dass Großbritannien kein Singapur an der Nord see wird; das darf es auch nicht werden.
Zum Thema Fischfangquoten ist heute Morgen um 9:33 Uhr vermeldet worden, dass die Fischfangquoten wohl geklärt wä ren. Jetzt habe ich zumindest Hoffnung; denn wenn man weiß, was jemand rausholen darf, dann kann man sich vielleicht leichter entscheiden: Lasse ich den rein, oder lasse ich den nicht rein? Man sollte das Fischfangthema vielleicht auch nicht zu hoch hängen. Es ist jedes Jahr das Gleiche: Am En de des Jahres werden diese Quoten verhandelt,
und das hat dies alles nun noch ein bisschen verstärkt. Aber ich bin nicht der Meinung, dass das ein K.-o.-Kriterium ist.
Ich habe vorhin noch mit unserem ehemaligen Kollegen An dy Glück telefoniert und habe ihn gefragt: „Was macht ihr denn zwischen den Jahren?“ Da hat er mir gesagt: Na ja, sie sollten nicht zu weit wegfahren, und die Dolmetscher seien zumindest für den 30. Dezember auf Stand-by. Das stimmt mich hoffnungsfroh, denn um einmal einen Satz eines an Jah ren bereits erfahrenen CDU-Politikers etwas abzuändern: „Es isch erst over, wenn’s over isch.“
Wir werden im nächsten Jahr, wenn dieser Landtag das nächs te Mal zusammenkommt, wissen, wie es aussieht.
Aber egal, wie es aussieht – es muss unsere Aufgabe sein, die Aufgabe des Landtags von Baden-Württemberg, jeden Tag dafür zu kämpfen, dass Baden-Württemberg, dass Deutsch land in einem geeinten Europa der Motor werden. Wir wis sen, dass wir nur gemeinsam eine Zukunft haben und dass wir diese Zukunft bestmöglich gestalten müssen. Dafür sollten wir kämpfen – jeden Tag, egal, wie es beim nächsten Zusam mentreffen dieses Landtags dann mit dem Brexit aussieht.
Frau Präsident, sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren, Sonstige A bis Z! Wenn ein Sklave sich befreit, ärgert das den Sklavenhalter in aller Regel sehr. Daher ist das Gejaule der SPD und der mit ihr verbandelten anderen Alt- und Verbrauchtparteien über den Abzug Großbritanniens aus dem Zwangssystem EU mehr als verständlich. Denn das sind die Fans des grauen Einerleis und die Fans der Fremdbestimmung und der Tyrannei.
Die Euphorie über eine EU ist von deutscher Seite her ohne hin nicht zu verstehen. Wir haben von Herrn Sänze ja gehört,
was aus Deutschland in der Zeit, in der Deutschland nun in der EU ist, geworden ist, nämlich ein Hinterwälderland, ein Land, das von einer führenden Position aus mittlerweile völ lig abgeschlagen ist.
Zudem frage ich mich, was wir denn überhaupt zu Standards erheben wollen. Der Kollege der CDU sprach von den hohen Sozial- und Klimastandards, die man selbstverständlich auf rechterhalten will und von denen man nicht abweichen will. Jetzt frage ich Sie mal: Angesichts der von Ihnen induzierten Wirtschaftskrise unter dem Titel Corona mit allen Verwerfun gen, mit dem Zusammenbruch ganzer Wirtschaftszweige, glauben Sie allen Ernstes, dass Sie unsere Sozialstandards noch länger erhalten werden? Diese Sozialstandards werden hier in unserem Land im nächsten Jahr krachend zusammen fallen. Und dann werden Sie froh sein, wenn Sie überhaupt die Bürger Ihres Landes noch einigermaßen in Lohn und Brot halten können.
Für mich ist es vollkommen klar: Besser tausend Liechten steins, unabhängig, frei in den Entscheidungen, wie man wirt schaftet und wie man sonstige Politik gestaltet, als eine „EUdSSR“ – ein Zwangssystem, das immer totalitärer wird, mit immer mehr fremdbestimmenden Maßnahmen.
Frau Prä sidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin nen und Kollegen von der SPD, ich hatte den Eindruck, es war Ihnen nicht besonders angenehm, ausgerechnet von der AfD dafür gelobt zu werden, dass Sie dieses Thema zum Gegen stand der heutigen Aktuellen Debatte gemacht haben. Ich ha be dafür Verständnis.