Meine Damen und Her ren, jetzt liegen mir in der Tat keine Wortmeldungen mehr vor. Damit ist die Aussprache beendet.
ich mache erst weiter, wenn Ruhe einkehrt – dem Vorschlag des Kollegen Gall folgend zur Vorberatung an den Innenaus schuss und zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Sozi ales und Integration zu überweisen. Sind Sie damit einverstan den? – Dann ist es so beschlossen.
Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Ausführung des Gesetzes über die psychoso ziale Prozessbegleitung im Strafverfahren – Drucksache 16/712
Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier ges tern ein Gesetz zur Bewährungs- und Gerichtshilfe diskutiert. In der Debatte ist auch das Thema Opferschutz angeklungen. Alle, die sich zu Fragen des Opferschutzes zu Wort melden wollen, sind heute, bei der Diskussion dieses Themas, gefor dert.
Ich glaube, wir, die Landesregierung, zeigen, dass wir unse ren Auftrag ernst nehmen, Opfern von Straftaten im Zuge an schließender Strafverfahren auch die notwendige Begleitung
zur Verfügung zu stellen und auch dem Gebot Rechnung zu tragen, Menschen, denen Unrecht widerfahren ist, auf ihrem Weg auch wirklich und wirksam zu helfen.
Zum anstehenden Jahreswechsel wird der Opferschutz im Rahmen von Strafverfahren eine wesentliche Verbesserung erfahren. Ab dem 1. Januar 2017 erhalten Kinder, Jugendli che und in besonderen Fällen auch Erwachsene, die Opfer ei ner schweren Sexual- oder Gewaltstraftat wurden, die Mög lichkeit einer kostenfreien Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters.
Bei der psychosozialen Prozessbegleitung handelt es sich um eine besondere Form der Begleitung im Strafverfahren für be sonders schutzbedürftige Verletzte, und zwar vor der straf rechtlichen Hauptverhandlung, während der Verhandlung, aber eben auch im Nachhinein und auch nachfolgend in der Betreuung. Es geht nicht um rechtliche Betreuung, es geht um psychosoziale Begleitung. Diese umfasst die Vermittlung wichtiger Informationen, die qualifizierte Betreuung und Un terstützung im gesamten Strafverfahren. Es geht uns darum, die individuelle Belastung der Verletzten zu reduzieren, und die psychosoziale Begleitung soll auch verhindern, dass aus Betroffenheit als Opfer letztlich im weiteren Verlauf eigene Straffälligkeit entsteht.
Die bisherigen Erfahrungen haben bereits gezeigt, dass diese intensive Form der Zeugenbegleitung geeignet ist, die oftmals psychisch stark belasteten Zeuginnen und Zeugen vor ihrer Aussage bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder vor Ge richt zu stabilisieren und ihnen Halt zu geben.
Hiervon profitieren zum einen die Betroffenen, die Unterstüt zung erfahren und denen es in ungewohnten Vernehmungssi tuationen ermöglicht wird, zu erzählen, was ihnen widerfah ren ist. Man muss sich in diese Rolle und diese Situation hi neinversetzen, wenn ein Mensch, dem Unrecht geschah, ge fordert ist, das vor anderen darzulegen und darüber zu berich ten. Hiervon profitiert aber auch die Justiz bei ihrer zentralen Aufgabe, die Wahrheit im Strafverfahren zu erforschen.
Der vorliegende Regierungsentwurf setzt bundesgesetzliche Vorgaben der Strafprozessordnung um. Er regelt insbesonde re die Frage, welche Voraussetzungen Bewerberinnen und Be werber erfüllen müssen, um künftig in Baden-Württemberg als psychosoziale Prozessbegleiterinnen und -begleiter tätig sein zu dürfen.
Im Hinblick auf den allerorten bestehenden Umsetzungsbe darf haben wir uns auf Länderebene vorab abgestimmt, um eine bundesweit möglichst einheitliche Verfahrensweise zu erreichen. Grundlage waren bundeseinheitliche Mindeststan dards der psychosozialen Prozessbegleitung, Mindeststan dards für die Weiterbildung der psychosozialen Prozessbeglei tung. Diese Standards wurden in einer interdisziplinär besetz ten Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Auftrag der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister erarbeitet und durch Beschluss der Konferenz im Juni 2014 bestätigt.
Die in diesen Standards festgelegten Grundsätze spiegeln den aktuellen Stand der Diskussion und der Erkenntnisse zur psy chosozialen Prozessbegleitung wider. Aufgrund der engen lan desübergreifenden Abstimmung und der Orientierung an bun deseinheitlichen Standards werden sich die jeweiligen Lan desgesetze weitgehend entsprechen.
Inhaltlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, regelt der Regie rungsentwurf insbesondere die Voraussetzungen, die Bewer berinnen und Bewerber erfüllen müssen, um als derartige psy chosoziale Prozessbegleiter anerkannt zu werden. Weitere Vorschriften betreffen die Anerkennung der Weiterbildungs veranstaltungen psychosozialer Prozessbegleitung und die Ausgestaltung der jeweiligen Anerkennungsverfahren.
Schließlich sieht der Entwurf in § 10 eine Verordnungser mächtigung vor, von der wir auch Gebrauch machen werden, um die Inhalte der Weiterbildung im Bereich der psychosozi alen Prozessbegleitung konkret festzulegen.
Es wurde eine Anhörung durchgeführt. Der Entwurf wurde im Rahmen dieser Anhörung ganz überwiegend als sachge recht bewertet. Die Änderungsvorschläge der Verbände und Justizbehörden haben wir sorgfältig geprüft; sie führten ledig lich zu geringfügigen Änderungen.
Durch die vorgesehenen Regelungen wird im Interesse der Opfer von Straftaten zum einen gewährleistet sein, dass de ren Betreuung im Rahmen eines Strafverfahrens durch hoch qualifizierte psychosoziale Prozessbegleiter erfolgt. Zum an deren wird sichergestellt, dass psychosoziale Prozessbeglei ter, die durch die Landesjustizverwaltung eines Landes aner kannt worden sind, grundsätzlich auch in anderen Ländern tä tig werden können.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal: Hier geht es um Opferschutz. Menschen, denen Unrecht geschah, soll geholfen werden, die Folgen der Straf tat zu lindern. Die Opfer sollen spüren, dass nicht nur die Tä ter im Mittelpunkt eines Strafverfahrens stehen, sondern dass es in gleicher Weise um ihren Schutz als Opfer geht. Auf die sem Weg bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.
Meine Damen und Her ren, für die Aussprache hat das Präsidium eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.
Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort zu ihrer ersten Rede der Kollegin Erikli. – Bitte schön.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, meine erste Rede im Plenum halten zu dürfen.
Das Thema, um das es heute geht, ist ein sehr ernstes. Dazu möchte ich Ihnen eingangs gern einen kurzen Fall darstellen.
Es geht um einen 13-jährigen Jungen, um Patrick. Nachdem Patrick von zu Hause weggelaufen ist, trifft er auf einen Mann, der ihm eine Unterkunft anbietet. Dieser Mensch ist Mitglied in einer Gruppe von Männern, die Kinder gezielt ansprechen und sexuell missbrauchen. Zehn Wochen nach seinem Ver schwinden trifft Patrick einen Bekannten auf der Straße, der den Vermissten erkennt und unter einem Vorwand zur Polizei bringt.
Patrick willigt ein, über den sexuellen Missbrauch zu spre chen, sodass er Zeuge in einem Gerichtsverfahren wird. Die
ses Verfahren ist für ihn mit seinen 13 Jahren eine enorme Be lastung. Er hat große Ängste, Konzentrationsschwierigkeiten, und ihm ist es peinlich, über diesen Missbrauch zu sprechen. Durch eine psychosoziale Begleitung schafft er es aber, vor Gericht auszusagen, und es kommt zum Glück zu mehreren Urteilen gegen die Täter.
Dieser Fall stammt aus Österreich, wo es die psychosoziale Prozessbegleitung, wenn auch in einigen Punkten anders ge regelt, bereits seit Jahren gibt.
Warum schildere ich Ihnen einen so emotional belastenden Fall? Es geht mir darum, aufzuzeigen, dass hinter dem vor uns liegenden Gesetzentwurf der Landesregierung, der auf den ersten Blick schon sehr technisch anmutet, echte Schicksale stecken. Bei diesem Gesetz geht es um Menschen, die Opfer schwerster Verbrechen geworden sind – Vergewaltigung, Menschenhandel –, Menschen, die schwere körperliche und seelische Schäden durch versuchten Mord oder schwere Kör perverletzung erfahren haben und die besonders schutzbedürf tig sind.
Der Bundesgesetzgeber hat sich im Jahr 2015 entschieden, dass diesen Menschen eine psychosoziale Begleitung an die Seite gestellt werden soll. Das halten meine Fraktion und ich für richtig.
(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD – Zuruf von der CDU: Wir halten es auch für richtig!)
Genau. Die Kollegen von der CDU auch. Danke schön. – Bei den psychosozialen Prozessbegleitern geht es also nicht um juristischen Beistand. Die Begleitung soll gegenüber dem juristischen Verfahren neutral bleiben. Die Begleiter können sich auch nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen.
Was sie aber leisten sollen, ist, die Opfer schwerer Verbrechen während und nach der Hauptverhandlung zu unterstützen und zu begleiten, um persönliche Belastungen zu verringern. Die Anforderungen an psychosoziale Prozessbegleiter sind ent sprechend hoch. Sie müssen fachlich, aber auch persönlich qualifiziert sein. Das Bundesgesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung legt wegen dieser Anforderungen fest, dass für die Tätigkeit ein Hochschulabschluss in Sozialpädagogik, sozialer Arbeit, Pädagogik, Psychologie oder eine abgeschlos sene Berufsausbildung vorliegen muss. Außerdem muss eine von einem Land anerkannte Aus- oder Weiterbildung zum psy chosozialen Prozessbegleiter erfolgt sein. Ebenfalls von den Ländern muss bestimmt werden, welche Personen und Stel len für die psychosoziale Prozessbegleitung anerkannt wer den und welche weiteren Anforderungen an Berufsausbildung, praktische Berufserfahrung, spezialisierte Weiterbildung so wie regelmäßige Fortbildung zu stellen sind.
Die Landesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der mit den anderen Bundesländern, auf die sich diese Regelun gen zum Teil auch auswirken werden, im Wesentlichen abge stimmt ist. Der Gesetzentwurf stellt sorgfältig sicher, dass die hohen Anforderungen an die Qualifizierung der psychosozia len Prozessbegleiter gewahrt sind.
Durch diese Regelungen wird gesichert, dass Menschen wie der 13-jährige Patrick aus dem eingangs geschilderten Fall Unterstützung im Gerichtsverfahren durch fachlich und per
sönlich kompetente und qualifizierte Begleiter erhalten. Für den guten Vorschlag zur Umsetzung der bundesgesetzlichen Vorgaben danke ich der Landesregierung und auch Herrn Mi nister Wolf.
Meine Fraktion unterstützt deshalb den vorliegenden Gesetz entwurf, und ich bitte Sie, dies ebenfalls zu tun.
Herr Präsident, verehr te Kolleginnen und geehrte Kollegen! Wer weiß, wie man sich als „normaler Zeuge“ fühlt? Wer schon einmal im Gerichts prozess im Zeugenstand gestanden hat und vom Richter ge rade über die Wahrheitspflicht belehrt worden ist, weiß, wie man sich fühlen muss, zumal wenn man nicht nur Zeuge ist, sondern als Zeuge auch gleichzeitig Opfer. Dieser Erregungs zustand ist enorm zu steigern, wenn es sich dabei noch um ei ne schwerwiegende Straftat handelt.
Bitte stellen Sie sich vor, wir haben es jetzt nicht mit einem Erwachsenen zu tun, sondern mit Minderjährigen, die Opfer einer Gewalttat oder einer Sexualstraftat geworden sind. Die se Belastung ist außerordentlich extrem. Das geht so weit, dass Menschen, die wissen, was sie möglicherweise erwartet, erst gar nicht auf den Gedanken kommen, eine Straftat anzuzei gen, weil sie Angst vor den Konsequenzen haben, die später in einem Prozess auf sie zukommen.
Genau dort setzt das Gesetz über die psychosoziale Prozess begleitung im Strafverfahren an. Die wesentlichen Grundla gen dieses Gesetzes wurden in einer Bund-Länder-Kommis sion erarbeitet. Man hat sich auf einheitliche Standards geei nigt, und das Ganze geht letztendlich auf die EU-Opferschutz richtlinie zurück. Den Ländern ist es vorbehalten, über das Verfahren der Anerkennung zu sprechen, über die Personen, die als psychosoziale Begleiter in Betracht kommen, und ge nau um dieses Ausführungsgesetz geht es heute.
In diesem Gesetz ist geregelt, welche fachliche Qualifikation diese Menschen haben müssen und wie es mit der Fortbil dungsverpflichtung sowie der Verpflichtung zur Verschwie genheit aussieht. Das Ganze ist dann noch befristet; man kann also nicht sagen: Ich bin nun Prozessbegleiter und bleibe das ein Leben lang. Es ist auf fünf Jahre befristet, dann muss es erneuert werden. Es gibt auch eine Meldepflicht in Zweifels fällen, wenn möglicherweise die persönliche Zuverlässigkeit infrage steht.
Für die CDU-Fraktion ist es wichtig, dass wir in diesem hoch sensiblen Bereich nur lebenserfahrene, qualifizierte und zu verlässige Prozessbegleiter haben. Es ist ein enormer Gewinn, dass wir uns nicht nur auf die Täter konzentrieren, sondern auch auf die Opfer, und in erster Linie ist es ein Gesetz der Prozessbegleitung für minderjährige Opfer, aber in bestimm ten Fällen auch für junge Erwachsene.