Die Digitalisierung ermöglicht hier zusätzlichen Spielraum. Das Stichwort Homeoffice fiel ja bereits. Familienfreundlich keit bei der Arbeit ist also ein großes Thema. Die ach so bö sen Unternehmen, denen aus der linken Ecke fast schon no torisch ein Hang zu Casino-, Turbo- und Raubtierkapitalismus unterstellt wird, haben die Probleme der Vereinbarkeit von Ar beit und Familie allerdings längst erkannt. Über 80 % der Un ternehmen sehen Familienfreundlichkeit heute als wichtig an. Vor zehn Jahren waren es noch keine 50 %. Man sieht: Hier findet ein Umdenken statt. Entsprechend sind die Unterneh men auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und ihrer Famili en eingegangen. Flexible Arbeitszeiten sind mittlerweile in vielen Branchen Standard. Die Zahl betrieblicher Kitas steigt beständig.
Das Schöne daran ist: Das machen die Unternehmer mit ih ren Mitarbeitern im Wesentlichen selbst, ganz selbst und al lein und vor Ort. Die schaffen das ganz allein ohne die gan zen Verbotseuphoriker der Grünen.
Man sieht also: Flexibilität in der Arbeitswelt funktioniert auch ohne staatliche Regulierungswut ziemlich gut – und mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar deutlich besser, als wenn die Politik einen wiederum in sich starren Rahmen für diese Fle xibilität schaffen würde.
Sehr geehrte Frau Präsiden tin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Zu nächst eine kurze Replik auf Ihre Rede, Herr Abg. Dr. Rein hart, zur Wirtschaftspolitik unter SPD-Führung in der letzten Legislaturperiode.
Als wirtschaftspolitischer Sprecher kommt man im Land ziemlich viel herum. Wir sprechen viel mit Verbänden und Unternehmern. Man bespricht dies und das und ist sich nicht immer einig. Aber in einem Punkt ist man sich einig: dass das von der SPD geführte Wirtschaftsministerium unter Nils Schmid in der letzten Legislaturperiode eine herausragende Arbeit geleistet hat.
Wir haben große Fußstapfen hinterlassen, die es nun von Ih nen zu beschreiten gilt. Wir werden Sie dabei, wenn es passt, konstruktiv unterstützen. Wir werden aber vor allem darauf achten, dass den Worten auch Taten folgen.
Zum Thema der Debatte „Arbeit im Wandel – brauchen wir mehr Flexibilität?“: In der Analyse sind wir uns, Frau Lind lohr, Herr Dr. Reinhart, im Wesentlichen einig. Wir erleben derzeit in Wirtschaft und Gesellschaft einen tief greifenden Wandel. Wir befinden uns inmitten einer neuen industriellen Revolution: der digitalen Revolution. Der technologische Wandel schafft für die Wirtschaft und die Menschen in Ba den-Württemberg gleichermaßen neue, ungeahnte Möglich keiten der unternehmerischen, aber auch der persönlichen Weiterentwicklung und der Teilhabe an Wohlstand und Pros perität. Aber er stellt uns – auch das müssen wir konstatieren – vor große Herausforderungen.
Die digitale Transformation von Produktionsprozessen – Stichwort Industrie 4.0 – und das sogenannte Internet der Din ge werden die Arbeit vieler Unternehmen in Baden-Württem berg weiter verändern, gerade auch in Branchen, die, wie der Maschinenbau oder die Automobilindustrie, für unser Land von essenzieller Bedeutung sind.
Man darf aber auch nicht den Fehler machen, den Wandel aus schließlich mit dem produzierenden Gewerbe in Verbindung zu bringen. Auch die Dienstleistungs- und Beratungsbranche wird gewaltigen Veränderungen unterworfen werden. In mei ner eigenen beruflichen Praxis – ich bin ein Vertreter der An waltschaft hier im Parlament; möglicherweise gibt es noch ei nige mehr – ist es mittlerweile so, dass auch in großen Kanz leien die Kohärenz und Widerspruchsfreiheit in komplexen Vertragswerken nicht mehr von Hand, sondern über compu tergestützte, selbst lernende Programme geprüft werden. Dort, wo man früher zwei Anwälte zwei Wochen lang beschäftigt hat, macht das heute der Computer in zwei Stunden.
Ich möchte jetzt kein Mitleid für die Anwaltsbranche bei Ih nen wecken. Was ich Ihnen verdeutlichen möchte, ist, dass dieser Wandel alle Berufsbilder und Branchen erfassen wird. – So weit, so gut in der Analyse.
Aber wir müssen an dieser Stelle auch – das bringt uns zum Kern der heutigen Debatte – bedenken, dass die Digitale Agenda nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für die hart arbeitenden Menschen in unserem Land Neuerungen bringt. Einerseits werden sich das Arbeitsumfeld sowie die Art und Form des Arbeitens ändern, andererseits geht mit der Anwendung neuer Technologien im Arbeitsalltag naturgemäß – Sie hatten es erwähnt – ein Bewusstseinswandel in den Köp fen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einher. Die ent scheidende Frage, die sich in diesem Zusammenhang – hof fentlich nicht nur für die SPD-Fraktion – stellt, ist: Welche Auswirkungen haben die Veränderungen in der Arbeitswelt auf die Menschen, die in den Unternehmen in Baden-Würt temberg beschäftigt sind, insbesondere auf deren persönliches Umfeld, und wie schaffen wir es gemeinsam mit der Wirt schaft, dass die Menschen in Baden-Württemberg auch künf tig sichere und gute Arbeitsplätze haben, um ein gutes Leben führen zu können?
Insbesondere die mit dem digitalen Wandel einhergehende Flexibilisierung der Arbeitswelt bietet viele Chancen. Indivi duelle Lebenspläne können leichter verwirklicht werden. Im mer wichtiger werden Aspekte wie eine ausgewogene WorkLife-Balance, persönliche Weiterentwicklung und Fortbildung sowie Arbeitsformen, die sich nach den eigenen Lebensvor stellungen richten. Selbstständiges, eigenverantwortliches und flexibel gestaltbares Arbeiten im Betrieb, aber auch zu Hause spielen hierbei eine bedeutende Rolle.
Die Arbeit ist zukünftig noch weniger an einen Ort und noch weniger an eine bestimmte, festgelegte Zeit gebunden. Sie kann im Prinzip immer und überall erbracht werden. Die An wendung neuer Technologien kann, wenn sie optimal einge setzt werden, auch eine große Chance sein und einen Beitrag zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal klar konstatieren – allen Bedenken zum Trotz –: Ein Blick in die Geschichte un serer Gesellschaft und unserer Wirtschaft zeigt, dass techni scher Fortschritt im Ergebnis immer zu mehr und zu besserer Arbeit geführt hat. Wir müssen aber bei der Flexibilisierung der Arbeitswelt Leitplanken einziehen. Für die SPD-Fraktion
ist klar: Die Flexibilisierung der Arbeitswelt darf nicht zulas ten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gehen.
Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben dürfen nicht völlig verwischt werden. Es bedarf weiterhin eines Privatle bens ohne Arbeit und einer geschützten Sphäre der Freizeit gestaltung. Es gibt ein Recht auf Unerreichbarkeit, und das soll auch so bleiben.
Die gesteigerte Flexibilität erfordert zudem eine tiefer gehen de Auseinandersetzung mit den Themen Mitbestimmung, Ar beitsschutz und Beschäftigungssicherung sowie die Einbezie hung spezifischer Beschäftigungsformen in die Sozialversi cherung. Aufgrund veränderter Rahmenbedingungen müssen hier Lösungsansätze verfolgt werden, die die Arbeitnehmerin nen und Arbeitnehmer im Vergleich zu herkömmlichen Ar beitsmodellen nicht benachteiligen.
Soweit geboten, wird auch der Gesetzgeber gefordert sein, flankierend tätig zu werden. Es wird aber in erster Linie Auf gabe der Tarifpartner sein, hier einen praktikablen und ver lässlichen Rechtsrahmen zu schaffen.
Ich möchte dies an einem Beispiel aus der Praxis hier im Land verdeutlichen. Bei Daimler – in Mannheim sagen wir immer noch: beim Benz – hat man gemeinsam mit der Belegschaft und der IG Metall eine Betriebsvereinbarung zum Thema „Flexible Arbeit“ geschlossen. Die Betriebsvereinbarung si chert für die meisten Mitarbeiter an jedem beliebigen Ort ein Recht auf mobiles Arbeiten. Die Arbeitszeiterfassung erfolgt individuell über die Mitarbeiter. Entwickelt wurde diese Be triebsvereinbarung, indem man die Mitarbeiter einbezogen hat. Es wurden 80 000 Fragebögen an die Mitarbeiter ge schickt, und es wurde eruiert, was für eine Vorstellung die Mitarbeiter von flexibilisierter Arbeit haben.
Ich denke, das ist ein Best-Practice-Modell hier in BadenWürttemberg. Das Beispiel Daimler zeigt auch, dass die meis ten Menschen gern flexibel arbeiten – aber freiwillig und selbstbestimmt.
Sie wollen insgesamt gesicherte Arbeitsverhältnisse. Dafür stehen insbesondere wir von der SPD-Fraktion. Daran sollten wir aber auch gemeinsam arbeiten.
Wir dürfen jedoch auch nicht verschweigen, dass die Verän derungen in der Arbeitswelt Auswirkungen auf den Arbeits markt haben werden. Das Institut für Arbeitsmarkt und Be rufsforschung, IAB, hat in einer Studie herausgefunden, dass bis 2025 ca. 490 000 Arbeitsplätze in Deutschland wegfallen werden. Gleichzeitig werden aber auch wieder 430 000 Ar beitsplätze entstehen. Es ist aber zu befürchten, dass die Au tomatisierung von Arbeitsprozessen gerade im Niedriglohn sektor, aber auch bei Facharbeitskräften zu Arbeitsplatzver lusten führen kann.
Wenn es gelingt – daran müssen wir uns messen lassen –, den Prozess der Flexibilisierung in der Arbeitswelt gut zu gestal
ten, bin ich mir sicher, dass es am Ende mehr und nicht weni ger Beschäftigung geben wird. Das Ziel muss sein – daran müssen wir gemeinsam arbeiten –, mehr gute und sichere Ar beitsplätze zu schaffen.
Wie gelingt es, die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitneh merinnen und Arbeitnehmer zu fördern, und was braucht es dafür, dass die Menschen in der Lage sind, sich beständig wei terzuentwickeln und neue Aufgaben zu übernehmen?
Der Schlüssel hierfür liegt aus meiner Sicht in der Bildung und im lebenslangen Lernen. Das wurde teilweise schon er wähnt. Das ist auch eines der ersten Ergebnisse der Studie zur Arbeitswelt 4.0, die noch vom SPD-geführten Sozialministe rium in der letzten Legislaturperiode in Auftrag gegeben wur de.
Wenn Bildung und lebenslanges Lernen das zentrale Instru ment sind, damit die Menschen den Herausforderungen der flexiblen Arbeitswelt gut begegnen können, müssen wir un ser Augenmerk auf die Schulen, die duale Ausbildung und die Hochschulen sowie auf die Fort- und Weiterbildung aller Ar beitnehmerinnen und Arbeitnehmer richten.
An dieser Stelle brauchen wir weitere Programme, frische An sätze. Für die SPD-Fraktion ist es wichtig, dass wir auch die jenigen mitnehmen, die wegen der technologischen Verände rungen Sorge haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Hier brauchen wir Mechanismen und Angebote, die diese Men schen unterstützen und ihnen Selbstbewusstsein und Sicher heit im Berufsleben ermöglichen.
Wir brauchen eine offensive Weiterbildungspolitik. Es muss auch im Interesse der Unternehmen liegen, gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu haben, um den tech nologischen Wandel erfolgreich gestalten zu können.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle noch einen Einwand. Ich fin de es höchst eigenartig – auch wenn es richtig ist, dass Sie die se Debatte hier eröffnet haben –, dass ausgerechnet die CDUFraktion eine Aktuelle Debatte zu diesem Thema beantragt, die zwangsläufig darauf hinausläuft, dass man über das The ma „Bildung und lebenslanges Lernen“ spricht.
Gleichzeitig machen Sie, die CDU-Fraktion, Front gegen das Bildungszeitgesetz. Ich glaube, da stehen Sie als Fraktion ir gendwie quer im Stall, und das sollten Sie dringend ändern.
Frau Ministerin, an Sie persönlich gerichtet: Wir erwarten von Ihnen, dass Sie fortsetzen, was insbesondere die SPD-geführ ten Ministerien in der vergangenen Legislaturperiode ange packt haben. Es war beispielsweise richtig und wichtig, dass SPD-Wirtschaftsminister Nils Schmid die Allianz Industrie
4.0 ins Leben gerufen hat. Dort wirken Vertreter von Indust rie und Gewerkschaften, Kammern, Verbänden, Hochschul- und Forschungsinstituten mit.
Es geht darum, Unternehmen sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fit zu machen für die Digitalisierung. Es wäre ein Irrglaube, sich einer zwingend veränderten Arbeitswelt entziehen zu können. Wir müssen die Herausforderungen mu tig annehmen und als Chance für mehr und bessere Beschäf tigung in diesem Land begreifen. Baden-Württemberg ist ein starkes Land mit starken Unternehmen, starken und progres siven Gewerkschaften – beste Voraussetzungen also, um auch künftig gut dazustehen.
Wir werden den Wandel aber nur erfolgreich meistern, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitgenommen wer den und deren Beschäftigungsfähigkeit gestärkt wird. Flexi bilisierung ja, aber nicht zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Menschen im Land. Die SPD steht für gu te und sichere Arbeitsplätze.