Protokoll der Sitzung vom 26.10.2016

Wenn wir uns anschauen, wie der Bund teilweise Verwaltun gen organisiert – ich nehme nur das Eisenbahn-Bundesamt oder die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung –, dann sehen wir, wie bedenklich eine zentral aufgestellte Behörde ist. Die bekommen es nicht einmal mehr fertig, für den Betrieb der Schleusen auf dem Neckar zu sorgen. Also ein großes Frage zeichen dahinter.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD)

Deswegen ist es gut, Herr Ministerpräsident, dass Sie die Optout-Lösung verhandelt haben. Daran müssen wir festhalten. Planung, Bau und Betrieb der gelben Bundesstraßen aus ei ner Hand, zusammen mit der Straßenbauverwaltung, die un sere Landesstraßen plant, das muss das Ziel sein.

Wir können uns gut vorstellen, dass der Bund die blauen Au tobahnen übernimmt. Dann ist er für das übergeordnete Stra ßennetz zuständig. Die gelben Bundesstraßen, die vielen Ortsum gehungen, die wir planen, die einzelnen Projekte, Herr Ver kehrsminister, die Sie planen, sind aber bei uns gut aufgeho ben. Planung, Bau und Betrieb der gelben Bundesstraßen zu sammen mit den Landesstraßen in einer Hand, dafür werden wir uns im weiteren Verfahren einsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Ich komme zum Schluss. Herr Ministerpräsident, ich will Ih nen noch einmal gratulieren.

(Vereinzelt Heiterkeit – Zuruf des Abg. Dr. Jörg Meu then AfD)

Es war ein guter Verhandlungserfolg. Wenn sich hier weitere Erfolge zum Wohl der Menschen in unserem Land anschlie ßen, dann freuen wir uns.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und der CDU – Zuruf von der AfD: Amen!)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. Reinhart.

(Der Redner fährt das Rednerpult nach unten. – Abg. Andreas Stoch SPD: Wolfgang, ich sehe dich gar nicht! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das ist das Problem eines Juniorpartners!)

Frau Präsidentin, ver ehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst: Dieser Kompro miss bedeutet Freude und Schmerz. Politik ist aber die Kunst, das Mögliche zu erreichen. Vor diesem Hintergrund, Herr Kol lege Rülke, bin ich überzeugt davon: Wenn die Freude nicht

überwogen hätte, hätten auch Bayern und Hessen diesem Kompromiss nicht zugestimmt. Insoweit war Ihre Betrach tung sehr einseitig.

(Beifall bei der CDU und den Grünen sowie des Abg. Gernot Gruber SPD)

Die Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen war drin gend notwendig. Sie war sachlich geboten, und sie war und ist für uns Baden-Württemberger schon immer eine Frage der Fairness gewesen.

Ab 2020 bekommen wir in der Tat neue finanzielle Spielräu me zurück. Natürlich hätten diese gern größer sein können. Der Ministerpräsident hat die Zahlen genannt. Die Belastun gen für den Landeshaushalt durch die bisherigen Zahlungen an andere Länder werden abgemildert. Davon profitieren di rekt auch die Kommunen. Fehlanreize werden verringert, und die Solidarität wird auf eine neue Grundlage gestellt. Trans parenz, Eigenverantwortung und Subsidiarität werden ge stärkt.

Mit anderen Worten: Baden-Württemberg hat in Zukunft – das ist wichtig – wieder mehr davon, erfolgreicher zu sein als andere. Baden-württembergische Landespolitik muss und wird sich wieder lohnen. Das ist ein wichtiger Beitrag, den wir ge fordert haben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist auch eine gute Nachricht. Der Kompromiss ist ein Impuls für einen fairen und funktionsfähigen Föderalismus. Deshalb möchte ich in diesem Teil zum Gesamtkompromiss ausdrücklich sagen: Herr Ministerpräsident, mir ist klar: Wenn in Berlin 16 am Tisch sitzen und davon drei bis vier die Geber und zwölf die Neh mer sind, dann ist es schwer, einen Kompromiss zu erzielen, bei dem jeder zu den Gewinnern zählt. Insoweit will ich schon betonen: Es gehört zum positiven Teil, dass eine Einigung überhaupt erzielt worden ist. Insoweit haben Sie dafür auch unser Kompliment.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Wir haben übrigens alle dafür geworben – am 1. März 2011 mit einem gemeinsamen Antrag von CDU, SPD und FDP/ DVP –, dass wir hier vorankommen und das auf eine neue Grundlage stellen.

Der gordische Knoten ist jetzt nicht vom Bundesverfassungs gericht durchschlagen worden, sondern er wurde in Verhand lungen aufgefädelt. Allerdings – das will ich hinzufügen; da von bin ich überzeugt – hätte es auch diese Einigung ohne den Druck der Klage von Bayern und Hessen nicht gegeben. Auch das gehört der Vollständigkeit halber dazu.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Andrea Bogner-Unden GRÜNE, Dr. Rainer Balzer AfD und Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Deshalb will ich neben dem Dank und dem Kompliment an den Ministerpräsidenten auch die Entschlossenheit der Nach barn, die sich für uns engagiert haben, nicht unberücksichtigt lassen. Nicht zuletzt gehört auch die Bundesseite dazu. Die Kanzlerin und der Bundesfinanzminister haben mitgewirkt.

Nur wenn alle zusammen zu einer Einigung finden, ist ein sol cher Kompromiss möglich. Auch das muss an dieser Stelle gesagt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Der Bund gibt künftig 9,5 Milliarden € ins System und erfüllt damit finanziell praktisch die Maximalforderungen der Län der. Das Entgegenkommen der Kanzlerin hat sicherlich eine wichtige Rolle gespielt, wie auch die Brückenfunktion eines baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Das will ich hier in der Gesamtheit festhalten.

Natürlich ist das, was auf dem Tisch liegt, ein Kompromiss. Ich glaube, es ist ein Sieg der Vernunft. Es zeigt auch: Immer hin funktioniert der Föderalismus bei uns in Deutschland noch. Denn es ist gelungen, Eigenverantwortung und Solida rität in eine bessere Balance zu bringen und das Prinzip „Hil fe zur Selbsthilfe“, um das es geht, zu erneuern.

Dass diese Einigung überhaupt möglich war – das hat Kolle ge Schwarz, finde ich, zu Recht gesagt –, stärkt das Vertrau en in die Problemlösungskraft auch unseres föderalen Staats wesens insgesamt. Das ist gerade in diesen Zeiten eigentlich eine wichtige und auch grundsätzliche Botschaft.

Wir, auch die Union, wollen weiterhin eine starke, eigenstän dige, eigenverantwortliche Eigenstaatlichkeit der Länder.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Wir Baden-Württemberger hatten und haben ein massives In teresse an einer gerechteren Gestaltung dieses Finanzaus gleichs. Denn Baden-Württemberg ist unter den 16 Ländern das einzige Land, das von Beginn an, seit 1950, durchgehend, Jahr für Jahr in den Länderfinanzausgleich eingezahlt hat. Mittlerweile sind insgesamt 60 Milliarden € aus Baden-Würt temberg abgeflossen und den Kassen der anderen Länder zu geflossen – auch darüber haben wir sehr oft gesprochen –; es sind genau 59,8 Milliarden €.

Wir haben oft gesagt, Baden-Württemberg hätte keine Schul den, wenn es den Länderfinanzausgleich nicht gäbe. Das will ich jetzt nicht weiter kommentieren. Ob es wirklich so wäre, hat etwas mit Politikkenntnis zu tun, haben wir immer gesagt.

(Beifall der Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch – Heiterkeit des Abg. Winfried Mack CDU)

Aber: Man muss sich anschauen, wie viel wir seit 1950 ein gezahlt haben.

Obendrein verstärkte sich der finanzielle Aderlass über die Jahre dramatisch: Von 33 Millionen € im Jahr 1950 hat sich der Betrag glatt verachtzigfacht, zuletzt auf fast 2,7 Milliar den € pro Jahr. Zudem gab es eben nur noch drei Zahlerlän der. Ein System mit solchen Unwuchten ist in einer fatalen Schieflage und kann nicht auf Dauer funktionieren.

Dieses System hat den Nehmerländern übrigens offensicht lich nicht geholfen, ihre Finanzkraft zu stärken, sondern hat das Gefälle sogar noch verschärft. Deshalb war es den Men schen in Baden-Württemberg auch nicht länger vermittelbar, und deshalb musste eine neue Lösung her.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Der bisherige Finanzausgleich hat Sparsamkeit bestraft, die Erfolgreichen geschwächt und defizitäre Strukturen prämiert. Daher ist es gut, wenn jetzt ein klarer Schnitt gemacht wird. Nicht nur das Ausmaß der Lasten wird zumindest reduziert, auch die Dynamik wird gebremst; denn in Zukunft wird bei der Umsatzsteuerverteilung nur noch linear 63 % der über durchschnittlichen Finanzkraft der Zahlerländer abgeschöpft, nicht mehr. Das ist eine wichtige strukturelle Änderung, die wir im Auge haben müssen. Auch das bewirkt mehr Gerech tigkeit und weniger Leistungsfeindlichkeit im neuen System.

Für die neue Vereinbarung spricht auch die Fortführung des erwähnten GVFG-Programms. Die 80 Millionen € sind drin gend benötigtes Geld für die Städte und Gemeinden in unse rem Land. Sie können damit wichtige Verkehrsprojekte vor Ort finanzieren.

Schließlich: Die Neuregelung stellt alle Länder besser, aber sie nimmt die Länder auch in die Pflicht. Der Stabilitätsrat wird die Einhaltung der Schuldenbremse in Zukunft nach kla ren einheitlichen Kriterien überwachen. Es gibt dann keine Ausreden mehr. Die Schuldenbremse gilt. Das sorgt für Klar heit und Wahrheit.

Föderalismus heißt zu allererst, Unterschiede zu ertragen. Ein föderales Gemeinwesen, in dem jede noch so kleine Ungleich heit austariert wird und nivelliert wird, das wäre ein Wider spruch in sich. Denn das Gebot der gleichwertigen Lebens verhältnisse darf der subsidiären Eigenverantwortung nicht den Raum und auch nicht die Luft zum Atmen nehmen.

Unser Land ist ein starkes Land. Wir wollen aber auch stark sein dürfen. Föderalismus ist vor allem eine Ordnung der Frei heit und des Wettbewerbs um die besten Konzepte. Wir wa ren schon immer und sind weiterhin für einen föderalen Wett bewerb, der noch stärker auf Eigenständigkeit setzt, der noch offener ist für Verschiedenheit, der tatsächlich die Länder als die eigentliche Quelle der Staatlichkeit betont. Da sind wir bei Ihnen, Herr Ministerpräsident. Auch das sollte man hier fest halten.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der AfD)

Deshalb sehen wir jetzt auch den Preis, den unser Land für die Einigung bezahlen muss. Ich will auch die andere Seite betrachten. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Dass wir die vorbildliche Ausstattung der baden-württembergischen Kom munen jetzt teuer in Rechnung gestellt bekommen, tut weh. Da hat der Ministerpräsident recht. Auch das gehört zu den Schattenseiten des Kompromisses. Die Anrechnung der kom munalen Finanzkraft wird von 64 auf 75 % erhöht. Wer Städ te und Gemeinden ohnehin schon immer geplündert hat, be kommt jetzt auch noch recht. Das ist ein falsches Signal.

Die schlichte Ausrichtung des Finanzausgleichs – das haben wir immer betont – allein auf die Einnahmeseite wird auch mit dem neuen System leider nicht überwunden. Auch in Zu kunft haben die Länder kaum Anreize, ihre Einnahmen zu ver bessern.

Ich will ein Beispiel erwähnen, das mir vor Jahren der Minis terpräsident von Schleswig-Holstein genannt hat. Da hat man bei entsprechenden Verhandlungen Schleswig-Holstein ge

sagt: „Erhöht doch eure Hafengebühren.“ Dann sagte er: „Wenn ich die Hafengebühren erhöhe, geht der Betrag beim Finanz ausgleich im gleichen Umfang runter. Das lohnt sich für ein Nehmerland nicht.“ Diese reine Einnahmebetrachtung ist ein Fehlanreiz.

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Insoweit hätte man sich da mehr vorstellen können.