Protokoll der Sitzung vom 09.11.2016

Ein undifferenziertes, generelles Burkaverbot hat aber auch nichts mit einer freien und offenen Gesellschaft zu tun und grenzt Frauen ebenfalls aus. Es sollte wohl klar sein, dass kein Mensch, egal, ob Mann oder Frau, ob christlich, muslimisch oder atheistisch, zur eigenen Befreiung gezwungen werden kann. Denn am Ende hat eine Frau, die unfreiwillig eine Bur ka trägt, bei einem generellen Burkaverbot nicht nur trotzdem weiterhin mit Unterdrückung zu kämpfen; sie hat auch noch unter einer Stigmatisierung und einer wachsenden Feindse ligkeit gegen ihre Religion zu leiden.

(Vereinzelt Beifall bei den Grünen)

Aber es geht in diesem Gesetzentwurf ohnehin um etwas an deres. Er ist ein Beitrag zu einer Debatte, die wichtig ist; zu mindest vonseiten der AfD geht es in dieser Debatte aber kei ne Sekunde lang um muslimische Frauen in Vollverschleie rung, sondern um das Symbol, das die AfD in ihnen sieht und vor dem sie Angst hat. Die Ereignisse in der letzten Nacht in den USA haben uns aber gezeigt: Mit Angst sollte man weder Präsidenten wählen noch Gesetze machen.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Manuel Hagel CDU – Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD: Ihr Minis terpräsident ist doch deswegen gewählt worden! – Vereinzelt Lachen bei den Grünen)

Ja, genau. – Ein solches totales Verbot widerspricht unse rem Rechtsstaatsverständnis; denn es wäre ein Eingriff in die Religionsfreiheit und in die Persönlichkeitsrechte. Die Wahl der Kleidung ist Teil des Rechts auf persönliche Entfaltung. Das ist ein Freiheitsrecht, und Freiheitsrechte dürfen nur be grenzt werden, wenn Freiheiten oder Menschenrechte ande rer gefährdet sind.

Auch wenn man Nikab und Burka als Symbole religiöser und politischer Unterdrückung und als eine Form von Frauenver achtung zutiefst ablehnt – wie auch wir es tun –, kann die Schlussfolgerung also nicht in einem generellen Verbot beste hen. Niemand hat das Recht, Frauen zu befehlen, was sie mor gens aus dem Kleiderschrank nehmen dürfen – ihr Ehemann nicht, aber natürlich auch kein Parlament.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der Abg. Nicole Razavi CDU)

Eine Partei, die sich ernsthaft wegen der Unterdrückung von Frauen sorgt, sollte eher einen Antrag für mehr Integrations- und Deutschkurse stellen oder für mehr Kinderbetreuungsan gebote, für mehr Möglichkeiten, sich weiterzubilden, für ei ne verbesserte Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüs se. Das alles sind Maßnahmen, die helfen können, Frauen aus patriarchalen Familienstrukturen zu lösen, in denen sie unter drückt werden – und das alles sind auch Maßnahmen, die die AfD immer wieder als Geldverschwendung anprangert.

(Beifall bei den Grünen)

Darüber hinaus führen wir eine Debatte über ein Problem, das es in dieser Form in Deutschland eigentlich gar nicht gibt.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Zurufe von der AfD)

Ich rede jetzt einmal über die gesamte Bundesrepublik Deutsch land. Wenn wir jetzt den Gesetzentwurf auf die gesamte Bun desrepublik übertragen würden, würde dies, grob geschätzt, 200 bis 300 Frauen betreffen, die Burka oder Nikab tragen,

(Zurufe von der AfD)

also die Gesichtsverschleierung, auf die die AfD anspielt. Das entspricht – das muss man sich einmal auf der Zunge zerge hen lassen – 0,0004 % der Bevölkerung in diesem Land.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD: Legen Sie Ihre Scheuklappen ab, Herr Maier!)

Das sind auch nur 0,015 % aller muslimischen Frauen. Wenn man sich jetzt noch vor Augen führt, dass der größte Teil die ser Frauen nicht aus Ländern des Nahen Ostens stammt, vor denen die AfD ja Angst hat, sondern Konvertiten mit deut scher Staatsbürgerschaft sind –

(Zurufe von der AfD)

oder, wie im Fall von Nora Illi, mit schweizerischer –, dann fällt das argumentative Kartenhaus der AfD schneller in sich zusammen, als man überhaupt „Vollverschleierung“ sagen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Deutsche Frauen, die selbst gewählt eine Burka tragen –

(Abg. Anton Baron AfD: Das wissen Sie?)

das zerstört natürlich das Bild, das die AfD aufzubauen ver sucht. Denn damit kann man ja gar nicht mehr so einfach Stimmung gegen Ausländer machen. Ebendas ist – auch wenn es jetzt einen Änderungsantrag gab, auch wenn Sie nachgear beitet haben – in Wahrheit die Intention Ihres Gesetzentwurfs; dieser ist damit absolut nicht zustimmungsfähig.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Jörg Meuthen AfD: Echte Realsatire!)

Ein ortsabhängiges, anlassbezogenes Verbot ist ein differen zierter und anständiger Ansatz, über den man auch reden kann, über den man diskutieren kann.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Sehr richtig!)

Dann kommen wir auch weiter, ohne Debatten auf dem Rü cken von Frauen in diesem Land zu führen. Also: Arbeiten Sie einfach einmal ein bisschen differenzierter; dann kann man darüber auch ganz anders reden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP – Zurufe von der AfD)

Für die CDU-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Lasotta.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD: Er ist Anästhesist! Er betäubt uns alle! – Vereinzelt Heiterkeit bei der AfD)

Wenn Sie sich darauf ein lassen, Herr Fiechtner, sehr gern. – Lieber Herr Präsident, ver ehrte Kolleginnen, werte Kollegen! Die Vollverschleierung ist ein Integrationshindernis. Offene Kommunikation ist prägend für unser Zusammenleben. Menschen tauschen sich eben nicht nur verbal aus, sondern auch durch Mimik und Gestik. Die Vollverschleierung verhindert genau diese erfolgreiche Kom munikation, sie beeinträchtigt das gesellschaftliche Zusam menleben und widerspricht auch einem gesellschaftlichen Konsens.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der AfD so wie des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Wir alle hier im Landtag von Baden-Württemberg lehnen die Vollverschleierung ab, weil sie genau dem entgegensteht.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der AfD)

Zudem ist es eine frauenverachtende Symbolik, und sie steht im Widerspruch zur Gleichberechtigung und zur Würde der Frauen.

(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD – Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD: Sehr gut!)

Die Vollverschleierung ist auch ein politisches Symbol. Sie wird oft durch Zwang der Männer ausgeübt. Viele, auch An hänger des Islams, sehen in der Vollverschleierung überhaupt kein religiöses Symbol, sondern eher eine ultraorthodoxe Aus legung vor allem durch Männer, die ihre Frauen unterdrücken wollen. Damit werden Frauen unterdrückt. In vielen Staaten dieser Welt kämpfen Frauen für ihre Freiheit, eine Vollver schleierung ablegen zu können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der AfD so wie des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Integration gelingt nur von Angesicht zu Angesicht. Wir le gen nicht nur Wert auf die Förderung der Integration, sondern wir fordern sie auch ein.

Das, was bei Anne Will im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gelaufen ist, ist absurd; das widerspricht auch dem, was die Grundsätze unserer Gesellschaft ausmacht.

(Beifall bei der CDU und der AfD – Vereinzelt Bei fall bei den Grünen und der SPD)

Das ist im Übrigen kaum erträglich und auch nicht zumutbar, weil dadurch solchen Menschen ein Podium gegeben wird – zudem noch der Frau aus der Schweiz, die im Schweizer Rundfunk gar nicht hätte auftreten dürfen; er hätte ihr diese Chance niemals gegeben. Man sollte die Finger lieber von sol chen Symbolaktionen lassen, die in der Debatte überhaupt nichts bringen.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der AfD und der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei den Grü nen)

Deswegen ist diese Debatte wichtig, und die CDU-Landtags fraktion stellt sich dieser Debatte. Wir stellen uns auch Ihrem Gesetzentwurf;

(Abg. Anton Baron AfD: Sie sollen auch was tun, Herr Lasotta! Was tun!)

das haben wir auch schon in der vergangenen Debatte ge macht. Sie, Herr Meuthen, hatten zwar in der letzten Debatte in einem Zwischenruf angekündigt, dass Sie auch in diese Grundrechtsabwägung stärker eintreten wollen. Aber auch mit Ihrem Änderungsantrag gelingt Ihnen dies nicht. Sie verwei sen wiederum nur auf die Durchsetzung europäischer Werte und Sittlichkeit und nehmen keine echte Grundrechtsabwä gung vor.

Der vorliegende Gesetzentwurf und auch der Änderungsan trag, der uns heute vorliegt, offenbaren ein Grundrechtsver ständnis, das wir nicht mittragen können. Wir glauben nicht, dass man mit Angst, mit dem Verweis darauf, irgendetwas durchsetzen zu müssen, ernsthaft die Grundrechte abwägt.

Ich zitiere einmal aus Ihrem Änderungsantrag.

(Glocke des Präsidenten)

Kollege Dr. Lasotta, be vor Sie zitieren: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle gen Dr. Fiechtner?

Am Ende sehr gern, Herr Fiechtner.