Protokoll der Sitzung vom 30.11.2016

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wir beraten den Gesetzentwurf der FDP/DVPFraktion mit dem Titel „Gesetz zur Gewährleistung offener Kommunikation und Identifizierbarkeit“. Ich darf Sie daran erinnern, dass wir im Rahmen der Aussprache zu einem an deren Gesetzentwurf vor wenigen Wochen Einigkeit in die sem Haus darin festgestellt haben, dass wir die Vollverschlei erung grundsätzlich ablehnen, weil sie unseren Vorstellungen von einer offenen und freien Gesellschaft widerspricht. Wir lehnen die Vollverschleierung ab.

Ich stelle aber auch fest, dass nicht einfach das verboten wer den kann und nicht verboten werden sollte, was man selbst für falsch hält. Auch das ist Bestandteil der freiheitlichen de mokratischen Grundordnung. Deshalb werden wir Ihrem Vor schlag nicht folgen.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Wie wir bereits den Ausführungen meines Vorredners entneh men konnten, sollten nach dem Willen der FDP/DVP vier Re gelungsbereiche mit einem Verbot der Verschleierung bedacht werden. Dabei handelt es sich um das Versammlungsrecht, das Beamtenrecht, das Schulrecht und das Hochschulrecht. Es gilt natürlich ausdrücklich, dass der Gesetzgeber dort handeln muss, handeln soll und auch handelt, wo relevante, auch si cherheitspolitisch relevante Fragen berührt werden.

Das hat beispielsweise der Bundesgesetzgeber bereits in der Vergangenheit getan. Auch die Landesregierung folgt diesem Weg. Deswegen ist die baden-württembergische Landesregie rung der Initiative Bayerns im Bundesrat beigetreten. Der Bundesrat hat am 23. September dieses Jahres die entspre chende Entschließung „Freies Gesicht im rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren“ gefasst, Bundesratsdrucksache 341/16. Darin wird die Bundesregierung gebeten, zu prüfen, ob es ei ner ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedarf, um in Ge richtsverfahren jede Form der Gesichtsbedeckung verhindern zu können. Wir unterstützen diesen Vorstoß und halten es auch für richtig, diese Frage einer bundeseinheitlichen Regelung zuzuführen.

Es gibt also sicherheitsrelevante Regelungsbereiche, und da zu werden wir künftig auch Regelungen treffen. Wir werden auch sehr genau beobachten, wo dies notwendig ist, und ge gebenenfalls weitere Schritte unternehmen.

Was wir allerdings nicht teilen, sind die Regelungen, die Sie hier vortragen. Sie begründen das Verbot der Verschleierung bei Versammlungen im Wesentlichen durch eine Gleichset zung von Vermummung und Verschleierung. Ich halte es für falsch, dass Sie eine Vermummung zur Verhinderung der Iden tifizierung möglicher Straftäter mit einer Verschleierung aus religiösen Gründen gleichsetzen.

Sie erwähnen in Ihrem Gesetzentwurf noch mit einem Satz, dass es einer Gesamtabwägung zwischen den Verfassungsgü tern bedarf. Allerdings haben Sie sich der Mühe der tatsäch lichen Abwägung entzogen. Dazu findet sich nämlich in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf nichts. Das ist schon herzlich wenig, wenn wir hier über einen Eingriff in die Grund rechte diskutieren.

Für uns ist entscheidend, zu verhindern, dass Menschen für unsere Gesellschaft nicht mehr erreichbar sind. Für uns ist ent scheidend, Gesprächsebenen, Begegnungsebenen mit Men

schen darzustellen. Ich glaube, dass mit Ihrem Gesetzentwurf diesem Ansinnen nicht Genüge getan wird, sondern dass Sie hier sogar noch zu einer Verschärfung beitragen.

(Beifall bei den Grünen)

Grundsätzlich haben Schulen und Hochschulen – dazu führen Sie auch Regelungen auf – über entsprechende Klauseln im Schulgesetz und im Landeshochschulgesetz bereits heute Er messensspielräume und Handlungsmöglichkeiten. Diese Spiel räume benötigen die Schulen auch. Wir halten diese Frage bei den Schulen auch für besser aufgehoben, als sie einer landes weiten Regelung zu unterziehen. Wir glauben, dass bei den Schulen die Antworten besser gefunden werden können. Sie greifen aus dem Schulgesetz auch den Begriff der offenen Kommunikation auf.

Ich will aber noch auf einen anderen Aspekt eingehen. Ich bin der Überzeugung, dass wir mit Verbotsdebatten an dieser Stel le nicht wirklich weit kommen.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD: An anderer Stel le?)

Ich glaube, dass etwas anderes entscheidend ist: Wir müssen überzeugen, und wir müssen auch selbst von den Menschen rechten, von den Werten unserer Verfassung und von unseren Freiheitsrechten überzeugt sein, damit wir auch andere über zeugen können.

(Zuruf von der AfD)

Dazu gehört beispielsweise eine Integrationspolitik, die Men schen einschließt und in die Gesellschaft führt, eine Integra tionspolitik, die die Menschen in ihrer Freiheit, in ihrer Selbst ständigkeit, in ihrem Demokratiebewusstsein stärkt, damit wir davon wegkommen, dass Menschen zu solchen Mitteln wie Verschleierung greifen. Ich glaube, um diese Frage werden wir uns nicht herummogeln können.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Deshalb ist der Weg, der in diesem Gesetzentwurf vorgesehen ist, aus unserer Sicht der falsche Weg, auch deshalb, weil Sie damit nämlich die Falschen bestrafen, nämlich Frauen, die – aus welchen Gründen auch immer – nur vollverschleiert in die Öffentlichkeit gehen, anstatt diejenigen zu bestrafen, die Frau en dazu drängen. Das ist in Ihrem Gesetzentwurf eben nicht geregelt.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Wir werden deshalb dem Gesetzentwurf Drucksache 16/896 nicht zustimmen können. Wir werden auch Ihren Antrag Druck sache 16/897 nicht unterstützen. Beide Initiativen sind in ge wisser Weise auch ein politisches Trittbrettfahrertum.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Die Initiative zum Verbot der Verschleierung in Gerichtspro zessen – das habe ich bereits ausgeführt – ist im Bundesrat bereits behandelt worden und der Bundesregierung vorgetra gen worden. Im Straßenverkehr gibt es die entsprechenden Einschränkungen schon. Und was die Frage der Beamtinnen angeht, ist das Bundesinnenministerium in der Prüfung. Ich

glaube, dass deshalb die in Ihrem Antrag aufgeführten Be schlusspunkte obsolet sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Lasotta das Wort.

Liebe Frau Präsidentin, geschätzte Kolleginnen, werte Kollegen! Bereits in zwei Aus sprachen zu einem AfD-Gesetzentwurf haben wir uns mit dem generellen Vollverschleierungsverbot beschäftigt. Jetzt liegt für bestimmte Teilbereiche unseres Zusammenlebens ein ent sprechender Antrag der FDP/DVP-Fraktion vor.

Darüber hinaus gibt es natürlich auch die aktuelle Diskussi on. Gestern haben Sie mitbekommen, dass das niederländi sche Parlament einer Vollverschleierung zugestimmt hat.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Einem Vollver schleierungsverbot!)

Einem Vollverschleierungsverbot, natürlich.

Es gibt nicht nur in Frankreich und Belgien, sondern jetzt eben auch in Bulgarien und im Tessin ein entsprechendes Verbot der Vollverschleierung.

Daran sieht man, wie wichtig auch diese Debatte für eine De mokratie ist. Denn es geht natürlich nicht nur um die Frei heitsrechte des Einzelnen, sondern es geht auch darum, wie ein Zusammenleben funktioniert und wie man gemeinsame Brücken in einer Gesellschaft schaffen kann, damit keine Ängste entstehen. Deswegen hat das eine so hohe Symbol kraft. Deswegen finde ich es auch immer blöd, wenn man mit niedrigen Zahlen argumentiert. Vielmehr geht es hier wirklich um einen Grundsatz innerhalb der Gesellschaft, ob man so et was toleriert, ob man sagt: „Das muss man halt hinnehmen“, oder ob man das vernünftig abwägt und sagt: „Wir brauchen Bereiche unseres Staates, in denen diese offene Kommunika tion funktionieren muss.“

Die CDU-Landtagsfraktion ist eindeutig der Meinung, dass aus integrationspolitischer Sicht eine Vollverschleierung dem Zusammenleben und der Kommunikation in unserer Gesell schaft entgegensteht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der Grünen und des Abg. Peter Hofelich SPD)

Zudem ist sie zutiefst frauenfeindlich. In Diktaturen, die den islamischen Glauben dafür benutzen, die Menschen zu unter drücken, kämpfen viele Frauen gerade dafür, die Vollver schleierung ablegen zu dürfen. Ich habe überhaupt nichts ge gen die Frauen. Meist sind ja die Männer die Schuldigen, die letzten Endes ihre Frauen aus einem ultraorthodoxen Ver ständnis des Glaubens heraus zwingen, sich vollzuverschlei ern.

(Zuruf des Abg. Emil Sänze AfD)

Deswegen hat die Vollverschleierung in meinen Augen und in den Augen der CDU-Landtagsfraktion nicht viel mit Freiheit

und Demokratie zu tun, sondern sie steht dieser Integrations notwendigkeit einer Gesellschaft entgegen.

Unsere Haltung zu einem generellen Verbot der Vollverschlei erung, wenn man die Grundrechte sauber miteinander abwägt, ist in der Koalitionsvereinbarung mit den Grünen nicht durch setzbar gewesen. Der Gesetzentwurf und der Antrag der FDP/ DVP-Fraktion gehen jetzt in die Richtung, die auch die CDUInnenminister vorgeschlagen haben, nämlich in bestimmten Teilbereichen eine Vollverschleierung zu verbieten – was auch logisch ist.

Es sind ein paar Punkte in Ihren Initiativen enthalten, die schon längst geregelt sind. Das Land Baden-Württemberg ist der Initiative Bayerns für ein Verbot der Vollverschleierung vor Gericht beigetreten; dazu brauchen wir nicht noch einmal einen Appell. Nach der Straßenverkehrsordnung ist es nicht zulässig, mit Vollverschleierung Auto zu fahren; also ist auch da keine Aufforderung notwendig. Den Gewerkschaften kön nen wir auch keine Weisung geben, wie sie letzten Endes zu verfahren haben.

Trotzdem nehmen wir Ihren Gesetzentwurf sehr ernst, weil er letzten Endes genau die Punkte beschreibt, bei denen es uns wichtig ist, dass offene Kommunikation stattfindet. Deswe gen begrüßen wir die Initiative des Bundes. Es gibt einen Re ferentenentwurf des Bundesministeriums des Innern,

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: So ist es!)

der dies für die Beamten und für die von Ihnen angesproche nen Bereiche regeln soll. Inwieweit das dann auch auf Ge meindeebene und auf Ebene des Landes greifen wird, wollen wir abwarten. Aber wir möchten Ihnen, der FDP/DVP-Frak tion, einfach auch das Signal senden, weil wir aufgrund der Koalitionsräson Ihrem Gesetzentwurf jetzt nicht zustimmen können, dass wir in allen Bereichen, die über den Bund nicht geregelt werden, den offenen Dialog mit den Fraktionen die ses Parlaments suchen, um zu schauen, wo noch Regelungs bedarf besteht.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich glaube, ein zweiter Punkt ist wichtig. Es gibt auch die Ar gumentation, wie sie etwa das Bundesverfassungsgericht sei nen Urteilen zugrunde legt: „Wir legen nicht aus, was Religi on ist oder was Religion nicht ist, sondern wenn sich der Ein zelne dazu bekennt, dass die Verschleierung für ihn ein reli giöses Symbol ist, dann akzeptieren wir das.“ Das macht die Abwägung zwischen der Religionsfreiheit und den anderen Freiheitsrechten so schwierig. Daher müssten wir wirklich einmal darüber diskutieren, ob wir nicht das Thema „Integra tionspflicht und Integrationsrecht“ mit in das Grundgesetz auf nehmen, damit wir dann diese Abwägung viel besser führen können als zum jetzigen Zeitpunkt.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Das wäre ein Punkt, der uns ganz viele Debatten ersparen würde, weil wir dann an das anknüpfen könnten, was der Europäische Gerichtshof für

Menschenrechte festgestellt hat, als die französische Vollver schleierungsträgerin, die geklagt hatte, argumentierte, ein Ver bot stehe ihrer Religionsfreiheit entgegen. Da hat der Ge richtshof gesagt: „Nein, das Integrationsbedürfnis einer Ge sellschaft ist höher zu werten als diese Auslegung der Religi onsfreiheit.“ Wenn wir dies in Deutschland über eine Grund gesetzänderung schaffen würden,...