Herr Kollege Poreski, Sie ha ben gerade die Leistungen des Sozialministeriums und des So zialministers gelobt, was die Verbesserungen anbelangt. Viel leicht können Sie uns sagen, wo der Sozialminister oder in Vertretung vielleicht auch die Staatssekretärin bei der ent scheidenden Aussprache im Plenum des Bundesrats waren, das ja doch sehr stark und hochrangig besetzt war. Nach dem Plenarprotokoll gab es eine Erklärung der Staatsrätin Erler. Uns würde schon interessieren, in welcher Form der Sozial minister diese tollen Verbesserungen erreicht hat.
Herr Kollege Hinderer, die se Frage wundert mich schon ein bisschen. Denn Sie sind ja schon seit einer Weile Parlamentarier, und Sie wissen ganz genau, dass die entscheidenden Verhandlungen, die entschei denden Beratungen und die entscheidenden Einigungen nicht im Plenum stattfinden, sondern in einem kleineren und inten siveren Beratungskreis.
Das ist parlamentarisch völlig selbstverständlich. – Sie dür fen sich gern aufregen, aber das ist der parlamentarische Pro zess.
Also: Die Gestaltung auf Landesebene ist notwendig. Zur Ver tiefung möchte ich zwei Beispiele nennen. Denn wir haben weiterhin einige schwierige Punkte, über die wir reden müs sen. Das eine ist die Zulassung – –
Sie können gern Zwischen fragen stellen. Sie haben gemerkt, dass ich sie zulasse. Es wä re aber nett, wenn Sie mich ausreden lassen würden.
Der eine Punkt, der kritisch ist und den wir auf Landesebene regeln müssen, ist die Zulassung von Leistungsanbietern. In § 124 des Bundesteilhabegesetzes ist eine Vorschrift dazu ent halten. Dazu muss ich sagen: Es wundert mich, dass so etwas aus einem sozialdemokratischen Haus kommt. Demnach müs sen nämlich Verträge mit Leistungsanbietern geschlossen wer den, wenn sie im unteren Drittel des Preissegments sind. Sie m ü s s e n geschlossen werden! Sie k ö n n e n geschlos sen werden, wenn die Anbieter darüber liegen. Das heißt, an dieser Stelle gibt es keinen Qualitätsstandard mehr, wenn man das Gesetz 1 : 1 umsetzt. Wie gesagt: Zum Glück haben wir Handlungsspielräume. Das werden wir hier auf Landesebene selbstverständlich abwehren.
Allerdings, muss ich schon sagen, werden wir dadurch bun desweit uneinheitliche Lebensverhältnisse für Menschen mit Behinderungen bekommen, und wir werden uneinheitliche Fachstandards bekommen. Das ist ein großer Mangel des Ge setzes.
Ein zweiter Punkt, der noch wesentlich ist, ist die Frage der Bedarfsbemessung. Ein Bedarfsbemessungssystem nach den Kriterien der UN-Behindertenrechtskonvention wird im Ge setz nicht vorgeschrieben. Ein solches Bedarfsbemessungs system würde zum einen beinhalten, dass der Umfang der Leistungen, also der Assistenzbedarf, quantitativ auf einer zeitlichen Basis festgelegt wird, und zum anderen natürlich auch, mit welcher Qualifikation das stattfinden muss. So et was gibt es bisher nur in einem Bundesland, genauer: im Rheinland. Übrigens liegen dort die Kosten der Eingliede rungshilfe interessanterweise genau im Bundesdurchschnitt. Es ist schade, dass die Gelegenheit einer Vereinheitlichung hier versäumt wurde, obwohl die Länder das in ihrer eigenen Stellungnahme im Vorfeld ausdrücklich wollten.
Alles in allem muss man aber sagen: Bei allem notwendigen Problembewusstsein ist dieses Gesetz ein Schritt nach vorn. Es ist noch viel Luft nach oben. Aber dafür sind wir ja da, dass wir die Entwicklung hier weiter gestalten.
Wir sind allen zu Dank verpflichtet, die sich dafür eingesetzt haben, aus diesem Gesetz noch etwas zu machen. Denn sonst hätten wir in dieser Bundestagswahlperiode nichts mehr be kommen. Die Nachverhandlungen waren wesentlich. Der Dank an unsere Landesregierung ist, glaube ich, mehr als gerecht fertigt. Doch der größte Teil der Wegstrecke liegt noch vor uns, und darauf freue ich mich.
Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Hockenberger. Nach meinem Kennt nisstand ist es seine erste Plenarrede. Daher bitte ich beson ders um Ruhe und darum, von Zwischenfragen abzusehen.
Frau Präsidentin! Zunächst einmal vielen Dank für das Aufmerksamkeitspolster, das Sie mir durch Ihre Anmoderation verschaffen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Da men und Herren! In der Tat – wir haben es gehört –, am 1. Ja
nuar 2017 tritt das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen in Kraft. Mit der Zustimmung im Bundesrat kommt die Landesregie rung ihrer nebenabredefreien Vereinbarung im Koalitionsver trag nach, sich im Bund für eine zügige Umsetzung einzuset zen und darüber hinaus ein modernes Teilhaberecht zu unter stützen.
Damit geht aber auch ein intensiver und langer Beteiligungs prozess zu Ende, in dem versucht wurde, Gemeinsamkeiten zu finden. Da ist es wie immer: Wenn ein Gesetzgeber etwas Grundlegendes verändert, dann sprechen die einen von einem Meilenstein in der Politik, und die anderen sprechen davon, dass es wieder einmal zu kurz gesprungen sei. Die Kommu nen und die Länder sehen finanzielle Mehrbelastungen auf sich zukommen, während den Menschen mit Behinderungen – manchmal verständlicherweise – und ihren Verbänden das Ganze nicht weit genug geht und sie sogar Leistungskürzun gen befürchten.
In der Gesetzesbegründung ist davon die Rede, dass das Bun desteilhabegesetz keine zusätzlichen Ausgaben für Länder und Kommunen mit sich bringen soll und die Reform einen Bei trag dazu leiste, die bestehende Ausgabendynamik in der Ein gliederungshilfe zu stoppen. Da ist ein großes Fragezeichen mit Ausrufezeichen durchaus angebracht. Das sagen uns kom munale Praktiker schon heute angesichts der steigenden Ten denz der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderun gen, die rund 55 % aller Sozialausgaben von rund 2,7 Milli arden € umfasst. Tendenz einmal mehr: 5,4 % zusätzlich im Vergleich zum Vorjahr, stabil steigend.
In Baden-Württemberg gab es Ende 2015 über eine Million Menschen mit Schwerbehindertenausweis. Im Bund waren es rund zehn Millionen. Darunter sind körperlich Behinderte, Menschen, die im Hören und Sehen beeinträchtigt sind, Sprach behinderte, seelisch und geistig Behinderte, psychisch Behin derte, Menschen, deren Behinderung man nicht auf den ers ten Blick sieht, Menschen mit angeborenen und Menschen mit erworbenen Behinderungen, Mehrfachbehinderte, Behinder te, die weitestgehend auch finanziell für sich selbst sorgen können, Behinderte, die das nicht können und auf ambulante und stationäre Hilfen angewiesen sind, Behinderte, die in ih ren Familien wohnen können, und Behinderte, die unterschied liche Wohnangebote in Anspruch nehmen dürfen.
Sie alle sind betroffen, und das macht deutlich: Es geht hier nicht um eine homogene Zielgruppe. Die Lebenssituation der Menschen, die von Behinderungen betroffen sind, ist höchst unterschiedlich, höchst individuell, höchst speziell, und alle erwarten von uns, dass wir ihnen gleichermaßen helfen.
Da wundert es dann nicht – Herr Poreski hat es gesagt –, wenn in einem parlamentarischen Verfahren auch die Gelegenheit genutzt wird, Kritik zu üben – aus der jeweiligen Sicht ver ständlich, aber immer nur aus der jeweiligen individuellen Sicht. Denn die Erwartungen, die durch einen solch breiten Prozess geweckt werden, kann ein Gesetzgeber bei der Ge mengelage, wie ich sie zu beschreiben versucht habe, nicht alle erfüllen.
Aufgabe der Politik ist es, Problemstellungen zu erkennen und die Interessen zum Ausgleich zu bringen und zusammenzu
Aber selbst wenn dieses Gesetz nicht zu 100 % alle Wünsche erfüllt, ist damit nicht automatisch alles schlecht. Bei verschie denen Veranstaltungen in der Vergangenheit, die ich für mei ne Fraktion habe besuchen dürfen, hat der Minister für Sozi ales und Integration folgenden bilanzierenden Satz immer wiederholt:
Ein Gesetz mit Schwächen ist besser als gar kein Gesetz, weil wir sonst auf null zurückfallen würden.
Worum geht es? Wir haben es gehört: Schwerpunkt des Ge setzes ist die Neufassung des SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Der Gedanke der Teilhabe soll in Zukunft im Vordergrund stehen und nicht mehr der Ge danke der fürsorgenden Sozialhilfe.
Der Bundesrat wird sich am kommenden Freitag abschließend mit dem Thema befassen. Dabei haben die vielen, vielen In terventionen sowohl der Länder als auch der Praktiker als auch der Betroffenen zu einigen Verbesserungen geführt.
Verbesserungen werden ja immer relativ wahrgenommen, je nachdem, welchen Blickwinkel man hat. Wir sind allerdings der Überzeugung, dass der Prozess weitgehend zu Verbesse rungen geführt hat:
Es soll ein bundesweites Beratungsnetz etabliert werden, ge rade auch in Regionen, in denen es diese Angebote noch nicht gibt.
Menschen mit Behinderungen, die erwerbstätig sind und Ein gliederungshilfe beziehen, können mehr von ihrem Einkom men und Vermögen behalten. Insbesondere werden das Ein kommen und Vermögen des Ehepartners nicht angerechnet; das ist aus unserer Sicht ein großer Fortschritt.
Es gibt neue Jobchancen in Betrieben und bessere Leistungen in Werkstatt, Weiterbildung und Studium.
Die Assistenzleistungen werden verbessert. In der Tat war – wir haben es gehört – das Thema des leistungsberechtigten Personenkreises im Gesetzgebungsverfahren massiv umstrit ten. Es sollte erreicht werden, dass der Personenkreis nicht ausgeweitet wird, es sollte aber auch sichergestellt werden, dass niemand sozusagen aus dem Hilfesystem herausfällt. Deswegen wurde in § 99 das „Fünf aus neun“-Modell entwi ckelt, das dann nach heftiger Kritik aus dem Gesetzentwurf herausgenommen wurde. Hier muss nachgebessert werden. Hier besteht der Bundesrat im Wesentlichen darauf, dass die se Punkte erst auf der Basis wissenschaftlicher und damit va lider Erkenntnisse verändert werden.
Die Sorge von Menschen, ihre Wohnform künftig nicht mehr frei wählen zu dürfen, ist den Betroffenen auch genommen worden. Auch darauf hat Kollege Poreski hingewiesen.