Ich darf das Ergebnis der Nachwahl eines Mitglieds des Ver fassungsgerichtshofs ohne Befähigung zum Richteramt be kannt geben:
Auf Frau Rosa-Maria Reiter entfielen 53 Stimmen. Mit Nein haben 40 Abgeordnete gestimmt; enthalten haben sich 39 Abgeordnete. Ein Stimmzettel war ungültig.
Damit ist Frau Rosa-Maria Reiter als neues Mitglied des Ver fassungsgerichtshofs ohne Befähigung zum Richteramt ge wählt. – Herzlichen Glückwunsch!
Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Mi nisteriums für Inneres, Digitalisierung und Migration – Sachstand zur Gesundheits- und zur Geldkarte für Asyl suchende und Flüchtlinge – Drucksache 16/129 (Geänder te Fassung)
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat folgende Rede zeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 26. November 2015 sagte von dieser Stel le aus Ministerpräsident Kretschmann Folgendes:
Auch beim Thema Gesundheit stellen wir das bisherige bürokratische Verfahren um und entlasten die Beteiligten. Sie erhalten eine Gesundheitskarte, mit der sie direkt zum Arzt gehen können. Die Entscheidung liegt dann beim Arzt; der Leistungskatalog wird nicht erweitert, sondern bleibt der gleiche.
Das Thema Gesundheitskarte war nicht nur im November 2015 Gegenstand einer Debatte, sondern wurde bereits vor her, am 1. Oktober 2015, von Ministerpräsident Kretschmann im Rahmen einer Regierungserklärung angesprochen.
Thema Gesundheitskarte: Letztes Jahr im Herbst beim sogenannten Asylkompromiss ist verhandelt worden, dass die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg bringt, das es Flächenländern ermöglicht, flächendeckend eine Ge sundheitskarte einzuführen. Bundeskanzlerin Angela Mer kel hat diesem Ergebnis ausdrücklich zugestimmt. Was nicht geht, ist, Ergebnisse von Verhandlungen, die abge schlossen sind, ein Jahr später wieder infrage zu stellen.
Richtig, Frau Ministerin Sitzmann: Das geht nicht. Es geht aber auch nicht, dieses Ergebnis nach einem Regierungswech sel infrage zu stellen, zumal die gleiche Partei den gleichen Ministerpräsidenten stellt.
Über was reden wir hier? Es gibt einen Beschluss zur Einfüh rung der Gesundheitskarte, nachdem das Asylverfahrensbe schleunigungsgesetz im Herbst letzten Jahres in Kraft getre ten ist. Grundsätzlich steht Asylbewerbern während der ers ten 15 Monate lediglich im Falle akuter Erkrankungen bzw. Schmerzen eine Behandlung zu.
Vorher aber müssen sie sich beim zuständigen Stadt- oder Landkreis einen Behandlungsschein besorgen. Das ist mit Bü rokratie verbunden und einer zeitlichen Verzögerung der Be handlung, was vor allem bei akuten Beschwerden nachteilig sein kann.
Die Gesundheitskarte ist unbürokratisch, die Belastung von Behörden würde entfallen. Es geht aber auch um die Patien ten selbst. Ministerpräsident Kretschmann, so konnte man es in den „Stuttgarter Nachrichten“ nachlesen, hielt es selbst nicht für zumutbar, dass sich ein kranker Asylbewerber zu nächst von einem Verwaltungsbeamten einen Behandlungs schein besorgen muss.
Alle diese Aussagen sind plötzlich nichts mehr wert. Denn die Grünen haben einen anderen Koalitionspartner, und zwar ei nen, der die Gesundheitskarte schon immer abgelehnt hat.
Innenminister Strobl verkündete, dass die Gesundheitskarte nicht auf der Agenda dieser Landesregierung stehe. Und dann kommt noch folgende Aussage:
Er persönlich halte die Karte für einen Fehler, weil sie von kriminellen Schleppern als Werbeinstrument genutzt werden könne.
(Abg. Beate Böhlen GRÜNE: Was hat denn der ehe malige Innenminister Gall gesagt? – Unruhe – Glo cke des Präsidenten)
Eine weitere Begründung seien die stark zurückgegangenen Flüchtlingszahlen. Sozialminister Lucha plädiert für eine bun deseinheitliche Lösung und will von den Bekenntnissen zur Karte in der letzten Legislatur nichts mehr wissen.
Ja, so geht glaubwürdige Politik: Eine vernünftige Sache wird einfach mal so von der Agenda genommen, um den Koaliti onsfrieden nicht zu stören, nach dem Motto: Was stört mich mein Geschwätz von gestern?
Denn die Flüchtlingszahlen sind ja überall zurückgegangen. Warum also haben Hamburg, Bremen, Berlin, Schleswig-Hol stein die Karte trotzdem eingeführt? In Nordrhein-Westfalen hat man eine Vereinbarung getroffen, nach der die Kommu nen selbst entscheiden können. Ebenso wird es in den Län dern Brandenburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz ge handhabt. Diese haben alle eine Rahmenvereinbarung mit den Krankenkassen abgeschlossen, der die Kommunen auf frei williger Basis beitreten können. Denn der Bund hat die ge setzlichen Rahmenbedingungen wie angekündigt geklärt. Der Weg ist also frei. Das Land Baden-Württemberg könnte nun mit Kommunen und Krankenkassen verhandeln – so, wie auch von der alten Landesregierung angekündigt.
Eines möchte ich an dieser Stelle gleich klarstellen, bevor uns Sozialdemokraten vorgehalten wird, wir hätten in der Zeit der grün-roten Koalition die Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge blockiert.
Ziemlich genau zu dem Zeitpunkt, zu dem eine sehr große An zahl von Flüchtlingen nach Deutschland kam und der grüne Teil der Koalition hier in Baden-Württemberg sich stark für die Einführung der Karte eingesetzt hatte, brachte die Bun destagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen – im September 2015 – eine umfassende Entschließung zur Versorgung von Asyl suchenden und Flüchtlingen in den Deutschen Bundestag ein. Gleich im ersten Punkt forderte sie von der Bundesregierung – ich zitiere –,
gesetzliche Änderungen mit dem Ziel vorzuschlagen, bun desweit allen Leistungsberechtigen nach dem Asylbewer berleistungsgesetz einen Anspruch auf sämtliche Leistun gen der gesetzlichen Krankenversicherung einzuräumen und ihnen hierfür eine Gesundheitskarte zur Verfügung zu stellen;...
Sie werden verstehen, dass vor diesem Hintergrund die Ver handlungen in Baden-Württemberg nicht ganz einfach waren. Da haben wir tatsächlich auf die Bremse getreten. Trotzdem – das wissen Sie – haben wir uns dann geeinigt, nämlich da rauf, eine elektronische Gesundheitskarte für Flüchtlinge, die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz noch reduzierte Ge sundheitsleistungen erhalten, anzustreben.
Wir haben aber auch gemerkt, dass die Beteiligten, nämlich Bund, Länder und Gemeinden sowie auch die Kassen, mit die sem Begriff nicht alle das Gleiche verbunden haben. Deshalb war es richtig, zunächst Klarstellungen in § 264 des Sozial gesetzbuchs V zu beschließen und damit auch den Auftrag zur Erstellung von Bundesrahmenempfehlungen zu erteilen. Die se Bundesrahmenempfehlungen wurden im Mai 2016 unter zeichnet. Ich darf allerdings anmerken, dass selbst die unter zeichnete Version dieser Empfehlungen unterschiedliche schrift liche Interpretationen von Kassen und Kommunen zur Aus führung enthält. Ich glaube, dass diese unterschiedlichen Auf fassungen von allen Beteiligten bis heute eine flächendecken de Einführung verhindern.
Leider können wir nun mit regionalen Insellösungen keine Verwaltungsvereinfachung erreichen und auch keine Kosten
einsparen. Das wäre aber eine dringend notwendige Voraus setzung für die Einführung. Wir brauchen in unserem Bun desland mindestens eine klare Ansage und ein Werben von der Spitze für die Einführung der Karte. Das geht hier eben mit der CDU nicht. Die Grünen wiederum haben diese Forderung der Koalition mit der CDU geopfert, und ihr Sozialminister Lucha macht sich gerade stark für Schwarz-Grün im Bund – und dann wird da definitiv gar nichts mehr gehen.
Es ist aber nicht nur unsere Forderung. Nein, der Kreis der Befürworter kann noch erweitert werden, z. B. durch die Lan desärztekammer. Bereits im Herbst 2015 kam aus dieser Rich tung die klare Aufforderung, die Karte einzuführen. Die Lan desärztekammer fordert landeseinheitliche Standards.
Die Forderung seitens der Standesvertretung wird nach wie vor aufrechterhalten. Ganz aktuell, am 26. November 2016, gab es eine erneute öffentliche Aufforderung an die Landes regierung, hier endlich tätig zu werden. Für die Landesärzte kammer ist es vor allem ein Gebot der Menschlichkeit.
Ein Grund ist aber auch, dass die steigenden Kosten durch ei ne Verschlimmerung einer Erkrankung aufgrund der bürokra tischen Hindernisse durchaus belegbar sind. Hinzu kommt, dass keine präventiven Impfmaßnahmen wie z. B. bei Influ enza ermöglicht werden können. Von der Unterversorgung traumatisierter Flüchtlinge möchte ich gar nicht erst reden. Viele Ärzte versorgen Flüchtlinge ehrenamtlich. Eine einheit liche Honorarregelung gibt es nicht.
Die Bertelsmann Stiftung hat sich ebenfalls mit dieser Prob lematik ausführlich beschäftigt und bestätigt die Probleme, welche die Ärzte genannt haben. In ihrer Studie findet sich übrigens ein weiterer interessanter Hinweis: Zwei von drei Bundesbürgern befürworten, dass ein Geflüchteter direkt zum Arzt gehen kann.
Aber nicht nur die Landesärztekammer, auch die Krankenkas sen – gerade aktuell konnte man lesen: auch die Techniker Krankenkasse – fordern die Gesundheitskarte.