Protokoll der Sitzung vom 19.07.2017

(Abg. Hermann Katzenstein GRÜNE: Was kostet ei ne Autobahn? – Weitere Zurufe)

Landesweit wurden die Radschilder bezahlt. Beim Thema Rad ist dieser Landesregierung nichts zu teuer.

Herr Minister Hermann – ist er noch da? –,

(Minister Winfried Hermann: Ja!)

Sie müssen darstellen, wie Sie die Finanzierung der Rad schnellwege künftig gestalten möchten. Falls Sie dafür Mit tel aus dem Straßenbau umschichten möchten mit der Folge, dass dadurch Planungen auf die lange Bank geschoben wer den, zeigt nicht nur Ihr Koalitionspartner Unverständnis, son dern auch alle anderen. Wir erinnern Sie an Ihr Versprechen, keine Bundesmittel wegen mangelnder Planung verfallen zu lassen.

Mein Fazit: Das Fahrrad ist eine tolle Erfindung, die Verkehrs politik des Landes nicht.

(Beifall bei der FDP/DVP und der AfD)

Für die Landesregierung er teile ich das Wort Herrn Minister Hermann.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte es schon für gut – das ist der Anlass dieser Aktuel len Debatte –, über die Erfindung des Fahrrads vor 200 Jah ren auch einmal unter einem philosophischen bzw. technischphilosophischen Aspekt nachzudenken:

(Abg. Anton Baron AfD: Was hat das gekostet?)

Was ist da eigentlich geschehen? Was ist aus der Entwicklung geworden? Was bedeutet das für die Mobilität in Baden-Würt temberg, und welche Verkehrsmittel kommen aus diesem Land?

Man muss sich einmal bewusst machen, was das vor 200 Jah ren für eine Zeit war. Das war eine Zeit – ich könnte es jetzt so sagen – ohne guten Verkehrsminister, mit schlechten Stra ßen; nur wenige waren gepflastert, die anderen waren ganz schlecht. Die Menschen hatten über zwei, drei Jahrtausende lang die Vorstellung in ihren Köpfen: Räder funktionieren nur, wenn sie zu viert daherkommen oder wie beim römischen Streitwagen parallel angeordnet sind. Die Idee, dass man zwei Räder hintereinander stellen, diese verbinden und dann dar auf fahren kann, ist vor dem Hintergrund der jahrhunderteal ten anderen Denkfiguren eigentlich schon sehr genial. Das muss man einfach anerkennend sagen. Das ist das Erfinderi sche von Karl Drais, und dafür ist er auch lange gerühmt wor den – so auch heute wieder.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Man muss heute aber auch ganz offen sagen, dass seine Er findung zunächst nicht durchgeschlagen hat. Jahrzehntelang ist daraus eigentlich nichts geworden. Warum eigentlich? Weil die technische Grundlage dieser Erfindung das war, was es vorher mit dem Ochsenkarren oder der Pferdekutsche oder was auch immer an Material und technischen Fähigkeiten gab. Die technische Voraussetzung war: Holz, ein bisschen grober Stahl, wenig Technik und keine Straßen, auf denen man wirk lich rollen konnte.

Wer je auf einem Nachbau einmal den Versuch unternommen hat, sich wie Karl Drais fortzubewegen, und das auf einem ge pflasterten Weg gemacht hat, der weiß, warum sich dieses

Fahrzeug erst einmal nicht durchgesetzt hat – jedenfalls für Männer war das untragbar bzw. ziemlich unangenehm.

Es hat dann Jahrzehnte gedauert, bis man erstens einen ande ren Sattel, zweitens Pedale und dann drittens die Gummirä der, die das Ganze erleichtert haben, dazu erfunden hat und über die technische Entwicklung daraus etwas gemacht hat, was fahrbar war. Voraussetzung für den Erfolg war übrigens auch, dass die Straßen einigermaßen befahrbar waren und es nicht nur Feldwege oder üble Pflasterstraßen gab, auf denen man nicht richtig rollen konnte. Das Rad hat den Sprung in die massenhafte Mobilität also erst dann geschafft, als es in dustriell produziert worden ist.

Es war übrigens auch eine Schwäche von Karl Drais, dass er aufgrund der damaligen Verhältnisse und auch, weil er selbst kein Konzept gehabt hat, aus der Erfindung – Herr Schütte hat das vorhin auch angedeutet – keine Produktion und kein Ge schäftsmodell abgeleitet hat. Jahre später haben andere Erfin der das anders gemacht.

Die erste Produktion von Fahrrädern – übrigens 1886 in Ne ckarsulm – ist zeitgleich mit der Erfindung des Automobils gestartet. Carl Benz in Mannheim – auch das ist interessant – hat seine Technikelemente von den Fahrrädern genommen. Wenn Sie das erste Gefährt, das Bertha Benz gefahren hat, an schauen, werden Sie feststellen, dass darin viel von dieser Vor gänger-Fahrradtechnologie enthalten ist. Das Auto hat sozu sagen mit dem, was im Radbereich entwickelt worden ist, be gonnen.

Klar ist: Benz und Daimler haben daraus gelernt. Sie haben ein Geschäftsmodell entwickelt. Aus den Start-up-Modellen sind dann wirklich große Firmen geworden, die zu einer an deren Produktion und Verbreitung geführt haben.

Aber erst einmal, muss man sagen, war das Fahrrad selbst das Erfolgsmodell. Seit der industriellen Produktion sind Tausen de von Fahrrädern – übrigens erst als Sportgeräte, danach als Alltagstransportmittel – genutzt worden. Bis Mitte des 20. Jahr hunderts war das Fahrrad das Massentransportmittel der „nor malen“ Leute, die sich noch kein Auto leisten konnten.

(Zuruf von der AfD: Das kommt jetzt wieder, gell?)

Erst nach dem Krieg mit der allgemeinen Motorisierung, mit dem VW und den anderen bezahlbaren Autos hat das Auto den Rad- und Fußverkehr zunehmend verdrängt und die Stadt, die städtischen Räume sowie die Politik dominiert. Bei manchen findet es heute noch statt, wie wir gerade noch einmal gehört haben. Diese Veränderung der Mobilität, weg von der indivi duellen Mobilität aus eigener Kraft, hin zur motorisierten Mo bilität, war natürlich ein Riesenfortschritt, aber aufgrund der Summe der Fahrzeuge in den Städten hat man natürlich Pro bleme bekommen, egal, ob es die Luft oder der Stau war. Die Städte sind natürlich auch autogerecht umgebaut worden. Das war nicht unbedingt immer zum Besten für die Lebensquali tät.

Heute, kann man sagen, ist die Zeit eine andere – vielleicht noch nicht für alle –, aber man kann schon sagen, dass heute nicht mehr über das Fahrradfahren gespottet wird – manch mal noch im Landtag, aber in der Gesellschaft schon lange nicht mehr. Seit mindestens zwei, drei Jahrzehnten hat das Fahrrad eine Renaissance erlebt, und das ist gut so.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Anton Baron AfD: Das wollen wir sehen, wie Sie die Waren mit dem Fahrrad transportieren! So ein Quatsch!)

Selbst die eifrigsten Autofahrer fahren gern Rad, zumindest am Wochenende oder auch sonst mal im Alltag. Das ist heu te keine grundsätzliche Debatte mehr,

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

und ich kann Ihnen auch sagen: Als Verkehrsminister wäre ich doch völlig deplatziert – dazu müsste ich nämlich ADFC-Vor sitzender werden –, wenn ich mich nur um das Rad kümmern würde.

(Abg. Winfried Mack CDU: Das kann noch kom men!)

Natürlich kümmern wir uns um alle Verkehrsmittel, und zwar am jeweils richtigen Platz. Das Auto hat seine Funktion, das Flugzeug hat eine andere Funktion, und in der Stadt sind das Zufußgehen, das Radfahren und der ÖPNV ebenfalls wichtig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Es kommt darauf an, dass wir diese Chancen neu ausbalan cieren, eine neue Lebensqualität und eine neue Mobilitätskul tur in der Stadt sowie eine neue Kultur des Radfahrens entwi ckeln, was übrigens offenkundig auch schon stattgefunden hat. Wenn man sich einmal die Räder und die Klamotten vie ler Menschen anschaut, so merkt man einfach: Radfahren ist inzwischen wieder Kult geworden. Es ist längst nicht mehr der Drahtesel von einst, über den man spotten konnte, und Radfahrer sind auch keine Pedalritter mehr, sondern es sind eher Biker, die sportiv unterwegs sind und selbstbewusst ih re Radkultur leben.

Inzwischen entdeckt die Politik in allen großen Städten das Fahrrad als wichtiges Element. Radschnellwege – sie sind ge rade wieder verspottet worden – sind in großen Metropolen in der Diskussion. Es geht darum, ob sie nicht eine Alternati ve seien, die der Entlastung der Straßen vom Autoverkehr die nen könnte. Schnell befahrbare Radwege sind ohne Frage ein sinnvolles Projekt. Aber, lieber Martin Rivoir, wie kann man denn auf die Idee kommen – ausgerechnet wir, die wir ein Radnetz für Baden-Württemberg entwickelt haben, die wir in der letzten sowie in dieser Legislaturperiode den Radverkehr im Alltag, bei den Kommunen sowie an den Landesstraßen fördern –, zu sagen, jetzt würden nur noch Radschnellwege gebaut?

(Abg. Martin Rivoir SPD: Davon reden wir doch die ganze Zeit!)

Der Bau von Radschnellwegen kommt dazu. Das ist der nächs te Schritt, und das macht auch Sinn.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Denn Pendler können wir nur auf die Räder bringen, wenn die Radwege auch wirklich schnell und unkompliziert zu befah ren sind.

Da ich gefragt worden bin, was das Land tue: Wir entwickeln jetzt drei Pilotprojekte, mit denen wir unkonventionell voran

schreiten, um auszuprobieren, worauf wir alles achten müs sen. Ansonsten gilt natürlich die alte Förderphilosophie: Die Kommunen sind zuständig und werden von uns gefördert. Entlang der Landesstraßen bauen wir Landesradwege. Wir ha ben auch ein Landesnetz und werden uns auch um Bundes mittel bemühen, damit wir entlang der Bundesstraßen Rad wege bauen können.

Für uns ist klar: Das Rad hat noch Potenzial – dieses ist noch lange nicht ausgeschöpft –, und all jenen, die jetzt spotten, dass wir die angestrebten 16 % noch nicht erreicht haben, kann ich nur sagen:

(Abg. Martin Rivoir SPD: Ich spotte nicht, ich bedau re es!)

Ich freue mich für jeden und jede Fraktion, die uns unterstützt, dass wir noch mehr tun können, um den Fahrradverkehr in Baden-Württemberg voranzubringen.

Übrigens: Die Lücken, die wir zweifellos im Radnetz haben, sind ja nicht von mir verursacht worden, sondern sie sind da durch zustande gekommen, dass eine lange Zeit – vor mir – zu wenig gemacht wurde. Jetzt tun wir mehr. Auch diese Ko alition tut mehr als die vorige.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Wir haben das Fahrradjubiläum bewusst gefeiert. Denn das Fahrrad ist, finde ich, eine großartige Erfindung. Sie war welt weit erfolgreich. Zusammen mit dem Auto sind es zwei groß artige Erfindungen aus Baden-Württemberg, die die Welt ver ändert haben, neue Mobilitätsmöglichkeiten geschaffen ha ben.

Wir hatten z. B. in Berlin ein wunderbares Fahrradfestival, die Stallwächterparty. Die Finanzministerin hat sogar eine Son dermünze herausgegeben. Wir haben eine Roadshow durch das Land gemacht mit vielen Einzelveranstaltungen. Es gab große Events von Kommunen; diese haben am Wochenende in der ganzen Stadt etwas zum Thema Rad gemacht: histori sche Räder, Radrennen – alles, was Spaß macht. Selbst die Medien sind mitgegangen; in fast jeder Zeitung gab es einen Schwerpunkt zum Thema Radverkehr, neues Radfahren usw.

Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abg. Haußmann zu?

Bitte schön. – Zum Thema Radhelmgutachten.

Sehr geehrter Herr Mi nister, Sie haben gerade noch einmal gesagt: Sie haben jetzt drei Radschnellverbindungen festgelegt. Es gibt eine ganze Menge an Interessenten für Radschnellverbindungen. Jetzt die konkrete Frage: Wie haben Sie denn die drei Verbindungen ausgewählt? Gab es da Priorisierungen? Wurde das KostenNutzen-Verhältnis berücksichtigt? Wie sind diese Verbindun gen konkret ausgewählt worden?

Wir haben die drei Projekte nach verschiedenen Gesichtspunkten ausge wählt. Wir wollten unterschiedliche Situationen haben. Z. B. bei der Verbindung Bad Wimpfen–Neckarsulm: Pendlerströ me, aber im ländlichen Raum. Außerdem wurden eine Verbin

dung im Ballungsraum Stuttgart und eine zwischen Mann heim und Heidelberg ausgewählt. Dort gab es vor Ort jeweils ein großes Interesse und waren die Bedingungen vor Ort re lativ günstig, um schnell in diese Pilotprojekte einzusteigen.