Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen! Es hat ja dann doch einige Monate – mehr als ein Jahr – gedauert, bis die Landesregierung im Juli dieses Jahres ihre angebliche Digitalisierungsstrategie vorgestellt hat, eine Digitalisierungsstrategie, die uns im Rahmen einer Re gierungserklärung wortreich, pathetisch vorgestellt wurde,
Passend das Deckblatt: Ein älterer Herr berauscht sich offen sichtlich an seinem virtuellen Erleben, während er in seinem Ohrensessel doch noch eher im Biedermeier festhängt.
Man kann sich auch vorstellen, dass der Ministerpräsident vor etwas mehr als zwei Jahren ähnlich verzückt aus dem Silicon Valley zurückgekehrt ist.
Wenn der Ministerpräsident oder sein Stellvertreter seither von der Digitalisierung reden, hat man das Gefühl, dass mit dieser Reise ins Silicon Valley die Digitalisierung endlich nach Baden-Württemberg gekommen ist. Meine sehr geehr ten Damen und Herren, das ist der erste fundamentale Irrtum in dieser Landesregierung.
In den Reden hört man ja ständig dramatische Beschreibungen, wird von disruptiven Entwicklungen gesprochen. Es ist da
von die Rede, dass wir die erste Halbzeit verloren haben, aber die zweite Halbzeit ganz sicherlich gewinnen werden. In die sen Reden sind viele wohlfeile Worte und Phrasen enthalten. Aber ich möchte doch auch den Kollegen Schwarz und Rein hart nach ihren Reden hier sagen: Etwas weniger Pathos und mehr Konkretisierung wären gut für das Land Baden-Würt temberg.
Die Frage, was im Mittelpunkt der Digitalisierung steht, ist wichtig. Der Ausbau der technischen Infrastruktur ist wich tig; das ist völlig klar. Ohne einen solchen Ausbau geht es gar nicht.
Aber die eigentlichen Fragen, die über dem großen Thema Di gitalisierung stehen, sind doch solche, die die Menschen in der Mitte unserer Gesellschaft stellen. Das sind etwa folgen de Fragen: Welche Folgen haben die Prozesse von Digitali sierung und Globalisierung für meinen Arbeitsplatz oder auch für die Zukunft meiner Kinder? Welchen Einfluss haben die se Veränderungen auf mein zukünftiges Mobilitätsverhalten, auf die Frage, ob ich mir Mobilität oder gesundheitliche Ver sorgung noch leisten kann, wenn kein Arzt mehr in der Nähe ist? Welche Veränderungen werden in den Städten und Ge meinden in Baden-Württemberg vor sich gehen, und was be deuten diese Veränderungen für das Zusammenleben der Men schen in der Gesellschaft und für deren Kommunikation?
Dazu, meine sehr geehrten Damen und Herren, habe ich von Ihnen keinen Ton gehört. Dazu haben Sie keine Strategie.
(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Sie ha ben nicht zugehört! Das stand wohl im Manuskript!)
Denn eine echte Strategie, die mehr ist als ein Zusammenset zen und Auflisten von Einzelmaßnahmen, nimmt genau die se Themen in den Blick und stellt sie in den Mittelpunkt, und dies ganz besonders deshalb, weil sonst – wir haben es am letzten Sonntag erlebt – die großen Vereinfacher in der Poli tik kommen und die Ängste der Menschen ausnutzen und für sich politisch nutzbar machen.
Es ist eine Aufgabe der demokratischen Parteien, den Men schen Antworten auf ihre Fragen zu geben, die sie umtreiben und die teilweise zu Ängsten und Sorgen führen. Wir müssen ihnen diese Antworten geben.
Diese Strategie, von der wir am 20. Juli 2017 gehört haben oder die in dieser Hochglanzbroschüre steht, ist eine Anein anderreihung von Projekten, die teilweise bereits seit mehre ren Jahren von den Fachministerien entwickelt werden. Es ist auch richtig und gut so, dass diese Entwicklungsstränge bei behalten werden. Aber eine echte Strategie wird nur daraus, wenn tatsächlich ein roter Faden erkennbar wird. Und an die sem fehlt es.
Ich möchte Ihnen dazu einige Beispiele nennen. Nehmen wir das Thema „Mobilität der Zukunft“. Deutlich mehr als die
Hälfte der in dieser Hochglanzbroschüre genannten Maßnah men sind bereits mehr als zwei Jahre alt, das heißt schon längst in der Entwicklung. Wenn wir über die Frage des Neu igkeitswerts dieser Digitalisierungsstrategie sprechen, dann stellen wir fest, dass über zwei Drittel der Maßnahmen keine neuen Maßnahmen sind. Deswegen ist eines ganz besonders feststellbar: Jenseits der Phrasen, jenseits der wohlfeilen Wor te ist wenig Kreativität in diesem Bereich der Digitalisierung bei dieser Landesregierung festzustellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Hochglanzbro schüre, diese Regierungserklärung lässt nicht erwarten, dass die Landesregierung eine Strategie für die Zukunft hat.
Ein Thema möchte ich in die Mitte stellen, ein Thema, das be reits in den Beiträgen der Kollegen eine ganz wichtige Rolle gespielt hat, nämlich die zentrale Frage, wie wir das Thema Bildung begreifen, wenn wir dem Tempo der Digitalisierung standhalten wollen. Wenn der zuständige Minister, Herr Strobl, hier in seiner Regierungserklärung lediglich – oder fast nur – die technische Ausstattung der Schulen anspricht, indem er wortreich erklärt, dass die „Kreidezeit“ an den Schulen im Land ein Ende haben müsse,
dann kann ich Ihnen sagen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Es ist schon lange so, dass die Kommunen in unse rem Land sehr viel Energie und sehr viel Geld in die techni sche Ausstattung ihrer Schulen stecken. Das Problem sind die Landesregierung und auch der Bund. Sie stellen nicht das Geld zur Verfügung, das heute dringend notwendig wäre, da mit die Kinder in Baden-Württemberg die Bildung bekom men, die sie brauchen, um morgen am Arbeitsmarkt bestehen zu können.
Die Frage, wer dieses Geld liefern kann, beantwortet das Land nicht. Diese Frage beantwortet übrigens auch Frau Wanka nicht, die angekündigt hatte, dass sie den Ländern 5 Milliar den € zur Verfügung stellen wolle, um die technische Ausstat tung an den Schulen weiterzubringen. Mit Verlaub, es ist ein peinlicher Akt, wenn eine Bundesbildungsministerin den Län dern Zusagen macht, aber zuvor vergisst, beim Finanzminis ter, Herrn Schäuble, die Zusage für diese 5 Milliarden € ein zuholen. Das ist keine Zukunftsgestaltung, das ist Fahrlässig keit, und es ist keine gute Politik für das Land Baden-Würt temberg.
Wenn wir heute in die Zeitung schauen, sehen wir – es laufen derzeit auch Verhandlungen zwischen dem Land und den Kommunen zum Thema „Berücksichtigung im Haushalt“ –: Die Kommunen formulieren ihre Bedarfe sehr klar. Herr Brug ger vom Städtetag – ich darf ihn zitieren – erklärt:
Die Regierung trägt das Thema Digitalisierung wie eine Monstranz vor sich her, macht aber keinen Schritt, wenn Handeln notwendig ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Verhaltens muster der Landesregierung zieht sich wie ein roter Faden durch alle Bereiche der Digitalisierung.
Doch gerade im Bereich der Bildung ist es von zentraler Be deutung, ob wir es schaffen, die zukünftigen Anforderungen zu erfüllen und die Kinder und Jugendlichen gut auf die Zu kunft vorzubereiten. Denn ohne die Menschen werden wir die ses große Projekt der Digitalisierung nicht stemmen können. Aus diesem Grund müssen wir – das ist für uns Sozialdemo kraten besonders wichtig – die Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen. Was ist für die Schülerinnen und Schüler der richtige Lerninhalt? Welches sind die richtigen Techniken, die sie erlernen müssen, um später erfolgreich im Berufsleben bestehen zu können?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bereits die frühere Regierung aus Grünen und SPD hatte beschlossen, im neuen Bildungsplan neben Medienbildung in Klasse 5 für alle Schü ler in Klasse 7 einen Aufbaukurs Informatik einzuführen. Aber eine der ersten Maßnahmen der neuen Landesregierung im vergangenen Sommer war, dass dieses Fach Informatik nicht für alle Schülerinnen und Schüler in Klasse 7 der weiterfüh renden Schulen, sondern nur an den Gymnasien eingeführt wird. Dafür bekommen Sie draußen kein Verständnis. Das ist ein Nachweis dafür, dass die Landesregierung nicht verstan den hat, wie wichtig Kompetenzen im Bereich der Digitali sierung für die Kinder in unserem Land sind.
Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Das The ma Bildung, das Thema Lernen kann und darf nicht allein auf den schulischen Bereich beschränkt werden. Es wird heute mehr, als es in der Vergangenheit der Fall war, darauf ankom men, dass Menschen in die Lage versetzt werden, durch stän diges weiteres Lernen, durch Fortbildung, durch Weiterbil dung diesem wahnsinnigen Entwicklungstempo standhalten zu können.
Herr Innenminister, in Ihrer Regierungserklärung zu diesem Thema ist unter der Überschrift „Wirtschaft“ lediglich im Sub text ein Satz darüber enthalten, was dies für die Arbeitswelt der Menschen bedeutet. Ich darf Sie dringend darauf hinwei sen: Für die Menschen im Land Baden-Württemberg, einem starken Wirtschaftsstandort, wird die entscheidende Frage für die Zukunft sein, ob Arbeitsplätze erhalten werden und ob die Menschen, die in diesem Land leben, an diesen Arbeitsplät zen mit ihren Kompetenzen arbeiten können. Deswegen bringt es nichts, nur von der Notwendigkeit von Bildung zu reden. Hier geht es um ganz konkretes Handeln.
Wenn wir die Frage stellen: „Wo ist das Thema Digitalisierung eigentlich richtig angesiedelt?“, dann darf ich Ihnen sagen: Ich halte die Ansiedlung im Innenministerium nach wie vor für einen strategischen Fehler. Denn die wesentlichen Fragen in diesem Themenbereich sind Bildungsfragen, und die we sentlichen Fragen in diesem Bereich betreffen auch die Wis senschaft, aber schwerpunktmäßig vor allem die Wirtschaft.
Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, halte ich es für geradezu fahrlässig, dass wir im Bereich der Fort- und Weiterbildung von dieser Landesregierung zum Thema Digi talisierung überhaupt nichts hören.
Wir von der SPD-Fraktion haben bereits im letzten Jahr in den Haushaltsberatungen hier im Landtag beantragt, einen Wei
terbildungsfonds aufzulegen, vor allem für kleine und mittle re Unternehmen, die den Prozess der Weiterbildung in ihrer Belegschaft forcieren müssen und dies vielleicht nicht aus ei gener Kraft können. Wir müssen an dieser Stelle unterstützen. Wenn wir dies nicht tun, meine sehr geehrten Damen und Her ren, dann riskieren wir, dass das Thema Digitalisierung zu ei nem Angstthema wird statt zu einem Chancenthema.