Protokoll der Sitzung vom 08.11.2017

Ich möchte an dieser Stelle den Präsidenten der Deutschen Krankenhausgesellschaft und Landrat des Landkreises Reut lingen, Reumann, zitieren. Er forderte in diesen Wochen, di rekte Maßnahmen zur Entlastung des Personals in Angriff zu nehmen, und spricht auch die Bürokratielast an. Dazu gehört aus Sicht der Krankenhausträger ein Sonderprogramm „Digi tales Krankenhaus“, das die Digitalisierung vorantreibt, um so Personal zu entlasten und Dokumentationsanforderungen leichter bewältigen zu können. Bei der Reise des Sozialaus schusses haben wir in Oulu gesehen, wie gut das funktionie ren kann.

Vonseiten der Landesregierung habe ich zu diesem Thema bis her noch wenig gehört. Wir halten dieses Sonderprogramm in der Investitionsförderung für dringend erforderlich. Ohne ent sprechendes Geld gibt es keine digitale Infrastruktur.

Was also muss getan werden? Wir müssen die Pflegeberufe aufwerten, bessere Arbeitsbedingungen schaffen, Pflegekräf te von Arbeiten entlasten, die andere durchführen können. Wir müssen auch in der Pflege schauen, dass die Arbeit entspre chend der Qualifikation und der Wichtigkeit bezahlt wird. Meine Kolleginnen und Kollegen, Sie alle sind bereit, wenn Sie ihr Auto zur Reparatur bringen oder einen Handwerker beauftragen, ordentliche Stundenlöhne zu zahlen. Das muss auch für die Menschen gelten, die uns alle irgendwann, wenn wir im Krankenhaus oder in einer Einrichtung der Altenpfle ge sind, einmal pflegen. Die Bezahlung ist also auch ein The ma. Wichtiger sind die Rahmenbedingungen.

Last, but not least geht es auch darum, dass wir Ausbildung und Studium weiterentwickeln. Das Pflegeberufegesetz ist da zu eine mühsam erarbeitete Grundlage. Wir müssen es jetzt umsetzen, anstatt dauernd daran herumzukritisieren. Die Aus zubildenden von heute sind die Fachkräfte von morgen.

In diesem Sinn vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Petra Krebs GRÜ NE)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich der Kollegin Krebs das Wort.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! „Droht der Pflegenotstand in baden-würt tembergischen Kliniken?“ Diese Frage kann ich ganz eindeu

tig mit Nein beantworten. Der Pflegenotstand droht nicht in baden-württembergischen Kliniken, er ist bereits da.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Das ist Fakt. Diese Erkenntnis wird uns fast täglich in Rück meldungen, Pressemitteilungen usw. bestätigt – erst gestern in einer Pressemitteilung der DAK, in der vergangenen Wo che von ver.di. Sie haben es gesagt; damit gehe ich konform.

Ja, ich halte dieses Thema für eine der größten Herausforde rungen der jetzigen und der kommenden Zeit. Jammern allein hilft aber nichts, meine Damen und Herren. Es nutzt, wie so oft im Leben, nicht, in Panik zu verfallen und wild um sich zu schlagen oder, wie im Bundestagswahlkampf geschehen, Ver sprechungen zu machen, die meines Erachtens und auch nach Ansicht von wirklichen Kennern und Kennerinnen der Ge sundheits- und Krankenhauslandschaft nicht realistisch sind. So hat Kanzlerkandidat Martin Schulz in seinem letzten Auf bäumen kurz vor der Wahl eine Lohnerhöhung um 30 % in der Pflege gefordert. Wir sollten doch auch bei dieser Heraus forderung einen Weg gehen, der lösungs- und zielorientiert ist.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Bei der Frage, ob der Pflegenotstand in baden-württembergi schen Kliniken droht und was Politik tun kann, ist zunächst einmal zu klären: Was tut Politik bereits? Danach gilt es, De fizite zu analysieren und, wie schon gesagt, zielorientierte Lö sungsvorschläge zu suchen.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

Wenn wir von Pflegenotstand sprechen, sprechen wir von Per sonalmangel, von Zeitmangel, von Zeit am Bett bei der kran ken und pflegebedürftigen Person – Zeit für den Menschen, der gerade körperliche Pflege und Zeit für ein paar Worte nö tig hat. Ich spreche von einem Fachkräftemangel in der Pfle ge, der zur Folge hat, dass die Arbeitsbelastung zunimmt und die Arbeitszufriedenheit in gleichem Maß abnimmt. Das ha ben wir Grünen erkannt. Deswegen haben wir in unserer Ge sundheitspolitik den Schwerpunkt auch darauf gelegt,

(Abg. Anton Baron AfD: Krankenhäuser geschlos sen!)

dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegenzutreten.

Vorab: Wir dürfen bei der Debatte um Pflegepolitik, Alten pflege und die gesamte Gesundheitspolitik die Bundes- und die Landesebene nicht verwechseln, sondern müssen genau schauen, wie die Gesetzeslage die Zuständigkeiten und damit Einflussnahme und Veränderungen regelt. Herr Hinderer, Sie haben ja relativ viel von der Bundesgesetzeslage gesprochen.

(Zuruf des Abg. Rainer Hinderer SPD)

Doch bevor ich nun zu der Frage komme: „Was kann Politik tun?“, möchte ich schon noch ein paar Anregungen dazu ma chen, was von der Arbeitgeberseite aus denkbar ist und auch zu erwarten ist.

Die Arbeitsplatzgestaltung und die Ausstattung mit vernünf tigem, aktuellem Arbeitsmaterial lassen in vielen Häusern

wirklich zu wünschen übrig. So wäre es z. B. schon wün schenswert, wenn bei der Gestaltung von Patientenzimmern oder Funktionsräumen die Basismitarbeiter in die Planung ein bezogen würden.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Anton Baron AfD: Deswegen kürzen Sie die Investitions kosten!)

Oder lassen Sie mich noch weiter gehen. Wie auf der Aus schussreise in Finnland gesehen – auch das haben Sie ange sprochen –, sind sogenannte Simulation Labs bei der Erpro bung von optimierten Arbeitsabläufen dabei und können ihre Expertise einbringen. Basismitarbeiterinnen und -mitarbeiter wissen eigentlich am besten, welche Arbeitsplätze sie brau chen.

Ebenso sollten sich Arbeitgeber, die auf der Suche nach qua lifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind, inzwischen bewusst sein, dass sie im Wettbewerb stehen. Als Wettbe werbsvorteil gelten oft auch Soft Skills. Ich bin mir sicher, dass bei der Entscheidung, einen Arbeitsplatz anzunehmen, auch Angebote wie günstige Unterkünfte, Wohnheime für Pflegende, ein Jobticket oder gar ein kostenloses E-Bike und das betriebliche Gesundheitsmanagement, also das BGM, ei ne große Rolle spielen.

Doch zurück zur Politik. Bleiben wir zunächst auf der Lan desebene. Lassen Sie mich ein paar Meilensteine exempla risch darstellen. Kürzlich wurde der Ideenwettbewerb für das Programm „Quartier 2020“ abgeschlossen, das heißt, wir sind mittendrin, die Quartiersentwicklung vor Ort in konkrete Pla nungen umzusetzen, und zwar gemeinsam mit der Bevölke rung.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Dabei stehen die Bedürfnisse der älteren Menschen, die Un terstützung brauchen, im Fokus. Unser Ziel ist es, dass Men schen so lange wie möglich selbstständig und in ihrer gewohn ten Umgebung leben können. Das bedeutet, dass die häusli che und die ambulante, aber auch die stationäre Pflege enorm wichtig sind, da sie die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Teilhabe erhalten bleibt.

Aus diesem Grund wurde im Wohn-, Teilhabe- und Pflegege setz das Ziel klar gesetzt: Jede Wohnform – egal, ob stationär oder ambulant – soll in das jeweilige Quartier eingebunden sein und den pflegebedürftigen Menschen die Teilhabe am Le ben in der Gesellschaft ermöglichen. Dabei geht es uns Grü nen explizit darum, die Beziehung zwischen den in den Ein richtungen bzw. in der Wohngemeinschaft lebenden Menschen und den Bewohnerinnen und Bewohnern des Quartiers sicher zustellen.

Mit der Quartiersentwicklung kommen wir dem großen Be dürfnis nach, zu Hause alt zu werden und zu Hause auch ster ben zu können. Wer zu Hause bleiben möchte, ist dort dann gegebenenfalls auf Pflege angewiesen. Um die häusliche Pfle ge zu stärken, haben wir das Innovationsprogramm Pflege auf den Weg gebracht. In diesem Programm geht es z. B. um be darfsgerechte Öffnungszeiten bei der Tages- und Nachtpfle ge. Es geht darum, bei der Kurzzeitpflege die Einrichtungen zu stärken, die eine Reha anbieten.

Uns ist wichtig, dass pflegende Angehörige wissen, dass sie Unterstützung haben können und dass sie mit pflegebedürfti gen Personen nicht allein sind.

Die Botschaft, die an die Bürgerinnen und Bürger gerichtet wird, muss sein: In der zunehmend älter werdenden Gesell schaft sind wir auf funktionierende Sozialräume angewiesen. „Sorgende Gesellschaft“ bedeutet, wir brauchen das Ehren amt und die nachbarschaftliche Hilfe. Gleichzeitig stehen aber qualifizierte Pflege und medizinische Versorgung bei Bedarf zur Verfügung.

Die Digitalisierung in der Pflege und in der medizinischen Versorgung – auch das wurde vom Kollegen Hinderer ange sprochen – bietet ein sehr großes Potenzial.

(Abg. Anton Baron AfD: Aber nicht Krankenhäuser schließen!)

Dieses Potenzial fördern wir seitens der Landesregierung mit der Digitalisierungsstrategie, die dieses Jahr vorgestellt wur de. Digitale Lösungen und der Einsatz technischer Assistenz mittel können auf der einen Seite die Selbstständigkeit von Pflegebedürftigen verbessern, auf der anderen Seite können sie Arbeitsprozesse optimieren oder auch die körperlich oft sehr anstrengende Tätigkeit der Pflegenden erleichtern.

Die Digitalisierung ist also das Mittel der Zukunft, um eine flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevöl kerung in Krankenhäusern, aber auch in Homecare zu sichern oder zunehmend individualisierte Therapien zur Verfügung zu stellen.

Doch die Beziehung von Mensch zu Mensch muss dabei im Vordergrund stehen. Pflege steht und fällt letztendlich mit Menschen, die Pflegeberufe ausüben wollen.

Ich persönlich stehe sehr dafür ein, dass Pflegeberufen viel mehr Anerkennung als bislang entgegengebracht werden muss. Das fängt mit der Attraktivität der Berufe an. Sie wissen ja: Mit dem demografischen Wandel wird unser gesellschaftli cher Bedarf an qualifizierten Pflegekräften kontinuierlich an steigen. Pflegeberufe sind also Berufe mit Zukunft. In der Au toindustrie muss sich manch einer überlegen, ob er einen Zu kunftsberuf hat. In der Pflege haben wir das.

In der Zukunft werden wir mit einem modernen Personalkon zept gut fahren. Wir setzen auf sogenannte multiprofessionelle Teams. Wir stehen der Reform der Ausbildung in den Pflege berufen in Richtung einer generalisierten Ausbildung positiv gegenüber und sehen darin eine Aufwertung durch die Schaf fung eines neuen Berufsbilds, das sich speziell auf die zukünf tigen Bedürfnisse und die Ansprüche an diesen wunderbaren Beruf konzentriert.

Das Arbeiten in multiprofessionellen Teams und die Ausein andersetzung mit Problemstellungen, die sich auch mit der zu nehmenden Bedeutung des Themas Demenz befassen, wer den in Zukunft bereits während der Ausbildung auf der Tages ordnung stehen.

Wir werden uns bei der Begleitung der Ausbildungsträger in diesem Umwandlungsprozess als verlässlicher Partner zeigen. Denn eines ist klar: Wir brauchen gut ausgebildete, motivier te Nachwuchskräfte.

(Beifall bei den Grünen und der CDU, Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Jochen Haußmann FDP/ DVP)

Die praktische Ausbildung bleibt also der beste Weg, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. In diesem Sinn haben wir auch die Möglichkeiten der Teilzeitausbildung ausgebaut.

Durch die Akademisierung der Pflegeberufe haben wir zudem eine Möglichkeit geschaffen, neue Wege im Bereich Pflege zu gehen.

(Zuruf: Sehr gut!)

Erstmals wurden das wissenschaftliche Arbeiten und das Ar beiten auf Augenhöhe mit Ärztinnen und Ärzten ermöglicht. Derzeit gibt es in Baden-Württemberg 520 Studienanfänger pro Jahr; diese Zahl wird ausgebaut mit dem Ziel, den Anteil auf 20 % zu steigern.

Auch hier steht das Stichwort „Attraktivität der Pflegeberu fe“ vorn. Die Akademisierung bietet Karrierechancen, und ei ne bessere Bildung ermöglicht es auch, den gestiegenen An forderungen an diesen Beruf besser gerecht werden zu kön nen.

Nicht alle jedoch sind in der Lage, hochkomplexe Lerninhal te einer qualifizierten Ausbildung zu erfassen. In einem sol chen Fall besteht die Möglichkeit einer Krankenpflege- bzw. Altenpflegehilfeausbildung, auch mit der Option, die zweijäh rige Altenpflegehilfeausbildung mit einer intensiven Deutsch förderung für Migrantinnen und Flüchtlinge zu koppeln. Hier durch bieten wir eine gute Möglichkeit, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen.

Dies alles soll dazu beitragen, eine zuverlässige pflegerische Versorgung der Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen und die Arbeitsbelastung für die in der Pflege Beschäftigen auf ein verantwortbares Maß zu reduzieren.

Sprechen wir noch kurz über Geld, also über die Gehälter: Ja, wir haben in Baden-Württemberg ein im Ländervergleich ho hes Lohnniveau. Das bringt Krankenhäuser aufgrund der kom plexen Finanzierung sehr oft in Schwierigkeiten. Aber ich denke, dass in der Gesellschaft ein breiter Konsens darüber herrscht, dass in der Pflege eindeutig zu wenig verdient wird. Hier können letztlich nur der Bund und der G-BA über eine bessere Vergütung der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtun gen eingreifen.