Nicht Gegenstand der jetzigen Umsetzungsgesetze, aber schon auf den Weg gebracht ist natürlich der Schlüssel, wie wir die Bedarfsbemessung nach einem einheitlichen Verfahren, dem sogenannten ICF-basierten Verfahren, gemeinsam umsetzen, sodass tatsächlich von Bad Mergentheim bis Lörrach und von Mannheim bis Isny für alle Menschen mit Behinderungen ga rantiert ist, dass dieselben Lebensgrundlagen und dieselben Bedarfe anerkannt werden und dort keine Uneinheitlichkeit entsteht.
Auf Wunsch der kommunalen Landesverbände haben wir da bei auch eine Regelung aufgenommen, die ihnen erlaubt, den
KVJS als Vertretung der Träger der Eingliederungshilfe im Rahmen der Erarbeitung und Beschlussfassung der Rahmen verträge zu benennen.
Als weiterer Punkt ist vorgesehen, dass bei der Erarbeitung und dem Beschluss der Rahmenverträge die maßgeblichen In teressenvertretungen der Menschen mit Behinderungen betei ligt werden müssen. „Nichts über uns ohne uns“ lautet hier das Motto. Als Interessenvertretung der Menschen mit Behin derungen benennt der Gesetzentwurf die Landes-Behinder tenbeauftragte bzw. den Landes-Behindertenbeauftragten.
Weitere Interessenvertretungen benennt der Landes-Behinder tenbeirat. Frau Präsidentin, Sie erlauben: An dieser Stelle be grüße ich ganz herzlich Frau Aeffner, unsere Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen.
Liebe Frau Aeffner, ich darf mich – außerhalb des Protokolls – jetzt, eineinhalb Jahre nach Beginn Ihrer Amtszeit, ganz herzlich bedanken für das Engagement, für den Elan, auch für die Klarheit. Sie sind nicht dafür da, dass Sie mir immer das Wort reden, sondern dafür, mir auch das Gegenwort zu geben. Außerdem vertrage ich das gut; das bringt einen weiter. Aber Sie sind nicht nur aufgrund Ihrer eigenen biografischen Er fahrung, sondern auch aufgrund Ihrer langjährigen Tätigkeit für ein emanzipiertes, entspanntes, normalisiertes Miteinan der aller Menschen schon heute eine Gallionsfigur und stehen stellvertretend für den Prozess, dass niemand in dieser Gesell schaft ausgegrenzt werden darf. An dieser Stelle Ihnen und Ihren Mitstreitern ein ganz herzliches Dankeschön von dieser Seite.
Das Ausführungsgesetz enthält auch Regelungen zur Barbe tragserstattung des Bundes für Leistungsberechtigte in stati onären Einrichtungen. Für das erste Halbjahr 2017 wurde dies bereits an die Stadt- und Landkreise ausbezahlt.
Schließlich geht es auch um das für uns so wichtige Budget für Arbeit. Das Land kann mit dem Ausführungsgesetz regeln, dass das Budget für Arbeit an eine Höhe angepasst wird, die zu uns, zu Baden-Württemberg als die Arbeitsgesellschaft schlechthin passt. Damit können wir vom bundesgesetzlich vorgesehenen Höchstsatz nach oben abweichen und öffnen den Gang in den ersten Arbeitsmarkt.
Ja, wir haben auch noch einen Omnibus dabei: Neu ist auch die Einführung des kommunalen Initiativrechts für Stadt- und Landkreise zur Errichtung von Pflegestützpunkten. Das ha ben die Verbände in der Anhörung durchweg begrüßt. Lieber Herr Minister Strobl, es war unser Verdienst im Bundesrat, dass wir dies in einem anderen Omnibusgesetz, das bei „Schlacht abfällen“ angehängt war, noch untergebracht haben. Hier passt es besser, weil es wenigstens fachlich gut anschließt.
Pflegebedürftige und ihre Angehörigen können auf diese Wei se wohnortnah beraten werden. Wir haben diese Woche schon die Maßnahmen zur quartiersweiten Entwicklung entschie den, der Konnex, das Leben mit Sorgen unabhängig von der leistungsrechtlichen Verortung – noch; das ändert sich ja –, alles im Kontext, im gesellschaftlichen Miteinander der So
zialräume gedacht. Darum passt es gut, dass jeder die Pflege finden kann und finden muss, die zu ihm passt. Auch Men schen mit Behinderungen haben Pflegebedürftigkeit und brau chen den Zugang zu diesem System. Wir haben es also syste matisch gut gemacht, dass wir dieses Gesetz noch mitnehmen.
Der Vollständigkeit halber möchte ich noch darauf hinweisen, dass mit Artikel 5 ein redaktionelles Versehen beim Kinder gartenlastenausgleich im Finanzausgleichsgesetz mit aufge hoben wird.
Sehr verehrte Damen und Herren, die Umsetzung des Bun desteilhabegesetzes ist für uns alle eine große Herausforde rung, auch finanziell. Darauf haben wir reagiert und haben, anders als andere Länder, in den Jahren 2018 und 2019 für freiwillige Ausgleichszahlungen an die Stadt- und Landkrei se bereits knapp 22 Millionen € vorgesehen. Wir haben uns hier an der Kostenschätzung des Bundes, des zuständigen Bundesministeriums, orientiert.
Natürlich werden wir bezüglich der Kosten mit den kommu nalen Landesverbänden weiter im Gespräch bleiben, auch im Hinblick auf die Frage der Konnexität, die wir ab 2020 im Ge gensatz zu anderen Ländern uneingeschränkt anerkennen.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung: In den letz ten Jahren, als bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen die Frage der Entlastung der Kommunen im Raum stand, war lan ge eine fachpolitische Frage, ob bei den Entlastungen für die Kommunen die Zweckbindung für die Eingliederungshilfe nominiert wird. Das war leider nicht der Fall. Die Bundespo litik hat das nicht gewollt. Das heißt, die Gelder, die die Kom munen zur Entlastung erhalten, haben nicht diese Zweckbin dung, die wir uns gewünscht hätten. So haben wir eben im mer die Herausforderung und die Debatte – wenn es zu Kos tensteigerungen kommt, weil sich z. B. Fallzahlen erhöhen können oder Fälle komplexer und umfassender werden –, wer diese Kosten zu tragen hat.
Aber wir haben gemeinsam mit der kommunalen Familie be schlossen, dass wir diesen „arabischen Basar“ aufgeben und ganz genau hinschauen, welche Hilfen die Menschen brau chen. Sie wissen, dass Baden-Württemberg bei dem Perso nenkreis, bei dem es messbare Zuwachsraten gibt, nämlich bei Menschen mit seelischer Behinderung, durch unsere Po litik – auch die Politik der letzten Legislaturperiode, Kollege Hinderer – sehr gut aufgestellt ist. Durch unser PsychischKranken-Hilfe-Gesetz und durch das WTPG haben wir die Ambulantisierung, die lebensweltorientierte Sorge implemen tiert. Das heißt, bei uns wird nicht immer das Teuerste ge wünscht, sondern es wird das geholt, was die Menschen brau chen. Ich zitiere da aus dem Modellprojekt „Persönliches Bud get“ für Menschen mit Behinderungen einen etwas älteren Men schen mit mentaler Behinderung aus dem Landkreis Reutlin gen, der einfach zielsicher – Kollege Poreski – einmal gesagt hat: „Der Mensch braucht, was er braucht.“
In diesem Sinn, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir alle – die Leistungsträger, die Leistungserbringer, die Betroffenen, die Regierung – ziehen an einem Strang, damit wir diese her vorragende Aufgabe, diese vornehme Aufgabe, Menschen, die sich unserer Solidarität bewusst sein können, ein gleichbe rechtigtes Leben, ein Leben in Würde und gegenseitigem Re spekt zu ermöglichen, erfüllen. Das steht uns sehr gut an; das
steht uns im Jahr 2018 mehr denn je an, und das passt zu der Ausstellung, die Sie hoffentlich unten kurz besichtigen.
Ich finde, wir gehen heute einen weiteren großen Schritt auf dem Weg dieses enorm lebenswerten Baden-Württembergs.
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aussprache eine Redezeit von fünf Mi nuten je Fraktion festgelegt.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Das neue Bundesteilhabegesetz ist ein sozialpolitischer Meilenstein. Es stellt die Weichen für ein Be hindertenrecht nach dem Standard der UN-Behindertenrechts konvention – endlich auch in Deutschland. Es nimmt das Be hindertenrecht aus der Sozialhilfe heraus, damit Menschen mit Behinderungen nicht mehr arme Fürsorgeempfängerinnen und -empfänger sind. Sie werden zu Sozialbürgerinnen und -bürgern, die wirklich an der Gesellschaft teilhaben. Das ist ein riesiger Umbruch, und deshalb verwundert es nicht, dass das neue BTHG bereits vor der Verabschiedung auf Bundes ebene mehr Wirbel erzeugt hat als jedes andere Sozialgesetz der vergangenen 30 Jahre.
Die erste Anhörung zu diesem Gesetz aus dem Hause Nahles war niederschmetternd. Es war zu befürchten, dass das Ge setz seinen Zweck komplett verfehlt. So war vorgesehen, dass ein Unterstützungsbedarf von Menschen mit Behinderungen nur akzeptiert wird, wenn sie in fünf von neun Lebensberei chen nicht zurechtkommen. Dagegen protestierte zu Recht die bisher größte Demonstration von Menschen mit Behinderun gen in Deutschland. In vielen Bund-Länder-Runden und im Bundesrat ist es schließlich gelungen, das Gesetz zu verbes sern und ins Laufen zu bringen.
Der weitreichenden Aufgabe entsprechend wird die Umset zung in mehreren Schritten erfolgen. Die Abstimmung mit al len anderen Gesetzen und Lebensbereichen wird komplex. Es kommt dabei mehr als bei anderen Bundesgesetzen auf die Länder an. Ob wir die Chance zu einem echten Teilhaberecht nutzen, wird daher von vielem abhängen: von uns als Gesetz geber, von der künftigen Rolle des Landes, von den Kommu nen, den Leistungserbringern und nicht zuletzt von den Be troffenen und ihren Verbänden.
Das heute zur Debatte stehende erste Ausführungsgesetz stellt einige Weichen. Es hat aber nicht den Anspruch, alle Fragen, die sich bis zum Jahr 2023 stellen, abschließend zu beantwor ten. Dafür bin ich dankbar, auch für den umfassenden Dialog bei der weiteren Ausgestaltung. Denn es geht um viel. Um ei nige Schlaglichter zu benennen: Wer wird Leistungsträger? Wie stehen Kommunal- und Landesebene miteinander in Be zug? Was wird aus dem sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis?
Die erste richtige Weichenstellung dazu ist: Die Stadt- und Landkreise sind und bleiben zentrale Akteure. Wie sieht eine personenzentrierte Bedarfsermittlung aus, und wer legt letzt endlich das Verfahren fest? Hierzu ist im Gesetz klargestellt:
Es gibt ein landeseinheitliches Verfahren nach dem anerkann ten ICF-Standard. Das Land hat hier das letzte Wort.
Welche Faktoren – wie Zeit, Fachlichkeit oder Tarifbindung – spielen dabei eine Rolle? Wie werden die Lebensbereiche Arbeit, Wohnen sowie soziale und kulturelle Teilhabe abge bildet? Auch in diesen Fragen hat das Land eine steuernde Funktion.
Wer erhebt den Bedarf, und in welcher Struktur? Das wird im Gesetz ausdrücklich offengelassen. Viele plädieren für eine Bedarfserhebung unabhängig von den Kostenträgern und un abhängig von den Leistungserbringern. Das teile ich.
Wie gelingt eine Vereinbarung auf Augenhöhe? Was leisten die einheitliche Anlaufstelle und die unabhängige Teilhabe beratung? Eine erste Antwort auch hier: Wir stärken die Rol le von Menschen mit Behinderungen und deren Interessen vertretung, und diesen Weg werden wir konsequent fortset zen.
Wichtig ist auch: Wie erhalten wir die vorhandene Fachlich keit und Qualität, und wie ebnen wir ihr den Weg in die neu en Rahmenbedingungen? Hierüber führen wir einen intensi ven Dialog, denn natürlich brauchen die Anbieter Brücken für eine Anpassung ihrer Strukturen.
Und nicht zuletzt der klassische Aufreger: Welche Kostendy namik ist zu erwarten, und wie gewährleisten wir die Wirt schaftlichkeit im Einklang mit dem Wunsch- und Wahlrecht? Dazu hat das Land die vom Bund für die Jahre 2018 und 2019 berechnete Konnexität gegenüber den Kommunen anerkannt – freiwillig, während andere Länder dies verweigern. Auch nach dem Jahr 2020 werden wir die Konnexität anerkennen – nicht spekulativ, sondern real und objektiv.
Wir werden dabei im Einklang mit den anderen Bundeslän dern die Konnexitätseffekte beim Bund einfordern.
Die hier skizzierten Eckpunkte sind unser Maßstab für die weiteren Beratungen im Parlament, gegenüber dem Sozial- und Integrationsministerium, gegenüber der Fachöffentlich keit, mit unserer Landes-Behindertenbeauftragten Stephanie Aeffner und mit anderen Expertinnen und Experten in eige ner Sache. Denn so, wie es vom Bundesgesetzgeber vorgese hen ist, wird die Ausgestaltung ein anspruchsvoller Prozess, der sich über mehrere Jahre hinziehen wird.
Viele der Herausforderungen wurden bereits in unserer grünschwarzen Anhörung am 23. Oktober 2017 treffend benannt
Gut. Das ist dann Schicksal. – Ich kann also sagen: Mit dem Entwurf zum ersten Lan desausführungsgesetz haben wir eine gute Grundlage für un sere Arbeit.