Protokoll der Sitzung vom 28.02.2018

Gut. Das ist dann Schicksal. – Ich kann also sagen: Mit dem Entwurf zum ersten Lan desausführungsgesetz haben wir eine gute Grundlage für un sere Arbeit.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Genial! Es tut uns ja so leid! – Heiterkeit bei Abgeordneten der Grünen.)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Hockenberger.

(Zuruf von der CDU: Sehr guter Mann!)

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, werte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Da men und Herren! Am 26. Juli 2009 ist das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auch in Deutschland in Kraft getreten. Die UN-Behindertenrechtskon vention ist seither geltendes Recht und wichtige Leitlinie für die Behindertenpolitik, für eine inklusive Gesellschaft, in der der Mensch im Mittelpunkt steht.

(Abg. Dr. Gerhard Aden FDP/DVP: „Der Mensch“!)

Um die als Paradigmenwechsel – wir haben es wiederholt ge hört – zu bewertende Herausforderung der Herausführung der Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem auch sichtbar werden zu lassen, wurde die Eingliederungshilfe zum 1. Ja nuar 2017 mit dem Bundesteilhabegesetz in das SGB IX über führt. Das war nach einem langen und umfassenden Gesetz gebungsverfahren – wir haben es gehört – ein wichtiger Schritt für Menschen mit Behinderungen, um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben und in der Gesellschaft zu fördern und um Benachtei ligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken.

Für viele vom Gesetz Betroffene bedeutet das eine deutliche Verbesserung ihrer Lebensumstände, auch wenn nicht alle Forderungen von Ländern, von Kommunen und insbesonde re von Menschen mit Behinderungen – das wissen wir – er füllt werden konnten.

Wir haben uns mit diesem Thema bereits im Rahmen einer Aktuellen Debatte hier in diesem Haus am 14. Dezember 2016 auseinandergesetzt. Dabei wurde insbesondere deutlich, dass unser Ministerium für Soziales und Integration in engagier ten Verhandlungen mit dem Bund wesentliche Verbesserun gen am ursprünglichen Gesetzentwurf hat durchsetzen kön nen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Als Stichworte seien beispielsweise die Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts beim Wohnen, die verbesserte Teilhabe am Arbeitsleben und die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen genannt.

Mit dem heutigen Gesetz schaffen wir die ersten landesrecht lichen Voraussetzungen, um auch in der Alltagspraxis damit umzugehen. Die Regierungsfraktionen – wir haben es gehört – haben dazu im Oktober letzten Jahres hier im Landtag eine breit angelegte Anhörung durchgeführt, an der sowohl Men schen mit Behinderungen als auch Leistungserbringer und Leistungsträger, mithin alle vom Gesetz Betroffenen, teilge nommen haben. Es ist uns im Anschluss gelungen, wesentli che Erkenntnisse daraus in das Gesetzgebungsverfahren ein zubringen.

Auf die ausführliche Gesetzesbegründung des Ministers darf ich mich beziehen; ich will nun die einzelnen Punkte nicht wiederholen, sondern möchte mich allein schon aus Zeitgrün den auf Wesentliches konzentrieren.

Wir begrüßen ausdrücklich die Bestimmung der Stadt- und Landkreise als Träger der Eingliederungshilfe und freuen uns darüber, dass auch nach dem Ausführungsgesetz der bisheri ge Aufgabencharakter als weisungsfreie Pflichtaufgabe erhal ten bleibt. Den Stadt- und Landkreisen wird damit auch die Aufgabe übertragen, ein landeseinheitliches Bedarfsermitt lungsinstrument nach den Forderungen des § 118 SGB IX an zuwenden. Deswegen sind die Träger der Eingliederungshil fe auch an der gemeinsamen Entwicklung eines landeseinheit lichen Instruments interessiert und wirken in der vom Minis terium eingesetzten Arbeitsgruppe mit.

Wir begrüßen auch, dass es nach wie vor möglich ist, eine De legation an kreisangehörige Gemeinden auszusprechen bzw. diese beizubehalten. Dies hat sich nach unserer Erfahrung in der Praxis bewährt. Aufgabenerfüllung so nah wie möglich am Menschen – das ist uns wichtig, und wir setzen auch in diesem Zusammenhang auf die bisherige Erfahrung.

Wir stehen dazu, dass auch in Zukunft keine Leistungserbrin gung nach Kassenlage oder Wohnort erfolgen soll. Die 80 000 Menschen, die betroffen sind, haben darauf einen Anspruch. Sie haben insbesondere einen Anspruch darauf, dass wir bei gleichen Bedürfnissen gleiche Leistungen gewähren.

Die kommunalen Landesverbände – wir haben es gehört – ha ben sich in der Tat bezüglich der Rolle des KVJS eine ande re Funktion vorstellen können, auch gespeist aus den positi ven Erfahrungen der Vergangenheit. Wir begrüßen dennoch ausdrücklich die jetzt im Anhörungsverfahren gefundene Lö sung. Sie hat gezeigt, dass das Ministerium und die kommu nalen Landesverbände dann, wenn es um große Ziele geht, sinnvolle Lösungen finden können, die jetzt im KVJS-Ände rungsgesetz auch so statuiert sind.

Die Konnexität ist immer ein Dauerbrenner bei neuen Geset zen. Das ist überhaupt keine Frage. Da gibt es engagierten Schriftwechsel, da gibt es die Position des Ministeriums und die Position der kommunalen Landesverbände. Die klaffen naturgemäß auseinander. Wir begrüßen ausdrücklich, dass bei de Seiten jetzt in einen Dialog darüber eintreten wollen, um zu sehen, welche Zahlen sich tatsächlich ergeben, und um dann gegebenenfalls im Rahmen eines Nachtrags nachzusteu ern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Glocke der Prä sidentin)

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Räpple zu?

Nein, meine Rede ist in sich so schlüssig, dass sie eigentlich keine Zwischenfragen zulässt.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Die übrigen Dinge, die Sie genannt haben, Herr Minister, sind selbsterklärend, was den Barbetrag anbelangt, was die Ände rung des FAG anbelangt.

Wir stehen jetzt an einer entscheidenden Stelle. Die erste Stufe der Reform haben wir hinter uns. Am 1. Januar 2020 folgt die nächste. Die entscheidende Stufe wird 2023 erfolgen. Herr Poreski hat das Thema „Fünf aus neun“ – § 99 SGB IX – ge nannt. Wir werden diesen Prozess im Interesse aller Beteilig ten engagiert begleiten. Sie haben es verdient.

Ich möchte im Namen der CDU-Landtagsfraktion allen dan ken, die an dem bisherigen Gesetzgebungsverfahren mitge wirkt haben. Ich möchte insbesondere Frau Aeffner danken. Mein persönlicher Dank gilt Herrn Minister Lucha für seinen unendlichen Langmut in vielen kritischen Gesprächen. Diese werden wir in Zukunft fortsetzen – zum Wohl der Menschen.

Also: Zustimmung zum Ausführungsgesetz.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Für die AfD-Fraktion erteile ich das Wort Frau Abg. Wolle.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, mei ne geschätzten Damen und Herren Kollegen! Mit dem hier im Entwurf vorliegenden Gesetz wird das Bundesteilhabegesetz auf Landesebene umgesetzt. Doch schon gegen das Bundes gesetz wurden massive Gegenstimmen laut. Der Verein Abi lityWatch in Berlin listete 2016 große Mängel auf.

(Abg. Rainer Hinderer SPD: Was für ein Verein ist das?)

Betroffene und Fachverbände befürchten – wen wundert es, wen überrascht es? – erheblich mehr statt weniger Bürokra tie. Eine breite Protestkampagne begleitete die Erarbeitung des Bundesgesetzes mit den Hashtags „#NichtMeinGesetz“ und „#TeilhabeStattAusgrenzung“. Das zeigt, dass schon da mals eine wirkliche Teilhabe von Behinderten durch das Bun desgesetz kaum zu erwarten war.

Mit der Umsetzung auf Landesebene ist es nicht viel besser. Hier wurde, wie schon so oft, ein starres, unflexibles Büro kratiemonster geschaffen – ganz zu schweigen von den zu sätzlichen Kosten, die so ganz nebenbei nonchalant den Kom munen aufgedrückt werden. Das Land stellt, wie Sie, Herr Mi nister, sagten, in den kommenden Jahren lediglich 22 Millio nen € zur Umsetzung des Gesetzes zur Verfügung. Laut dem Kommunalverband für Jugend und Soziales steht dem aber ein tatsächlicher finanzieller Mehraufwand in Höhe von 150

Millionen € gegenüber. Das ist mehr als ein kleiner Unter schied, und Sie hätten dies bereits berücksichtigen können.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Der Präsident des Landkreistags Baden-Württemberg mein te, dass das Land die Kreise bei der Unterstützung von Men schen mit Behinderungen nicht im Stich lassen dürfe. Doch genau das ist hier der Fall. Wie so häufig gilt: „Oben wird be stellt, und unten wird bezahlt“ – oder: Den Letzten beißen die Hunde.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD und des Abg. Dr. Wolfgang Gedeon [fraktionslos])

Zu dem Gesetzesvorhaben gehört auch eine Änderung des Landespflegegesetzes – etwas, was hier kaum angesprochen wurde. Bei der Aktuellen Debatte im November waren sich alle Fraktionen einig, dass die Pflegesituation im Land sehr zu wünschen übrig lässt. Verantwortlich hierfür seien der ak tuelle Fachkräftemangel und der Investitionsstau im Pflege bereich.

In Baden-Württemberg fehlen laut ver.di aktuell allein 21 000 Stellen in der Langzeitpflege. Zunehmender Bedarf in den nächsten Jahren ist zu erwarten.

Ein wichtiger Grund für diese Entwicklung ist die nach wie vor unzureichende Bezahlung in der Pflege, und dies in einem reichen Land wie Deutschland. Das ist der eigentliche Skan dal.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Daran wird im Übrigen auch die Akademisierung nichts än dern. Denn trotz guter Ausbildung und sehr guter Leistung wird in der Pflege nach wie vor schlecht bezahlt. Wer hier et was ändern will, muss tatsächlich Geld in die Hand nehmen.

Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung beziffert den Investitionsstau im Pflegebereich auf inzwischen 3,7 Milliar den €. Wohin das führt, hat „Frontal 21“ kürzlich aufgezeigt. In manchen Pflegeheimen – auch und gerade in Baden-Würt temberg – herrschen chaotische Zustände. Laut der Recher che sind die hygienischen Verhältnisse so mangelhaft, dass sogar der Staatsanwalt Ermittlungen wegen Misshandlung und Körperverletzung eingeleitet hat.

(Zuruf von der AfD: Hört, hört!)

Zwei Einrichtungen wurde die Betriebserlaubnis entzogen, wie es im „Staatsanzeiger“ vom 23. Februar bezüglich des Pflegeheims in Lörrach zu lesen ist.

(Abg. Petra Krebs GRÜNE: Wir sprechen gerade über Behinderte!)

Es sind beide Themen dran.

(Abg. Petra Krebs GRÜNE: Nein! – Abg. Rainer Hin derer SPD: Eigentlich nicht!)

Vor diesem bedrückenden Hintergrund klingt es fast wie Hohn, wenn nach Ministerpräsident Kretschmann – Zitat – „jede und jeder Pflegebedürftige möglichst nah am Wohnort das passen de Angebot“ vorfinden soll. Viele auf Pflege angewiesene

Menschen wären froh, überhaupt ein angemessenes und men schenwürdiges Angebot in Baden-Württemberg vorzufinden.