Um einen Einblick in das alltägliche Erleben von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu geben, nenne ich ein Bei
Im baden-württembergischen Herrenberg ist eine Frau beim Umsteigen auf dem Bahnsteig antisemitisch be schimpft, bedroht und bespuckt worden. Sie trug eine Ket te mit Davidstern, als sie an einem Samstagmorgen mit der Ammertalbahn nach Herrenberg fuhr. Im Zug bemerk te sie einen Mann, der sie verächtlich musterte. Die Frau bekam ein mulmiges Gefühl und blieb während der kur zen Fahrt an der Waggontür stehen. In Herrenberg ver ließ sie den Zug und ging zügig zu den Treppen zur Bahn hofsunterführung. Der Mann stieg ebenfalls aus, folgte ihr und beleidigte sie als „Judenhure“. Er wünschte ihr den „Tod in der Gaskammer“ und bespuckte sie. Die Frau schaute sich auf dem Bahnsteig um, und als sie nie manden außer dem Mann sah, lief sie schnell die Treppe hinunter und brachte sich in einem abfahrbereiten Bus in Sicherheit. Der Mann blieb auf dem Bahnsteig stehen.
Im Jahr 2017 gab es in Baden-Württemberg 98 solcher anti semitischen Straftaten, 91 davon aus dem rechtsmotivierten Bereich – so das baden-württembergische Innenministerium. In ganz Deutschland sind zwischen 2001 und 2015 pro Jahr durchschnittlich 1 522 antisemitische Straftaten verübt wor den. Das sind vier antisemitische Straftaten in Deutschland pro Tag.
Wie sich diese Angst vor diesen willkürlichen antisemitischen Übergriffen für die Betroffenen anfühlen muss, wird von ei nem Rabbiner sehr treffend beschrieben. Er beschreibt den Antisemitismus als – Zitat – „schlafenden Hund, den man nicht wecken soll, der aber immer da ist und keiner Logik folgt, wenn er beißt“.
Ja, Antisemitismus gab es schon immer in unserem Land. Schlimmer ist doch die Tatsache, dass es über die Jahrhunder te keine öffentliche Solidarisierung mit unseren jüdischen Mit bürgern gab. Vielmehr wurden unsere jüdischen Mitbürger mit ihrem Schicksal alleingelassen. Damit muss endgültig Schluss sein, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.
(Beifall bei der SPD, den Grünen und der CDU so wie Abgeordneten der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der AfD)
Ich möchte hier an die Worte des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder erinnern, der nach dem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge im Jahr 2000 formulierte – Zitat –:
Wie können wir uns also mit unseren jüdischen Mitbürgern solidarisch zeigen? Ein „wir“ und ein „die“ darf es nicht ge ben. Es muss uns allen klar sein, dass Angriffe auf unsere jü dischen Mitbürger Angriffe auf uns alle sind. Das bedeutet auch, die Erlebnisse und Sorgen unserer jüdischen Mitbürge rinnen und Mitbürger ernst zu nehmen, anzuhören und zu re agieren. Es müssen die Sicherheit unserer jüdischen Mitbür ger gewährleistet, polizeiliche Aufklärung verstärkt und anti semitische Straftaten umfassend erfasst werden.
Das jüdische Leben in Deutschland muss geschützt werden, und die Antisemitismusprävention und -bekämpfung müssen verbessert werden. Es müssen daher auch die Beratung und Begleitung der von Antisemitismus betroffenen Menschen ausgebaut werden.
Gerade deshalb ist es wichtig, dass der Antrag zur Bekämp fung des Antisemitismus mit den darin enthaltenen Maßnah men, den wir gemeinsam vorgelegt haben, heute beschlossen wird. Wir fordern die Berufung eines Antisemitismusbeauf tragten, der die ressortübergreifenden Maßnahmen der Lan desregierung koordinieren soll. Zur Verbesserung der Aufklä rungsarbeit ist es zudem sinnvoll, dass auch die Wirkungswei se und der Wirkungsgrad von Aufklärungskampagnen evalu iert werden. Nur so können wir die richtigen Maßnahmen er greifen, um Antisemitismus vor allem auch in den Köpfen jun ger Menschen gar nicht erst entstehen zu lassen oder ihn zu bekämpfen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.
(Beifall bei der SPD, Abgeordneten der Grünen, der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Anton Ba ron AfD)
Ja, es ist richtig: Antisemitismus ist nicht mehr bloß ein Phä nomen des Rechtsextremismus. Viele jüdische Mitbürger ha ben Angst davor, dass der Antisemitismus in Deutschland durch die Zuwanderung aus Ländern Nordafrikas und des Na hen und Mittleren Ostens zunehmen wird.
Es kann und es darf nicht sein, dass – wie im Jahr 2014 auf einer Anti-Israel-Demo im Ruhrgebiet – Parolen wie „Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“ skandiert werden oder dass – wie in Berlin – israelische Flaggen verbrannt werden.
Solche Ereignisse müssen uns wachrütteln. Deswegen spre chen wir uns dafür aus, Moscheegemeinden und muslimische Träger für die Arbeit gegen Antisemitismus zu gewinnen und Projekte, die den Dialog mit jüdischen Partnern zum Ziel ha ben, zu fördern, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen.
(Beifall bei der SPD, Abgeordneten der Grünen, der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Stefan Her re AfD)
Aber diese für Deutschland neue Form des Antisemitismus bedeutet nicht – das sage ich in aller Deutlichkeit –, dass wir den Kampf gegen den rechts motivierten Antisemitismus ver nachlässigen werden. Das sage ich vor allem in Richtung der AfD. Dass antisemitische Ressentiments, die seit Jahrhunder ten nicht nur in unserem Land, sondern in ganz Europa vor zufinden sind, wieder hoffähig wurden, haben wir auch Ihrer Partei zu verdanken.
(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU – Abg. Anton Baron AfD: In Ihrer Par tei! Sie werden das nachher noch genau hören, was in Ihrer Partei vorgegangen ist!)
Wenn ein Herr Fiechtner bezüglich des Umstands, dass Herr Gedeon wieder mit der AfD-Fraktion zusammenarbeiten darf, von einem Ausweis völliger Verwahrlosung der AfD-Frakti on spricht, dann zeigt das doch, wie weit es mit Ihrer Frakti on gekommen ist.
Wenn Herr Höcke von einem „Denkmal der Schande“ spricht, Herr Gauland Menschen in Anatolien „entsorgen“ will oder Herr Gedeon ein Ende der Stolperstein-Aktionen fordert, weil für ihn das Erinnern an die Verfolgten, Entrechteten und Er mordeten eine „Erinnerungsdiktatur“ darstellt,
wenn er in seinen Schriften gegen Juden hetzt, dann sind das genau die Tabubrüche, die Rechtfertigung und Grundlage für die Vielzahl von Attacken auf unsere jüdischen Mitbürger sind. Schämen Sie sich für solche Aussagen!
(Beifall bei der SPD, den Grünen und der CDU so wie Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Anton Ba ron AfD: So etwas Schäbiges!)
Aber wir dürfen in Anbetracht solcher Tabubrüche eben nicht sprachlos werden. Wir dürfen uns nicht schamhaft abwenden, sondern wir müssen jetzt jede Form des Antisemitismus ent schlossen und mit aller Härte bekämpfen. Ich möchte den irisch-britischen Staatsphilosophen Edmund Burke zitieren und mit seinen Worten an uns alle appellieren:
Für uns als Demokraten und gerade als Sozialdemokraten ge be ich unseren jüdischen Mitbürgern das Versprechen: Sie ste hen nicht allein. Nie wieder! Nicht in diesem Land.
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abgeordneten der FDP/ DVP)
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Deutschen, die wir heu te leben, tragen nicht die Schuld an dem schlimmsten Verbre chen, dessen Menschen sich jemals schuldig gemacht haben: der planmäßigen, massenhaften Vernichtung von sechs Milli onen Juden – Frauen, Männer und Kinder, die nur ein einzi ges gemeinsames Merkmal hatten: den jüdischen Glauben. Sechs Millionen Individuen wurden wie Ungeziefer vertilgt, nur weil sie eine andere Religionszugehörigkeit hatten als die damals in Deutschland Herrschenden.
Die Schoah, dieses Verbrechen, war der Tiefpunkt menschli cher Zivilisation. Nein, dafür trägt niemand Schuld, der heu te hier anwesend ist. Aber wir alle tragen Verantwortung: Ver antwortung, weil dieses Verbrechen, dieser Zivilisationsbruch von deutschem Boden ausgegangen ist, Verantwortung, weil wohl nahezu jeder von uns in der Generation der Väter und Großväter Vorfahren hat, die in irgendeiner Art und Weise Schuld auf sich geladen haben.
Mein eigener Vater war Zeit seines Lebens davon überzeugt, dass es nicht verwerflich gewesen sei, als junger Mann in der Wehrmacht zu dienen. Er hat sich aber auch Zeit seines Le bens gefragt, ob er nicht doch hätte Widerstand leisten sollen. Wir heutigen Deutschen müssen uns dieser Verantwortung im mer wieder aufs Neue stellen – gerade, weil wir das Glück ha ben, Nachgeborene zu sein und als solche nicht damals hat ten entscheiden müssen.
Wir müssen uns fragen, was aus unserer Verantwortung folgt. Hitler und seine Spießgesellen haben ihren jüdischen Mitbür gern vorgeworfen, ein Volk ohne Heimat zu sein. Hitler hatte unrecht: Die meisten von ihnen hatten eine Heimat, nämlich beispielsweise Deutschland. Aber nach den Erfahrungen der Schoah haben gerade wir Deutschen die Verpflichtung, den Menschen jüdischen Glaubens auch einen eigenen Staat zu garantieren.
Das heißt nicht, dass man israelische Politik nicht kritisieren darf. Aber das Existenzrecht Israels ist nicht verhandelbar. Vor allem ist es nicht akzeptabel, Antisemitismus und Rassismus als Kritik an der israelischen Politik zu tarnen.
In Pforzheim, der Stadt, die mir mittlerweile zur Heimat ge worden ist, wurde vor 80 Jahren die jüdische Synagoge zer stört. Es war mir, dem Sohn des Wehrmachtssoldaten, ein per sönliches Anliegen, daran mitwirken zu können, dass es seit 2006 wieder eine Synagoge in Pforzheim gibt. Es hat mir, dem Sohn des Wehrmachtssoldaten, viel bedeutet, in dieser Syna goge einmal eine Überlebende der Schoah getroffen zu haben, die ursprünglich nie wieder hatte deutschen Boden betreten wollen. „Ich habe meine Meinung geändert“, sagte sie, „weil das heutige Deutschland ein so viel besseres Land geworden ist.“ Es bedeutet mir, dem Sohn des Wehrmachtssoldaten, viel, in jedem Jahr zum Chanukkafest in diese Synagoge eingela den zu werden, um eine Kerze zu entzünden. Das Entzünden der Kerze zu Chanukka ist für mich ein Symbol; es ist das Symbol dafür, dass wir darum kämpfen müssen, dass unser Deutschland dieses so viel bessere Land auch in aller Zukunft bleiben kann.
Dann muss es aber ein Alarmzeichen sein, meine Damen und Herren, dass solche Chanukkafeiern mittlerweile wieder ab gesagt werden müssen. Es hat sich in den letzten Jahren et was verändert in Deutschland, und deshalb ist es gut, dass wir heute diese Debatte führen.
Die hässliche Fratze des Antisemitismus war in Deutschland nie ganz tot. Bertolt Brechts Wort vom „Schoß, der fruchtbar ist, aus dem das kroch“ war nie ganz falsch. Aber dieser Schoß war – sagen wir es so – unter Kontrolle. Doch nun hebt diese Fratze des Antisemitismus in veränderter Form doch wieder ihr widerwärtiges Haupt. Die Migration, insbesondere aus den Ländern des Mittleren und Nahen Ostens sowie Nordafrikas mit starkem traditionellen Antisemitismus, hat Deutschland erreicht. Auch deshalb brauchen wir rasch ein neues und wirk sames Einwanderungsrecht. Wer unseren Schutz sucht – –