Protokoll der Sitzung vom 07.03.2018

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wer antisemitische Reden führt, der kann sich auch nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. Vielmehr bekommt er es dann mit dem Staatsanwalt zu tun. Auch das muss in diesem Zu sammenhang klar sein.

(Beifall bei der CDU, den Grünen, der SPD und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der AfD)

Dass der Antisemitismus in unserem Land auch 73 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz immer noch und immer wieder sein Haupt erhebt, ist für uns alle unerträglich. Kollege Schwarz hat zu Recht die Geschichte angesprochen. Gerade aufgrund unserer Geschichte tragen wir hier eine besondere Verantwortung.

Fast 100 antisemitische Straftaten hat es im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg gegeben. Dass Menschen in unserem Land sich heute nicht trauen, mit der Kippa auf die Straße zu gehen, dass Synagogen in unserem Land nicht ohne Polizei schutz auskommen, dass es in schlimmster Tradition mitten in unseren Städten Boykottaufrufe und „Don’t Buy“-Aktio nen gegen Waren aus Israel gibt, dass „Jude“ auf manchem Schulhof ganz ungerührt als Schimpfwort gilt, das dürfen und können wir niemals hinnehmen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Richtig ist: Die meisten Menschen im Land haben nichts üb rig für antisemitische Parolen. Die breite Mitte unserer Ge sellschaft verurteilt Judenfeindlichkeit. Dafür steht auch un ser gemeinsamer, fraktionsübergreifender Antrag.

Ich finde es außerdem beeindruckend, wie viele Menschen sich in unserem Land freiwillig und mit innerer Überzeugung gegen Antisemitismus, für den christlich-jüdischen Dialog oder auch in Initiativen der Erinnerungskultur engagieren. Auch das christlich-jüdische Erbe ist Teil unserer Leitkultur.

(Beifall bei der CDU, den Grünen, der SPD und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der AfD – Abg. An ton Baron AfD: So ist es!)

Gerade das Ehrenamt – es ist unbezahlt, aber unbezahlbar – ist in den vielen Aktionen, die der Kollege angesprochen hat, wichtig. Die Ehrenamtlichen führen jeden Tag den Beweis, dass dieses Land und diese Gesellschaft aus der Geschichte gelernt haben.

Doch umso nötiger bleibt es, dass wir dem Antisemitismus bewusst entgegentreten, wo immer er sich zeigt. Es bleibt not wendig, dass wir ihm den Platz streitig machen, dass wir ihm verbieten, sich von Neuem in die Köpfe zu schleichen, und es bleibt notwendig, dass wir auch die antisemitischen Verfüh rer, die Verschleierer, die Leugner, die Verfälscher stellen. Ei nen Schlussstrich unter die Erinnerung, unter die Aufarbei tung der Schoah kann und darf es niemals geben.

(Beifall bei der CDU, den Grünen, der SPD und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der AfD)

Wir alle wollen keine geschönte Geschichte, sondern wir brau chen Wahrhaftigkeit und Verantwortung. Gerade jetzt, da die Zeitzeugen nach und nach verstummen, müssen wir neue For men finden, um aufzuklären, um Bewusstsein zu schaffen, auch um Bildungsarbeit zu leisten.

Wenn eine Partei – Herr Kollege, Sie haben sich vorhin dar über echauffiert, dass der Kollege Schwarz in diesem Zusam menhang die AfD angesprochen hat – ausgerechnet bei der politischen Bildung sparen will, dann geht das nicht.

(Abg. Rüdiger Klos AfD: Wenn es politische Bildung wäre! Das ist nämlich keine! – Abg. Bernd Gögel AfD: Wenn politische Bildung einseitig ist! – Weite re Zurufe)

Das ist nicht in Ordnung. Wenn im Grundsatzprogramm Ih rer Partei ernsthaft geschrieben steht, die Erinnerungskultur in Deutschland sei – Zitat – „aufzubrechen“, dann ist das nichts anderes als Geschichtsrevisionismus.

(Anhaltender Beifall bei der CDU, den Grünen, der SPD und der FDP/DVP sowie des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos] – Abg. Anton Baron AfD: Billig!)

Sie mögen keine antisemitische Partei sein, aber Sie haben ein massives Antisemitismusproblem. Das müssen Sie einsehen.

(Abg. Emil Sänze AfD: Das ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe! – Abg. Anton Baron AfD: Nennen Sie Beispiele!)

Das wurde angesprochen. – Wissen Sie, wir alle kennen die Zitate. Wenn ein Vertreter – Sie wissen, von wem ich spreche – das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schan de“ verhetzt,

(Oh-Rufe von der AfD)

dann ist das nicht hinnehmbar. Das ist nicht hinnehmbar!

(Beifall bei der CDU, den Grünen, der SPD und der FDP/DVP – Glocke der Präsidentin)

Herr Abg. Dr. Reinhart, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Nein, am Ende. – Die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus und mit dem Völkermord an den europäischen Juden muss ein zentrales Thema bleiben, auch und gerade, wie ich finde, an unseren Schulen. Wir wollen, dass gerade junge Menschen Bescheid wissen, dass sie Antisemitismus selbst erkennen und antise mitischen Demagogen nicht auf den Leim gehen.

(Beifall des Abg. Daniel Rottmann AfD)

Wir müssen sie stark machen im Kampf gegen Antisemitis mus, stark durch Wissen, stark durch Dialog und stark durch Engagement.

Der Kampf gegen den Antisemitismus in all seinen offenen und versteckten Formen braucht einen organisatorischen Rah men. Deshalb haben alle Fraktionen hier vorgeschlagen, dass das Land einen Antisemitismusbeauftragten beruft. Die Frak tionen werden ihn gemeinsam benennen. Er soll alle Initiati ven gegen Antisemitismus ressortübergreifend koordinieren und in die politische Bildungsarbeit hinein wirken. Auch das ist ein starkes Signal, und dieses Signal heißt: Baden-Würt temberg sagt Nein zum Antisemitismus.

(Beifall bei der CDU, den Grünen, der SPD und der FDP/DVP sowie des Abg. Anton Baron AfD)

Moment, Herr Abgeordneter. Herr Abg. Dr. Reinhart hat keine Redezeit mehr. Daher kann ich keine Fragen mehr zulassen.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Glocke der Prä sidentin)

Tut mir leid.

Liebe Kolleginnen und Kolle gen, wir haben diese Regelung gemeinsam beschlossen: Es gibt Redezeiten, und wenn die Redezeit überschritten ist, kann ich keine Zwischenfrage oder Schlussfrage mehr zulassen. Punkt. Es gibt keine Debatten darüber.

(Zuruf von der AfD: Das ist sehr schade!)

Vielen Dank, Herr Abg. Dr. Reinhart.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der Grünen, der SPD und der FDP/DVP)

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Fraktions vorsitzenden Stoch.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen! Heute ist ganz sicherlich kein Freuden tag für dieses Parlament, den Landtag von Baden-Württem berg. Denn um ehrlich zu sein: Als ich 2009 in diesen Land tag kam, als ich begann, mich politisch zu engagieren, hätte ich mir nie träumen lassen, dass wir im Jahr 2018 in einem Land wie Baden-Württemberg über die Bestellung eines An tisemitismusbeauftragten nachdenken müssen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der CDU – Zuruf von der AfD)

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wie muss es sich für unsere jüdischen Mitbürger anfühlen, wenn sie von

ihrem Land, das sie lieben, dessen Kultur sie schätzen, in dem sie aufgewachsen sind, in dem sie sich zu Hause fühlen, nicht akzeptiert werden, nicht angenommen werden, von manchen gar ausgestoßen werden? Wie muss sich das anfühlen, wenn sie wissen, dass ihre Eltern und Großeltern aus diesem Land, das ihre Heimat ist, vertrieben wurden, ja sogar ermordet wur den?

Mit jedem antisemitischen Übergriff werden unsere jüdischen Mitbürger nicht nur ein weiteres Mal gedemütigt, sondern ein Stück weit auch ihrer Heimat beraubt. Denn genau das ist der Kern des Antisemitismus: die Ausgrenzung, die Stigmatisie rung, anders zu sein, die Einstufung als nicht dazugehörig.

(Zuruf von der AfD)

So stellt die subtilste Form des alltäglichen Antisemitismus gerade die Gegenüberstellung von Deutschen und Juden dar. Es ist Ausdruck einer über die Jahrhunderte in den Köpfen manifestierten Trennung zwischen jüdischen und nichtjüdi schen Mitbürgern.

Ich sage deswegen an dieser Stelle ganz deutlich: Wir Sozial demokraten haben uns immer zu unseren jüdischen Wurzeln bekannt. Wir sind stolz auf unsere jüdischen Genossen, auf unseren Gründer Ferdinand Lassalle, unseren Parteivorsitzen den Paul Singer, auf Karl Kaustky und Eduard Bernstein, auf Egon Bahr und viele andere.

Eines steht für uns als Demokraten und als Sozialdemokraten seit dem Tag unserer Gründung bis heute fest: Mit den jüdi schen Gemeinden verbindet die Sozialdemokratie der gemein same Kampf gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Ich sage ganz deutlich: Wir sind dankbar, dass es trotz der Schoah, des Massenmords an sechs Millionen Juden, wieder jüdisches Leben in Deutschland gibt. Umso widerwärtiger ist es, dass jüdische Mitbürger die Erfahrung der Ausgrenzung, der Willkür und des Hasses heute wieder machen müssen. Die alltäglichen Provokationen, Pöbeleien und Drohungen, die un sere jüdischen Mitbürger ertragen müssen, sind eine Schande für unser Land. Wir dürfen dies nicht weiter zulassen.

(Beifall bei der SPD, den Grünen und der FDP/DVP, Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Anton Baron AfD)

Wir dürfen nicht länger zulassen, dass es normal ist, dass jü dische Schulen und Synagogen bewacht werden müssen, dass Chanukkafeiern abgesagt werden müssen oder dass jüdische Mitbürger sich nicht trauen, eine Kippa zu tragen. Es kann nicht sein, es darf nicht sein, dass in Klassenzimmern, auf Sportplätzen das Wort „Jude“ wieder ein Schimpfwort ist, lie be Kolleginnen, liebe Kollegen.

(Beifall bei der SPD, den Grünen, der CDU und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der AfD)