Wenn ich „wir“ sage, dann spreche ich für den allergrößten Teil der Baden-Württembergerinnen und Baden-Württember ger, und ich spreche, wie der heutige interfraktionelle Antrag zeigt, für die ganz überwiegende Mehrheit der Abgeordneten in diesem Hohen Haus. Wir stehen an Ihrer Seite.
In Baden-Württemberg gab es im vergangenen Jahr allein in den ersten drei Quartalen 71 antisemitische Straftaten. Bun desweit sind es sogar vier antisemitische Straftaten pro Tag. So wurde auch die neue Synagoge in Ulm von einer Gruppe leider noch nicht ermittelter junger Menschen nachts gezielt angegriffen und beschädigt –
eine Straftat, die mich besonders betroffen macht, hatte ich doch 2012 die Ehre, ebendiese Synagoge in Ulm gemeinsam mit dem damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck zu er öffnen. – Ich freue mich auch, den Rabbiner der Ulmer Syn agoge, Herrn Trebnik, heute begrüßen zu können.
Es ist für uns ein großes Glück, dass wir in der Geburtsstadt Albert Einsteins wieder blühendes jüdisches Leben haben.
Ebendeshalb dürfen wir nach solchen Taten nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern müssen den Opfern beiste hen und die Täter, wo immer möglich, zur Rechenschaft zie hen.
Meine Damen und Herren, ich habe in den letzten Jahren zwei Mal Yad Vashem, die Schoah-Gedenkstätte bei Jerusalem, be sucht. Ich durfte mich immer wieder – auch dort – mit Über lebenden des Holocausts unterhalten. Ich sage Ihnen: Wer ein mal in Yad Vashem war oder ein Konzentrationslager besucht hat, wer einmal mit Menschen wie Meinhard Tenné gespro chen hat, die den Schrecken der nationalsozialistischen Ver nichtungsmaschinerie überlebt haben, dem wird bei manchen Ereignissen, die wir derzeit erleben, wirklich ganz anders,
etwa wenn es Rufe nach einem Schlussstrich und einer „erin nerungspolitischen Wende um 180 Grad“ gibt
oder wenn das Holocaustmahnmal als „Denkmal der Schan de“ diffamiert und die Entfernung von „Stolpersteinen“ aus unseren Städten gefordert wird oder wenn eine Fraktion in diesem Haus erst auf Proteste hin den Antrag zurückzieht, die Mittel für die Gräber der nach Frankreich deportierten und er mordeten badischen Juden in Gurs zu streichen.
Nein. – Die Würde aufgeklärter deutscher Politik besteht eben genau da rin, dass wir uns dieser Erinnerung immer wieder stellen, dass wir immer wieder aus der Geschichte lernen und dass wir da mit auch anderen Mut machen, die dunklen Flecken der eige nen Vergangenheit in den Blick zu nehmen. Diejenigen aber, die sich durch die Erinnerung an die NS-Verbrechen bedrängt fühlen, haben nicht verstanden, zwischen Schuld und Verant wortung zu unterscheiden. Niemand gibt heutigen Generati onen die Schuld an den Verbrechen der Nazis. Aber wir alle tragen eine Verantwortung für unsere Geschichte und dafür, dass sich so etwas niemals wiederholt.
Unsere ganze Geschichte ist Teil unseres nationalen Erbes und unserer Selbstvergewisserung, und zwar die dunklen Kapitel
ebenso wie die hellen. Wer unsere Erinnerungskultur be kämpft, der hat Deutschland nicht begriffen. Wer keine schar fe Trennlinie zu Antisemiten in seinen Reihen zieht, der macht sich mit ihrer Sache gemein.
(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der AfD – Abg. An ton Baron AfD: Quatsch!)
Und wer andere ausgrenzen muss, damit er sich selbst findet, ist kein Patriot, sondern nur ein Nationalist.
(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der AfD – Abg. Da niel Rottmann AfD: Jawohl!)
Meine Damen und Herren, der Kampf gegen den Antisemi tismus ist keine Folge eines schlechten Gewissens, sondern ein Gebot der Verantwortung für unsere Demokratie.
Denn Vertrauen und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft werden ausgehöhlt, wenn Minderheiten angegriffen, beleidigt und diskriminiert werden, wenn ein Keil in unsere Gesell schaft getrieben wird und einzelne Gruppen gegeneinander aufgehetzt werden.
Dabei unterscheiden wir nicht, von wem der Antisemitismus kommt, von rechts, von links oder aus der Mitte,
von Christen, Atheisten oder Muslimen, von Alteingesesse nen oder Zugewanderten. Jede Form des Antisemitismus ist menschenverachtend. Das gilt für den alten Antisemitismus, den wir leider nie ganz überwinden konnten, und das gilt für den neuen Antisemitismus, der uns mit Zuwanderern aus mus limisch geprägten Ländern erreicht.
Deshalb gibt es für uns keine falsche Toleranz – gegenüber niemandem. Wir sind eine wehrhafte Demokratie.
Deshalb braucht es gegenüber jenen Zuwanderern, die antise mitisches Gedankengut mitbringen, sowohl klare Ansagen als auch Aufklärung über die Grundlagen unseres Zusammenle bens.
Der neue und der alte Antisemitismus speisen sich aus den selben vergifteten Quellen, beispielsweise der furchtbaren Fäl schung der sogenannten Protokolle der Weisen von Zion. Sie
entstand Anfang des 20. Jahrhunderts in Russland, wurde dann in viele Sprachen übersetzt und in Deutschland ebenso ver breitet wie etwa in den USA oder – bis heute – in vielen ara bischen Ländern. Dies muss uns allen Sorgen machen. Ich sa ge klipp und klar: Diese vergifteten Fälschungen dulden wir nicht, aus welcher Ecke auch immer.
Würde die AfD tatsächlich die Sorge um die Juden und das jüdische Leben umtreiben, dann würde sie den Blick auch auf ihren eigenen Laden richten. Dann würde sie in ihrer Partei keinen Abgeordneten dulden, der in seinen Schriften ausge rechnet diese antisemitischen Protokolle propagiert und den Juden vorwirft, Flüchtlinge nach Europa zu lenken.
(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Anton Baron AfD: Sie wissen doch selber, wie schwer Parteiausschlussverfahren sind!)
Dann würde sie auch nicht zulassen, dass der hessische Bun destagsabgeordnete Hohmann, den die CDU wegen antisemi tischer Äußerungen mit demokratischer Klarheit 2003 aus der Fraktion und 2004 aus der Partei ausgeschlossen hat, über die AfD-Liste wieder ins Parlament zurückkehrt. Genau das ha ben Sie getan. Dabei geht es nicht um eine Stilfrage, sondern um die Frage der demokratischen Grundhaltung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf Ihnen mit teilen: Wir haben uns innerhalb der Regierung bereits auf die Einsetzung eines Antisemitismusbeauftragten geeinigt.
Allerdings ist es mit einem Beauftragten allein nicht getan. Ein solches Amt macht nur Sinn, wenn es bestehende Struk turen sinnvoll ergänzt und die Arbeit der Ministerien koordi nieren kann. Daher schlagen wir vor, den Antisemitismusbe auftragten im Staatsministerium anzusiedeln. Er wird mir per sönlich, den Ressorts und dem Landtag berichten. Wenn der Antrag heute beschlossen wird, werde ich den antragstellen den Fraktionen einen Personalvorschlag machen, sodass wir ihn zügig einsetzen können.
Herr Ministerpräsident, es gibt eine weitere Zwischenfrage des Abg. Rottmann. Lassen Sie die zu oder nicht?
Der Beauftragte wird nicht als Alibi fungieren, sondern mit allen notwendigen Ressourcen ausgestattet sein, um seine wichtige Aufgabe erfüllen zu können. Er wird, wie von den Fraktionen angeregt, durch einen Beraterkreis aus Wissen schaft und Zivilgesellschaft unterstützt und begleitet werden. Er wird diesem Hohen Haus alle vier Jahre einen Bericht zum Antisemitismus und zu dessen Bekämpfung vorlegen. Dies sage ich Ihnen und unseren Gästen heute im Namen der ge samten Landesregierung zu.